Wohltuende Vielfalt in unserer Landschaft

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1982 von Karl Stoll

Klima und Höhenlage von Wädenswil begünstigen das Gedeihen einer reichhaltigen Pflanzen- und Tierwelt. Das heutige Landschaftsbild in seiner Vielfalt von Wald, Wiese, Weide, Acker, Siedlungen, Baumgärten und Streueland wurde vor allem durch menschliche Tätigkeiten geprägt. Ohne diese würden hier urwaldähnliche Gebilde vorherrschen, unterbrochen von kleinen Sümpfen. Roden, Planieren, Entwässern und Düngen standen von altersher im Ruf, menschliche Kulturtaten zu sein mit legitimem Hintergrund.
Neuere Einsichten in die Naturzusammenhänge (Ökologie) führen zum Schluss, dass eine Landschaft auf die Dauer nur gesund bleiben kann, wenn für einen genügend grossen Anteil weitgehend natürlich gebliebener Areale gesorgt ist. Naturverjüngte Wälder, unverbaute Wasserläufe, Magerwiesen und Riedflächen gehören hierzu. Somit gilt es, auch für die Umgebung der Stadt Wädenswil Inventur zu machen und Bilanzen zu ziehen.
Eine Rückbildung in der Flächenverteilung steht zwar kaum in Erwägung. Aber sicher eine Besinnung darauf, ob nicht innerhalb der jetzt kultivierten Areale alles getan werden müsste, um eine weitere Verarmung der Naturvielfalt zu stoppen.
Speziell in den letzten drei Jahrzehnten unterlag unser Landstrich einem raschen Wechsel. Überbauungen, Verkehrserschliessungen, aber vor allem die Intensivierung in Land- und Forstwirtschaft haben die Tendenz zur Verarmung und Eintönigkeit beschleunigt. Dies wird unter anderem bezeugt durch den steten Rückgang von Bio-Indikatoren unter den Vögeln und anderem Getier. So sind Wiedehopf, Wendehals, die Würger, gewisse Käfer- und Schmetterlingsarten sowie die Waldameisen innerhalb von dreissig Jahren völlig verschwunden aus dem Gemeindeareal. Arten von Spechten, Laubsängern, Grasmücken, Greifvögeln und Fledermäusen sind zu sehr seltenen Gästen geworden. Der Wegfall von Brutplätzen einerseits, aber vor allem der Verlust der Nahrungsgrundlagen tragen die Schuld daran. Als Beispiel dient das totale Verschwinden der Blumenwiesen infolge sehr früher Heumahd und intensiver Düngung. Dazu kommt das Säubern von Wegrändern und Unkrautflächen mittels Herbiziden. Ganze Populationen von Faltern, Käfern und anderen Kleintieren starben aus. Das kann zu Störungen der Gleichgewichte führen, indem das Verschwinden der Leucht- und Laubkäfer zur Konsequenz eine Schneckenplage hat, da die Eigelege dieser Schleicher niemand mehr auffrisst. Der drastische Rückgang der Tag-und Nachtgreife hat zur Folge, dass jene Vogelarten, die dem Landwirt Schaden stiften, sich zu stark vermehren. Derart greift in der Natur alles ineinander, und nur eine Vielfalt von Pflanzen und Tieren sichert ein Artenreservoir, das die notwendigen Gleichgewichte aufrechterhält. Artenarme Lebensgemeinschaften sind instabil und stetsfort von Vernichtung bedroht.
Ein isolierter Artenschutz, zum Beispiel allein für Amphibien oder Waldameisen, ist zum Scheitern verurteilt, falls nicht die Erhaltung des gesamten Lebensraumes gesichert ist. Es bedarf dazu grösserer Flächen, um auf die Dauer die Weitervermehrung und das Überleben zu gewährleisten.
Pflegliche Haltung zu den Elementen der Natur drängt sich nicht einzig aus materiellen Gründen auf. Führende Psychologen sind der Ansicht, dass der Mensch – selber ein Naturgebilde – zu seiner seelischen Gesundheit periodisch eines lebendigen Kontaktes mit der ungestörten Natur bedarf. Deshalb auch der Drang der Stadtleute ins Freie, an die Badestrände, ins Gebirge, in den Wald. So ist es Pflicht, diese Landschaftselemente so unverdorben wie möglich zu erhalten.
Die Landschaft von Wädenswil gewährt noch viele positive Anhaltspunkte zur Sicherung der Artenvielfalt. Sehr wertvolle Lebensräume bieten die Schilfgürtel am See, die natürlich und künstlich gestauten Gewässer, die natürlichen Bachläufe, Feldgehölze und Riedflächen. Neben den Mischwaldungen sind dies beinahe die einzigen Lebensräume, wo das Zusammenleben von Pflanze und Tier noch relativ ungestört eingespielt bleibt. Daselbst sind auch die letzten Refugien zu finden für selten gewordene Amphibien, Insekten und Pflanzen. Pflanzenschutz wirkt hier zugleich als Tierschutz und Umweltschutz.
Schilfgürtel bei der Rietliau.


Riedpartie bei der Vorderen Au.

