Das Strasshaus

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1989 von Christian Renfer

SELBSTBEWUSSTES BAUEN IM WÄDENSWILER BERG IM FRÜHEN 18. JAHRHUNDERT
 

DAS STRASSHAUS NACH DER RENOVATION VON 1986/87

«Strasshaus» – den Namen hat das so bezeichnete imposante Gebäude an der oberen Einsiedlerstrasse auf dem Hangplateau oberhalb der heutigen Autobahneinfahrt wohl durch seine Lage am alten Pilgerweg erhalten1. Der herrschaftliche Riegelbau besticht allein schon durch sein auffallend hohes Dach, dessen Giebel zu den steilsten im Kanton gehört. Es ist auf einer schmalen Hangterrasse von weither sichtbar, sei es, dass man vom See her zum Hirzel aufsteigt, sei es, dass man vom Berg her kommend oberhalb des Hofes Burstel talwärts schaut. Im Gegensatz zu den traditionellen zweigeschossigen Bauten der Gegend, – eingeschlossen die grossen Wohnhäuser der Einzelhöfe, – besitzt der kompakt wirkende Baukubus des Strasshauses über einem Kellersockel drei Vollgeschosse und darüber hinaus noch drei ehemals nicht ausgebaute Dachgeschosse im hochragenden Giebel2. Seine auffallende Mischbauweise ist indessen erst seit der Freilegung des Fachwerks wieder sichtbar geworden, sie ist aber sicher ursprünglich. Während das Haus in seiner verputzten Gestalt, wie sie seit diesem Jahrhundert bestand, zwar imposant genug, aber doch recht spröd ausgesehen hat, – auch wenn das verwaschene Rosa dem industriellen Zementverputz am Schluss sogar einen Hauch südländischer Ambiance zu geben vermochte – erkennt man jetzt die differenzierte Bauweise des barocken Hauses von 1709 wieder auf den ersten Blick, und zwar ohne dass unvermittelt das Gefühl aufkommt, das Gebäude sei nicht aus einheitlichem Guss. In der Tat findet sich im Gebäude keine Spur eines älteren Kerns.
Es war in unserer Gegend durchaus üblich, die Verwendung von Stein und Holz mit Rücksicht auf klimatische und topographische Eigenheiten des Ortes abzustimmen3. Das Strasshaus steht, mit dem Giebel nach Süden gerichtet, traufparallel zur Strasse und zum Hang. Das ostwärts abfallende Gelände bedingte zunächst den üblichen Sockel, in dem talseits ein gewölbter Keller eingebaut wurde. Sodann schützte man, wie das am Zürichsee oft der Fall ist, den Bau gegen die Witterung, indem man den Nordgiebel ganz und die westliche Trauffassade über zwei volle Geschosse aufmauerte. In diesen gemauerten Bauteilen bestehen die Fenstergewände aus Sandstein.
Das Strasshaus von Süden, vor der Renovation von 1986/87.

Sie sind noch in spätgotischer Tradition gekehlt und vor den Stuben zu gekoppelten Reihen zusammengefügt4. Im übrigen sind die Fenster streng axial ausgerichtet, was dem barocken Bau eine besondere Würde verleiht. Im Giebelfeld der Nordseite erschliesst ein grosses Rundbogentor den Dachraum. Das dekorative Fachwerk entfaltet sich auf der Südfront in seinen ganzen stattlichen Dimensionen. Zudem zeigt auch die Talseite in den beiden Obergeschossen ein Fachwerk. Dass das Konstruktionsholz bei der Freilegung in verhältnismässig gutem Zustand war, vor allem aber in absolut ursprünglicher Anordnung zum Vorschein kam, erleichterte den Entscheid, dem Strasshaus sein altes Aussehen wieder zu geben. Das Holzwerk war eindeutig auf Sicht berechnet und die rote Farbe trotz späterem Verputz weitgehend erhalten.

Einzelne Teile, wie die profilierten Fensterbänke waren grau gefasst und hoben sich so aus dem Fassadenbild markant heraus. Dagegen zeigte sich das Grau der traufseitigen Dachuntersicht als nachträglicher Anstrich, unter welchem ältere Bemalungen lagen, die offensichtlich zu einer etwas reicheren Dachkonstruktion des Ursprungbaus gehörten. Die genauere Untersuchung hat ergeben, dass das Gebäude auf seiner Schauseite ehemals ein ausladendes Vordach mit Fluggespärre und Freibünden («Züri-Vieri») besessen hat, und in dieser Form noch wesentlich mehr einem repräsentativen Bauernbarock verpflichtet gewesen ist, als dies heute erscheint. Da die Vordachkonstruktion offenbar stark verwittert war, hat man das Dach im Zeitpunkt, wo man auch das Fassadenwerk verputzte, auf Windladenbreite verschmälert und die Vordachkonstruktion abgebrochen, dabei aber die Windladen belassen und gleichzeitig die Rankenmalerei überstrichen.
Ansicht der Südostfassade mit freigelegtem Riegelwerk. Maßstab 1 : 500.

Die traufseitigen Dachuntersichten zur Strasse hin wurden bei dieser Gelegenheit verputzt. Unter der Putzlattung verschwand ebenfalls eine bemalte Dachschalung5. Während diese heute wieder sichtbar und restauriert ist, wurden die Windladen der Giebelseite offenbar ohne das Wissen, dass unter dem unansehnlichen Grauanstrich eine barocke Malerei verborgen lag, bei der Dachsanierung entfernt und vernichtet. Sowohl die giebel- als auch die traufseitige Dachuntersicht trugen kontrastvolle Ornamente. Jene auf den Windladen sind später deckend grau übermalt worden. Jene auf der Traufseite zwischen den Dachaufschieblingen, welche jetzt wieder abgedeckt worden sind, zeigen noch ihre ursprüngliche Farbigkeit: auf ungegliedertem weissem Feld sind virtuos hingeworfene gelbe Blattranken mit schwarzer Schattenkontur und aufgesetzten weissen Lichtern in absolut originaler Kalkmalerei zu sehen. Doch auch in anderen Teilen hat das Haus beim jüngsten Umbau gestalterische Wandlungen erfahren. Das Schaufenster des zeitweise bestehenden Kolonialwarenladens auf der Strassenseite hat zwei kleineren Ersatzfenstern Platz gemacht, welche die ursprüngliche Fassadensymmetrie wiederherstellen. Die beiden bei dieser Gelegenheit ebenfalls erneuerten Türflügel des Hauseinganges vermitteln jetzt wieder das vertraute Sparrenbild herkömmlicher Barocktüren, wie sie an Bauernhäusern der Gegend üblich waren6. Auch andere Anhängsel sind entfernt worden, so der Garageanbau an der Nordseite, wodurch bei dieser Gelegenheit an der alten Fassade wieder der sandsteinerne Küchenausguss zum Vorschein kam. Aber auch der nachträglich bei der Unterschlagung des Gewölbekellers eingebaute Eingang an der südlichen Giebelfront ist wieder verschwunden und hat, – nachdem das Gewölbe wieder ausgeräumt ist –, einem an den ursprünglichen Kellereingang erinnernden Rundbogentor in moderner Metallsprossung Platz gemacht. Einiges ist auch geblieben, weil es der jüngsten Umnutzung zugute kam: So blieb verständlicherweise der ganze ursprünglich als Schopf genutzte Giebelbau auf der Talseite, der früher schon zu Wohnungen umgebaut worden war und sich optisch klar vom Hauptbau absetzt.

