Sozialfürsorge und wohltätige Institutionen

Quelle: Wädenswil Zweiter Band von Peter Ziegler

Im Kampf gegen die Armut

Verknappung der Lebensmittel, Teuerung, Geldverschlechterung, Missernten, Seuchen und Krankheiten führten auch in Wädenswil immer wieder zu Not und Armut. Besonders schlimm war das Elend in den 1690er Jahren, als bei einer Gesamtbevölkerung von 3150 Seelen rund die Hälfte aller Einwohner unterstützt werden musste1. Das obrigkeitliche Almosenamt in Zürich wendete für die Armen auf der Landschaft nur unzulängliche Mittel auf. Die Armenfürsorge war zur Hauptsache eine Aufgabe der Gemeinde. Die Gemeinde bezahlte Holz, Kleider und sogar Särge für Arme, sie übernahm Hauszinse oder bestritt Arzt- und Badekosten2. Woher nahm die Gemeinde das Geld für die Armenfürsorge? In Wädenswil bildeten die Gefälle und Nutzungen der aufgehobenen Kaplaneipfründe, ferner Jahrzeiten und Legate den Grundstock des Kirchen- oder Armengutes, aus dem die Armen unterstützt wurden3. Um 1630 kamen das Hintersässengeld - eine Einzugsgebühr für Fremde - und die Brautkrone hinzu, ein Tribut, den eine Jungfrau zu entrichten hatte, die einen auswärtigen Mann heiraten wollte. Als weitere Steuer wurde nach 1670 an Sonntagen das Säckligeld erhoben. Daneben gab es das Spendgut, das mit Legaten und mit Einnahmen aus den Erträgnissen des Spendackers dotiert wurde. Im Weiteren stand den Armen die Armleute-Allmend in der Seefahrt zur unentgeltlichen Nutzung zur Verfügung.
Immer wieder suchte die Gemeinde nach Mitteln und Wege, um die Armut einzudämmen. Die einschneidendste Massnahme war das Heiratsverbot für Arme. Um 1630 ernannte Wädenswil sodann einen ständigen Profossen, der Strolche, Landstreicher und Zigeuner zu fassen und zu strafen hatte. Von Zeit zu Zeit organisierte man Betteljagden. Alles fremde Gesindel wurde dann zusammengetrieben und aus Wädenswil fortgeführt. Meistens ging's zu Schiff nach Stäfa4. Schon im 17. Jahrhundert wanderten arme Wädenswiler aus, um im Ausland ihr Glück zu suchen. 1680 zogen 193 Personen weg. Als bevorzugte Gebiete galten die Pfalz und das Elsass.
Damit jedermann wusste, wer arm war oder sich für arm hielt, verteilte man die Wochenbrote und die Geldalmosen am Sonntag während des Gottesdienstes. Vor versammelter Gemeinde hatten die Armen ihre Unterstützungen beim Taufstein in Empfang zu nehmen. Die demütigende Form der öffentlichen Armenunterstützung wurde in der Revolutionszeit abgeschafft. Schon im Jahre 1803 bedauerte der Stillstand aber diesen Schritt5. Gassenbettel und Müssiggang nahmen derart überhand, dass die Behörde beschloss, die Monatsgelder wieder öffentlich beim Taufstein zu verteilen. So könne jedermann sehen, wer unterstützt werde und nötigenfalls Einsprache erheben.
Angeregt durch die Ideen Pestalozzis, der in Wädenswil Freunde, Schüler und Verwandte hatte6, suchten Stillstand und Munizipalität nach neuen Wegen der Armenfürsorge. Man wollte die Leute nicht in erster Linie unterstützen, sondern ihnen Arbeit und damit Verdienst verschaffen. In der 1803 gegründeten und mit einer Sondersteuer finanzierten Fabrikanstalt − ihr Standort in der Gemeinde ist nicht bekannt − waren Arme mit dem Spinnen und Weben von Baumwolle beschäftigt. Obwohl der Versuch weitherum Beachtung gefunden hatte und die Zürcher Freitags-Zeitung das Vorgehen der Wädenswiler Behörden zur Nachahmung empfohlen hatte, hob der neue Gemeinderat, der 1804 nach den Wirren des Bockenkrieges sein Amt antrat, die Erwerbsanstalt ein Jahr nach der Gründung wieder auf7.

Die Hungerjahre 1816/17

Wie weite Teile der Schweiz und Europas wurde im Jahre 1816 auch die Gemeinde Wädenswil von der grossen Teuerung betroffen. Innert weniger Wochen stiegen die Lebensmittelpreise bis aufs Dreifache und Fünffache. Bettel und Diebstahl nahmen bedrohliche Ausmasse an8. Obwohl der Gemeinderat eine Sicherheitswache von 16 Mann eingesetzt hatte, wurden des Nachts auf den Feldern Kartoffeln ausgegraben, und von den Bäumen wurde selbst unreifes Obst geraubt9. Am 10. September 1816 begann der Gemeinderat mit der Austeilung von Suppenportionen an die verdienstlosen Gemeindearmen10. Nachdem man innert sieben Monaten 33171 Portionen ausgeschenkt hatte, änderte die Behörde im April 1817 das Unterstützungssystem. Statt Suppe gab man jetzt Kartoffel-Setzlinge zum Pflanzen ab sowie Kartoffelrationen von 11/4 Pfund zur Verwertung in der Küche11. Im Mai 1817 schenkte man wieder Suppe aus.
Immer deutlicher wurde dem Stillstand und dem Gemeinderat bewusst, dass man auf dem bisher eingeschlagenen Weg dem Armenelend auf die Dauer nicht wirksam steuern könne, gab es doch jetzt schon über 850 Arme. Der Gedanke, die Armen in einer Anstalt zusammenzufassen, sie in gemeinsamem Haushalt durchzuhalten und so dem demoralisierenden Gassenbettel zu entreissen, drängte sich auf. Während die beiden Behörden den Bau eines «Armen- und Erziehungshauses» erwogen und den Staat ersuchten, als Bauplatz die Sennweid abzutreten12, wurde im Dorfschulhaus unterhalb der Kirche − beim heutigen Rosenhof − ein provisorisches Armenhaus eingerichtet. Nachdem die beiden Schulklassen in den Wohnhäusern von Büchsenschmied Hotz und Zimmermann Isler Unterschlupf gefunden hatten, zogen dann Anfang November 1817 im Dorfschulhaus rund 50 Personen ein, teils betagte Leute, teils Minderjährige13.
Die gute Getreide- und Obsternte des Jahres 1818 bewirkte eine langsame Besserung der wirtschaftlichen Lage. Die Monate der grossen Teuerung und Hungersnot blieben den Leuten indes noch lange in Erinnerung. Die mit Zahlenangaben versehene Erinnerungstafel, die J. Huber in Wädenswil angefertigt hatte, und die einst manche Bürgerstuben im Kanton Zürich zierte, mahnte mit aller Deutlichkeit an jene Zeiten, da man auch in Wädenswil zum Teil «Krüsch, Gras, Wurzeln und viele andere thierische, dem Menschen ungewohnte Speisen essen musste, um dem grausamen Hungertode zu entgehen»14.

