50 JAHRE ST.-ANNA-KAPELLE

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 2006 von Peter Ziegler

Am Sonntag, 25. Juni 2006, versammelten sich viele Leute in der St.-Anna-Kapelle im Wädenswiler Berg zum Festgottesdienst mit Predigt von Pfarrer Peter Camenzind. Gedacht wurde der Weihe dieser Kapelle vor fünfzig Jahren. Der Katholische Kirchenchor unter der Leitung von Josef Schelbert, die Trompeter Bachofner und Geiger sowie der Organist Michael Pelzel bereicherten den Anlass mit ihren musikalischen Darbietungen. Beim anschliessenden Apéro trafen sich ehemalige Bauleute und tauschten Erinnerungen aus. Im Zelt auf dem nahen Parkplatz genossen Gäste und Kirchgänger das Mittagessen. Der Vizepräsident der katholischen Kirchenpflege, Hans Keist, erinnerte in seiner Rede an die Geschichte des Kapellenbaus vor fünfzig Jahren.

BAU IN FRONARBEIT

Zu Beginn der 1950er Jahre waren die im Wädenswiler Berg wohnenden Katholiken nicht auf Rosen gebettet und besassen kaum Autos. So erwies sich für sie der Weg zum Gottesdienst in die Pfarrkirche im Dorf als mühsam. Die Kapelle im Walder in Samstagern hingegen konnte mit dem Velo leicht erreicht werden. Dies führte dazu, dass diese Kapelle bei jedem Gottesdienst überfüllt war. Der Wädenswiler Pfarrer Walter Risi suchte daher nach einer neuen Lösung. Er schlug den Bau einer Kapelle im Wädenswiler Berg vor, zwischen Beichlen und Neubüel.
Als geschenktes Bauland in der Neumatt in Aussicht stand und die Katholiken im Berg von der Notwendigkeit eines Kapellenbaus überzeugt waren, ging es an die Realisierung. Der Architekt Dr. Ferdinand Pfammatter, Zürich, sowie das Ingenieurbüro Dr. Krobisch in Zürich zeichneten die Pläne. Der Wädenswiler Vikar Otto Imbach übernahm die Bauleitung, zusammen mit Fachleuten ansässiger Firmen, die alle im Frondienst arbeiteten. Pfarrer Walter Risi war als Bettelprediger in finanzstarken Pfarreien unterwegs, verschickte weit herum Bettelbriefe und beschaffte so die notwendigen Finanzen. Wer keinen Frondienst leisten konnte, unterstützte den Bau mit Basars, dem Sammeln von Altpapier und dem Kauf von Bausteinen.

KAPELLENWEIHE

Im Frühsommer 1955 wurde der Grundstein gelegt, und am Auffahrtstag 1956 konnte der Churer Bischof Christianus Caminada die Kapelle zu Ehren der heiligen Anna, der Mutter von Maria, und des heiligen Wendelin, des Patrons der Bauleute, einsegnen.
Der «Allgemeine Anzeiger vom Zürichsee» berichtete am folgenden Tag, in der Ausgabe vom 12. Mai 1956, über das denkwürdige Ereignis unter anderem Folgendes: «Die eindrückliche Weihe vollzog Dr. Christianus Caminada, Bischof von Chur, begleitet von Generalvikar Dr. Vonderach, von Direktor Schnyder als Betreuer der Inländischen Mission und von Pfarrer Telle, Horgen, als Dekan des Kreises Albis. Im ersten heiligen Messopfer gestaltete das Volk von Wädenswil einen kraftvollen Gemeinschaftsgottesdienst. In einem Festzelt versammelten sich über 150 Personen zu einem gemeinsamen Mittagessen. Was die Gehöfte der Bauern im Berg herzugeben hatten, kam auf den Tisch: die Suppen, die Metzgeten, die Gemüse, die Desserts. So wurde das Kapellenweihmahl auch Unterstützung des Kapellenbaus. Die eigentliche Weihepredigt schenkte am Nachmittag Pfarrer Lehmann in Wollerau. Bei der Maiandacht am Abend sprach schwesterliche Liebe der Nachbarkirche Schönenberg aus der Marienminne von Pfarrer Heeb.»
Weltliche Kilbenen haben ihren Ursprung bei den religiösen Kirchweihen. Der Nachmittag und der Abend des Kapellweihfestes standen daher im Zeichen eines weltlichen Unterhaltungsprogramms mit Festwirtschaft, Gesang, Musik, Tanz, Schiessbuden, Tombola und Kutschenfahrten durch den in Blüte stehenden Wädenswiler Berg. Dazu der Berichterstatter in der Lokalzeitung: «Die Vereine überboten sich nachmittags und abends in ihren Darbietungen, Kirchenchor, Sängerkollegium, Jodelclub Wädenswil, Männerchor Langrüti, Gemischter Chor Langrüti, Jodelchor Samstagern, Handharmonikaklub Wädenswil, Musikanten aus allen Reihen.»

