Das gescheiterte Regionalspital Eichweid

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 2007 Adrian Scherrer

Rasant wachsende Bevölkerung, zunehmende Mobilität, volle Kassen: In den späten sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts schien vieles machbar, was heute keine Chance mehr hätte. Von den hochfliegenden Plänen wurden freilich längst nicht alle realisiert. Der Neubau eines Spitals in der Eichweid gehört zu diesen gescheiterten Projekten, auch wenn seine Realisierung im Gegensatz zu manchen utopischen Vorhaben zeitweise in greifbarer Nähe lag.
Mitte der sechziger Jahre erschien das 1934/35 erbaute Krankenhaus Wädenswil «in jeder Hinsicht gänzlich unbefriedigend».1 Statt an eine Renovation dachte eine 1964 von der Spitalstiftung eingesetzte Baukommission in eine andere Richtung: Weil man mit einer «weiter rasch voranschreitenden» Bevölkerungszunahme rechnete, musste ein bedeutend grösserer Neubau her. Nachdem die kantonale Gesundheitsdirektion in der «Zürcher Krankenhausplanung» 1965 bereits festgestellt hatte, dass die Einzugsgebiete der Spitäler Wädenswil und Richterswil für sich je zu klein waren, begann man zusammen mit Richterswil ein Regionalspital ins Auge zu fassen. Nur ein gemeinsames Regionalspital sei gross genug, um drei getrennte Abteilungen für Chirurgie, Geburten und Innere Medizin mit je einem eigenen Chefarzt zu realisieren, war der Kern der Überlegungen.
Ein Hochhaus auf dem bestehenden Spitalareal an der Schlossbergstrasse zu errichten, schien «städtebaulich ungünstig». Auf der Suche nach einer anderen Lösung der Platzprobleme war die Baukommission schliesslich in der Eichweid fündig geworden: Auf dem Areal oberhalb der Walther-Hauser-Strasse sollte zwischen der Freiherrenstrasse und der Einmündung der Neuguetstrasse ein gänzlich neues Krankenhaus errichtet werden. Im April 1968 stimmte die Gemeindeversammlung zu, dass die Gemeinde 30000 Quadratmeter Land für ein neues Regionalspital erwerbe.2

GROSSZÜGIGE PLANUNG

1969 wurde unter der Leitung von Gemeindepräsident Fritz Störi eine «Studienkommission Regionalspital» ins Leben gerufen. Ihr gehörten neben Wädenswiler Politikern auch Vertreter der Gemeinden Richterswil, Hütten und Schönenberg sowie alle Kadermitarbeiter der Spitäler Wädenswil und Richterswil an. Einen ersten Projektierungskredit von 90000 Franken, mit dem das Vorhaben konkretisiert werden sollte, genehmigte die Gemeindeversammlung Ende Juni 1970 mit deutlicher Mehrheit.3 Die Studienkommission schrieb darauf einen Wettbewerb für einen Spitalneubau aus. Siegreich ging daraus 1972 das Projekt der Zürcher Architekten Schindler, Spitznagel, Burkhard hervor, die kurz zuvor schon in Zürich die Spitäler Triemli und Balgrist gebaut hatten. «Die Bauten fügen sich ohne übermässige Höhenentwicklung gut ins Gelände ein. [...] Die architektonische Haltung des Projekts zeichnet sich durch Einfachheit und Klarheit aus. Sie wirkt ­massstäblich angenehm, wenn auch im Ganzen etwas spannungslos», urteilte die Jury.4
Der nächste Schritt war dann wieder politisch: Den Gemeindeversammlungen der vier beteiligten Gemeinden beantragten die Exekutiven, einen Zweckverband «Regionalspital Wädenswil» zu gründen.5 In Wädenswil war der Antrag praktisch unbestritten und wurde wie auch in den Berggemeinden klar angenommen.6 Richterswil zeigte sich etwas skeptischer, weil sein Spital im Gegensatz zum Wädenswiler Krankenhaus nicht so dringend sanierungsbedürftig war. Aufgrund der Spitalplanung von 1965, die sich für eine regionale Zusammenlegung geäussert hatte, durfte man jedoch für weitere Ausbauten kaum mehr mit kantonalen Subventionen rechnen. «Der Gemeinde (bleibt) praktisch keine Wahl, als sich aktiv am Zweckverband zu beteiligen», formulierte es der Richterswiler Gemeindepräsident Hans Grämiger. Auch Richterswil stimmte in der Folge dem Zweckverband zu.7 Zwei Monate später segnete der Regierungsrat den Zweckverband ab.8
Parallel dazu wurde das Detailprojekt für das neue Regionalspital in der Eichweid ausgearbeitet. Es lag im Herbst 1972 vor. Das Gebäude war zweiteilig geplant: Ein flacher, abgetreppter Bau mit den medizinischen Einrichtungen und vier Operationssälen sowie ein achtstöckiges, 25 Meter hohes Bettenhochhaus. Es war auf 180 Betten ausgelegt und baulich so geplant, dass es in einer zweiten Etappe um sechzig weitere Betten hätte ergänzt werden können. Auch wenn Vergleiche mit heute wegen der stark veränderten medizinischen Ausgangslage nur mit Vorsicht zu geniessen sind, scheint diese Planung recht grosszügig gewesen zu sein: Das Spital Zimmerberg in Horgen verfügt heute über 115 stationäre Betten und drei Operationssäle.
Modell des Regionalspitals Eichweid. Illustration in der Weisung zur Urnenabstimmung vom 4. März 1973.