Das Armenhaus am Plätzli

Die Gemeindeversammlung vom 22. Februar 1818 nahm Kenntnis vom Nutzen der provisorischen Armenanstalt im Dorfschulhaus und beschloss, die segensreiche Institution sei trotz dem Rückgang der Teuerung weiterzuführen. Die Behörde solle inzwischen einen Bauplatz suchen und ein Projekt für ein Armenhaus vorlegen. Die Verhandlungen mit dem Ansässen Johannes Weidmann führten rasch zum Erfolg. Weidmann überliess der Gemeinde die 11/2 Jucharten grosse Wiese unterhalb der Eidmatt − beim heutigen Postplatz − und erhielt dafür ausser einem Geldbetrag schenkungsweise für sich und seine Nachkommen das Gemeindebürgerrecht15. Am Ostermontag genehmigte die Bürgergemeinde den Bau eines 68 Schuh langen, 44 Schuh breiten und 56 Schuh hohen Armenhauses. Gemeindebürger schossen den Behörden das Baukapital gegen vier Prozent Zins vor. Am 5. Mai wurde mit den Bauarbeiten begonnen, am 7./8. August richteten die Zimmerleute den Dachstuhl auf, und in den zwei letzten Tagen des Jahres 1818 zogen gegen neunzig Personen aller Lebensalter ins neue Armenhaus ein16.
Der Neubau war ein stattliches Haus. Über dem Erdgeschoss, in dem sich Küche, Esszimmer, Keller und Arrestzellen befanden, erhoben sich drei Stockwerke und ein grosser Dachboden. Im ersten Stock lag die Verwalterwohnung mit Vorratsräumen, in den übrigen Stockwerken waren grosse Schlafzimmer für Männer und für Frauen angeordnet. Das Wädenswiler Armenhaus, das an der Stelle des heutigen Sparkassagebäudes stand und innert neun Jahren durch Gemeindesteuern amortisiert werden konnte, war eine Kombination von Versorgungs- und Erwerbsanstalt, wie man sie in Wädenswil schon 1803 gekannt hatte und wie sie Pestalozzi auf dem Neuhof bei Birr betrieb. Im Armenhaus am Plätzli wurde eifrig Seide gesponnen und Stroh geflochten. Während vieler Jahre verfertigten die Insassen die Kleiderstoffe, die Leintücher und Bettanzüge selbst. Alle irgendwie arbeitsfähigen Armen wurden ausserdem in den Fabriken des Dorfes beschäftigt17. Denn nur durch Erziehung zur Arbeit konnte man − nach Ansicht des Gemeinderates − dem Müssiggang, der Sittenverderbnis und der Gleichgültigkeit gegenüber der Religion steuern.
Armenhaus am Plätzli, erbaut 1818, abgerissen 1913.

Wer von der Gemeinde Unterstützung verlangte, musste ins Armenhaus eintreten. Auch die verkostgeldeten Kinder wurden in die Anstalt verbracht. Als die Zahl jener, die Unterstützung begehrten, auf einen Viertel sank, herrschte in der Gemeinde grosse Freude. Niemand schien sich über die Härte und Rücksichtslosigkeit der Massregeln zu wundem. Das Armenhaus wurde als Universalmittel im Kampf gegen die Armut gepriesen. Erst ab 1831 wurden auch Arme ausserhalb der Anstalt unterstützt18.
Damit waren noch nicht alle Übelstände behoben. Nach wie vor lebten im Armenhaus Kinder mit Erwachsenen zusammen und wurden von Insassen beaufsichtigt. Der Schulunterricht, den ein Lehrer zwischen 17 und 20 Uhr erteilte, bildete erzieherisch nur ein schwaches Gegengewicht. Ab 1837 waren Kinder und Erwachsene getrennt untergebracht19. Eine befriedigende Lösung wurde aber erst 1848, durch den Bau des Waisenhauses, erreicht.
Über den Betrieb und das Leben im Armenhaus orientiert die «Geschichte der Herrschaft und Gemeinde Wädenswil», die Johann Heinrich Kägi im Jahre 1867 veröffentlicht hat20. Hier sind auch die damals gültigen Reglemente abgedruckt: die Haus- und Strafordnung sowie die Pflichtenordnung für den Armenhausverwalter. Armenpflege und Gemeinderat hatten über das Wädenswiler Armenhaus die Oberaufsicht. Gemeinsam wählten die Behörden die Armenhauskommission, den Armenhausverwalter und den Armenarzt.
Mit der Eröffnung des Waisenhauses (1848), des Krankenasyls (1877) und des Altersasyls am Rotweg (1905) wurde die Armenanstalt in ihrem Zweck immer mehr eingeschränkt. Es tauchte sogar die Frage auf, ob ein Armenhaus noch nötig sei. Die Angelegenheit wurde in der Presse besprochen und verstummte darauf. Klar war dagegen seit langer Zeit, dass das Armenhaus nicht mehr am rechten Platz sei. Starke Bautätigkeit und anwachsender Verkehr führten dazu, dass schon ums Jahr 1900 herum Stimmen laut wurden, das Armenhaus aus dem lärmigen Dorfkern in ein stilleres Aussenquartier zu verlegen, umso mehr, als auch das Gebäude modernen Ansprüchen längst nicht mehr genügte21. Der Ruf nach Beseitigung des Armenhauses wurde 1909 lauter, als in der Anstalt Typhusfälle vorkamen und aus der Mitte der Bürgergemeinde bei der Sanitätsdirektion Beschwerde erhoben wurde, das Armenhaus bilde einen ständigen Seuchenherd. Mit dem Bau eines Bürgerheims an ruhiger Lage ausserhalb des Dorfes sollte Abhilfe geschaffen werden. Schneller als man erwartet hatte, bot sich der Bürgergemeinde Gelegenheit, die Armenhausliegenschaft günstig zu verkaufen. Ein Konsortium, das die Erstellung eines Postgebäudes plante, erwarb das Areal, verzichtete dann auf den Bau und überliess den Grundbesitz der Politischen Gemeinde Wädenswil22. Nachdem das neue Bürgerheim im Musli im September 1912 bezogen worden war, riss man das alte Armenhaus am Plätzli nieder.