Leider war auch die in unserem Jahrhundert auf dem Dach angebrachte Schleppgaubenreihe nicht wieder wegzubringen. Hatte sie vor wenigen Jahrzehnten noch einfache Kammern im ehemals offenen Dachraum zu belichten, so dient sie heute den dort eingebauten modernen Dachwohnungen. Hier stand der denkmalpflegerische Wunsch dem ökonomischen Interesse des Eigentümers allzu diametral entgegen, ja letzteres überwog insofern, als dem Bauherrn für die Neunutzung noch zusätzliche Dachaufbauten in Form von Ochsenaugen zugestanden wurden. Dafür konnten immerhin die in ihren Dimensionen sichtbar gewachsenen Hauptkamine in eine dem traditionellen Dach angemessene herkömmliche Form gebracht werden.
Für den heute vollendeten grundlegenden Umbau von 1986/87 stand im Strasshaus ein stattliches Volumen zur Verfügung. Ohne dass der klar gegliederte Doppelgrundriss aus dem 18. Jahrhundert in seiner Haupteinteilung wesentlich verändert werden musste, ergaben sich unter Einbezug von Keller und Anbau schliesslich sieben Mietwohnungen. Die intensivere Nutzung, wie sie heute aus ökonomischen Überlegungen bei der Altbausanierung in der Regel angestrebt wird, bringt für ein traditionelles Wohnhaus, das für eine einzige ländlichbäuerliche Grossfamilie gebaut wurde, trotz aller Rücksichtnahme, unausweichliche Eingriffe in Struktur und Substanz. Je mehr neue Wohneinheiten darin vorgesehen sind, desto mehr Veränderungen hat dies zur Folge, und sehr rasch ist der Punkt erreicht, wo wesentliche historische Substanz verloren geht. Es erfordert sehr viel Risikofreudigkeit von seiten des Bauherrn und Einfühlungsgabe des Architekten, damit eine umsichtige Planung und grosse Entscheidungsflexibilität in der Ausführung am Schluss nicht bloss die Rechnung des Bauherrn, sondern auch jene der Denkmalpflege aufgehen lassen. Dies beginnt bei den ersten Abstrichen am Nutzungsgrad und endet bei den handwerklichen Sonderleistungen, welche für eine substantielle Erhaltung des Denkmals vorausgesetzt werden müssen.

Trauffassade gegen die Obere Einsiedlerstrasse.

Strasshaus von Norden.

Das Strasshaus diente als offenes Wohnhaus ursprünglich bloss einer einzigen Familie7. Natürlich konnten dabei je nach Generationenverhältnissen mehrere Parteien in mehr oder weniger getrennter Haushaltung unter demselben Dach leben. Platz war dazu genug vorhanden. Doch es war früher kaum je üblich, sich ganz voneinander abzuschliessen. Davon zeugt die Anlage des Hauses. Der Grundriss ist symmetrisch aufgebaut. In der Hausmitte führt die Treppe von der Strassenseite her im Innern bis zum 2. Obergeschoss. Gleichzeitig erschliesst sie als innerer Abgang den rückwärtigen Gewölbekeller, der ein Geschoss tiefer liegt. Die Richtung des Hausganges wechselt vom ersten zum zweiten Obergeschoss. Im Wohngeschoss verläuft er quer durch die ganze Hausbreite. Zu beiden Seiten liegen je drei Räume, nämlich je eine Stube, Küche und Hinterkammer. Im Kammergeschoss wechselt der Gang in Richtung der Firstachse, so dass die Kammern auf die Traufseite zu liegen kommen. Die Treppe mündet in der Mitte des Ganges. Eine separate Treppe erschliesst von hier aus den Dachraum. Der von einem imposanten Sprengwerk überspannte Dachraum mit seinen drei stützenlosen Böden diente ursprünglich als Schütte und Lager8. Er wurde mit dem üblichen drehbaren Aufzugsgalgen bedient, wie er hier noch erhalten ist. Später wurden Teile des Hauptdachraumes zu Kammern unterschlagen, die man mit neu aufgesetzten grossen Schlepplukarnen belichtete. In seiner ursprünglichen Anlage und Nutzungsform weicht das Strasshaus (ausser dass es nach aussen mit drei Vollgeschossen in Erscheinung tritt) kaum von den in der Gegend üblichen Bauernwohnhäusern ab. Der symmetrische Doppelgrundriss auf zwei Vollgeschossen, bei dem sich im Wohngeschoss die Stube durch ihre Ausstattung mit Täfer, Buffet und Kachelofen besonders auszeichnet, während die Kammern ungetäferte Riegelwände zeigen, ist im 17. und 18., ja bis weit ins 19. Jahrhundert hinein die Regel. Der die Wohnung erschliessende Hausflur kann dabei in der Längs- oder in der Querachse liegen9. Mit Hauseingang und Stubenfensterreihen zu beiden Seiten ist beim Strasshaus eigentlich die Traufseite an der Strasse als Hauptfront gekennzeichnet, doch tritt die hochaufragende Giebelfront nach Süden mit ihrem dekorativen Fachwerkbild hier auffallender in Erscheinung. Die Ambivalenz in der Ausrichtung des Wohngrundrisses macht sich auch darin bemerkbar, dass sich die bemalte Hauptstube in der Südwestecke des 1. Obergeschosses auf zwei Seiten hin in einer Fensterreihe öffnet. Man hat hier die ausgezeichnete Lage übereck zur Besonnung des Raumes geschickt ausgenützt. Er erhält damit durch zwei mal vier Fenster soviel Licht, wie sonst kein Zimmer im Hause.