Die Planung rechnete damit, dass das neue Spital 1980 fertig gestellt sei. Nachdem die Natur- und Heimatschutzkommission am Spitalprojekt nichts auszusetzen fand, stellte die kantonale Baudirektion eine Hochhausgenehmigung in Aussicht. Allerdings sollte eine dunkle Fassadenverkleidung verwendet werden, damit das Gebäude vom rechten Seeufer aus nicht zu stark sichtbar gewesen wäre.9 Die Kosten wurden mit insgesamt 72,6 Mio. Franken beziffert. Nach Abzug der kantonalen Subventionen von 82,5 Prozent blieb für Wädenswil – aufgeschlüsselt nach Steuerkraft und Bevölkerungszahl – ein Anteil an den Baukosten von 8,4 Mio. Franken. Richterswil sollte 3,0 Mio. Franken zahlen, Schönenberg rund 300000 Franken und Hütten knapp 150000 Franken. Die Erschliessung des Spitals war sowohl von Wädenswiler wie von Richterswiler Seite über eine ausgebaute Neuguetstrasse vorgesehen. Sie sollte von der heutigen Abzweigung Eichweidstrasse über das Neuguet bis zur Einsiedlerstrasse in der Burghalden so breit werden, wie das unterste Teilstück zwischen Schönenbergstrasse und Eichweidstrasse. Parallel zum Spital sollte sie auch gleich die damals im Neuguet geplante Kunsteisbahn10 erschliessen. Doch ein interner Bericht des Bausekretärs machte keinen Hehl daraus, dass die «südöstlichen Quartiere von Wädenswil die ausgebaute Strasse als bequeme Verbindung zum Autobahnanschluss Samstagern» benützen würden.11 Auch für die beiden alten Spitäler in Richterswil und Wädenswil war eine Lösung parat: Der neue Zweckverband wollte sie übernehmen und in Pflegeheime umbauen. Man rechnete damit, dass der Bedarf an Pflegeheim-Betten in naher Zukunft stark ansteigen würde, weil das erst 1972 eingerichtete Krankenheim Frohmatt bereits kurze Zeit nach der Betriebsaufnahme voll belegt war.