St.-Anna-Kapelle, geweiht an Auffahrt 1956.

ARCHITEKTUR UND KÜNSTLERISCHER SCHMUCK

Die St.-Anna-Kapelle orientiert sich an traditionellen Formen des Sakralbaus und wirkt dennoch modern. Dem Gottesdienstraum schliesst sich gegen Nordwesten der erhöhte Chor an. Beide sind mit steilen Satteldächern gedeckt. Auf der Südseite des Chors befindet sich unter Schleppdach die Sakristei. Im spitzen Dachreiter aus Kupfer hängen zwei Glocken. Die je drei Fenster in den Längsseiten der Kapelle weisen eine Gitterstruktur aus Beton auf.
Am fünften Jahrestag der Kapellenkonsekration, am 29. Mai 1960, segnete Abt Leonhard Bösch von Engelberg das neue Chorfenster in der St.-Anna-Kapelle ein. Die Technik des von Pater Karl Stadler aus dem Kloster Engelberg geschaffenen Kunstwerks wurde am 28. Mai 1960 im «Allgemeinen Anzeiger vom Zürichsee» mit folgenden Worten gewürdigt: «Das beherrschende, sieben Meter hohe und vier Meter breite Chorfenster verlockte zu jener neuzeitlichen Ausführung in Dalles-de-verre-Technik, die von Frankreich her den Ausgang genommen hat. Diese Dall-Gläser, eine Art von zirka 3 cm dicken Glasbausteinen, werden mit dem Hammer manuell auf die nötige Form und Grösse geschlagen. Die Glastiefe bewirkt eine vollere Farbigkeit, während die Lichtbrechung an den behauenen Partien eine grössere Leuchtflut hervorzaubert. Jedes einzelne kleine und grosse Glasstück wird mit Draht oder Eisen zur Armierung umfasst. Die mosaikartig zusammengesetzten, auf einer speziellen Unterlage ausgebreiteten Glasstücke werden hernach in allen Fugen mit Beton umgossen, sodass eine konstruktive Wand aus Glas und Betonelementen entsteht. Für die neuzeitlichen Betonbauten sind deshalb die Dalles-de-verre eine stilechte Ausschmückung. Auch in der St.-Anna-Kapelle ergeben sowohl die Seitenfenster als nun das neue Chorfenster mit dem hochragenden Betonbinder eine wesensgemässe Einheit.»
Für das Chorfenster über dem Altar der St.-Anna-Kapelle wurde eine bedeutende Aussage und Darstellung gewählt: Christus der Keltertreter (Buch Jesaja, Kapitel 63, Verse 1 bis 6). Im Bildnis des Keltertreters presst Christus mit seiner eigenen Gestalt die Traube aus; er bereitet das Opferblut der Rebe. Das Opferblut ist aber zugleich sein Blut. Deswegen ist Christus selbst in eine Kelter eingespannt, die aus ihm das Blut hervorpresst. Der Keltertreter bereitet den Wein, wird aber gleichzeitig selber zum Wein, indem die Kelter ihn auspresst. Das tiefrot leuchtende Gewand Christi weist hin auf die blutige Verschenkung Christi im Kreuzestod. Unterhalb der Kelter fliessen die Ströme des Rebenblutes hervor, welche die sieben blutroten Kelche füllen, Symbole für die sieben Sakramente.
Für die weitere Würdigung des Chorfensters folgen wir wieder der kunstgeschichtlichen Beschreibung in der Lokalzeitung vom 28. Mai 1960: «Die Seitenpartien des Chorbildes zeigen die Notwendigkeit und den Segen des Christusopfers auf. Fluchgebeugt mit der Gebärde der Reue und der Last der Arbeit repräsentiert Adam die Erlösungsbedürftigkeit des Menschen.
Er stellt aber auch den Mann der Scholle, den Ackersmann dar, der im Schweisse seines Angesichtes das Brot verdient. Die Diesseitigkeit menschlicher Lust und die Tragik des menschlichen Sündenfalles werden kund im Bilde des entblössten Weibes Eva. Diese linke Seitenpartie wird von oben her beherrscht durch die teuflische Fratze der Schlange.
Auf der rechten Seitenpartie geht der Weg des Heils. Er beginnt mit der Ahnmutter Christi, die nach einer frühen Überlieferung den Namen Anna trägt. Anna verkörpert jene starke Frau, wie sie im Buch der Weisheit geschildert ist. Sie arbeitet, die Fäden ordnend, am Gespinst; als orientalische Frau hütet sie auch den Wasserkrug. Durch ihre Tochter Maria führt sie näher auf Jesus zu. In der edlen Gebärde der empfangenden und Gott zugewendeten Jungfrau leuchtet Marias edle Gestalt. Über ihr erkennen wir das Kind, durch das der Welt das Heil gekommen ist. – In der rechten Seitenpartie des Chorfensters hat die St.-Anna-Kapelle durch die Gestalt der Patronin Ausdruck und Auszeichnung bekommen. – Die ganze bildliche Komposition des Chorfensters ist überragt von der Darstellung der Heiligen Geistes in Taubengestalt.» Soweit die theologische und kunsthistorische Würdigung aus dem Jahre 1960.
Als weitere Bereicherung des Kapellenraums ist die von der Firma Kuhn AG in Männedorf gebaute Orgel zu erwähnen. Sie wurde 1974 auf der Empore über dem Eingang aufgestellt.