Das Bürgerheim

Am 25. September 1910 beschloss die Bürgergemeindeversammlung den Bau eines Bürgerheims mit Ökonomiegebäuden. Gegen den Bauplatz im heutigen Büelenquartier erwuchs aber Opposition. 1911 entschied man sich daher für den heutigen Standort: für die Lehmannsche Liegenschaft im Musli, die einem Brandunglück zum Opfer gefallen war. Im Sommer 1911 wurden die Bauarbeiten vergeben. Es war nicht leicht, ein Haus zu bauen, das einen deutlichen Unterschied markieren sollte zwischen der Armenpflegepraxis früherer Jahrhunderte und derjenigen der neuesten Zeit, denn Vorbilder bestanden keine. Das mit Arbeitsräumen, einem Speisesaal, der Verwalterwohnung und mit einer Männer- und einer Frauenabteilung ausgestattete Bürgerheim entstand nach den Plänen und unter der Leitung von Architekt H. Müller in Thalwil und konnte im September 1912 bezogen werden23.
Bürgerheim, eingeweiht 1912, und Krankenheim, eröffnet 1971.

Das neue Heim galt als wohlgelungener Bau, über den ein Zeitgenosse schrieb: «Was die moderne Technik und die Hygiene bieten, das ist so ziemlich alles vorhanden, und es braucht für einen Privatmann schon eine ordentlich bezahlte Wohnung, will er auf alle Bequemlichkeiten Anspruch erheben, die das Wädenswiler Bürgerheim seinen Insassen bietet. Weit in der Runde kann diesem Heim nichts Ähnliches an die Seite gestellt werden. Der Bau ist sehr solid, und man sieht auf den ersten Blick, dass auch an die Zukunft gedacht wurde. Alle Räume sind einfach, aber wohnlich»24. Als erste Heimeltern wirkten Friedrich Joss-Burri. Ihnen folgten, ebenfalls für viele Jahre, Arthur Joss-Fisch.
In den 1960er Jahren erwiesen sich die Inneneinrichtungen des Bürgerheims als völlig veraltet, ungenügend, ja unhygienisch. Die Armenpflege beantragte daher der Urnenabstimmung vom 3. Oktober 1965 eine Totalrevision des Hauses und eine Umgestaltung zu einem modernen Heim25. Der hohen Kosten wegen war diese Vorlage jedoch nicht genehm. Im Zusammenhang mit dem Bau des Krankenheims wurde in den Jahren 1970/71 dafür die dringend notwendige Teilrenovation verwirklicht, welche das Bürgerheim baulich und betrieblich wieder so verbesserte, dass es noch für längere Zeit seinen Dienst versehen kann. Mit dem Innenumbau wurde die Zahl der Zimmer von 15 auf 21 erhöht, die Zahl der Insassen von 44 auf 32 gesenkt.

Das Altersheim

Kaum war 1886 das Krankenhaus auf Rutenen eingeweiht, regten die Mitglieder der Asylkommission an, man solle für die Bürger und Einwohner der Gemeinde Wädenswil ein Altersheim schaffen. Bis 1902 wurden über 73000 Franken an freiwilligen Beiträgen gesammelt. Nun konnte man sich nach geeigneten Räumen umsehen. Die Kommission erhielt zwei Angebote. Das eine betraf ein älteres Haus mit grossem Garten, das andere einen projektierten Neubau. Man entschied sich für den Neubau, zumal sich der Ersteller und Besitzer, Baumeister Alfred Dietliker, anerboten hatte, die Einrichtung des Hauses den Bedürfnissen eines Altersasyls anzupassen26. So entstand in der Ecke Rotweg-Fuhrstrasse das Doppelwohnhaus «Fuhreck», das von der Asylkommission vorerst auf die Dauer von fünf Jahren gemietet wurde. Am 15. Mai 1905 konnte das Altersasyl eröffnet werden. Als Hausmutter amtete die Diakonissin Johanna Bucher. Sie war mit den Wädenswiler Verhältnissen wohl vertraut, hatte sie doch zwischen 1877 und 1884 die Krankenstation im Armenhaus betreut.
Mehr als zwanzig Jahre lang betrieb die Asylkommission das Altersheim im gemieteten Haus am Rotweg. Dann genügten die Räume nicht mehr. Man erwog daher den Plan eines Neubaus, um so mehr, als die Finanzen gesichert waren, und zwar durch eine Schenkung der Sparkasse, durch den Altersasylfonds und durch den Fonds zum Ankauf von Land für ein Altersasyl, den die Gemeinde verwaltete27.
1926 gelang es, auf der hintern Fuhr zwei Landparzellen zu sichern. Um die Jahreswende 1926/27 lud die Asylkommission sechs Architekten zu einem Planwettbewerb ein. Das Preisgericht entschied zugunsten des Projektes «Sunneschi» der Gebrüder Bräm. Ende Mai 1927 wurde mit dem Bau begonnen, vier Monate später war der Rohbau vollendet, und am 28. April 1928 konnte das neue Altersheim eingeweiht werden28.
Altersheim auf der hinteren Fuhr, eingeweiht 1928.

Die Architekten schufen mit den beiden rechtwinklig zueinander gestellten zweistöckigen Trakten, die einen windgeschützten Garten begrenzen und nach der Sonne orientierte Räume enthalten, einen für jene Zeit äusserst modernen Bau. Die Abweichungen von der traditionellen Bauart wurden 1929 wie folgt charakterisiert29: «Wir sind sonst geneigt, jede Abweichung von traditionellen Bauallüren als störend und unschön zu empfinden, weil naturgemäss die in der Gegend überlieferte Bauweise unsere einzige Voraussetzung zu kritischer Baubetrachtung darstellt. Das Altersheim vernachlässigt diese Voraussetzung in wesentlichen Punkten. Man denke an die Dachgestaltung, die mit dem traditionellen Züri-Giebel nicht die leiseste Verwandtschaft aufweist. Man beachte die Fenster. Es fehlen nicht nur die obligaten Jalousien, es fehlt sogar die übliche dekorative Betonung der Fensteröffnung durch Fensterstöcke und Gesimse. Hier finden wir nur das Loch im Gemäuer, durch das dem Hausinnern Luft und Licht vermittelt werden soll. Vor allem die Nordfront des Hauses ist in dieser Beziehung ein Schulbeispiel neuer Sachlichkeit. »
Seit der Gründungszeit ist das Altersheim kein gemeindeeigener Betrieb. Wohl wurden die Räume in den Jahren 1966/67 zum Teil mit öffentlichen Geldern renoviert und modernisiert30. Aufsicht und Verwaltung sind aber nach wie vor Aufgaben der Altersheimkommission des Asylvereins. Namhafte Fonds setzen den Asylverein in die Lage, den rund 40 alten Leuten für ihren Lebensabend zu bescheidenem Pensionspreis ein freundliches Heim zu bieten.
 