ZUR GESCHICHTE DES STRASSHAUSES

Das Strasshaus wurde 1709 von Rudolf Hauser und dessen Frau, Maria Hottinger, für ihre grosse Familie erbaut. Bereits waren alle sieben Kinder, sechs Söhne und eine Tochter, geboren. Das jüngste Söhnchen, Hans Konrad, war gerade zweijährig, als das neue Elternhaus entstand10. Ob neben dem benachbarten älteren Reihenhaus bereits ein Vorgängerbau anstelle des Neubaus von 1709 gestanden hat, wissen wir nicht bestimmt. Das Baujahr ist am heutigen Haus mehrfach vorhanden. Am Türsturz der Strassenseite wird die Jahreszahl 1709 von den Initialen RH des Bauherrn Rudolf Hauser begleitet. An der Bank des mittleren Fensters im 2. Obergeschoss über dem Hauseingang ist die gleiche Jahreszahl von den Initialen MH (Maria Hottinger), der Ehefrau des Besitzers, begleitet, und schliesslich dürfte auch die Initialenfolge MH 1709 T am inneren Kellerportal an diese erinnern. Wie bei vielen anderen Neubauten des 17. und 18. Jahrhunderts treten die familiären und wirtschaftlichen Umstände und der eigentliche Bauanlass beim Strasshaus nicht ins Licht der Geschichte. Bloss die fast zufällige Jahreszahl 1709 am Hause selbst zeigt an, dass hier in diesem Jahre ein bedeutendes Bauvorhaben verwirklicht worden ist, welches seine bestimmten Gründe gehabt haben muss.

Kammer in der Nordecke des 2. Obergeschosses: aufgemalte rote Ornamente.

Hauptstube 1. Obergeschoss: Täfermalerei über der Türe zur Küche.
Barocke Tür im Gang des 1. Obergeschosses.

Gedrechselte Treppengeländer aus der Bauzeit.
Ehemaliger Weinkeller mit Gratgewölbe.

Treppenhaus mit Tonplattenboden.
Die Besiedlung dieses Teils des Wädenswiler Bergs ging vom benachbarten Hof Burstel aus, einem mittelalterlichen Grosshof am nördlichen Rande der Herrschaft Wädenswil, der schon 1318 namentlich erwähnt wird11. Hier führte der Pilgerweg durch, der sich, von Horgen herkommend, der oberen Hangterrasse entlang zur Tanne und von da bergwärts weiter nach Einsiedeln hinzog. Dass dieser alte Weg, – die «Strass» –, auch in der Zeit, da das Strasshaus schon stand, noch seine ursprüngliche Bedeutung hatte, zeigt der Umstand, dass bei der Entfernung eines Stubentäfers im Hause mehrere miniaturhafte Marienstatuetten aus Ton zum Vorschein kamen, die man als Andenken an die Pilgerfahrt von Einsiedeln mit sich nahm und die hier im Strasshaus auf unerklärliche Weise hinter das Täfer geraten sind12.
Die Zeugnisse zur Vorgeschichte des Strasshauses sind spärlich. Im ersten Bevölkerungsverzeichnis von 1634 erscheint der Weiler bereits mit Namen13. Das heutige Reihenhaus scheint im Kern aus diesen Jahren zu stammen. In der folgenden Zeit wird dann die Bezeichnung Strass-Hüsli, später Strasshus bei Handänderungen von Liegenschaften und als nähere Herkunftsbezeichnung von Leuten aus dem Wädenswiler Berg mehrmals verwendet14. Offenbar wohnten hier im 17. Jahrhundert zunächst die Ryff, Aeppli, Pfrunder, Hoffmann, Egli und Strickler als Teilbesitzer des erwähnten Reihenhauses15. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts wechselten die Hausteile weiter die Hand. Es erscheinen in dieser Zeit die Schärer, Epprecht und Staub16, und gleichzeitig wird 1702 Rudolf Hausers Anwesenheit im Strasshaus durch die Erwähnung seines dortigen Baumgartens erstmals aktenkundig, indem er als Anstösser bei der Erbteilung der Geschwister Jakob und Elsbeth Egli aufgeführt wird17. Drei Jahre später erwarb Rudolf Hauser von seinem Nachbarn Kaspar Egli im Strasshaus um 200 Gulden ein Stück Wiese «by ihren beidersytigen Häusseren gelegen, stosst an die Landtstrass, an ihr beidsytigen Aussgeländter und an Hanss Höhnen Weid»18. Daraus könnte man ableiten, dass auch Rudolf Hauser bereits hier gewohnt hat. Das würde aber auch bedeuten, dass der Neubau von 1709 einem bereits bestehenden Haus folgte, da Rudolf Hauser nicht am benachbarten Reihenhaus Anteil hatte. Zudem wird die Familie Hauser-Hottinger bereits im Bevölkerungsverzeichnis von 1708 als im Strasshaus ansässig bezeugt19. Nach dem überlieferten Baujahr 1709 müsste dies unmittelbar vor oder während des Baus des neuen Hauses gewesen sein. Leider fehlen uns zwischen 1689, als Rudolf Hauser fünf Jahre vor seiner Heirat noch auf dem elterlichen Hof auf Herrlisberg weilte20, und 1708, als er mit seiner eigenen Familie im Strasshaus bezeugt ist, Belege, welche den Weg dorthin aufzeigen könnten.

Kammer mit dunkelgrauer Riegelbemalung im 2. Obergeschoss.

Kammer mit roter Riegelbemalung im 2. Obergeschoss.
Kammer im 1. Obergeschoss.

Detail der Deckenbemalung von 1709.
Stube mit Felderdecke im 1. Obergeschoss.

