BEICHLENSEE UND BEICHLENRIED

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1980 von Peter Ziegler

Wo heute Fussballplatz und Schiessanlage Beichlen liegen, erstreckte sich vor Jahrhunderten der Beichlensee. Er war ein kleiner Grundmoränensee, entstanden durch Wasseransammlung in den mit Wallmoränen umgebenen Wannen, welche der Linthgletscher in der Grundmoräne hinterlassen hatte.
Die älteste kartographische Darstellung dieses Kleinsees verdankt man dem Zürcher Kartographen Hans Conrad Gyger, der von 1599 bis 1674 gelebt hat. Zwischen 1644 und 1660 zeichnete er im Auftrag des Zürcher Rates Karten der zehn Militärquartiere des Stadtstaates Zürich. Auf Quartierblatt 9, welches die Herrschaft Wädenswil darstellt, findet sich im Wädenswiler Berg der Beichlensee eingezeichnet. Auf der ersten grossen Gesamtkarte des Kantons Zürich, welche Gyger im Jahre 1667 vollendete, ist das Gewässer wieder zu finden. Diesmal ist es mit «Beychlensee» beschriftet. Gut erkennbar sind auch der Quellzufluss und der das Wasserabführende Sennweidbach.
Der Beichlensee auf der von Hans Conrad Gyger gezeichneten Karte des Militärquartiers Wädenswil, 1659.

Im Jahre 1729 nahm ein Jakob Schäppi verschiedene Pläne von Zürcher Lehenhöfen auf, welche in der Landvogtei Wädenswil lagen. Erhalten haben sich Pläne des Hofes Segel bei Hütten, des Gutes Unter-Eichen (Zollingerhäuser) und des Beichlenhofes. Zum Beichlenhof gehörte damals das ganze Areal zwischen dem Südrand des Gerenholzes und der heutigen Oberen Bergstrasse, ferner ein grosses Grundstück westlich der heutigen Kreuzung Schönenbergstrasse/Obere Bergstrasse. Ein Grossteil des Gebietes war Wiesland mit eingestreuten, für Getreidebau genutzten Aufbrüchen. Schäppi verzeichnet in seinem Plan auch den Beichlensee und gibt dafür Grössenverhältnisse an: Das Gewässer war damals noch 450 Schuh (135 m) lang und 250 Schuh (75 m) breit. Auch auf der Schweizerkarte von Johann Jakob Scheuchzer (1672-1733) ist der Beichlensee als kleines Oval eingetragen, mit entwässerndem Reidbach, doch ohne Namen.
Im Jahre 1748 vollendete Pfarrer J. J. Vogler von Richterswil eine Quartierkarte der Herrschaft Wädenswil. Darauf ist der Beichlensee mit keulenförmigem Umriss festgehalten, analog dem Hüttnersee. Neben dem Namen «Beychlenseeli» ist der Flurname «Bey der Schwelli» aufschlussreich. Er bedeutet - wie Walter Höhn folgert -, dass der Seeabfluss an dieser Stelle je nach Bedürfnis gestaut oder abgesenkt werden konnte. Der Name «Brüsch» des benachbarten Hofes erinnert daran, dass hier einmal ein grosser Bestand an Heidekräutern vorhanden war, als typische Vegetation eines verschwundenen Hochmoores.
Der Beichlensee in der Quartierkarte des Richterswiler Pfarrers J. J. Vogler, 1748.