Alterssiedlungen

Im Juni 1962 bildete der Gemeinderat eine Studienkommission «Alterssiedlung». Erfreulicherweise erklärte sich die Firma J. Schnyder AG bereit, für den Bau einer Alterssiedlung ihr Land an der Schlossbergstrasse/Etzelstrasse im Baurecht zur Verfügung zu stellen. Im Mai 1964 legte Architekt H. Helbling eine erste Projektstudie vor, am 10. Oktober 1966 genehmigten die Stimmbürger den Projektierungskredit und am 19. Mai 1968 den Objektkredit. Am 1. November 1969 war der Block B und am 1. Mai 1970 der Block A bezugsbereit31. Die gefällig konzipierte Alterssiedlung «Bin Rääbe» besteht aus zwei getrennten Häusern, die durch einen zentralen Mitteltrakt, den offenen Gemeinschaftsraum. miteinander verbunden werden. Das viergeschossige Haus entlang der Etzelstrasse beherbergt 24 Zweizimmerwohnungen; das fünf- bis sechsgeschossige Haus gegenüber den Reben 47 Ein- und vier Zweizimmerwohnungen sowie eine 3½-Zimmerwohnung für das Abwart-Ehepaar. Die Grösse des Grundstücks erlaubte es, eine Park- und Grünanlage zu gestalten. Ein Brunnen mit gepflastertem Sitzplatz und freien Sitzgruppen lädt die Bewohner zum Verweilen ein.
Seit Anfang Mai 1970 war die Alterssiedlung «Bin Rääbe» voll besetzt, und verschiedenen Interessenten konnten keine Alterswohnungen mehr verschafft werden. Der Gemeinderat plante daher unverzüglich den Bau einer zweiten Alterssiedlung, und zwar auf dem gemeindeeigenen Grundstück bergseits der Speerstrasse, am Ostrand des Gulmentobels. Für die sechs Zweizimmerwohnungen und 42 Einzimmerwohnungen, die hier entstehen sollen, kann Architekt Helbling mit geringen Änderungen die Grundrisse der Alterssiedlung «Bin Rääbe» übernehmen, die sich in jeder Hinsicht bewährt haben. Der Gemeinderat ist gewillt, den Bau der Alterssiedlung «Am Tobelrai» rasch zu fördern. Er ist sich bewusst, dass damit wiederum nicht allen Mietwünschen entsprochen werden kann. Darum muss schon bald an die Verwirklichung eines dritten Alterssiedlungs-Projekts gedacht werden32.

Die Altersstube

Die alten Leute brauchen nur Wohnungen, sondern auch Orte der Begegnung, damit sie der Vereinsamung entrinnen können. In erfreulicher und beispielhafter Weise schuf daher die die reformierte Kirchenpflege im Haus zum «Sonnenblick» an der Schönenbergstrasse − wo die Klavierlehrerin Fanny Rusterholz drei Zimmer zur Verfügung stellte − eine Altersstube. Sie wurde Anfang Mai 1971 eröffnet, bietet rund 35 Personen bequem Platz und steht allen Betagten im AHV-Alter offen33.

Von der Krankenstation zum Krankenasyl

Auf Initiative von Fräulein Elisabeth Rellstab, die während des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71 in der Nähe von Paris als Krankenpflegerin gewirkt hatte, konstituierte sich in Wädenswil am 19. Januar 1877 ein Frauenkomitee zur Gründung einer Krankenanstalt34. Obschon die Verhältnisse ungünstig waren und man auf die passendste Lokalität, das Schützenhaus am Rotweg, verzichten musste, liessen sich die sieben Wädenswilerinnen − Elisabeth Rellstab, Adelheid Pfister, Anna Schnyder-Blattmann, Henriette Baumann-Herdener, Susanne Eschmann-Fleckenstein, Albertine Hauser-Landis, Marie Zinggeler-Pfenninger − nicht abschrecken, den Plan zu verwirklichen. Dank dem Entgegenkommen der Armenpflege konnte man am 4. Juni 1877 in drei Zimmern des Armenhauses am Plätzli die erste Krankenstation der Gemeinde eröffnen. Sie verfügte über sieben Betten für Erwachsene und über drei Betten für Kinder. Schwester Johanna Bucher aus dem Diakonissenhaus Zürich-Neumünster übernahm − unterstützt vom Armenarzt − die Betreuung der Kranken35.
Dass die drei Zimmer im Armenhaus nur einen Anfang bedeuteten, war klar. Das Bedürfnis nach geeigneteren Räumen wurde immer stärker. Weil sich in der ganzen Gemeinde kein passendes Gebäude finden liess, drängte sich ein Neubau auf. Auf Rutenen fand sich ein geeigneter Bauplatz. Am 1. August 1885 wurde mit dem Bau begonnen. Bereits Ende Oktober konnte aufgerichtet werden, und in den ersten Novembertagen war das Haus unter Dach. Ein Jahr später, am 6. November 1886, zeigte eine Fahne mit rotem Kreuz in weissem Feld an, dass das Krankenhaus vollendet war.
Der bauleitende Architekt, Karl Schweizer, hatte auf der sonnigen Anhöhe oberhalb des Dorfes einen geräumigen Bau geschaffen. Das zweistöckige Asyl enthielt ausser dem Arzt- und Operationszimmer, der Küche und dem Badezimmer acht Krankensäle mit insgesamt 23 Betten für Erwachsene und drei Betten für Kinder. Eine Quelle beim Waisenhaus lieferte Trinkwasser.
Im ersten Betriebsjahr wurden 90 Kranke gepflegt. Obwohl die Statuten von 1888 einschränkend bestimmten, dass keine Gebärenden, Krätzigen, mit venerischen Krankheiten Behafteten, Wahnsinnigen und Pocken- oder Cholerakranken aufgenommen würden, stieg die Patientenzahl in den folgenden Jahren so stark an, dass Äenderungen in der Betriebsführung nötig wurden. An die Stelle der Frauenkommission trat 1888 die Asylkommission, deren Frauenkommission die bisherigen Aufgaben weiterführte und deren Männerkommission sich vor allem den finanziellen und baulichen Problemen widmete.
Das 1886 erstellte Krankenasyl war für die damalige Zeit grosszügig und geräumig gebaut. Die Einrichtungen wurden laufend modernisiert, worüber die 1961 erschienene Festschrift «75 Jahre Krankenhaus Wädenswil»36 detailliert Auskunft gibt.

