Die Wädenswiler Landwirtschaft

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1996 von Ernst Stocker
 
Nach wie vor zählt die Stadt Wädenswil zu den grössten Bauerngemeinden im Kanton Zürich. Über 70 Bauernfamilien leben auf ihren stattlichen Höfen im weitläufigen Wädenswiler Berg und in der Au. In den milden Lagen der Au und in der Nähe der Stadt treffen wir verschiedene Obst- und Weinbaubetriebe an. Der obere Teil des linken Zürichseeufers, mit seinen recht hohen Niederschlagsmengen, wird als futterwüchsiges Graswirtschaftsgebiet eingestuft. Deshalb dominiert seit jeher im Wädenswiler Berg die Viehzucht neben dem Ackerbau. Auch einige Schweinehalter sind im Berg zu finden. Vermehrt ist auf den Höfen, oder in nicht mehr für die Landwirtschaft gebrauchten Ökonomiegebäuden, Pferdehaltung anzutreffen. Die meist für Sport und Freizeit gehaltenen Pferde tragen auf verschiedenen Höfen zum landwirtschaftlichen Einkommen bei.
Auf der Geländeterrasse des Wädenswiler Berges finden viele Leute Erholung in einer intakten, vernetzten Landschaft. Wälder, Bäche und Streuwiesen sowie die die Landschaft prägenden Hochstammbäume charakterisieren unser Landschaftsbild. Was vom Erholungssuchenden positiv gewertet wird, ist aber oft beschränkend für die landwirtschaftliche Produktion.
Blick von der Schlieregg über den Wädenswiler Berg Richtung See. Links das Widenhölzli, rechts das Gerenholz. Aufnahme vom Herbst 1989.

Unser dicht besiedeltes Gebiet muss vielen Interessen genügen, weshalb gegenseitige Rücksichtnahme nötig ist. Meiner Ansicht nach ergänzen sich in unserer Gegend Landwirtschaft und Naturschutz gut. Seit Jahrzehnten übernehmen zahlreiche Bauern freiwillig die Pflege von Naturschutzgebieten. Seit einigen Jahren werden diese Pflegeaufträge vom Staat verordnet und abgegolten.
Eine wichtige Rolle spielen die landwirtschaftlichen Organisationen, die in unserer Gemeinde recht aktiv sind und auf die wir Wädenswiler Bauern zu Recht stolz sind. Solche Organisationen sind wichtig, aber nur möglich durch persönlichen freiwilligen Einsatz. Zu den landwirtschaftlichen Organisationen zählen der Landfrauenverein und der Landwirtschaftliche Verein Wädenswil. Sie vermitteln Fachwissen, vertreten Bauernanliegen in der Gemeinde und organisieren gesellige Anlässe. Als eigentliche Fachorganisation gilt die Viehzuchtgenossenschaft Wädenswil, die vor einigen Jahren ihr 100-jähriges Bestehen feiern konnte. Ein wichtiger Tag im Bauernkalender ist der dritte Donnerstag im Oktober, an dem der Verein zur Hebung der Viehzucht die alljährliche Viehprämierung organisiert. Bei dem Wettstreit um die schönsten Tiere treffen sich Leute aus Dorf und Berg im Ödischwänd. Der Verein nimmt damit eine wichtige Aufgabe wahr, indem er Kontakte schafft zwischen Stadt- und Landbevölkerung, was rege benützt wird.
Auf Grund der wirtschaftlichen Situation der Bauern, die sie zwingt Kosten zu senken, gründeten einige initiative Bauern vor ein paar Jahren in Wädenswil den Maschinenring. Er organisiert den überbetrieblichen Maschineneinsatz und übernimmt verschiedene Arbeiten für Dritte, wobei hier speziell die Feldrandkompostierung zu erwähnen ist.
Stolz sind wir Bauern über zahlreichen gut ausgebildeten Nachwuchs, was heute keine Selbstverständlichkeit mehr ist, wenn man sieht, dass sich die Zahl der Landwirtschaftlichen Schüler im Kanton Zürich in kurzer Zeit halbiert hat und weiter markant abnimmt. Im Kanton Zürich haben dieses Jahr 40 Lehrlinge die Lehrabschlussprüfung absolviert. Um im Generationenwechsel von 25 Jahren die noch verbleibenden 4000 Bauernbetriebe zu bewirtschaften, wären aber 160 Lehrlinge nötig. Anders gesagt: Es müsste jeder Absolvent das Land 100 Jahre bewirtschaften, oder es können nur 1000 Landwirtschaftsbetriebe durch ausgebildete Bauern weitergeführt werden.
Wer sich heute im Berg umsieht, wird von aussen wenige Veränderungen feststellen können, ausser etwa neuen Erntetechniken wie die Siloballen, die sehr wirtschaftlich sind, da sie keine Gebäudekosten verursachen.
Wer sich aber näher mit dem landwirtschaftlichen Umfeld befasst oder mit Bauern Kontakt hat, merkt schnell, dass weitreichende und schmerzhafte Veränderungen im Gange sind, die in letzter Zeit eine solche Dynamik bekommen, dass sie unüberschaubar werden und Angst machen. Trotz den Direktzahlungen für tier- und umweltfreundliches Bauern ist das landwirtschaftliche Einkommen um 30 Prozent gesunken, und die Preise sinken weiter. Die Bauernfamilien sind verunsichert und besorgt. Hat unser Hof noch eine Zukunft? Wie soll es weitergehen? Soll ich noch investieren? Fragen, die sich viele stellen und die niemand mit Sicherheit beantworten kann.
Diese Veränderungen machen dem Landwirt, der sich an langfristiges Denken, oft über Generationen, gewohnt ist, besondere Schwierigkeiten.
Wir haben keine Wahl. Veränderungen sind auch Chancen. Sie gilt es wahrzunehmen. In diesem Sinne bin ich überzeugt, dass wir auch in Zukunft in Wädenswil eine vielfältige Bauernschaft vorfinden werden.




Ernst Stocker