Aus der Mitte des 18. Jahrhunderts sind neben kartographischen Darstellungen auch schriftliche Zeugnisse für die Existenz des Beichlensees vorhanden. Im 1749 erschienenen dritten Band von Hans Jakob Leus Helvetischem Lexikon findet sich unter dem Stichwort Beichlen folgender Hinweis: «Ein Bauren-Hof auf dem Berg in der Pfarr und Landvogtey Waedenschweil, darbey ein kleiner See.» Der Beichlensee war damals schon stark am Verlanden. Rundum erstreckte sich Riedland, das um eben diese Zeit in ganz neuer Art genutzt wurde: für den Torfabbau. Das «Turbengraben» wurde in unserer Gegend in den 1730er Jahren Mode. Laut Grundprotokoll (Staatsarchiv Zürich, B XI Wädenswil, Bd. 5, S. 460-462) verkaufte Heinrich Isler in Beichlen im Jahre 1738 dem Wachtmeister Sigmund Leuthold sowie Hans Jakob und Heinrich Teiler ein zwischen Bach und Fussweg gelegenes Turbenfeld. Die Käufer durften hier vom Frühling 1739 an Torf graben «bis man keine Turben mehr zum Graben findet» und das Material zum Trocknen auch auf dem Land des Verkäufers lagern. Der Kauf währte jedoch nur solange, bis aller Torf ausgebeutet war, dann fiel das Grundstück wieder an den früheren Eigentümer zurück. Dass man nicht den Boden, sondern lediglich das Nutzungsrecht erwarb, war damals offensichtlich üblich. Eine ähnliche Bewilligung für Torfabbau räumte 1740 auch Jakob Herdener in seiner Weid an der Egg ein; schon im November 1739 hatten sich Wachtmeister Heinrich Blattmann, Feldschreiber Diezinger und Jakob und Kaspar Rusterholz von Wädenswil das Recht des Turbengrabens bei Rudolf Stockers Weid im Himmeri gesichert. Seit seiner Jugendzeit interessierte sich der auf dem Bauernheimwesen «Seeli» am Hüttnersee aufgewachsene spätere Sekundarlehrer Dr. h. c. Walter Höhn-Ochsner für die Naturgeschichte der ehemaligen Herrschaft Wädenswil. Um ein klares Bild über die Entstehungsgeschichte des seit gut hundert Jahren verlandeten BeichIensees zu erhalten, führte er im Jahre 1933 im Beichlenried mehrere Moorbohrungen aus. Dabei konnte er nachweisen, dass der See ursprünglich rund 480 m lang, etwa 260 m breit und sicher bis 7,4 m tief gewesen war. In den Sedimenten bestimmte er Reste von Schilf, Seggen, Stengeln von Schachtelhalmen, Filze von Wassermoosen, Stengelreste von Erlen, Weiden und Nadelhölzern. In der Übergangszone vom Torf zur Seekreide entdeckte er Reste von fossilen Schnecken- und Muschelschalen, Kieselalgen, beschalte Urtierchen, Panzer- und Kleinkrebschen. Unter dem Mikroskop vermochte er in den Schlamm- und Torfproben auch verschiedene Blütenstaubkörner zu erkennen, so als älteste Stufe eine frühe Birkenzeit, an deren Ende Berg- und Waldföhren vordrangen. Ein klimatischer Wärmeanstieg liess einen Laubmischwald mit Eichen, Ulmen und Linden gedeihen, welcher die Nadelhölzer verdrängte. Weisstanne und Buche drangen im Gebiet von Beichlen erst spät vor; zuletzt wurde hier die Fichte heimisch.
Die Entstehung des Beichlensees und den beginnenden Verlandungsprozess schilderte Walter Höhn am 19. Oktober 1977 im «Allgemeinen Anzeiger vom Zürichsee» unter anderem wie folgt: «Wir müssen uns im Geiste etwa 10 000 Jahre zurückversetzen in den Zeitabschnitt, da die letzten Reste der Eismassen des Linthgletschers in unserer Gegend wegschmolzen. In diesem frühen Postglazial stellte unser Gebiet zunächst eine pflanzenlose Steinwüste dar, aufgebaut aus langgezogenen Moränen und dazwischen liegenden Grundmoränen. Auf dem Grund dieser wasserundurchlässigen Böden staute sich das Wasser zu kleinem und grössern Grundmoränenseen. Der Beichlensee gehörte zu diesem Seetypus. In dieser frühen Nacheiszeit begann nun schon der erste Verlandungsprozess der Gletscherseen. Durch das Regenwasser wurden aus all den kahlen Moränenböden die feinsten Tonteilchen ausgeschwemmt und in den nahen Seebecken als erstes und ältestes Sediment abgelagert. Man bezeichnet diese Schicht als Seeton oder Seemergel. Diese rein physikalischen Tonablagerungen hörten schon nach Jahrhunderten auf, da jetzt eine erste eigenartige Tundrenvegetation die einst kahlen Moränen zu bedecken begann. Aufgrund chemischer Vorgänge setzte sich jetzt ein Kalksediment, die Seekreide, über der basalen Tonschicht ab. Über diesen oft mehrere Meter mächtigen Kalkschichten begannen dann an untiefen Stellen Wasser- und Uferpflanzen mit dem Verlandungsprozess, wobei durch Mumifizierung der Wasservegetation Torf gebildet wurde.» Soweit Walter Höhn.
Zwischen 1740 und 1840 muss der Beichlensee vollständig verlandet sein. Denn die in den Jahren 1843-1851 unter der Leitung von Johannes Wild von Richterswil (1814-1894) hergestellte erste Karte des Kantons Zürich mit Höhenkurven für die Darstellung der Landschaftsmodellierung zeigt anstelle des früheren Beichlensees eine durch besondere Strichmanier angedeutete Sumpf- und Moorlandschaft: das Beichlenried.
Das Beichlenried in der Exkursionskarte des Verschönerungsvereins Wädenswil, 1900.