Vom Krankenhaus zum Regionalspital

Das Wachstum der Gemeinde und das Ansteigen des Verkehrs führten zu erhöhten Patientenzahlen, so dass erkrankte Wädenswiler bald auch in auswärtige Spitäler eingeliefert werden mussten. Das waren Zustände, die dringend der Abhilfe riefen. Der Asylverein entschloss sich zu einem Neubau. Das Preisgericht empfahl das von Architekt Heinrich Bräm in Wädenswil eingereichte Projekt zur Ausführung. Mitte April 1934 wurde mit den Bauarbeiten begonnen, gegen Ende November war das dreistöckige Haus im Rohbau vollendet, und am 5. November 1935 konnte das neue Krankenhaus dem Betrieb übergeben werden37. Seine Leitung wurde einem vollamtlichen Spitalarzt übertragen. Erster Chefarzt war Dr. med. Ernst Kaiser, der 1953 ans neue Stadtspital Zürich berufen und durch Dr. med. Ernst Häberlin ersetzt wurde38.
Von 1886 bis 1962 bestritt der Asylverein als Rechtsträger des Wädenswiler Krankenhauses alle Auslagen des Spitals allein. Die Gemeinde musste keinerlei finanzielle Beihilfe leisten. Schon seit Jahren überstiegen aber die Betriebsdefizite die Mittel des Asylvereins so gewaltig, dass sich die Schaffung einer neuen finanziellen Grundlage aufdrängte. In der Urnenabstimmung vom 8. Dezember 1963 beschlossen die Stimmberechtigten mit grossem Mehr, künftig anstelle des Asylvereins den nach Abzug der Staatsbeiträge verbleibenden Defizitanteil von zehn Prozent zu übernehmen. Zur Führung des Krankenhauses gründete man die privatrechtliche «Stiftung Krankenhaus Wädenswil», welche vom Asylverein entschädigungslos das Krankenhaus mit allen Grundstücken und Gebäuden übernahm und der Aufsicht des Gemeinderates Wädenswil unterstellt wurde39.
Krankenasyl, erbaut 1885/86, und Krankenhaus, eingeweiht 1935.

Obwohl der Asylverein das Krankenhaus seit 1935 weiter ausbaute und mit modernsten Instrumenten und Apparaten ausrüstete − 1955 waren auch das neue Schwesternhaus und die Verwalterwohnung bezugsbereit −, sind die Gebäude heute in vielem veraltet und erweisen sich − bei ständig wachsender Einwohnerzahl − vor allem als zu klein. Schon Ende der 1950er Jahre stellte der Asylverein daher Planstudien an, um das Krankenhaus auf dem Areal an der Schlossbergstrasse durch einen Neubau zu ersetzen. Weil die Fläche nicht genügte und ein Hochhaus nicht in die Gegend passte, verzichtete Wädenswil auf ein neues lokales Spital.
Im Spätsommer 1968 zeichnete sich eine neue Lösung ab, und zwar in der Form eines Regionalspitals für die Gemeinden Wädenswil, Richterswil, Schönenberg und Hütten. Als Standort des Regionalspitals, das im Zweckverband gebaut und betrieben werden soll, ist Wädenswil vorgesehen, wo auf der Eichhofterrasse geeignetes Bauland zur Verfügung steht. Das Spital soll in drei Etappen erstellt werden, im Endausbau 240 Betten aufweisen und über eine medizinische, eine gynäkologische und eine radiologische Abteilung verfügen40. Im Projektwettbewerb für das Regionalspital Wädenswil errangen die Architekten Ernst Schindler, Hans Spitznagel und Max Burkhard im Februar 1971 den ersten Preis und wurden mit der Weiterbearbeitung beauftragt. Der knappe Kubikinhalt und der einfache konstruktive Aufbau lassen ein wirtschaftliches Projekt erwarten.
Als weiterer Spitalbau ist das projektierte Notspital zu erwähnen, das für die Belange des Zivilschutzes in der Oberstufenschulanlage Steinacker verwirklicht werden soll.

Das Krankenheim

In der Urnenabstimmung vom 19. Mai 1968 genehmigten die Stimmberechtigten das von Architekt Josef Riklin, Wädenswil, ausgearbeitete Projekt für ein Pflegeheim für Chronischkranke mit Personalunterkünften und einem Verbindungstrakt zum Bürgerheim. Am 1. Mai 1971 konnte das neue Krankenheim eingeweiht werden41. Der Bau steht im nordwestlichen Teil des Bürgerheimareals und ist in Anlehnung an das Bürgerheim so projektiert, dass sich der Betrieb organisch dem alten Gebäude von 1912 anschliesst. Die drei Obergeschosse des Krankenheims bilden im Endausbau drei Pflegeeinheiten mit je vier Einerzimmern, drei Zweierzimmern und drei Viererzimmern. Das oberste Geschoss wird vorläufig durch Personal belegt. Erst wenn der Betrieb sich eingespielt hat, das Bürgerheim umgebaut und das Personalwohnproblem gelöst ist, sollen auch hier Patienten einziehen.

Vom Krankenwagen zum Krankenauto

Der allgemeine Krankenverein, die Sparkasse, die Speditionsgesellschaft, der Pestalozziverein und die Leihkasse schenkten der Gemeinde Wädenswil auf Weihnachten 1880 einen Krankentransportwagen für Pferdezug, den Wagenbauer Keller an der Seidengasse in Zürich für 1750 Franken geliefert hatte42. Der Wagen war solid und elegant konstruiert und diente − laut Reglement vom 28. November 1887 − für den Transport von Kranken und Verwundeten nach den kantonalen Kranken- und Versorgungsanstalten. Fuhrhalter und Wärter wurden vom Gemeinderat ernannt, der auch die Taxen für die Benützung und Führung des Wagens und für die Krankenbedienung festlegte. Auf kürzeren Strecken wurde einspännig, auf längeren zweispännig gefahren, Friedhofgärtner Treichler begleitete die Krankentransporte, gab aber wegen seiner Trunkenheit oft Anlass zu Klagen.
Mit den Jahren vermochte der von Pferden gezogene Krankenwagen gesteigerten Ansprüchen hinsichtlich Geschwindigkeit, Einrichtung und Komfort nicht mehr zu genügen. Im September 1917 wandte sich daher die Gesundheitskommission in einem Schreiben an die Einwohner von Wädenswil und bat um Geldbeträge für ein erstes Krankenauto: «Nicht nur Städte, sondern auch kleinere Ortschaften als Wädenswil sind mit der Anschaffung eines Krankenautos vorangegangen und haben gute Erfahrungen damit gemacht. Darum glauben wir gerne, Wädenswil werde auch hierin nicht zurückstehen wollen»43. Das 1919 erworbene Elektromobil bewährte sich aber nicht und wurde schon 1922 ersetzt.
Im Jahre 1932 schaffte die Gemeinde mit einem Kostenaufwand von 26 500 Franken ein neues Krankenauto an, einen Martini-Wagen, der bis 1949 in Gebrauch stand und dann durch ein OccasionsmodelI 1948 vom Typ Chrysler ersetzt wurde, das den neuzeitlichen Anforderungen des Krankentransportes wieder gerecht werden konnte44. 1969 hatte auch dieser Wagen ausgedient. An seine Stelle trat eine Ambulanz, deren ausgereifte Technik und Konstruktion auf Jahre hinaus modern sein wird45.