Christus der Keltertreter, Chorfenster von 1960.

NAMENGEBUNG

Die St.-Anna-Kapelle steht an einem der alten Pilgerwege, die von Zürich nach Maria Einsiedeln führten. Heute sind es kaum mehr Pilger, die hier vorbeikommen. Dafür setzen sich viele Spaziergänger und Wanderer für einen Moment der Ruhe in die Kapelle. Brautleute wählen den Ort für ihre Trauung aus. Zudem wird hier jeden Sonntag Gottesdienst gefeiert.
Der Name St.-Anna-Kapelle knüpft an eine mündliche Tradition an, die bis etwa 1750 zurückreicht. Dieser zufolge soll der Name des Weilers Tanne an der Strasse von Beichlen nach Schönenberg aus Sankt Anne entstanden sein, indem das t dem Heiligennamen vorangestellt wurde. Im Gemeinderodel Schönenberg aus dem Jahre 1800 wird die Gegend «Tannen oder bey St. Anna» genannt. Dies scheint darauf hinzudeuten, dass hier in vorreformatorischer Zeit ein Bildstöcklein zur Verehrung der heiligen Anna, der Mutter Mariens, gestanden hat.
 




Peter Ziegler


Quellen- und Literaturnachweis

Allgemeiner Anzeiger vom Zürichsee, 12. Mai 1956: Kapellweihtag St. Anna im Berg.
Allgemeiner Anzeiger vom Zürichsee, 28. Mai 1960: Das neue Chorfenster in der St. Annakapelle, Wädenswiler Berg.
Zürichsee-Zeitung, linkes Ufer, 8. Juli 2006: Kapelle von und für die Bergler.
Peter Ziegler, Wädenswil – Vergangenheit und Gegenwart in Bildern, Wädenswil 1962, S. 83.
Peter Ziegler, Kirchen und Kapellen rund um den Zürichsee, Stäfa 2000, S. 174/175.