Zum Mauerwerk des Wädenswiler Freiherrenturms

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1987 von Daniel Reicke
 

Einleitung

Da es sich beim alten Wohnturm der Burg Wädenswil, dem Freiherrenturm, um eine Ruine handelt, müsste man sich die Wirkung dieses Baus zu seiner Zeit mit Hilfe von besser erhaltenen Beispielen aus unserer Gegend vorzustellen suchen. Eine gewisse Anschauung davon, wie der Turm einmal ausgesehen haben könnte, vermittelt wohl das Modell von Walter Müller im Ritterhaus Bubikon. Doch halten wir uns zuerst an die Fakten: Der Bau ist unter optimaler Ausnützung des Platzes auf dem Hügel schiefwinklig angelegt, er misst in Nord-Süd-Richtung 10 bis 17 m und in der andern Richtung sogar 20 bis 24 m − eine überaus respektable Grösse, auch wenn sie vom jüngeren Johanniterhaus auf dem Osthügel übertroffen wurde. Die Nordmauer ist mit rund 3,3 m Dicke die schwächste; die übrigen drei Mauern sind über 4 m dick.
Diese imponierend dicken Mauern sind in der üblichen Schalenbauweise erstellt, das heisst, zwischen den Verblendungen aus regelrecht gemauerten Steinen besteht der Mauerkern aus einer Masse von kleineren Steinen in viel Mörtel. Im Raubbau der vergangenen Jahrhunderte, als man auf der Burg Baumaterial holte, waren die grösseren Steine der äusseren Schale besonders interessant. Deshalb ist nicht verwunderlich, dass von den Mauerfronten nur sehr weniges, der Kern aber höher hinaus erhalten geblieben ist. An der Südfassade sind nur 3 bis 4 Lagen, an der Ostseite, über dem Halsgraben, etwa 7 Lagen original. Grosse Teile der Fronten sind zum Abstützen des höher stehengebliebenen Mauerkerns 1904 ergänzt worden. Diese Mauerteile sind am kleineren Mass der Steine erkenntlich, und bei näherer Betrachtung lässt sich die Grenze zwischen alt und neu auch anhand von Ziegelplättchen als Markierung verfolgen.
Das Baumaterial des Turms ist gemischt. Die Herkunft der einzelnen Gesteinsarten zu untersuchen, wäre eine spannende Aufgabe für einen Geologen. Allgemein gesprochen, handelt es sich um Sandsteine und kristallines Gestein, offensichtlich aus Geschiebe des Linthgletschers, doch ein grosser Anteil der Steine besteht aus verkittetem eiszeitlichem Schotter, Nagelfluh ähnlich, der beim Aushub des Halsgrabens am Burgfelsen gewonnen wurde.

Das Mauerwerk

An den genannten originalen Resten der Fassaden erscheinen Blöcke mit 80 Zentimeter bis über einem Meter Länge. Die Steine sind in roher Form verbaut, die Oberfläche ist stark buckelig. Die Lagen sind unregelmässig, setzen ab und zu sogar aus, und die heute ausgewaschenen Zwickel sind mit Splittern gefüllt. Dieses Mauerwerk muss als megalithisch bezeichnet werden. Dass der ganze Wohnturm einmal solche Blöcke aufgewiesen hätte, ist nicht sicher; die Oberteile können auch aus Bruchsteinen kleineren Masses gebildet worden sein1.

Datierung und Würdigung

Auch wenn die Grabungsresultate von 1983 mit den ins 13. Jahrhundert weisenden Funden nicht vorhanden wären, würde die Datierung aufgrund der baulichen Merkmale − Grösse, Dicke der Mauern, Megalithmauerwerk − kaum anders ausfallen. Das Findlings- oder Megalithmauerwerk tritt in der Schweiz nahezu ausschliesslich in der Zeit zwischen 1200 und 1260 auf. Die auch in Süddeutschland verbreitete Mode, Burgtürme mit besonders grossen, vollständig unbearbeiteten Findlingsblöcken zu erstellen, ist neuerdings für die Schweiz an einigen Beispielen fest datiert2. Dazu zählen etwa die Ostschweizer Türme von Frauenfeld und Mammertshofen. Im Zürcher Gebiet wurde die Mörsburg, ein sowohl bezüglich Gesamtmass als auch verwendetem Steinmaterial grosser Bau, nach historischen und baulichen Hinweisen zu schliessen, vor 1259 erstellt. Ein von den Massen (15 auf 21 m) und vom groben Mauerbild her mit dem Wädenswiler Turm gut vergleichbares Objekt ist schliesslich das Schloss Greifensee, auch das ein Werk des 13. Jahrhunderts, 1261 erstmals erwähnt3.
Versucht man nun, mit Hilfe von Greifensee oder Mörsburg den Freiherrenturm im Geist zu rekonstruieren, so gelingt dies doch nicht ganz: Auch diese Burgen haben die Zeit nicht unbeschadet überstanden und sind, besonders an ihren oberen Teilen und bei den Fenstern, in jüngerer Zeit verändert worden.
Megalithmauerwerk am Freiherrenturm der Burg Wädenswil.
Für Greifensee ist in Quellen des 15. Jahrhunderts das Bestehen eines hölzernen Oberbaus beschrieben. Ein solcher Holzgaden kann durchaus auch in Wädenswil bestanden haben; die älteste Abbildung des Freiherrenturms von 1488 in der Edlibach-Chronik bietet dazu als summarische Abbildung der Burg weder positive noch negative Anhaltspunkte.




Daniel Reicke

Anmerkungen

1 Die Angaben zum Steinmaterial verdanken wir P. Ziegler.
2 Wir verweisen auf die Dissertation des Verfassers.
3 Die Burg Wädenswil ist 1268 erstmals erwähnt.