Schiess-und Sportplatz Beichlen. 1980.

Im Jahre 1896 schrieb der Geograph Hermann Walser vom Gelände des ehemaligen Beichlensees: «Heute dehnt sich dort an der Stelle ein Torfmoor aus, welches auf Grundmoränen liegt und von allen Seiten von auftauchenden und wieder verschwindenden Wallmoränen begrenzt wird. Der Torfgrund ist sonderbar gewellt. Die tiefen Stellen sind offenbar Zeugen einer früheren lebhaften Torfausbeutung. Im Frühling soll oft das ganze Moor unter Wasser stehen.» Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts schenkten namentlich Botaniker dem Beichlenried grosse Aufmerksamkeit. Professor J. Früh, Mitverfasser des 1904 erschienenen berühmten Standardwerks «Die Moore der Schweiz», hatte das Beichlenried am 1. Juli 1894 besucht und dessen Flora registriert. Auf dem Moor, das er auf 16 ha schätzte, stellte er 68 Arten von Blütenpflanzen fest. Am Südwestrand waren Torfschichten von 1,7 m Mächtigkeit erhalten; sie enthielten fossile Reste von Erlen. «Mehrere alte bis verlassene Torfhütten und grosse Verlandungsflächen deuten auf ein früheres viel höheres Moor», hielt der Forscher damals fest.
Von 1914 bis 1943 − dem Jahr der Melioration − hielt sich auch Walter Höhn jährlich zu Forschungszwecken im Beichlenried auf. Denn verglichen mit allen übrigen Mooren der Herrschaft Wädenswil war es das weitaus reichhaltigste an Pflanzen, Tieren und verschiedenartigen Lebensformen. 156 verschiedene Arten von Blütenpflanzen und 18 Moosarten liessen sich hier nachweisen; hinzu gestellte sich eine überreiche Sumpf- und Wassertierwelt. Doch lassen wir Walter Höhn selber berichten:
«Wer das Beichlenried schon in der Zeit von Mitte April bis Mitte Mai besuchte, durfte sich einer farbenfrohen Frühlingsflora erfreuen, die auf den noch vom Winter gebräunten Kurzrasen erblühte. Die Grabenränder trugen einen reichen Schmuck von orange gefärbten Sträussen der Sumpfdotterblume. Weiss leuchtende Gruppen des eisenhutblättrigen Hahnenfusses trugen ein voralpines Florelement in diese Frühlingslandschaft. In regellosem Gemisch entsprossten Hunderte von weissen Windröschen und gelbe Schlüsselblumen dem Riedboden. Glänzend grüne Triebe der Herbstzeitlosen waren über die ganze Riedfläche verteilt. Weithin leuchteten die purpurnen Blütentrauben von zwei Knabenkräutern. In den niedern Riedgrasen und Moospolstern verbarg sich noch eine kleinwüchsige Frühlingsflora: das hellblaue behaarte Veilchen, das lilafarbige Kreuzblümchen und das insektenfangende Fettkraut ...
Es war Hochsommerzeit (1914), und die Moorflora stand im Maximum ihrer Entwicklung. Der erste Blick ins Moorzentrum nahm den Beschauer völlig gefangen; denn aus einem grossen Torftümpel leuchteten ihm wohl ein Dutzend weisse Seerosen entgegen, als letzte lebendige Zeugen des einstigen Beichlensees. Jeder der zahlreichen Torfstiche stellte in seiner Gesamtheit eine vielgestaltige Lebensgemeinschaft von Pflanzen und Tieren dar. Sie veranschaulichten auch den klassischen Vorgang eines Verlandungsprozesses. Hier bot sich dem Naturfreund ein Bild des Kampfes ums Dasein unter den Gewächsen ... Als Hauptverlander traten Schilf und Gross-Seggen auf. Die letztgenannten schufen im westlichen Teil des Riedes weitflächige, trügerische Schwingrasen ohne festen Untergrund. Dicht geschlossene Gruppen von Rohrkolben überragten diese Seggenbüsche.