Profilstabdetail der Felderdecke.
Wenn nun der Hausbau von 1709 jenes herausragende Ereignis darstellt, durch welches die Familie des Rudolf Hauser ihren Wohlstand erstmals sichtbar manifestieren konnte, dann fragen wir unwillkürlich nach der wirtschaftlichen Basis, welche dies ermöglicht hat, denn die Aufwendungen bei der Gestaltung und Einrichtung des neuen Wohnhauses waren nicht gering und verfolgten ganz offensichtlich einen repräsentativen Zweck. Grösse, Gestalt und Dekoration des Neubaus sprechen deutlich dafür. Aufgrund des Herkommens der beiden Eheleute aus angesehenen Familien der dörflichen Oberschicht, können zunächst einmal ins Gewicht fallende Erbbezüge vorausgesetzt werden. Als Miterben grösserer Einzelhöfe des Wädenswiler Bergs waren beide gegenüber der einfachen Dorfbevölkerung sicher in eine Vorzugslage. Die Vorfahren von Hans Rudolf Hauser sassen seit Generationen auf ihrem Hof auf Herrlisberg21. Dort ist sein Urgrossvater, Claus Huser, mit seiner Familie schon 1634 nachgewiesen22. Die Ehefrau, Maria Hottinger, stammte vom Hof Schründlen23, wo ihr Geschlecht um 1640 als Nachfolger der Familie Hitz einzog und daraufhin hier sesshaft blieb24. Bereits Maria Hottingers Taufe zeigt, dass sie nicht irgendeiner durchschnittlichen Familie entstammte, sonst wären ihr wohl kaum der Landvogt selbst und des Pfarrers Frau Pate gestanden25. Bei der Familie Hauser vermochte der Hof jedenfalls mehrere kinderreiche Generationen gut zu ernähren. Rudolf Hauser selbst hatte sieben Brüder und drei Schwestern, beziehungsweise sechs Söhne und eine Tochter26. In der Generation seines Grossvaters lebten sicher gleichzeitig drei Söhne mit ihren Familien auf dem elterlichen Heimwesen, und sein Vater teilte mit zwei Brüdern und drei Schwestern die Hausgemeinschaft27. Quantifizieren lässt sich dieser relative bäuerliche Wohlstand jedoch nicht. Es sind weder Testamente noch Erbteilungen aus dieser Zeit erhalten. Einzig die Tatsache, dass Rudolf Hauser selbst und sein Sohn Hans Heinrich, der nach des Vaters Tod 1734 Eigentümer des Strasshauses wurde28, hohe militärische Chargen bekleideten – der Vater war Hauptmann29, der Sohn Leutnant30 – deutet die angesehene gesellschaftliche Stellung der Familie an31. Dies ist um so erstaunlicher, als das Strasshaus, welches 1761 lediglich aus dem Wohnhaus, dem angebauten Schopf mit Stall, dem Waschhaus, dem Garten und der 1705 zugekauften Wiese bestand32, nie eine tragfähige landwirtschaftliche Basis in der Grössenordnung eines Hofes besessen hat. Dies war vielleicht auch der Grund, dass bereits Rudolfs Enkel Jakob die Liegenschaft nicht mehr zu halten vermochte und nach hoher Verschuldung 1772 in Konkurs ging33. Seine Hauptgläubiger waren Leutnant Bürgi und Kirchenpfleger Eschmann von Wädenswil, welche das ihnen zugefallene Strasshaus 1781 an Feldschreiber Jakob Heinrich Herdener gegen ein halbes Haus im Dorfe eintauschten34. Als Herdener in den Besitz des Strasshauses gelangte und dort auch die gesamte Fahrhabe übernahm, bestand die Liegenschaft noch im gleichen Umfange wie 176135. Der Helvetische Kataster von 1801 beschreibt die Liegenschaft des Richters Herdener «An der Strass» folgendermassen: 1 Haus, 1 Waschhaus, ¾ Jucharten an Garten und Matten und ein Nebengebäude beim Haus36. Damit bestätigt sich die oben gemachte Feststellung, dass das Strasshaus nicht als vollwertiges bäuerliches Gehöft gelten kann und seine Besitzer wirtschaftlich kaum allein darauf abstellen konnten.

In der Südecke des 1. Obergeschosses konnte eine Stube mit in verschiedenen Brauntönen figürlich ausgemaltem Wand- und Deckentäfer fachgerecht freigelegt und erhalten werden. Unter dieser Ausmalung (um 1750) konnten Spuren einer aus der Bauzeit (1709) stammenden älteren Ausmalung nachgewiesen werden.
Zwischen Mauer und Wandtäfer kamen in der Stube im 1. Obergeschoss Marienfigürchen aus Ton zum Vorschein: Wallfahrtsandenken aus Einsiedeln aus dem frühen 18. Jahrhundert.

Die Liegenschaft blieb in der Folge für Jahrzehnte im Eigentum des Käufers, und als dieser 1839 starb, teilten die beiden Töchter den Besitz unter sich auf37. Das barocke Doppelhaus eignete sich mit seinem grossen Raumangebot dazu vorzüglich. Frau Anna Theiler-Herdener erhielt den vorderen Teil des Gebäudes mit der Hälfte des Gewölbekellers, dem kleinen Keller, zwei Stuben, einem Kämmerlein, einer Küche, zwei Schlafkammern (einschliesslich der mittleren gegen die Strasse), Anteil an drei Windenböden, dazu ein Schopfgebäude, den Garten mit Gartenhaus und etwas Umschwung. Ihre Schwester, Witwe Margaretha Kölliker-Herdener, übernahm die hintere Haushälfte mit Anteil am grossen und kleinen Keller, zwei Stuben, einem kleinen Stübli, eine Küche, zwei Schlafkammern (einschliesslich der mittleren gegen den See), sowie Anteil an den drei Winden, dazu ein Stück Umgelände auf der Seeseite des Hauses. Aus diesem Teilungsbeschrieb geht deutlich hervor, dass die Ausscheidung entsprechend dem bestehenden Grundriss des Doppelhauses erfolgte: im Wohngeschoss teilten sich die Wohnteile quer zur Firstlinie, im Kammergeschoss darüber jedoch parallel zum First, also jeweils entlang des Hausflurs. Die gemeinsame Nutzung des Dachraumes wurde mit einem Durchgangsrecht geregelt. Der Schopf wurde einer einzelnen Partei zugeschlagen, wobei der darin eingebaute Stall zu diesem Zeitpunkt nicht mehr erwähnt wird.