Die Kinderkrippe

Einnahmen, welche den Wädenswiler Sekundarschülern bei der Aufführung von Dalcroze-Liedern und -Reigen zugingen, legten die erste finanzielle Grundlage für den Betrieb einer Kinderkrippe. Am 7. März 1898 bildete sich aus Frauen von Industriellen ein Komitee, das die Betreuung der Kinderkrippe übernahm. Als Heim stellte der Seidenfabrikant Emil Gessner-Heusser eine Lokalität an der Glärnischstrasse unentgeltlich zur Verfügung. Anfang November 1906 siedelte man ins neue, gegenwärtige Heim an der Etzelstrasse über, das Frau Anna Schnyder-Blattmann im Morgenstern erbaut und der Krippe mietweise überlassen hatte46. Die Kinderkrippe wird auch heute noch als privates Unternehmen betrieben. Da die erhobenen Taxen nicht ausreichen, um die Betriebsrechnung auszugleichen, ist auch dieses wohltätige Institut auf Gönnerbeiträge angewiesen, damit es durchhalten kann47.
 

Vom Waisenhaus zum Jugendheim

Als man im Januar 1846 den hundertsten Geburtstag von Heinrich Pestalozzi feierte, diskutierten gemeinnützig denkende Wädenswiler in der Lesegesellschaft den Bau eines Waisenhauses. Da aber kein geeignetes Lokal erworben werden konnte, liess man den Plan wieder fallen. Man begnügte sich damit, einen «Hülfsverein zur Bekleidung armer Schulkinder und zur Unterstützung armer Kranker» − den heutigen Pestalozziverein − zu gründen.
Am Tage nach Pfingsten 1846 brannte das zu den Huberhäusern gehörende Strickler-Heimwesen nieder und wurde wenige Tage später zum Verkauf ausgeschrieben. Eine aus 48 Bürgern aller politischen und religiösen Parteien bestehende Versammlung beschloss im Juni 1846 den Ankauf der Liegenschaft als Bauplatz für ein Waisenhaus48. Im November des gleichen Jahres genehmigte die Gemeindeversammlung die von der privaten Gesellschaft und vom Gemeinderat getätigten Landkäufe und beschloss, die zinsfrei vorgeschossenen Aktien zurückzuzahlen.
Im Frühling 1847 legte Architekt Holzhalb in Zürich einen Bauplan vor, der allgemein gefiel49. Die Ausführung des Baues wurde dem Steinmetz Blattmann und dem Zimmermann Bachmann übertragen. Die Bauarbeiten begannen im Sommer 1847, im Oktober war das Haus unter Dach, und am 10. Oktober 1848 wurde es eingeweiht.
Die Gemeindeversammlung vom 29. April 1849 genehmigte die Statuten der Waisenanstalt, die in der Ortsgeschichte von J. H. Kägi im Wortlaut veröffentlicht worden sind50. Ins Waisenhaus wurden jene Kinder aufgenommen, die bisher im Armenhaus gewohnt hatten, dazu geistig und körperlich verwahrloste Kinder moralisch gesunkener Eltern und womöglich Waisen. Gebet, Schulunterricht, häusliches Leben, häusliche und landwirtschaftliche Arbeiten bildeten die Grundlage einer sorgfältigen Erziehung. Zum ersten Leiter der neuen Anstalt, zu der auch ein grosser Landwirtschaftsbetrieb gehörte, wählte man Lehrer Tschudi, der vorher als Gehilfe an der Armenschule der Linthkolonie gewirkt hatte51.
Während vieler Jahrzehnte versah das von tüchtigen Heimeltem geleitete Waisenhaus gute Dienste. Mit der Zeit wurde aber der Betrieb im alten Gebäude beschwerlich. Die Armenpflege erwog darum in den 1960er Jahren einen Neubau, musste aber das Vorhaben zurückstellen, weil die Gemeinde mit anderweitigen kostspieligen Aufgaben belastet war. Man entschloss sich daher zu einer gründlichen Renovation des Hauses, die im Herbst 1969 vollendet werden konnte.
1967 wurde die Bezeichnung «Waisenhaus» durch «Jugendheim» ersetzt. Dieser Ausdruck umschreibt die Aufgabe und das Ziel der gemeindeeigenen Institution wieder zutreffend. Denn seit vielen Jahren hatte das Waisenhaus nur noch eine ganz geringe Zahl von Vollwaisen beherbergt. Die meisten der 30 Kinder, die 1970 im Jugendheim wohnten, waren Sozialwaisen, Kinder aus geschiedenen oder zerrütteten Ehen und stammten nicht nur aus Wädenswil52.
Waisenhaus, erbaut 1847/48, seit 1967 Jugendheim Wädenswil.

Das Kinderheim Bühl

Im Jahre 1870 erwarb der sozial denkende Weinbauer Julius Hauser (1834−1897) auf einer öffentlichen Steigerung den Bauernhof «Bühl». Er versprach, das Heimwesen dem Freunde Samuel Zeller (1834−1912) zu schenken, dem Gründer der Zellersehen Anstalt in Männedorf, wenn es diesem gelinge, innert zwei Wochen einige schwachsinnige und kränkliche Kinder zu finden, denen hier ein Heim geboten werden könnte53. Noch im gleichen Jahr wurde auf dem «Bühl» in Wädenswil das «Asyl für schwachsinnige und kränkliche Kinder» eröffnet. Als Leiter amtete in Zellers Auftrag der in der Pflege Geisteskranker bewanderte Prediger Karl Melchert (1832−1896), der das Heim drei Jahre später zu Eigentum erhielt.
Kinderheim Bühl am Rotweg, eröffnet 1870, abgebrannt 1932.

