Frühsport am Zürichsee

Die Geschichte des Sports am Zürichsee, erzählt am Beispiel Wädenswil

Quelle: Seesicht, Nr. 3, Juni/Juli 2005 von Peter Ziegler

Körperliche Betätigung ist längst zur erstrangigen Freizeitgestaltung geworden, Sport ist «in». Gerade um den Zürichsee finden sich Sportvereine, Badis und Hallenbäder, Fitness- und Wellness-Center in reicher Zahl. Marathonläufe und Skater-Events locken die Massen an die Seestrasse, und sportliche Menschen gelten überhaupt als geselliger und attraktiver − man lese nur die Kontaktanzeigen in der Zeitung: «Sportlich» dürfte das wohl meistgefragte Attribut bei der Partnersuche sein.
Kurz: Freizeitgewinn, immer mehr verlockende Angebote, medizinische Aufklärung und wohl auch persönliche Einsicht haben dem Sport zur heutigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedeutung verholfen. Welcher Wertewandel sich dahinter verbirgt, zeigt die Geschichte des Sports in der Zürichsee-Region am Beispiel von Wädenswil.
 

Die ersten Turnvereine

Das moderne Vereinswesen − das heute für viele Sportarten zentral ist − hat seine Wurzeln in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in der Epoche der Aufklärung. Die Helvetik, die um 1800 allen Bürgern Gleichberechtigung verhiess und die früheren Standesunterschiede abschaffte, gab Auftrieb. Tonangebend wurden vor allem die Turn- und Schützenvereine. Hier entwickelten sich neue Formen eines kollektiven Zusammenseins, hier wurde Gleichberechtigung konkret gelebt. Die liberale Bewegung der 1830er-Jahre und die Gründung des Bundesstaates 1848 brachten dem Vereinswesen weiteren Aufschwung.
1848 war auch das Jahr, in dem der Turnverein Wädenswil von zehn Jungmännern gegründet wurde. Anfänglich turnen sie noch versteckt hinter den Mauern des zur Wirtschaft «Krone» gehörenden Gartens, dann in einer Werkstatt im Hause des Bierlokals «zur Hamburg» an der Buckstrasse. 1853 erhielt der Verein erste Statuten und einen Vorstand; 1856 nahm er mit seiner neuen Fahne am Eidgenössischen Turnfest in Winterthur teil. 1862 dann spaltete sich vom Turnverein Wädenswil der Männerturnverein ab, der in seiner Gründungszeit stark politischen Charakter hatte und mitunter auch Wahlgeschäfte der Gemeinde vorbereitete. Prominentestes Mitglied war der Gerber Walter Hauser (1837–1902), der sich in den 1860er-Jahren der Demokratischen Bewegung anschloss und in der Folge Kantonsrat, Regierungsrat, Nationalrat und schliesslich 1888 Bundesrat wurde. Immer wieder betonte Hauser, dass ihm die Turner diese politische Laufbahn ermöglicht hätten.
In anderen Zürichsee-Gemeinden gab es ähnliche Bestrebungen. Der Arzt Rudolf Brunner gründete 1861 den Turnverein Küsnacht, 1862 entstand ein Turnverein in Horgen, 1864 in Thalwil, 1865 in Männedorf, 1868 in Richterswil und 1872 in Stäfa. Geturnt wurde meist in Wirtschaftssälen oder im Freien. Wädenswil baute 1871 einen hölzernen Turnschopf, der nun auch dem 1859 obligatorisch eingeführten Turnunterricht der Schule diente.
Turnschopf, erbaut 1871, abgebrochen 1964.
 

Jedem seine Riege

Je populärer die Leibesübungen im 20. Jahrhundert wurden, desto mehr Untersektionen bildeten sich in den Turnvereinen: In Wädenswil entstanden 1923 eine Knabenriege, 1929 eine Damen- und Frauenriege, 1932 eine Mädchenriege, 1934 eine Skiriege, 1936 die Frauenriege I, 1949 die Damenriege und 1976 eine aus der Frauenriege hervorgegangene Volleyballriege.
Damenriege des Turnvereins Wädenswil, 1930.

Selbst politisch wollte man zunehmend unter seinesgleichen turnen: Neben dem bürgerlichen Turnverein Wädenswil gab es ab 1898 den Arbeiterturnverein Satus und ab 1910 die Männerriege Satus. Auch bei den Wädenswiler Schützen wirkte sich die Politik aus: Zum Schützenverein kam der Arbeiterschiessverein.
Gelegentlich gab es auch bereits Fusionen, so schlossen sich 1901 der Militärschiessverein (gegründet 1840), der Feldschützenverein (1856) und die Schützengesellschaft (1891) zum Schützenverein Wädenswil zusammen. Daneben bildeten sich aber bereits wieder neue Spezialvereine, so der Sportschützenverein und der Flobertschützenverein im Jahre 1907, 1910 der Pistolenschiessverein und 1927 die Schützengesellschaft Au. Der Sport war zu einem Mittel der Individualisierung geworden.
Schützenstand Steinacher.
 

