Die Ehrsam AG verlässt Wädenswil

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1991 von Peter Ziegler

Die Feuerwehrgerätefabrik Ehrsam AG hat im Herbst 1991 ihren Sitz von Wädenswil nach Reichenburg in der schwyzerischen Nachbarschaft verlegt. Mit dem Ortswechsel, für den Platzmangel am alten Standort an der Zugerstrasse ausschlaggebend war, verlor Wädenswil ein altes, traditionsreiches Unternehmen. Dessen Geschichte sei hier überblicksmässig festgehalten.

HANDGEWOBENE SCHLÄUCHE

Bereits 1781 gab es in Wädenswil eine Schlauchweberei am Krähbach, welche Haushaltungen und Feuerwehr mit ihren Produkten versorgte. Von Heinrich Rebmann ging der Betrieb zu Beginn der 1860er Jahre an Georg Benninger bei der «Hoffnung» über. Mitte Januar 1864 kaufte der neue Eigentümer – um die Pro­duktion weiter bachaufwärts in einen Neu­bau zu verlegen – von Johannes Höhn eine Jucharte Matten im «Weisshut» und liess hier im selben Jahr ein neues Wohn- und Fabrikgebäude (Zugerstrasse 52) erstellen. Seit 1869 wird in den Grundprotokollen zusätzlich ein Schopf erwähnt.
Das 1864 erstellte Wohn- und Fabrikgebäude an der Zugerstrasse 52. Zeitgenössische Lithographie von Egli-Schätti in Zürich.

Am 21. November 1873 wurde der aus dem zürcherischen Weiningen stammende Johann Ehrsam (1817–1887), der vorher als Direktor einer Baumwollspinnerei und -weberei tätig gewesen war, Eigentümer der Schlauchweberei. Mit sechs Webstühlen sowie je einer handgetriebenen Zwirn­ und Spulmaschine konnten damals täglich insgesamt dreissig Meter Schlauch produziert werden.
«Auto-Löschzug der Feuerwehr Wädenswil» aus der Firma Ehrsam-Denzler & Co., 1926. Postkarte für den Kantonalen Feuerwehr-Kommandantenkurs vom 7. bis 10. Juli 1926 in Wädenswil.

Bald nach der Geschäftsübernahme baute Johann Ehrsam seinen Betrieb aus. Das Grundprotokoll vom 20. März 1876 nennt neu einen Hochkamin sowie einen Schopf mit, Zimmer und Mostpresse darin. Noch immer gehörten zur Liegenschaft im «Weisshut» eine Jucharte Garten, Reben und Wiesland. 1885 erweiterte man das Wohnhaus um einen Fabrikationsanbau und verlegte nun die Weberei ins Erdgeschoss.

MECHANISIERUNG

Schlauchfabrikant Johann Ehrsam­Hafner starb am 26. Februar 1887 und hinterliess sechs Töchter und vier Söhne. Zwei Söhne, Friedrich und Emil Ehrsam­Denzler (1864–1951), übernahmen 1895 den väterlichen Betrieb aus der Erbmasse; 1898 wurde Emil Ehrsam alleiniger Inhaber. Unter seiner Leitung erfolgte die Mechanisierung. Obwohl die handgewobenen Schläuche von hervorragender Qualität gewesen waren, konnten sie des hohen Preises wegen nur mühsam abgesetzt werden. Eine rationellere und billigere Produktion drängte sich auf: 1903 wurden in England neue Webstühle gekauft, die teilweise bis 1968 in Betrieb waren. 1905 demontierte man in der Schlauchweberei Ehrsam die letzten drei Handwebstühle. Im Jahre 1905 schloss sich Emil Ehrsam-Denzler mit der Firma Hulftegger & Steiner in Stäfa zusammen. 1912 wurde in Wädenswil ein neues Webereigebäude erstellt, in dem bis zu zwölf Webstühle liefen, mit einer Tagesleistung von 25 Metern Schlauch pro Webstuhl.

SCHIEBELEITERN UND HYDRANTENWAGEN

Eine entscheidende Wende trat 1912 ein. In der maschinell ergänzten Reparaturwerkstätte der Weberei begann man damals mit der Fabrikation von Häspeln und andern Geräten. 1913 konnte ein Wagnereigebäude mit Schmiede für die Herstellung von Schiebeleitern und Hydrantenwagen eingeweiht werden.
1914 baute die Firma Ehrsam erste fahrbare mechanische Leitern. Eine 16 m hohe Ehrsam-Dreiradleiter war im selben Jahr an der Schweizerischen Landesausstellung in Bern ausgestellt. 1916 gelang durch den Erwerb der angrenzenden Werkstätte von Schmied Huber die Arrondierung der Liegenschaft. In den folgenden Jahren wurden weitere Neu- und Anbauten nötig, da der expandierende Betrieb immer mehr Platz beanspruchte.
Hydrantenwagen aus der Firma Ehrsam­Denzler & Co., aus einem Katalog um 1940.

1918 trennte sich Emil Ehrsam­Denzler von der inzwischen in eine Aktiengesellschaft umgewandelten Firma Hulftegger, Steiner und Ehrsam AG und produzierte wieder auf eigene Rechnung. Während des Ersten Weltkrieges hatte man in Wädenswil zusätzlich die Fabrikation von Transportgeräten, zum Beispiel von Sack karren und Plattformwagen, aufgenommen.
Als Wädenswil 1926 ein Feuerwehrpikett schuf und den heute noch vorhandenen Saurer-Pikettwagen sowie eine Zweirad-Benzin-Motorspritze anschaffte, kam auch die einheimische Firma Ehrsam­Denzler & Co. zum Zug: Sie lieferte eine mechanische Vierradleiter von 20 Metern Nutzhöhe, welche die alte, auf 15 Meter ausziehbare Zweiradleiter ersetzte.