Anfänglich bot das Kinderheim Bühl Raum für 15 bis 20 Zöglinge, vom bettlägerigen Schwachsinnigen bis zum Spezialschüler. Gottfried Zürrer, der sich 1906 mit der Witwe Maria Melchert-Anliker verheiratete und das Kinderheim Bühl bis 1933 leitete, baute vorerst den Dachstock des alten Hauses aus und erweiterte dann die Anstalt um einen Neubau, die spätere Liegenschaft Schützenmattstrasse 2. Gleichzeitig wurde der Landwirtschaftsbetrieb arrondiert. Im erweiterten Heim fanden zwei Schulklassen und zwei Kindergärten Platz. Das Kinderheim Bühl wurde ursprünglich ganz auf privater Basis geführt. Freiwillige Gaben und die eigene Landwirtschaft bildeten die Grundlagen. 1930 leistete der Kanton erstmals eine Subvention. Ein Grossbrand im alten Anstaltsgebäude, der sich in der bis zum äussersten ausgenützten Holzbaute zur Katastrophe auswuchs und 12 Todesopfer forderte, machte das Aufbauwerk in den frühen Morgenstunden des 10. November 1932 zunichte54. Die Feuerwehr, welche mit 12 Hydrantenleitungen und einer Motorspritze in pausenlosem Einsatz stand, musste sich bald auf die Rettung der umliegenden Gebäude beschränken. Der Altbau brannte bis auf die Grundmauern nieder. Als Brandursache wurde nachträglich Brandstiftung durch einen Zögling festgestellt.
Brand des Kinderheims Bühl am Rotweg, 1932.

Nach dem Unglück ging eine Welle des Mitgefühls und der tätigen Hilfe durch Wädenswil und das ganze Land. Die Eltern der im Kinderheim Bühl untergebrachten Geistesschwachen und das Kantonale Jugendamt ermutigten zum Wiederaufbau des zerstörten Hauses. Am 10. Februar 1933 ging das private Kinderheim Bühl in den Besitz einer Stiftung über, welche im Gebiet von Untermosen einen Neubau erstellen liess. Er wurde von den Architekten Hans Streuli − dem nachmaligen Bundesrat − und Friedrich Fisch geplant und war im Frühsommer 1934 bezugsbereit. In die Heimleitung teilten sich damals die Witwen Maria Melchert-Luginbühl und Lydia Zürrer-Anliker, 1936 verheiratete sich Frau Zürrer mit Hans Roggli. Nach dessen Tod trug Lydia Roggli die Bürde der Heimleitung allein. Heute steht ihr der Sohn Christian zur Seite.
In neuerer Zeit ist das Kinderheim Bühl erweitert worden. In den beiden 1960 und 1970 erstellten Wohnhäusern stehen Angestellten und Pflegebedürftigen ruhige Zimmer zur Verfügung. Im Werkhaus werden Jugendliche im Alter von 15 bis 20 Jahren zu handwerklichen Berufen angelernt. Unter den 100 Schülern befanden sich seit einigen Jahren verschiedene Externe aus der Gemeinde. Sie belasteten die Heimschule über Gebühr. Primarschulpflege und Stiftung Kinderheim Bühl suchten daher gemeinsam nach einer Lösung. Im Sinne eines Provisoriums konnten im Sommer 1971 zwei Klassen der heilpädagogischen Hilfsschule in Mietlokalitäten der Gemeinde an der Unteren Weidstrasse untergebracht werden.
Hauptgebäude und Werkhaus des Kinderheims Bühl, 1970.

Wohltätige Institutionen

Seit vielen Jahren ist eine Reihe von Institutionen auf dem Gebiet der Fürsorge tätig. Die älteste gemeinnützige Organisation des Dorfes war die 1808 gegründete «Donnerstaggesellschaft», eine Gesellschaft einflussreicher Männer, die sich jeden Donnerstag in der «Krone» versammelte und unter anderem auch freundschaftliche Beziehungen mit Heinrich Pestalozzi unterhielt. Im Krisen- und Teuerungsjahr 1816 rief die Donnerstaggesellschaft auf gemeinnütziger Grundlage die Sparkasse Wädenswil ins Leben55. Erster Präsident war deren Initiant, Pfarrer Paul Philipp Bruch. Im Jahre 1836 löste sich die Donnerstaggesellschaft auf und nannte sich «Ersparniskassa-Gesellschaft»56.
Der 1846 gegründete Pestalozziverein setzte sich zum Ziel, arme Schulkinder zu bekleiden und zu verpflegen. Diese Aufgabe ist heute praktisch bedeutungslos geworden. Dafür betreut der Pestalozziverein Jahr für Jahr die Ferienkolonie. Die erste Kolonie wurde 1891 durchgeführt. Seit 1917 besitzt der Verein in Schwende-Weissbad im Appenzellerland ein ideales eigenes Ferienheim.
Der Gemeindekrankenpflegeverein, 1891 für die Krankenfürsorge in der Gemeinde gegründet, stellt und entlohnt die Gemeindeschwester. Während des Ersten Weltkrieges wurde der Verein Beratungs- und FürsorgesteIle Wädenswil gegründet, dem heute unter anderem folgende Aufgaben überbunden sind: Amtsvormundschaft, Altersbeihilfe, Alkoholfürsorge, Eheberatung, Gemeindejugendsekretariat, Pflegekinderkontrolle57.
Zur Ergänzung der bürgerlichen Armenpflege wurde 1924 der Fürsorgeverein Wädenswil ins Leben gerufen, dem sich alle sozial tätigen freiwilligen Körperschaften anschlossen. Im Laufe der letzten Jahre sind die Hauspflege und die Betreuung der Betagten die Hauptaufgaben des Fürsorgevereins geworden58.
Auf dem Gebiet der Fürsorge ist auch der Frauenverein Wädenswil tätig, der den Kinderhütedienst betreut. Weiter ist an die 1889 gegründete Rotkreuzsektion Wädenswil zu erinnern, die sich 1915 mit dem Samariterverein Wädenswil vereinigt hat, Samariterkurse und Blutspendeaktionen durchführt und ein Krankenmobilienmagazin verwaltet59.