Gehölze spielten im Beichlenried keine grosse Rolle. Eine Gruppe von hochgewachsenen Schwarzerlen, vereint mit Ohrweiden und Birken, begleiteten den grossen Abzugsgraben. Einjährige, rutenförmige Schosse des Faulbaumes entwickelten sich in grosser Zahl in den wirtschaftlich genutzten und regelmässig gemähten Riedteilen ... In den gelbbraunen Riedwiesen verbarg sich der gleichgefärbte Feldhase. Vorüberziehende Stockenten wurden von den spiegelnden Torftümpeln angelockt. Zu regelmässigen Moorbesuchern gehörten Gold- und Grauammern, Distelfinken und Bachstelzen, Teichrohrsänger und als Bodenbrüter die Rohrammer. Dutzende von kleinen Gründlingen belebten das Wasser der Moorgräben. Reichlich war das Geschlecht der Lurche vertreten: Alpen- und Teichmolch, Gelbbauchunke und Geburtshelferkröte, Erd- und Kreuzkröte. Von Reptilien traf man bisweilen die Ringelnatter und die Bergeidechse. Von Schnecken und Muscheln waren alle Arten vorhanden, in lebendem Zustande, wie wir sie fossil in der Seekreide des Beichlensees getroffen hatten. Die Moortümpel waren von einer riesigen Zahl von Wasserinsekten belebt. Die mikroskopische Durchforschung der Riedtümpel ergab mehr als hundert Arten von einzelligen Lebewesen, Algen und Urtierchen.» So schrieb Walter Höhn 1977 in seinen «Erinnerungen an den Beichlensee und das Beichlenried im Wädenswilerberg».
Warum ist das Beichlenried mit seiner reichen Pflanzen-und Tierwelt nicht unter Naturschutz gestellt worden? Von privater Seite wurde zu Beginn der 1940er Jahre der Versuch unternommen. Die Not der Zeit liess den Plan jedoch scheitern. Durch Hitlers und Mussolinis Truppen vom Ausland abgeriegelt, befand sich die Schweiz damals − während des Zweiten Weltkriegs − in einer kritischen Versorgungslage. Der Kampf ums tägliche Brot war dringender als die Anliegen des Naturschutzes. Auf Initiative von Bundesrat F. T. Wahlen wurden die schweizerischen Landwirte zum Mehranbau verpflichtet. Dafür musste mehr Kulturland zur Verfügung stehen. Waldrodungen kamen nicht in Frage, doch liessen sich Riede und Moore als am wenigsten wertvolles Land kultivieren. Eidgenössische und kantonale Instanzen regten die Gründung von Meliorationsgenossenschaften an, denen nun die Aufgabe zufiel, Riedboden in Ackerland umzuwandeln.
Im Januar 1943 nahm die Meliorationsgenossenschaft Beichlen die ersten Sondiergrabungen auf. Man baute einen hölzernen Entwässerungskanal und verlegte Drainageröhren. Im Sommer 1945 war das auch von der Gemeinde Wädenswil unterstützte Meliorationswerk abgeschlossen, die dringend benötigte Anbaufläche geschaffen, das Beichlenried aber für alle Zeiten vernichtet.




Peter Ziegler


Schützenhaus Beichlen im Rohbau. Herbst 1979.