FINANZIELLE BEDENKEN

Die Volksabstimmung über das Spitalprojekt war in Wädenswil und Richterswil auf den 4. März 1973 angesetzt. Die im Weisungsheft auftauchenden Begriffe wie «Kostenexplosion im Gesundheitswesen», «Forderung nach hohem medizinischem Standard» und «zunehmende Spezialisierung» wirken auch aus der Distanz von 35 Jahren bemerkenswert aktuell. «Die Spitalplanung (kann) heute kaum mehr Aufgabe einer einzelnen Gemeinde sein», begründeten die Exekutiven im Weisungsheft die Vorlage für ein Regionalspital. Auch wenn diesen Grundsatz niemand ernsthaft bestritt, kam es im Vorfeld der Abstimmung in der Lokalpresse zu heftigen politischen Debatten.
Folgt man den Leserbriefen, erwiesen sich vor allem die Kosten als Fallstrick. Denn die Abstimmung fiel in eine ungünstige Zeit. Die öffentlichen Kassen waren leer, die jährliche Teuerung lag bei über zehn Prozent, man sprach von einer «überhitzten Konjunktur». Noch konnte zu diesem Zeitpunkt niemand ahnen, dass nur wenige Monate später die Ölkrise das jahrelange Wirtschaftswachstum nachhaltig erschüttern würde. Die Debatte eröffnete der Wädenswiler Arzt Ernst Howald mit einem Leserbrief, in dem er vorschlug, es sei günstiger, die bestehenden Spitäler in Wädenswil und Richterswil unter gemeinsamer Verwaltung zu spezialisieren – eines mit Chirurgie und Geburtenabteilung, das andere mit Innerer Medizin.12 Der Richterswiler Arzt Arnold Silberschmidt wies in einem Leserbrief auf die Schwierigkeit hin, alle künftigen Stellen zu besetzen – ein generelles Problem, das damals unter dem Schlagwort «Schwesternmangel» die Runde machte. Er schrieb von einem «Wunschtraumspital», das «dann wegen Personalmangel teilweise leer steht».13 Dann schaltete sich ein mehr oder weniger anonymes «Komitee der Ärzteschaft von Wädenswil» in die Abstimmungsdebatte ein: Man sei zwar für ein Regionalspital, aber nicht für dieses Projekt. Der Ausbau sei «ausserordentlich kostspielig und luxuriös», schrieb das Komitee.14 Moniert wurde überdies, dass die Umbaukosten für die alten Spitäler in Pflegeheime noch nicht bekannt seien und dass Wädenswil als damals noch bei weitem steuerkräftigste der vier Gemeinden 71,5 Prozent zahlen müsse, obwohl nach Bevölkerungsanteilen gerechnet nur 64 Prozent fällig gewesen wären.
Die Stimmung schien kurz vor der Abstimmung zu kippen, sodass die Studienkommission in der Presse vorrechnete, das Projekt in Wädenswil sei günstiger als die neuen Spitäler Limmattal und Wetzikon. Nachdrücklich wies sie darauf hin, dass die dezentrale Spezialisierung im Betrieb teuer und unbequem für die Patienten sei.15 Schliesslich warnte sie drohend, wenn das Projekt abgelehnt würde, hätte das linke Ufer das Nachsehen, weil dann alle verfügbaren kantonalen Mittel in die Ausbauten der Spitäler Männedorf und Bülach fliessen würden: «Falls dem Kredit nicht zugestimmt wird, verkümmern die beiden Krankenhäuser mangels Unterstützung des Kantons.»16
Spital Eichweid. Fotomontage für die Ausstellung «Schatzkammer Wädenswil», 2007.