AUTODREHLEITERN

Ins Jahr 1948 fiel die Konstruktion der ersten elektrohydraulischen Autodrehleiter mit einer Auszugslänge von 22 Metern. 1952 wurde die erste Ehrsam­Drehleiter für Handbetrieb gebaut und auf einem Ford-Chassis montiert.
Nach dem Tod von Emil Ehrsam­Denzler (1951) wurde die Firma 1953 von den beiden Söhnen Emil (1897–1976) und Rudolf (1901–1964) in eine Familienaktiengesellschaft umgewandelt. In intensiver Arbeit entstanden neue Geräte, und alte erfuhren Verbesserungen. So schuf sich die Ehrsam AG ein Knowhow, das die Marktsituation festigte und zu einer eigentlichen Leaderstellung führte. Das erfolgreiche Wirken erforderte Anpassungen in der Infrastruktur. 1958 bezog man eine neue Werkhalle für die Montage der mechanischen Leitern sowie eine Malerei mit Einbrennkabine für Feuerwehrfahrzeuge. Zu Beginn der 1960er Jahre wurde das neue Werkstattgebäude, zur Aufnahme der kaufmännischen und technischen Büros sowie eines Konferenzraumes, um ein Stockwerk erhöht. Die bisherigen Büroräume im Wohnhaus dienten fortan als Magazin und Packerei.
1969 reduzierte man die Weberei auf zwei Rundwebstühle im oberen Stockwerk des Webereigebäudes: synthetisches Material löste in der Schlauchherstellung die Naturfasern ab. Zur rationelleren Herstellung von Leitern wurde die Wagnerei neu eingerichtet.
1971 zog sich Emil Ehrsam-Sohm aus dem Unternehmen zurück, und die Geschäftsleitung ging an drei mit der Firma langjährig verbundene Verwaltungsratsmitglieder über: den Geschäftsführer und Betriebsleiter Armin Angst, den Verkaufsleiter Hans Meyer und den Konstruktionsleiter Hans Rusterholz. Im gleichen Jahr bezog die Feuerwehrgerätefabrik Ehrsam im Winterberg Wädenswil eine neue Lager- und Fabrikationshalle. Diese diente vor allem der Leiternschweisserei mittels Schablone.

ALLES FÜR DIE FEUERWEHR

1978 gab die Ehrsam AG aus Rationalisierungsgründen die Schlauchweberei auf und widmete sich fortan ausschliesslich der Geräteentwicklung. Das Schwergewicht der Eigenfabrikation lag nun bei den Holz- und Metalleitern in allen Varianten, Längen und Verwendungsbereichen: Autodrehleitern, Anhängeleitern, Hand- und Gebäudeleitern sowie Hubarbeitsbühnen. Dazu kamen Feuerwehrfahrzeuge, aber auch sämtliche Artikel für die Bereitschaft eines Feuerwehrkorps, inklusive Ausrüstung und Bekleidung eines Feuerwehrmanns. Neben zahlreichen Handelsartikeln übernahm die Ehrsam AG die Alleinvertretung verschiedener Markenprodukte, so etwa von Hitzeschutzausrüstungen, Schweissplanen, Sicherheitsgurten, Rettungswerkzeugen, Schlauchpflege- und Ölwehrgeräten, Rohr-Dichtkissen und Kanal-Prüfkissen.
Als bedeutendster schweizerischer Hersteller von Feuerwehrleitern verfügte die Ehrsam AG trotz hartem Konkurrenzkampf mit rund 80 Prozent Marktanteil in der Schweiz über eine ausgezeichnete Position.








Fahrbare Auszugsleiter der Firma Ehrsam-Denzler & Co. vor dem Haus zur Sust in Wädenswil. 1948.
Fabrikareal der Ehrsam AG an der Zugerstrasse 52. Aufnahme von 1985.

VON WÄDENSWIL NACH REICHENBURG

Weil ein Nachfolger innerhalb des Aktionärskreises fehlte, und um den Fortbestand des Unternehmens zu sichern, wurde die Aktienmehrheit 1984 an die Rolba AG in Zürich verkauft. Seit 1988 gehört die Ehrsam AG zur Heinz Egolf Holding AG in Wetzikon.
Am neuen Firmensitz in Reichenburg steht der Ehrsam AG, dem führenden Schweizer Unternehmen im Bereich der Sicherheits- und Leiterntechnik, seit 1991 im ehemaligen Bau der Hakle AG eine Nutzfläche von 4000 Quadratmetern zur Verfügung. Die Firma hat ihre Belegschaft von 40 Mitarbeitern um fünf Stellen aufgestockt und wartet und vertreibt neu auch Tanklöschfahrzeuge.
Das Wohn- und Geschäftshaus von 1864 sowie die Fabrikationshallen und Nebengebäude in Wädenswil – mit Ausnahme der von der Stadt erworbenen Halle im Winterberg – sollen abgerissen werden, damit auf diesem Areal beim «Stampf» Wohnraum geschaffen werden kann. Die Geschichte eines über hundertjährigen Wädenswiler Industriebetriebs wird damit zu Ende gehen.




Peter Ziegler