Vom Volks- zum Exklusivsport und zurück

Natürlich war Sport auch früh schon ein Vehikel der gesellschaftlichen Differenzierung. Wo die sportliche Bestätigung an bestimmte Voraussetzungen geknüpft war − Besitz von Geräten, spezielle Kleidung, Beitrittsgelder oder hohe Jahresbeiträge − blieb sie lange Zeit denen vorbehalten, die sich das auch leisten konnten. Beispiele für solche «mehrbesseren» Sportvereine waren in Wädenswil der Veloclub, der Seeclub und der Tennisclub.
Im 1890 gegründeten Veloclub waren eine einheitliche Kopfbedeckung und später das dunkle Rennleibchen obligatorisch. Mit eigenem Rad wurde schon 1892 eine Ausfahrt zum Obersee unternommen. In Fahrübungen lernte man «in corpore schneidiger aufreihen, besser aufsitzen und abspringen.» Damals war dies ein exklusives Vergnügen, denn das Fahrrad hatte sich noch nicht lange als Fortbewegungsmittel für jedermann durchgesetzt.
Veloclub Wädenswil um 1900.

Noch distinguierter war der Seeclub Wädenswil, im Jahre 1901 gegründet von zwölf Herren, − meist Industrielle und deren Söhne − mit zwei Privatbooten und einem Clubboot. Seit 1906 verfügte er über ein eigenes Bootshaus im «Giessen». Der Seeclub öffnete sich mit den Jahren und nahm ab 1976 auch Frauen als Vollmitglieder auf. Im Jubiläumsjahr 2001 umfasste sein Park rund 30 Boote verschiedener Kategorien.
Als Luxussport galt lange Zeit auch Tennis. Der 1933 gegründete Tennisclub Wädenswil besass ob der Unteren Weidstrasse zwei Tennisplätze und ein Clubhaus. Als Nachbarskind stand ich unzählige Stunden am Gitter in der Hoffnung, jemand von den weiss gekleideten Damen und Herren möge mich als Ballbuben engagieren, was etwas Sackgeld verhiess. Einige Jahrzehnte später war aber auch Tennis zum Breitensport geworden, und als der mittlerweile ins Oberort/Au verlegte Club keine neuen Mitglieder mehr aufnehmen konnte, kam es 1978 zur Gründung eines zweiten Tennisclubs, des TC Neubüel. Spätestens damit war Tennis in Wädenswil ein Sport (fast) wie jeder andere geworden.
Tennisplatz im zwischen Unter und Oberer Weidstrasse.

Misstrauisch beäugter Fussball

Viele Sport-Impulse kamen auch dem Ausland in die Schweiz, namentlich der Fussball. So waren es britische Studenten und junge Kaufleute, die sich in England aufgehalten hatten, die 1879 den ersten Fussballclub der deutschen Schweiz gründeten: den FC St. Gallen.
Englische Praktikanten der Seidenfirma Gessner waren es auch, die 1896 in Wädenswil als erste Fussball spielten. Als Spielfeld diente die Wiese bei der Fabrik, und schnell ging das Fussballfieber auf die zuschauenden ortsansässigen Jung-Kaufleute über.
Die Wädenswiler Bevölkerung allerdings zeigte sich gegenüber dem kampfbetonten und lauten Sport misstrauisch und zurückhaltend: Die Fussballer mussten sich anfangs gegen grosse Widerstände der Lehrerschaft, der Kirche, der Behörden und selbst der Eltern zur Wehr setzen. Dennoch liess sich 1898 die Gründung eines «Fussballclubs Wädensweil» nicht aufhalten, und 1899 erschien im «Allgemeinen Anzeiger vom Zürichsee» die erste Fussball-Reportage.
Nachdem der stetig wachsende Club auf verschiedensten Wiesen gespielt hatte, erhielt er 1922 schliesslich auf der «Schönegg» einen Fussballplatz. Und heute ist der in der Beichlen spielende FC der grösste Verein in Wädenswil.
Fussballplatz Schönegg.

Die Entwicklung und Bedeutung der Sportvereine im heutigen Gemeindeleben lässt sich nicht nur in Wädenswil aufzeigen, sondern fast in allen Gemeinde am See. Man stand schon immer miteinander in Kontakt, ahme Vereinsgründungen und gute Ideen nach, und so ist der Zürichsee heute eine mit sportlichen Angeboten überaus gut versorgte Region − angesichts des steigenden Durchschnittsalters in unseren wohlhabenden Gemeinden sicher eine wichtige und sinnvolle Sache. Es gilt nun nur noch, sich aufzuraffen und das vielseitige Angebot auch zu nutzen.




Peter Ziegler