Cabaret Chilemüüs

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1979 von Andres Boller

Am 9. Juni 1979 führten wir im Kirchgemeindehaus unser Cabaret-Programm zum ersten Mal auf. Während rund einem Jahr hatten wir in einer Gruppe von Jugendlichen an diesen Cabaret-Nummern gearbeitet, geschrieben, geprobt. Wenn ich jetzt auf dieses Jahr zurückblicke, dann kommen mir vor allem drei Sachen in den Sinn, die wir in unserer Cabaret-Gruppe erlebt haben.

1. Nachdenken über das Leben

Das war eigentlich der Ausgangspunkt unserer Gruppe. Wir trafen uns oft, um über das Leben nachzudenken und zu diskutieren: Sollten wir nicht neben unserm Körper auch unsern Geist, unsere Seele trainieren? – Ist die Technik uns da oder dort über den Kopf gewachsen? – Oft streiten wir wegen einer Kleinigkeit! − In uns Menschen gibt es viele Gegensätze: Da möchte einer zum Beispiel sein Körpergewicht reduzieren, und doch isst er weiter viel zu viel! − Stimmt das, was uns die Werbung alles verspricht? – Tragen wir im Leben nicht verschiedene Masken? − Wie eintönig ist oft unser Tagesablauf! − Zum Gespräch gehört eigentlich neben dem Reden miteinander auch das Hören aufeinander!
Irgendeinmal tauchte die Idee auf: Könnten wir das Ergebnis unserer Diskussionen nicht in Cabaret-Nummern verwandeln? Zuerst gingen wir nur zögernd an die Verwirklichung dieser grossen Idee, dann aber mit wachsender Begeisterung. Wir schrieben Texte, überarbeiteten sie wieder, verteilten Rollen, dichteten Lieder. Peter Friedli komponierte zwei tolle Melodien. Kulissenentwürfe wurden gemacht, miteinander verglichen, noch einmal abgeändert; und einer wurde dann gemalt. Wir suchten die Requisiten zusammen: ein grosser Käse, Mäuseschwänze, ein Riesenkäfig, verschiedene Masken, ein Puppenwagen, ein Tonband mit Kindergeschrei und noch vieles mehr. Ja, und eine Bühne gab es im Kirchgemeindehaus nicht; so konstruierten wir eine aus Tischen, Podiumselementen, einem alten Strick und einem Stück Spannteppich.
Endlich war es dann so weit. Die Aufführung konnte beginnen. Unser Nachdenken über das Leben konnte ein Auslöser werden für das Nachdenken anderer. Hier noch die Titel der acht Nummern (vielleicht erkennen Sie dahinter die oben erwähnten Lebensthemen):
- Seelenparcours
- Zum Beispiel Radiorecorder
- Streit wegen einem Käse
- Der Mensch in der Mausfalle
- Vielen Dank (an die Werbung)
- Entdeckung im Kleiderkasten
- Der Alltag
- Monolog zwischen zwei Personen

2. Lachen können

Wir haben viel gelacht bei unsern Diskussionen und dann vor allem bei den Proben. Manchmal war bei einer Probe einem Spieler plötzlich ein neuer Satz eingefallen. Natürlich war dies für die Mitspielenden nicht immer einfach. Aber so blieb der Text lebendig, sogar bis zur Aufführung: und das war für uns alle spannend und lustig. Überhaupt sollten ja die Nummern zum Lachen reizen. Wir wollten die an und für sich ernsten Themen auf eine humorvolle Art darstellen. Es gibt ja eine alte Regel, die sagt: «Bring einen Menschen zum Lachen, dann kannst du ihm in den offen Mund etwas hineinwerfen, an dem er dann zu beissen hat.»
Ein ganz wichtiges Lachen ist ja das Lachen über sich selber. Wenn die Spielenden oder die Zuschauer lachten, dann war es ja eigentlich ein Lachen über menschliche Schwächen, die in dieser Nummer zum Vorschein kamen, also ein Lachen über sich selber. Und es ist gut, wenn wir das können – so wie es in einem unserer Lieder heisst:
Ir lached gern und lached vil
über anderi Sache, Mänsche, Chälber
Doch bsunders wichtig isch und bliibt
au s Lache über sich sälber.

3. Gemeinschaft erleben

Sowohl die Vorbereitungen als auch die Aufführungen selber waren ein grosses Gemeinschaftserlebnis. Jeder spürte, dass er ein wichtiger Teil des Ganzen ist. Wenn das Ganze gelingen sollte, dann musste jeder seinen Beitrag leisten, vom Spielen über die Requisitenbeschaffung bis zum Bühnenbau. Und wenn man miteinander Theater spielt, entdeckt man sehr bald, wo der andere seine Stärke und wo er seine Schwäche hat. Stärke und Schwäche des andern akzeptieren, beides gehört zu einer echten Gemeinschaft.
Es kam auch vor, dass nicht alle gleicher Meinung waren, bei der Gestaltung einer Nummer oder bei der Auswahl des besten Kulissenentwurfes. Dann die verschiedenen Meinungen vorbringen − miteinander reden − Kompromisse schliessen − auch einmal erleben, dass alle andern anderer Meinung sind −, dies alles sind Erlebnisse von lebendiger Gemeinschaft.
Natürlich gab es auch Momente, wo dem einen oder andern auf einmal die ganze Arbeit verleidet war. Wahrscheinlich jeder kannte einmal einen solchen Moment. Aber dann war immer wieder einer da, der die andern mit seiner Begeisterung und mit seinen Ideen mitriss. Und als dann am 9. Juni die Aufführung vor vollem Saal gelang, da hatte jeder das Gefühl: Wir haben zusammen etwas erreicht.

Chilemüüs

Was hat denn dies alles mit Kirche zu tun? Ich glaube, sehr viel. Über das Leben nachdenken und andere zum Nachdenken bringen, und erst noch auf eine fröhliche Art, und dabei ein Stück wirklicher Gemeinschaft erleben − das ist doch ein Teil kirchlich Arbeit −, und zwar vielleicht in einer Form, die gerade jungen Mensch entspricht. Wir möchten auf jeden Fall in unserer Gruppe weitermachen. Vielleicht gibt es noch andere Jugendliche, die daran Freude haben. Themen für neue Cabaret-Nummern gibt es sicher noch viele: Stärken und Schwächen im Leben der grossen Menschen, von den kleinen Mäusen beobachtet.
 
Will mir halt chlii sind,
gseend mir vil, was du
nüd gseesch wäg diiner Grössi.
Mir gseend gar mängs bim Läbesstiil
a Guetem, aber au a Blössi.
 
Mir sind halt chliini, gfitzti,
schlaui Chilemüüs,
vil chliiner na als sälbst
de chliinsti Mänsch.
Und trotzdäm känned mir öi guet
vo Chopf bis Füess,
vil besser na als du dich sälber
kännsch.
Pips, pips, chumm los uf öis,
mer meined's guet.
 



Andres Boller