Täferstube im 1. Obergeschoss: Die vier erhaltenen Panneaus in der Südostecke zeigen stilisierte Phantasielandschaften mit Schluchten, Brücken, Wegen, Schlössern sowie einem Kavalleristen und einem Infanteristen in der Zürcher Ordonnanz um die Mitte des 18. Jahrhunderts.
Ein halbes Jahrhundert später, als der Anbau wohl schon in dem heutigen Ausmasse bestand, teilten sich wieder beide Hausbesitzer in dessen Nutzung. Schopf und Gewölbekeller wurden im Brandassekuranzbuch jeweils neben dem Wohnhaus als gesonderte Gebäudeteile geführt. Hätten wir jedoch nicht derart eingehende Kenntnis vom bestehenden Haus, so wäre es recht schwierig, allein aus den Aufzeichnungen der Brandversicherung so genau auf die damaligen baulichen Verhältnisse im Strasshaus zu schliessen, wie wir das heute tun können. Der Eintrag im Lagerbuch von 1895 lautet nämlich wie folgt38:

Allein daraus ableiten zu wollen, wie die beiden Besitzeranteile damals in Wirklichkeit ausgesehen haben, dürfte zu einigen Trugschlüssen führen. Dies zeigt wieder einmal, wie lückenhaft archivalische Forschungen für die Interpretation früherer Bauzustände sind. Im Strasshaus sind wir jedoch in der glücklichen Lage, geschichtliche Aufzeichnungen einigermassen mit dem aktuellen Baubefund in Übereinstimmung bringen zu können.
Als Abschluss der Hausgeschichte seien hier noch kurz die Handänderungen aufgeführt, wie sie sich seit der Erbteilung der Schwestern Herdener ergeben haben39: Der südliche (vordere) Hausteil Vers.-Nr. 1474b ging 1847 zunächst an die Nichte der Anna Theiler-Herdener, an Elisabeth Hotz-Suter. Als deren aus Oberrieden stammender Ehemann 1874 den Konkurs anmeldete, erwarb der im Hause wohnende Heinrich Kündig diesen Besitzeranteil. Nach dem Tod von Vater und Sohn Kündig ging die Liegenschaft 1890 an den meistbietenden Miterben Christian Kündig, der sie ein Jahr später an Jakob Landis im Schluchtal veräusserte. Schliesslich wurde 1907 Jakob Haab im benachbarten Burstel Besitzer des vorderen Hausteils Vers.-Nr. 1474.
Den nördlichen (hinteren) Hausteil Vers.-Nr. 1474 schenkte 1839 Witwe Kölliker ihrer Tochter, Anna Hotz-Suter, die ihn schon 1842 (also noch bevor sie 1847 in den Besitz der anderen Haushälfte gelangte) an einen Verwandten Rudolf Leuthold veräusserte. Dann wechselte die Liegenschaft mit dem nördlichen Hausteil mehrfach den Besitzer: 1854 kam sie an den Spengler Heinrich Strickler, 1873 an den Seidenweber Heinrich Bollier, 1886 an Johann Freiberger, 1888 an Eduard Restle, 1890 an den Landwirt Heinrich Schärer und 1907 schliesslich an Jakob Haab im Burstel, der damit die ganze Strasshaus-Liegenschaft wieder in einer Hand vereinigte. Nach Bernhard Ueter, der seit 1920 Eigentümer war, erwarb sie 1947 die heutige Inhaberfamilie Haab in der Aamühle, welche nun nach vierzig Jahren zum Gesamtumbau des mächtigen Riegelhauses geschritten ist, um mit einer zeitgemässen Neunutzung dessen Fortbestand zu sichern.

DIE KÜNSTLERISCHE AUSSTATTUNG DES HAUSES

Die Schwergewichte in der wohnlichen Ausgestaltung sind im Strasshaus so gesetzt, wie das im barocken Wohnhaus auf der Landschaft die Regel war. Die Stube galt seit dem ausgehenden Mittelalter als der eigentliche Hauptraum des Hauses. Entsprechend liess man ihrer Ausstattung besondere Aufmerksamkeit zukommen. Die fast stereotyp wiederkehrenden Schmuckelemente waren die Täferung, Türen, Einbaubuffet und Kachelofen, hin und wieder auch ein Stubenboden mit Friesbändern. Wenn man sich darüber hinaus noch für eine künstlerische Aufwertung mit dekorativer Malerei entschloss, wie das im Strasshaus geschah, dann war damit die höchste Stufe ländlicher Wohnkultur erreicht, und das bäuerliche Milieu unterschied sich kaum mehr vom städtischen.
Neben der Wohnstube erhielt auch der Hausflur seit dem 17. Jahrhundert zunehmend repräsentative Bedeutung. Als Zugang bildet er ja gleichsam die Visitenkarte des Hauses. In ihm bildet die Flucht der kunstvoll gefertigten Zimmertüren in Edelholz mit ihrem markanten Rahmenwerk für den Eintretenden einen ebenso eindrucksvollen Blickfang wie das über mehrere Geschosse verlaufende dekorative Geländer der Haupttreppe, das mit seinen reich profilierten Nussbaumbalustern einen überaus repräsentativen Anspruch erhebt, der die Grenzen des Bäuerlichen weit hinter sich lässt und mit bester bürgerlicher Wohnqualität Schritt zu halten vermag. In derartigen Ausstattungsstücken manifestiert sich die ländliche Oberschicht im Barock bewusst als wohlhabendes Dorfpatriziat. Auch die vornehm farbige Bemalung der Riegelwände in Flur und Kammern, wie sie uns im Strasshaus überall entgegentritt, entspricht diesem repräsentativen Niveau.

