Die Landwirtschaft in der Stadt Wädenswil

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1975 von Arnold Zollinger

Ich darf voller Stolz über eine kleine Minderheit am Rande unserer aufstrebenden Stadt berichten. Noch rund hundert Landwirtschaftsbetriebe, welche fast ohne Ausnahme sehr intensiv bewirtschaftet und bestmöglich geführt werden, liegen verstreut in unserer herrlichen Landschaft.
Wir produzieren in erster Linie Milch, dann Obst, Fleisch und wenig Getreide. Diese Richtung wird von der geographischen Lage her diktiert. Die grosse Niederschlagsmenge erschwert den Ackerbau derart, dass er unrentabel wird. Schon unsere Vorfahren haben dies sehr früh erkannt und haben Mostobst-Bäume gepflanzt nach dem Motto: Hast du einen Raum, dann pflanze einen Baum.
Um die Jahrhundertwende wurde die Obst- und Weinbaugenossenschaft gegründet. Weitsichtige Männer erkannten, dass eine gemeinsame Verarbeitung rationeller sei.
Nur etwa ein Dezennium später wurde, der gleichen Gründe wegen, die Molkereigenossenschaft gegründet. Die alten Senntenbetriebe wurden nach und nach aufgehoben.
Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg konnte in der Beichlen eine Grastrocknungs-Anlage in Betrieb genommen werden, welche auch von einer Genossenschaft getragen wird. Die Tatsache, dass beide überregionalen Genossenschaften − OWG und Grastrocknung − als Sitz Wädenswil gewählt haben, beweist, dass damals wie heute Wädenswil die grösste Bauerngemeinde im Bezirk und eine der grössten im Kanton ist.
Der heutige Bauer ist ein Unternehmer wie jeder andere. In seinem Äusseren gleicht er sehr oft dem Städter, in seinem Inneren jedoch ist er Bauer geblieben, wie er es geerbt hat von seinen Vorfahren.
Landwirt kann heute erlernt und studiert werden; ein rechter Bauer jedoch muss dazu geboren sein.
Bauer sein
von Werner Augsburger, Verlag «Ewige Heimat», 1941
 
Bauer sein, heisst nicht verzagen,
Heisst die Hoffnung stets erneuen,
Mag sie noch so oft fehlschlagen,
Gilt's doch neue Saat zu streuen.
 
Bauer sein, heisst manches tragen
Wohl in Demut, doch mit Stärke,
Heisst nicht lange mutlos fragen,
Sondern gehen frisch zu Werke.
 
Bauer sein, heisst wägen, wagen
Und in stetem Gottvertraun
Nach den mühsam Erntetagen
Säend in die Zukunft schauen.

Trotz der grossen Bautätigkeit der letzten Jahre und der Pflanzung von Intensivobst-Anlagen haben wir einen Rindviehbestand von insgesamt 2100 Stück. Dies ist nur möglich dank dem Anbau von Silomais. Aber auch die Wiesen werden durch neue Düngungsmethoden viel optimaler genutzt. Als Höhepunkt des Bauernjahres wird von den meisten die Viehprämierung angesehen. Immer am 3. Donnerstag im Oktober treiben die einzelnen Züchter ihre Herden ins Oedischwänd. Dort stellen sie ihre gepflegten Tiere einer gestrengen Jury von fünf Mann zur Beurteilung.
Ich glaube, dass an diesem Tag so ziemlich alle Berufskollegen vertreten sind, und sei es nur, um die Zuchterfolge der Nachbarn zu bewundern oder sich in der Festwirtschaft ein wenig zu unterhalten. Es würde mich sehr freuen, wenn noch mehr Gäste aus der Stadt den Weg unter die Füsse nähmen, um mit uns zu feiern; denn nie ist die Gelegenheit besser, den Kontakt zwischen Stadt und Land zu vertiefen.
An diesem Tag präsentiert sich auch unsere Jugend. Mit Gummistiefeln und einem Stock in der Hand − vom dreijährigen Käsehoch bis zur heiratsfähigen Tochter − kommen sie alle zur Festwirtschaft, um Süssmost zu trinken, eine schmackhafte Rostbratwurst zu essen oder beim Beck eine Cremeschnitte zu kaufen.
Manch älterer Bauer sieht verstohlen dem bunten Treiben zu und freut sich an unserer Jugend, denn er weiss, dass der Fortbestand der Wädenswiler Landwirtschaft gesichert ist.




Arnold Zollinger