Peter Ziegler


Anmerkungen

KGAW = Kirchgemeindearchiv Wädenswil
LGW = Lesegesellschaft Wädenswil
StAW = Stadtarchiv Wädenswil
StAZH = Staatsarchiv Zürich
ZBZ = Zentralbibliothek Zürich
 
1 StAZH, A 61/5. - Albert Hauser, Wirtschaftsgeschichte von Wädenswil, Neujahrsblatt LGW 1956, S. 51. - Johann Heinrich Kägi, Geschichte der Herrschaft und Gemeinde Wädenswil, Wädenswil 1867, S. 301 ff.
2 StAW, III A 1. - StAW, III A 1, Armengutsrechnungen 1659–1798.
3 StAW, III A 1-3.
4 Albert Hauser, Wädenswil, S. 52. - StAZH, E III 132/2, Pfarrbuch 1687.
5 Albert Hauser, Wädenswil, S. 53. - Johann Heinrich Kägi, Wädenswil, S. 302.
6 Diethelm Fretz, Pestalozzi in Wädenswil, Neujahrsblatt LGW 1946. - Peter Ziegler, Pestalozzis Beziehungen zur Herrschaft Wädenswil, Heimatblätter, Monatsbeilage zum Allgemeinen Anzeiger vom Zürichsee, Dezember 1962.
7 StAW, IV B 1.1, Protokoll vom 15. Oktober 1803. - StAW, II B 11.1. - Johann Heinrich Kägi, Wädenswil, S. 302–305.
8 Johann Heinrich Kägi, Wädenswil, S. 305/306. - Jakob Keller, Die Hungersnot im Kanton Zürich in den Jahren 1816/17, Zürcher Taschenbuch 1948, S. 75 ff.
9 Albert Hauser, Wädenswil, S. 238.
10 KGAW, IV B 2 b. - Diethelm Fretz, Die Blattmann, Bd. 2, Zürich 1938, S. 139.
11 Diethelm Fretz, Die Blattmann, Bd. 2, S. 139. - KGAW, IV B 2 b, datiert 7. Mai 1817.
12 StAW, IV B 1.5, Gemeinderatsprotokoll, 23. Oktober 1817. - Diethelm Fretz, Die Blattmann, Bd. 2, S. 140.
13 Johann Heinrich Kägi, Wädenswil, S. 308.
14 ZBZ, Graphische Sammlung. Abgebildet bei: Albert Hauser, Wädenswil, S. 239.
15 StAZH, Grundprotokoll Wädenswil Bd. 17, S. 653.
16 StAW, IV B 69.2, Chronik LGW 1818. - Johann Heinrich Kägi, Wädenswil, S. 307 ff. - Diethelm Fretz, Die Blattmann, Bd. 2, S. 140. - StAW, I B 2-5, Armenhaus 1818. - StAW, II B 11.2, Armenhaus 1817-1912. - StAW, III A 3, Rechnungen Armenhausbau 1818–1829. - StAW, IV B 7, Verzeichnis über Legate und Geschenke für die Armenanstalt Wädenswil, 1814–1866.
17 Johann Heinrich Kägi, Wädenswil, S. 317/318. - Albert Hauser, Wädenswil, S. 259.
18 Johann Heinrich Kägi, Wädenswil, S. 309.
19 Johann Heinrich Kägi, Wädenswil, S. 315.
20 Johann Heinrich Kägi, Wädenswil, S. 307 ff.
21 Anzeiger 1910, Nr. 29.
22 Anzeiger 1964, Nr. 224. - Jakob Pfister, Die Ortsnamen der Pfarrei Wädenswil, Wädenswil 1924, S. 55.
23 Jakob Pfister, Ortsnamen, S. 68. - StAW, I B 6 und I B 7. - StAW, II B 11.5 und III A 4.
24 Anzeiger 1912, Nr. 110, 116; 1962, Nr. 224.
25 Weisung der Armenpflege für UA vom 3. Oktober 1965.
26 Anzeiger 1905, Nr. 55. - Jakob Pfister, Ortsnamen, S. 68.
27 Anzeiger 1926, Nr. 160.
28 Peter Ziegler, 75 Jahre Krankenhaus Wädenswil, Wädenswil 1961, S. 20/21.
29 Das Altersheim Wädenswil, Neujahrsblatt 1929 der Freien Vereinigung Wädenswil.
30 Anzeiger 1966, Nr. 167,281.
31 Anzeiger 1966, Nr. 241; 1968, Nr. 102; 1969, Nr. 255; 1970, Nr. 256 und Sonderbeilage zum Anzeiger vom 29. Oktober 1970.
32 Weisung für GV vom 23. Juni 1970. 33 Anzeiger 1971, Nr. 103.
34 Peter Ziegler, Wädenswil im Wandel der Zeiten, Wädenswil 1960, S. 100 (Elisabeth Rellstab).
35 Anzeiger 1877, Nr. 63.
36 Anzeiger 1886, Nr. 132. - Peter Ziegler, 75 Jahre Krankenhaus Wädenswil.
37 Anzeiger, 2. November 1935 (Sonderbeilage).
38 Peter Ziegler, 75 Jahre Krankenhaus Wädenswil.
39 StAW, VI 58.4, Jahresbericht 1964 des Krankenhauses Wädenswil. - Weisung für UA vom 8. Dezember 1963.
40 Weisungen des Gemeinderates vom 23. Juni 1970 und 9. Juni 1971.
41 Anzeiger 1971, Nr. 100.
42 Anzeiger 1969, Nr. 284 (Regierungsratsbeschluss vom 24. Dezember 1880). - StAW, II B 13.4.10.
43 Anzeiger 1931, Nr. 189; 1969, Nr. 284.
44 Weisung der Gesundheitskommission für GV vom 28. September 1949.
45 Anzeiger 1969, Nr. 284. - Weisung der Gesundheitskommission für GV vom 9. April 1969.
46 Jakob Pfister, Ortsnamen, S. 68.
47 Jahresbericht 1970 (Anzeiger 1971, Nr. 66).
48 Johann Heinrich Kägi, Wädenswil, S. 323 ff. - StAW, IV B 69.2, Chronik LGW 1846-1848. - StAW, II B 11.4.
49 Jakob Pfister, Ortsnamen, S. 68.
50 Johann Heinrich Kägi, Wädenswil, S. 329 ff.
51 Johann Heinrich Kägi, Wädenswil, S. 332.
52 Anzeiger 1970, Nr. 125.
53 Hans Altwegg, Ein glücklich Leben (Julius Hauser), Emmishofen 1914. - Anzeiger 1970. Nr. 211. - Festschrift «Hundert Jahre Kinderheim Bühl», Wädenswil 1971.
54 Anzeiger 1932, Nr. 180.
55 Walter Wild, 150 Jahre Sparkasse Wädenswil, Wädenswil 1966.
56 Walter Wild, Sparkasse, S. 5.
57 Angaben von Herrn Ernst Krüsi, Wädenswil.
58 Weisung für GV vom 12. Dezember 1924. - So leben wir, Jubiläumsschrift der Kirchgemeinde Wädenswil, Wädenswil 1967, S. 176 ff.
59 Jahrbuch vom Zürichsee 1964/66, S. 385.