FACHWERKBEMALUNG IN GANG UND KAMMER

Hat man im landläufigen Bauernhaus das Fachwerk der Innenwände bis weit ins 19. Jahrhundert hinein bloss weiss übertüncht, so dass das Holz kaum in Erscheinung trat, wurde im Bürgerhaus, wo das Fachwerk ohnehin sehr viel früher heimisch wurde als auf dem Lande, die dekorative Wirkung im Wechsel von Riegelholz und Putzfüllung seit dem ausgehenden Mittelalter als Raumzier betrachtet. Die Hölzer wurden entsprechend farbig gefasst, wobei man sich über Jahrhunderte im wesentlichen auf die Farben Rot und Schwarz beschränkt hat. Beide Farben sind jeweils entsprechend dem geltenden Zeitstil in wärmerem oder kälterem Ton bzw. heller oder dunkler angesetzt worden. So finden sich in der Riegelmalerei, ähnlich wie beim Täferanstrich, Dutzende von Farbvarianten, und jede Epoche hat beim Auffrischen der alten Fassung ihren Zeitgeschmack eingebracht.
Dies war auch im Strasshaus mehrmals der Fall. Im 17. und frühen 18. Jahrhundert, also in der Zeit, in der auch die Ausstattung des Strasshauses entstand, war ein intensives, eher kalt wirkendes, dunkles Schiefergrau beliebt, das gleichzeitig auch als Farbton von steinernen Fenstergewänden und Eckquadern am Herrschaftshaus weit verbreitet war. Im Strasshaus erscheinen als erste Ausmalung gleichzeitig rote und graue Riegelfarben. Die Fachwerkwände der beiden Hausgänge, wo übrigens auch Fragmente einer in der Art der Dachuntersichten bemalten Rankenmalerei zum Vorschein kam (heute übermalt), waren tiefgrau gefasst, gleich wie einzelne Kammern im zweiten Obergeschoss. Zwei weitere Kammern in diesem Stockwerk zeigten dagegen rote Riegel. Alle Riegelbemalungen sind bei der kürzlichen Renovation nach der Originalfarbe neu ausgefasst worden, so dass der heutige Raumeindruck weitgehend jenem der Bauzeit entsprechen dürfte, wenn man von den zusätzlichen technischen Einrichtungen absieht. Alle Originalbemalungen waren, wie üblich, in Kalk-Kaseinfarbe (Tünche) ausgeführt40. Obschon die beiden Wohnstuben im Strasshaus mit der gleichen Täferung an Wand und Decke und denselben Nussbaumtüren versehen sind, lag das Schwergewicht in der repräsentativen Ausstattung von Anfang an eindeutig bei der besser gelegenen Südstube.
Wie in den Bauernhäusern der meisten Landesgegenden der Schweiz gab es hier offensichtlich eine Differenzierung in der Bedeutung der beiden Stuben. Im Berner Oberland nennt man die «bessere» Stube, welche oftmals eine wertvollere künstlerische Ausstattung aufweist oder dekorativ ausgemalt ist, die «Sonntagsstube». Auch im Strasshaus scheint dieser wertende Unterschied gemacht worden zu sein. Anders ist nicht erklärbar, dass die eine Stube ein bescheiden einfarbig gestrichenes, allenfalls ursprünglich rohes Täfer aufweist, während die Südstube schon in der Bauzeit, oder kurz danach, eine dekorative Ausmalung erhielt. Zwar haben sich auch im Nordraum Reste zusätzlicher Ausstattung erhalten, so ein nachträglich verkleinerter, bemalter Kachelofen von zirka 1750 und ein Einbaubuffet, welches erst kurz vor dem letzten Umbau abhanden gekommen ist.

DIE TÄFERMALEREI IN DER SÜDSEITIGEN WOHNSTUBE

Der Stube in der Südwestecke des Obergeschosses kommt eindeutig die Bedeutung einer Prachtstube zu. Ihr festlicher Charakter wird durch die szenische Ausmalung augenfällig. Zwei unterschiedliche Dekorationsfolgen kamen hier auf dem ursprünglichen Täfer zum Vorschein. Schon in der Bauzeit hat man dem Raum anscheinend mit einer Folge von Landschaftsmalereien repräsentatives Gewicht verliehen. Eine Reihe von frei und ohne Berücksichtigung der Brettertäferung auf die Wandfläche gemalten Arkaden vermittelt in Idealstellung den illusionären Ausblick in eine Landschaft mit Schlössern und Palästen. Von dieser ersten Malereifolge sind unter der späteren, deckenden Neubemalung bloss Umrisse erkennbar. Sie lassen eine etwas derbe künstlerische Gestaltung erkennen, welche eine stilistische Einordnung recht schwer macht (wohl kurz nach 1709). Die strenge Anordnung der säulengetragenen Architekturbogen weist auf eine noch strenge Beachtung hoch barocker Gestaltungsregeln hin. Dies lässt uns vermuten, die Malerei, welche zugleich die unterste Malschicht darstellt, sei in der Bauzeit entstanden. Wie damals die Decke beschaffen war, wissen wir nicht. Vielleicht blieb sie in dieser Zeit noch unbemalt.
Die zweite, später ebenfalls übermalte, jedoch heute wieder mit viel Aufwand grossflächig freigelegte Dekorationsfolge besitzt eindeutig höheren künstlerischen Wert. Wir möchten sie in das zweite Drittel des 18. Jahrhunderts datieren und, wie dies Peter Ziegler anhand der Zeitmode der Zürcher Soldatenkleidung annimmt, als Auftraggeber die Vertreter der zweiten Strasshaus-Generation, Leutnant Hans Jakob Hauser, annehmen. Die virtuos komponierte Malerei wiederholt zwar thematisch die erste. In architektonischer Rahmung reihen sich felderweise gebirgige Ideallandschaften mit Schloss- und Ruinenstücken zwischen stereotyp vereinfachten Baumkulissen auf. Zeitgenössisch gekleidete Figuren in bewegter Haltung – Reiter, Soldaten, Jäger – bevölkern einzeln die Szene. Trotz rezeptartiger Komposition dieser Szenerien, wie sie in der Regel gerade den anonymen Malereien dieser Art eigen ist, besticht die Folge durch den Ideenreichtum ihrer Gestaltungsvarianten, welche zum aufmerksamen Betrachten einlädt. Mit Hilfe der illusionistischen Mittel der Malerei, welche auch hier mit dem architektonischen Spiel von Licht und Schatten verbunden werden, erhalten alle vier Wände eine umlaufende geometrische Gliederung. Über einer niederen, gefelderten Sockelzone, deren Füllungen imitiertes dunkelbraunes Maserwerk aufweisen, reihen sich die hohen, schlanken Bildfelder mit ihren leicht eingezogenen Scheitelbogen aneinander. Diese bestimmen mit ihren variantenreichen Spiegelmalereien den gestalterischen Eindruck der gesamten Raumhülle. Auf einem hellbraunen Grundton entwickelt sich darauf die Palette der grisaillehaft gesetzten Hell-Dunkel-Malerei, welche zwischen hellockrigen Lichtern und schwarzbraunen Schatten spielt. Decke und Fensterbrüstungen weisen lediglich eine kunstvolle Maserung ohne figürliche Ornamentik auf. Das einzelne Deckenfeld bestimmt ein kräftig herausgehobener ovaler Spiegelrahmen mit beidseitigem Kielbogenabschluss. Eine ähnliche Deckenmalerei hat sich auch in einem andern Zimmer fragmentarisch erhalten.
An den Stubenwänden sind mehrere Fehlstellen sichtbar. Während der ofenseitige Abschluss der Täferwand verloren gegangen ist und jetzt mit unbemalten Brettern ergänzt wurde, zeugen die Konturen zweier unbemalter Stellen auf ursprüngliche Einbaumöbel hin. An der Gangwand in der NW-Ecke der Stube, neben der Türe, befand sich ein barockes Buffet, während auf der anderen Seite der Stubentüre ein hoher Uhrenkasten stand. Der Kachelofen ist nicht ursprünglich. Man könnte sich hier, wie in der Gegenstube, ebenfalls einen bemalten Ofen vorstellen. Der heutige, mit seinen glatten, grünen Kacheln, ist 1806 datiert und entspricht der gängigen bäuerlichen Form mit seitlicher Sitzbank und (heute entfernter) Ofentreppe.
Täferstube im 1. Obergeschoss. Dunkler dargestellt die erste Ausmalung von 1709, heller die Fassung aus dem zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts. Zeichnung: Denkmalpflege des Kantons Zürich.