An Naturbächen greifen sogar drei verschiedene Lebensräume ineinander: Wasserlebewesen können autonom sein oder aber in das benachbarte Biotop der Uferpflanzen und -tiere übergreifen. Diese letzteren wiederum stehen in Kontakt mit den Baum- und Strauchbiotopen. Je nach Lage – ob sonnig oder schattig-feucht – finden hier unterschiedliche Arten ihren Lebensraum.
Die Riedwiesen sind von Bedeutung für den Ausgleich der Wasserführung, bieten aber auch in den Jahreszeiten ihre spezifischen Blumenreize an. Im Spätwinter folgt dem Gelb der Primeln und Sumpfdotterblumen das Weiss der Buschwindröschen. Eine Vielfalt von einigen Hundert verschiedener Arten von Gräsern, Seggen und Blütenpflanzen prägt das sommerliche Bild. Der braune Farbton der Rieder im Herbst wird vor allem durch das Pfeifengras (Molinia) verursacht. Hier hinein schleicht sich der beinahe wehmütig stimmende violette Abschiedsgruss der Herbstzeitlosen.
Die Rieder in Seenähe sind charakteristisch durch das Wuchern von Schilfröhricht, Gross-Seggen und Hochstauden. Als Höhepunkt gelten aber die Blütezeiten der blauen sibirischen Schwertlilie und der gelben Schwertlilie. Später erscheinen die blauroten Knabenkräuter, der Wiesenknopf, der kantige Lauch, die Rüsterstaude und der Wasserdost. Gilbweiderich, Blutweiderich, Kopfbinse und zarte Schnabelbinse wetteifern um einen Platz, dies zusammen mit vielen anderen Blütenpflanzen.
Die Rieder der mittleren Höhenstufen weisen da und dort voralpine Pflanzen auf, wie Schwalbenwurzenzian, Weisser Germer und Fieberklee. Angrenzend an die Fettmatten dominieren die nahrungsliebenden Hochstauden, die Labkräuter, Kohldisteln und Rüsterstauden. Im Reservat Untermosen der Sekundarschule Wädenswil haben über 30 verschiedene Gräser und mehr als 20 Sumpf- und Kleinseggen ihren Standort. Von Ende Mai bis August blühen hier sieben Vertreter der wildwachsenden Orchidaceen, darunter die seltene wohlriechende Handwurz und die Sumpfwurz. Die Farbpalette dieser Rieder präsentiert sich am buntesten im Juni bis August. In verschiedenen Blautönen und Düften locken Skabiosen, Glockenblumen und Schwalbenwurzenzian die Insekten an. Rot leuchtet auf in Nelken, Tausendguldenkraut, Flockenblumen und Blutweiderich. Das Gelb ist reichlich vertreten in Gilbweiderich, Ruhrwurz, Liliensimse, Habichtskräutern, Sumpfpippau und Klappertopf. Von den Weissblühenden seien nur Baldrian und Studentenröschen erwähnt.
Wieder anders sehen die Rieder der obersten Stufe bei Sennhuus und Gerensteg aus. Als voralpine Florenvertreter sind hier Alpenhaarbinse, Weisser Germer, Blauer und Gelber Eisenhut, Fettkraut und Fieberklee vorhanden. Freiland-Orchidaceen in ansehnlicher Zahl schmücken die Rieder, darunter an einem einzigen Standort noch das seltene Einorchis (Herminium). Als Juwel unter dem vielen Schönen gilt aber der mit einem beglückenden Blau ausgestattete Lungenenzian. Schliesslich kämpfen auch noch letzte Relikte von Hochmoorpflanzen wie Sonnentau, Wollgras und Torfmoose um ihr Daseinsrecht.
Um die Artenvielfalt dieser Rieder zu sichern, haben Düngung, Auffüllung und Drainage strikte zu unterbleiben. Auch ist nur späte Mahd im September erlaubt. Dies, damit die Pflanzen sich versamen können.
In ökologischer Betrachtung wenig erfreulich bieten sich heutzutage die intensiv land- und forstwirtschaftlich bewirtschafteten Flächen dar. Die sehr frühe Heumahd verhindert das Blühen der Pflanzen, was den Bienen, Schmetterlingen und andern Insekten die Nahrungsgrundlage wegnimmt. Intensive Wiesendüngung reduziert die Pflanzenzahl einer Naturwiese von über 50 Arten auf das knappe Dutzend Arten der Kunstwiese. Mit Gülle überdüngte Matten erreichen sogar den Charakter einer sehr einseitig zusammengesetzten Hahnenfuss- und Kerbelgesellschaft.
Den bunten Trespen, Zittergräsern, Margriten, Kuckuckslichtnelken, Schmetterlingsblütlern und Wiesensalbeien nachzutrauern, ist wenig hilfreich. Die Frage ist aber gestellt, ob die verschwundenen Biotope solcher Blumenwiesen wirklich entbehrlich sind.
Ried- und Waldpartie bei der Schlieregg.