In Wädenswil fiel der Entscheid an der Urne mit 58 Prozent Ja-Stimmen deutlich aus, nachdem alle Parteien die Ja-Parole herausgegeben hatten. In Richterswil dominierte dagegen die Skepsis: FDP und CVP hatten Stimmfreigabe beschlossen, die BGB gab die Nein-Parole heraus. Der Urnenentscheid fiel dann noch deutlicher als in Wädenswil aus: 60 Prozent sagten Nein. «Man muss sich fragen, ob wir wohl für die regionale Lösung von gemeinsamen Aufgaben noch nicht reif sind», kommentierte der «Allgemeine Anzeiger vom Zürichsee» am nächsten Tag sarkastisch.17 Trotz des negativen Abstimmungsausgangs stimmten die Berggemeinden einige Tage später an ihren Gemeindeversammlungen ebenfalls noch über das Spitalprojekt ab und genehmigten es fast einstimmig.18 Einen Einfluss auf den Abstimmungsausgang hatte dies allerdings nicht mehr, weil der Zweckverband für das Regionalspital nur zustande gekommen wäre, wenn die Baukredite von allen vier Gemeinden genehmigt worden wären.19
Nachdem das Projekt gescheitert war, zeichnete sich rasch die bereits im Abstimmungskampf vorgeschlagene «dezentrale Spezialisierung» als einziger gangbarer Weg ab.20 Der Weg zu einem Regionalspital wäre freilich auch bei einer Annahme noch weit gewesen: Der Staatsbeitrag an den Bau hätte einer kantonalen Volksabstimmung unterbreitet werden müssen.
In den folgenden Jahren wurden die Spitäler in Wädenswil und Richterswil individuell renoviert und umgebaut. 1976 trat das dezentrale Konzept in Kraft, das nun auch das Spital Horgen einbezog, nachdem die kantonale Krankenhausplanung 1975 erstmals ein einziges Spital für das ganze obere linke Seeufer postuliert hatte. Im Dezember 1976 hob der Regierungsrat die bisherigen Spitalkreise auf und fasste die Spitäler Horgen, Wädenswil und Richterswil zu einem einzigen Spitalkreis zusammen. Aus dem Spital Wädenswil wurde das Regionalspital für Innere Medizin und Radiologie, in Richterswil und Horgen wurden die Chirurgie und die Geburtshilfe eingerichtet. Schliesslich zwang dann der Kanton die kleinräumig organisierte Spitallandschaft am linken Seeufer endgültig zur Fusion. Das Spital Richterswil wurde 1994 an den Trägerverein Paracelsus-Spital verkauft, die Spitäler Wädenswil und Horgen 1999 im Spital Zimmerberg zusammengefasst.21 Im Herbst 2005 schloss das Krankenhaus Wädenswil seine Pforten, nachdem in Horgen die Erweiterungsbauten fertig waren. Was der damalige Chefarzt des Spitals Wädenswil, Ernst Häberlin, vor der Abstimmung über das Regionalspital in der Eichweid bereits 1973 in einem Leserbrief befürchtete, trat schliesslich ein: «Wenn diese Vorlage [...] verworfen würde, werden wir in absehbarer Zeit in Wädenswil überhaupt kein Akutspital mehr besitzen.»22




Adrian Scherrer

ANMERKUNGEN

1 Weisung des Gemeinderates über die Projektierung eines Regionalspitals, 23.6.1970, S. 5. Zur Geschichte des Spitals Wädenswil: Peter Ziegler, Spital Wädenswil 1886–1986, Wädenswil 1986.
2 AAZ, 18.4.1968.
3 AAZ, 24.6.1970.
4 Stadtarchiv 13.4.13, Bericht des Preisgerichts, undatiert.
5 Gemeinsames Weisungsheft für die Gemeindeversammlungen vom 21.6., 29.6. und 4.7.1972 in Wädenswil, Richterswil, Schönenberg und Hütten. Vgl. auch AAZ, 20.6.1972.
6 AAZ, 22.6.1972.
7 AAZ, 30.6.1972.
8 Stadtarchiv 13.4.13, Protokollmitteilung Regierungsrat, 6.9.1972.
9 Stadtarchiv 13.4.13, Bericht Natur- und Heimatschutzkommission des Kantons Zürich, 19.10.1972 und Vorentscheid Baudirektion, 12.12.1972.
10 E. Magdalena Preisig, Wädenswiler Eisbahnprojekte, in: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 2006, S. 73–83.
11 Stadtarchiv 13.4.13, Bericht Neuguetstrasse, 28.7. 1972.
12 AAZ, 21.2.1973.
13 AAZ, 27.2.1973.
14 AAZ, 28.2.1973.
15 AAZ, 24.2.1973.
16 AAZ, 1.3.1973 und 2.3.1973.
17 AAZ, 5.3.1973.
18 AAZ, 7.3.1973 und 8.3.1973.
19 AAZ, 4.4.1973.
20 Vgl. die Diskussion in AAZ, 31.3.1973, 6.4.1973 und 10.4.1973.
21 Vgl. ZSZ, 23.4.1998.
22 AAZ, 2.3.1973.