Innerhalb der repräsentativen Dekorationsmalerei in Innenräumen besitzt die Ausmalung bäuerlicher Stuben einen besonderen Stellenwert. Im Gegensatz zum bürgerlichen Wohnraum, bei dem in der Regel verfeinerte, an weltmännischem Geist geschulte Stilmittel und entsprechend ein breites Spektrum der gestalterischen Techniken zur Anwendung gelangten, erfreute sich die traditionelle buntfarbige Bemalung von Stubenwänden im bäuerlichen Milieu durch die Jahrhunderte hindurch ausgesprochener Beliebtheit. Alpen- und Voralpenraum zeichnen sich in dieser Beziehung durch eine besondere Vielfalt und Dichte an erhaltenen Zeugnissen aus, bei denen wiederum jene aus dem 18. Jahrhundert bei weitem überwiegen. Solche Maifolgen sind durch Wandermaler oder in der Gegend ansässige Dekorationskünstler im Auftrag verfertigt worden41. Durch ihre ständige Beschäftigung mit der Dekorationsmalerei erwarben sich diese in der Regel bemerkenswerte Fähigkeiten in Pinselführung und Komposition, die es ihnen auch erlaubte, stimmungsvolle künstlerische Effekte in der Lichtführung und räumlichen Tiefenwirkung zu erzielen. In der Motivwahl und Komposition lehnten sie sich dagegen gewöhnlich eng an bewährte Vorlagen an, und in der Ausführung vertrauter Staffagen blieben sie meistens stereotyp.
Stilistische Zuweisungen bleiben deshalb vage, und sogar ein so fleissiger Dekorationsmaler wie Christoph (Stöffi) Kuhn bleibt in seinen unsignierten oder nicht durch Quellenzeugnisse belegten Werken anonym42. So ist die historische Identität des Dekorationsmalers auch bei freier gestalteten Werken, bei denen die Handschrift des Künstlers an sich stärker zum Ausdruck kommt, in den meisten Fällen kaum zu fassen. Dies ist auch bei den Täfermalereien im Strasshaus der Fall. Zwar gehören diese mit zum Besten, was sich in der Dekorationsmalerei am Zürichsee aus dem 18. Jahrhundert erhalten hat – vergleichbar ist höchstens die Täfermalerei der Lukarnenkammer im Haus Dorfstrasse 16 in Richterswil –, doch stellt man auch hier stereotype Gestaltungsformeln fest, die kaum auf einen bedeutenden Künstler weisen.
Versatzstücke von Bäumen, Felsen, Gebäuden und Figuren sind zwar phantasievoll variiert, sind im Grunde genommen aber lediglich Wiederholungen und Abwandlungen desselben Themas einer romantischen Landschaft. Licht-Schatteneffekte und die Evokation einer märchenhaften Grundstimmung sind maltechnische Routine. Dem künstlerischen Zeitgeschmack entspricht das Mittel der Ton-in-Ton-Malerei auf bräunlichem Grundton solcher Malereien, die man als Grisaille bezeichnen könnte, und die in dieser Zeit zwischen Blau, Grau, Grün, Ocker und Braun variieren kann.
Solche Gestaltungsweise hat in der Hochkunst lange Tradition. Hat man die Wurzel der naturnahen Ideallandschaft beispielsweise in der flämischen Spätgotik zu suchen, so leitet sich die Technik der malerischen Ton-in-Ton-Verfremdung – auch dies ein idealisierendes Mittel –, aus den künstlerischen Intentionen des Manierismus (Spätrenaissance) her43. In Zürich selbst wurde die gemalte Ideallandschaft als Mittel der kulissenhaften Raumerweiterung vor allem in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gepflegt. Unzählige Leinwandbespannungen aus Zürcher Interieurs, aber auch Täfermalereien, wie jene blautönigen Landschaften auf grüngrauem Grund im Hause Brunngasse 4, welche kürzlich restauriert worden sind, haben sich erhalten. In der Tapetenmalerei hat hier besonders die Werkstatt von J. B. Bullinger form- und motivbildend gewirkt44. Salonausmalungen, wie jene im Rechberg oder im Sonnenhof in Zürich, stellen das verfeinerte höfische Gegenstück zu den Täfermalereien eines Christoph Kuhn dar. Bei den Entwürfen für die Ofenmalerei, wie sie aus der Hand des Malers Rudolf Kuhn für die Steckborner Manufaktur erhalten sind, wird die enge Verflechtung unter den verschiedenen Techniken der Dekorationsmalerei im 18. Jahrhundert offensichtlich45.Gemeinsame Vorlagen sind vor allem in der Druckgrafik zu finden, aber auch Werkstattbücher dienten als Anregung oder Musterstück46.
Moderner Wohnkomfort im alten Haus.

