Kinder machen Zirkus

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1985 von Hans Scheidegger

Eine Projektwoche mit dem Circolino Pipistrello

In der ersten Novemberwoche 1984 hatte der Circolino Pipistrello auf dem Areal der Schulanlage Eidmatt sein Zelt und seinen kleinen Wagenpark aufgestellt. Er war gekommen, um – unter Mithilfe aller Lehrkräfte – mit unseren Schülern während einer Projektwoche zu arbeiten und ein «abendfüllendes» Kinder-Programm zusammenzustellen.
Der Circolino Pipistrello unterscheidet sich vom uns allen vertrauten Zirkus in mehreren Punkten. Zwar treten seine etwa 12 Mitglieder an einigen Wochenabenden auch mit einem eigenen Programm vor das Publikum. (Das aktuelle stellte eine geglückte Mischung von Artistik, Theater, Musik und Klamauk, aber auch von Besinnlichkeit und Verträumtheit dar.) In erster Linie aber ist der Circolino ein Mitspiel- und Mitmachzirkus; die Kinder können für einmal in die Rolle des Planenden, Erarbeitenden, Darstellenden schlüpfen und so die faszinierende Zirkuswelt gewissermassen von innen und am eigenen Leib erleben.
Am Dienstagnachmittag konnten die Kinder unter den vielen angebotenen Tätigkeiten die ihnen am besten zusagende auswählen. Es waren dies unter anderem: Clownnummern, Fakirkünste, Fassrollen, Einradfahren, Zaubern, Akrobatik , Breakdance, Seiltanzen, einschlägige Kunststücke für Kraftmenschen usw. Kinder, die lieber nicht artistisch auftreten nähten Kostüme, bauten Kulissen, verfassten eine Zirkuszeitung, buken Guetzli oder spielten in der Z irkuskapelle. So atmete denn die ganze Eidmatt während der folgenden Tage Zirkusluft. Am Morgen und am Nachmittag wurde jeweils unter Anleitung von Zirkusmitgliedern und Lehrerschaft in der Turnhalle, in Zimmern und Korridoren, im Zirkuszelt und im Freien fleissig und fröhlich geübt, gebacken, genäht und geschrieben, bis endlich am Samstag und Sonntag das bühnenreife Programm Eltern, Verwandten und Bekannten dar-geboten werden konnte.
Die Kinder der «Pressegruppe» haben während der Proben verschiedene ihrer Kameradinnen und Kameraden nach ihren Eindrücken gefragt. Hier eine kleine Auswahl:
- Ich finde es toll, dass es einen Zirkus gibt, der Kinder mitmachen lässt.
- Won ich chlii gsi bin, hani immer wele imene Zirkus sii, und jetz isch er plötzli daa.
- Es gibt so viele Möglichkeiten zum Auswählen, jedes Kind kann da mitspielen, wo es ihm am besten gefällt.
- Die Zirkusleute sind sehr nett zu uns. Sie verstehen uns. Sie lassen uns Zeit zum Üben.
- Mir gefällt es, dass grosse und kleine Kinder zusammen arbeiten.
Seiltanz.

Schmetterlingtanz.

Was waren denn aber die Gründe, eine Zirkuswoche durchzuführen?
- Sie vermittelt den Kindern Erlebnisse und Erfahrungen in Bereichen, die im üblichen Schulunterricht oft zu kurz kommen.
- Sie fördert die Gemeinschaft und die Rücksichtnahme, arbeiten doch in den einzelnen Gruppen Kinder verschiedenen Alters vom Kindergarten bis zur sechsten Klasse.
- Sie gibt dem Klassenlehrer die Möglichkeit, ein die Kinder brennend interessierendes Stoffgebiet in den verschiedenen Schulfächern auszuwerten.
Jonglieren mit Keulen.


Pyramide.


Jonglieren mit Ringen.


Fasslaufen.


Beobachtungen während und nach der Projektwoche haben deutlich gezeigt, dass sich der Aufwand mehr als gelohnt hat. Die folgenden Gedanken mögen das − stellvertretend für etliche weitere − bezeugen.
- Da jedes Kind seine Tätigkei frei wählen konnte, ergaben sich in der Regel recht unterschiedlich zusammengesetzte Gruppen: Alter und Klassenzugehörigkeit die waren bunt gemischt. Die Kinder haben sehr bald gemerkt, dass eine erfreuliche, befriedigende Gruppenleistung nur zustande kommen kann, wenn alle in der Gruppe als vollwertig und wesentlich wahrgenommen werden, vom KindergärtIer bis zum Sechstklässler, wenn es gelingt, die recht unterschiedlichen Talente und auch die verschiedenen Ideen und Vorlieben einzubeziehen und aufzunehmen.
- Die Zirkuswoche hat natürlich über weite Strecken ganz andere Bereiche angesprochen als der übliche Unterricht; ganz andere Fähigkeiten waren wichtig und halfen weiter. Mancher kleine Knirps, mancher schulisch Schwache hat ein Können entwickelt, das Staunen machte. Daneben hat der eine oder andere Schulzimmer-Tausendsassa zu spüren bekommen, wie einem zumute ist, wenn man schwer begreift und lange üben muss.
- Während der Projektwoche angeknüpfte Beziehungen zwischen Kindern verschiedener Klassen und Altersstufen haben oft lange Zeit angedauert. Das liess sich in den Pausen sehr schön beobachten.




Hans Scheidegger