Bei ökologischer Betrachtungsweise liegt die Antwort auf der Hand. Doch wäre es unrealistisch, allen Landwirten zuzumuten, den Weg rückwärts zu beschreiten. Immerhin könnten die mit Maschinen nicht bearbeitbaren Wiesenborde und Restparzellen zum Anbau von blütentragenden Pflanzen herangezogen werden. Selbst in der Nähe von Wohnbereichen wäre Ähnliches möglich, indem Naturgärten in Kommen sind. Bei Grossüberbauungen und der Erstellung öffentlicher Bauten wäre zu prüfen, ob die Rasenflächen − als gezwungene Ansammlung geköpfte Gräser − wirklich auf jene Zonen begrenzt bleiben, die als Spiel- und Sport plätze dienen. Genügend besonnt, Randparzellen könnten in Blumenwiesen übergeführt werden mit höchsten: zweimaligem Schnitt pro Saison. Auch ein ausgespartes Areal, teilweise bepflanzt mit einheimischen Gebüschen wäre ein sinnvolles Attribut. Daselbst könnten die Jugendlichen ihrem Tätigkeitsdrang in Hüttenbau und Schatzgräberei nachgehen. Hiermit würden auch die Wälder in Stadtnähe entlastet.
Eine intensiv betriebene Land- und Forstwirtschaft glaubt die angestrebten Höchsterträge kurzfristig nur mittels Monokulturen erreichen zu können. Der Anbau einer einzigen Kulturpflanze auf grossen Anbauflächen trägt jedoch stets grosse Risiken in sich. Eine Kette tierischer Schädlinge und pflanzlicher Parasiten kann hier verheerende Zerstörungen anrichten. Gerade beim Maisanbau, wo der Boden über lange Perioden hinweg unbedeckt dasteht, könnten Untersaaten die Erosionsschäden und Bodenverdichtungen mildern.
In absehbaren Zeiten droht unserem Landschaftsbild auch eine Verarmung durch den Übergang der Hochstammobstkultur auf die Intensivanlagen. Allerdings wäre es unangemessen, in einem Zeitpunkt, da andernorts wieder Hochstämme zur Mostobstgewinnung zur Pflanzung kommen, unsere stolzen Bäume überstürzt zu fällen. Langfristig wird man durch Neuanlegen von Hecken und Feldgehölzen der Auskahlung der Landschaft entgegenwirken müssen.
Hoffnung besteht auch, dass in der Waldwirtschaft das ökologische Denken erhalten bleibt. Mischwälder sind die einzigen uns noch verbliebenen Grosssysteme mit natürlichen Funktionsabläufen. Die Lebensvielfalt in einem Mischwald ist ungemein grösser und die Bodentätigkeit viel intensiver als in einem reinen Fichtenforst. Im ersteren können 50 Arten von Blütenpflanzen, 10 Farne, 20 Moose, 40 Grünalgen, 40 Flechten und 800 Pilzarten leben. Zudem können hier 60 Arten von Wirbeltieren (Säuger, Vögel, Amphibien), rund 1500 verschiedene Gliedertiere, etwa 1000 Insektenarten, 100 Spinnen und einige hundert Arten von Würmern und Urtieren ihr Auskommen finden. Auf einen Quadratkilometer Mischwald wurden andernorts bis 2000 Vogelbruten festgestellt, in reinem Fichtenbestand zehnmal weniger. Auf Schneebruch, Windwurf, Waldbrand, Wurzelfäulen, saure Regen und Borkenkäferkalamitäten sind reine Fichtenwälder besonders anfällig. Es war ein Forstmeister, der einmal dichtete: «Willst Du den Wald vernichten, so pflanze nichts als Fichten». Trotzdem werden die Verjüngungsparzellen des Privatwaldes immer noch einseitig mit Fichten bepflanzt.
Bezeugt ist, dass der Auhügel und das Gebiet zwischen Eichmühle und Geren einstmals mit stolzen Eichenwäldern bestockt waren. Einzelne Prachtsbäume von Eichen sind heute auch noch in höheren Lagen feststellbar. Wäre es vermessen zu fordern, dass für einige Jahrzehnte auf das Fällen von Eichen verzichtet wird? Dies aus Einsicht und auf freiwilliger Basis. Samenträger könnten so erhalten bleiben, wobei der Eichelhäher zur Verbreitung der Eicheln beitragen könnte. Erfreulicherweise wurde bei einer Neupflanzung in der Auwaldung die Eiche berücksichtigt. Öffentlichen und privaten Waldbesitzern stünde es gut an, diesem Beispiel zu folgen. Wo die Eiche standortmässig nicht hingehört, können andere Laubhölzer, wie Ulmen, Ahorne, Eschen oder Linden die Waldbelebung sichern. Da es rund 80 bis 120 Jahre dauert bis zum Hiebalter des Baumes, kann heute niemand genau wissen, welche Holzart in ferner Zukunft die gefragteste sein wird. Das Berücksichtigen unterschiedlicher Holzarten verkleinert somit auch das wirtschaftliche Risiko.
Riedgraben auf Chalchtaren.
Unbewusst ging in der Vergangenheit vieles verloren in der Naturvielfalt. Mit einem Marschhalt und zielbewusster Aufbauarbeit wären heute noch korrigierende Massnahmen möglich.




Karl Stoll