Vor allem in deren phantasievollen Umsetzung zeigt sich die Künstlerpersönlichkeit. Vergleicht man die Malerei im Strasshaus beispielsweise mit der erwähnten an der Brunngasse in Zürich, so fallen die ausserordentlichen Unterschiede in allen Belangen dieser Malerei auf: Die Beherrschung der Maltechnik, die Qualität der Komposition, die Atmosphäre der Bildinhalte, die Stufe des Geschmacks und schliesslich die gestalterische Fähigkeit, die Bildfolge in das Raumkonzept einzuordnen und mit diesem zu einheitlicher Wirkung zu bringen, zeichnet das städtische Beispiel vor dem ländlichen aus. Billigt man beiden Malereien zu, dass sie durch erzählerische Spontaneität und malerische Virtuosität zu bestechen vermögen, so bleibt doch der Unterschied der künstlerischen Beherrschung zwischen diesen beiden Vertretern der Dekorationsmalerei in Stadt und Land offensichtlich: Im städtischen Milieu der geschulte Werkstattmaler mit verfeinertem Geschmack, im ländlichen der unbeholfenere Flach- oder Wandermaler, dessen naive Auffassung in der Gestaltung stets durchscheint, aber gerade dadurch erfrischend wirkt. Setzt man dazu noch die in dieser Zeit herrschende geistige Polarität zwischen städtischer und ländlicher Kultur in der Auffassung des Themas gegeneinander, so erscheint der geistige Hintergrund der beiden Auftraggeber wie zwei Welten. Der weltmännische Stadtbürger mit breitem Bildungshorizont, dessen Sehnsucht nach Natur und Ferne in dieser Zeit schon fast modehaft entleert erscheint, und der in seinem geistigen Horizont kaum erfassbare Angehörige einer ländlichen Oberschicht, dessen Wunsch nach Repräsentation sich in der getreulichen Adaption bürgerlichen Geschmacks ausdrückt. Vergleicht man jedoch die Strasshaus-Malerei mit den zeitgleichen Erzeugnissen aus der Gegend (Richterswil/Dorfstrasse; Wädenswil/Vordere Rüti), dann wird augenblicklich klar, dass hier ein gut geschulter Maler seinen Auftrag mit Bravour erfüllt hat. Schon deshalb hat sich die aufwendige Freilegung des bis anhin verborgenen Werkes gelohnt.




Dr. Christian Renfer



Anmerkungen

StAZ = Staatsarchiv Zürich
 
1 Die Pilgerwege der Schweiz werden gegenwärtig im Rahmen des Inventars der historischen Verkehrswege der Schweiz erforscht.
2 Renfer Christian, Die Bauernhäuser des Kantons Zürich Bd. 1, Zürichsee und Knonaueramt, Basel 1982, S. 561.
3 ebenda S. 266.
4 ebenda S. 482.
5 Dass die Unterseite des traufseitigen Dachvorsprungs über den Aufschieblingen eine Schalung aufweist, ist unüblich und die Dekorationsmalerei an dieser Stelle völlig ungewohnt.
6 Z.B. Am «Rothaus» Vers.-Nr. 381 im Hirzel.
7 Das Zusammenleben der bäuerlichen Familie mit ihrem Gesinde blieb bis heute im wesentlichen unerforscht.
8 wie Anm. 2.
9 Renfer Christian, Bauernhäuser 1, S. 393.
10 StAZ, E III 700.116, Bevölkerungsverzeichnis von 1708.
11 Ziegler Peter, Wädenswil Bd. 1, Wädenswil 1982, S. 71.
12 Heute im Besitze des Hauseigentümers. Auf­nahmen im Archiv des Kant. Hochbauamtes (Fotoabteilung, Negativarchiv).
13 StAZ, E III 700.116, Bevölkerungsverzeichnis von 1634.
14 StAZ, B XI Wädenswil 1, Grundprotokoll Bd. 1, S. 119a.
15 Vgl. für diese Zeit die entsprechenden Eintragungen in den Bevölkerungsverzeichnissen (1634-1708) unter «Strasshaus».
16 wie Anm. 15.
17 StAZ, B XI Wädenswil 4, Grundprotokoll Bd. 4, S. 307a.
18 ebenda S. 391b.
19 wie Anm. 10.
20 StAZ, E III 700.116, Bevölkerungsverzeichnis von 1689.
21 Vgl. die entsprechenden Eintragungen in den Bevölkerungsverzeichnissen (1634–1708) unter «Herrlisberg».
22 ebenda (1634).
23 Vgl. die entsprechenden Eintragungen in den Bevölkerungsverzeichnissen (1634-1708) unter «Schründlen».
24 StAZ, E III 132.2, Pfarrodel Bd. 1, S. 30, Eintrag vom 17. April 1694.
25 ebenda S. 83.
26 Vgl. die entsprechenden Eintragungen in den Bevölkerungsverzeichnissen (1634–1708) unter «Herrlisberg».
27 ebenda.
28 StAZ, B XI Wädenswil 23, Grundprotokoll Bd. 23 (Registerband).
29 StAZ, E III 132.2, Pfarrodel Bd. 1, S. 631.
30 StAZ, B XI Wädenswil 7, Grundprotokoll Bd. 7, S. 143.
31 Den Landbewohnern war als höchste militärische Charge in der Zürcher Miliz jene eines Rittmeisters (Hauptmann) offen.
32 wie Anm. 18 (bzw. 17).
33 StAZ, B XI Wädenswil 7, Grundprotokoll Bd. 7, S. 144.
34 ebenda Bd. 11, S. 352.
35 ebenda Bd. 7, S. 143.
36 StAZ, K II 181, Helvetischer Kataster von 1801.
37 StAZ, B XI Wädenswil 22, Grundprotokoll Bd. 22, S. 475.
38 StAZ, RR I 260 g-i, Brandassekuranz-Lagerbuch.
39 Vgl. dazu den Artikel von Peter Ziegler im «Allgemeinen Anzeiger vom Zürichsee/Grenzpost» Nr. 273 vom 24. November 1987, S. 19.
40 Die technische Zusammensetzung derartiger Farbmischungen ist noch wenig erforscht. Jedenfalls war die Beimengung von Käsemilch (Molke) als Bindemittel bei Kalkfarben üblich.
41 Isler-Hungerbühler Ursula, Die Malerfamilie Kuhn von Rieden, In: Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich Bd. 36 (1951), Heft 2. In diesem Zwischenbereich zwischen Handwerk und Volkskunst stehen weiterführende Untersuchungen noch aus.
42 wie Anm. 41. Die Künstlerfamilie Kuhn hat mehrere Dekorationsmaler hervorgebracht, so auch die Keramikmaler Heinrich und Rudolf Kuhn.
43 Verbreiteter ist dafür der Begriff «Grisaille». Diese hat ihre grosse Zeit in der Dekorationsmalerei des 18. Jahrhunderts gefunden. Frühe Beispiele kennt man auch aus der reliefimitierenden Ornamentmalerei des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts (z.B. Entwürfe für Täfer im Rathaus von Augsburg).
44 Vuillemier-Kirschbaum Ruth, Gemalte Leinwandbespannungen in Zürich im 18. Jahrhundert, Diss. Zürich 1987.
45 Haberbosch Paul, Ein Vorlagenbuch des Ofenmalers Rudolf Kuhn im Landvogteischloss-Museum. In: Badener Neujahrsblatt 1966, S. 32-41.
46 Publizierte Beispiele bei Haberbosch (vgl. Anm. 45).