Der Erste Weltkrieg (1914-1918)

Quelle: Wädenswil Zweiter Band von Peter Ziegler

Überblick

Der wirtschaftliche und politische Imperialismus der europäischen Grossmächte Deutschland, Frankreich, England und Russland, der übersteigerte Nationalismus der Völker und die Bündnissysteme, welche die Entscheidungsfreiheit der Einzelmächte beschränkten, schufen Voraussetzungen für den Ersten Weltkrieg, der im Sommer 1914 ausbrach. Den unmittelbaren Anlass dazu gab die Ermordung des österreichisch-ungarischen Thronfolgerpaares durch einen serbischen Nationalisten in Sarajewo. Am 28. Juli 1914 überbrachte Österreich den Serben die Kriegserklärung. Am 1. August erklärten die mit Österreich verbündeten Deutschen den Russen und tags darauf den Franzosen den Krieg. Auf Grund der Bündnissysteme wurde innert weniger Stunden Land um Land in den Krieg hineingerissen. Nun standen sich zwei Mächtegruppen gegenüber: die Mittel- oder Zentralmächte Deutschland, Österreich-Ungarn, Türkei und die Entente-Mächte England, Russland, Frankreich, Japan. Italien und die USA verhielten sich vorerst neutral1. Deutschland wurde noch 1914 in einen Zweifrontenkrieg gezwungen. Die in Ostpreussen eingedrungenen Russen wurden unter Hindenburg und Ludendorff bei Tannenberg zurückgeworfen. Im Westen dagegen scheiterte der Versuch einer schnellen Entscheidung. Der französische Gegenangriff unter Joffre führte zur Rücknahme der deutschen Truppen hinter die Marne. An die Stelle des Bewegungskrieges trat der Stellungskrieg, der auch das Geschehen des Jahres 1915 kennzeichnete, in dem das bisher neutrale Italien auf Seite der Entente in den Krieg eintrat.
Die Materialschlachten an der Westfront führten im Jahre 1916 trotz beidseitiger Verluste in den Schlachten von Verdun und an der Somme zu keiner Kriegsentscheidung. An der Ostfront dagegen brach die russische Offensive zusammen. Der uneingeschränkte deutsche U-Boot-Krieg bewirkte im Jahre 1917 den Kriegseintritt der USA auf Seite der Entente-Mächte. Innenpolitische Schwierigkeiten als Folge der Oktoberrevolution führten indessen zum vorzeitigen Ausscheiden der Russen, zum Waffenstillstand und zum Beginn von Friedensverhandlungen der Mittelmächte mit Russland in Brest-Litowsk.
Im Verlaufe des Jahres 1918 brach der Widerstand der Zentralmächte endgültig zusammen. Am 9. November begannen in Compiègne die Waffenstillstandsverhandlungen, die dazu führten, dass Deutschland im Jahre 1919 den Diktatfrieden von Versailles unterzeichnen musste. Die Donau-Monarchie löste sich auf; der deutsche Kaiser Wilhelm II. ging nach Holland ins Exil; in Deutschland wurde die Republik ausgerufen.
Während des Ersten Weltkrieges, der von 1914 bis 1918 Europa erschütterte, blieb die Schweiz verschont. Unser Land, das unter General Ulrich Wille zur Abwehr bereit war, bekam indessen manche Auswirkungen des Krieges zu verspüren. Wie sich die weltpolitischen Ereignisse in Wädenswil spiegelten und welche Massnahmen getroffen wurden, um die Notlage zu lindern, zeigen die folgenden Abschnitte2.

Die Mobilmachung

Am Samstag, dem 1. August 1914, verkündeten die beiden Lokalzeitungen den Wädenswilern die PikettsteIlung der Schweizer Armee, und wenige Stunden später wurde im Dorf bekanntgegeben, dass der Bundesrat die allgemeine Mobilmachung beschlossen habe. Bald waren die Strassen und Plätze von militärischem Leben erfüllt. Die blaue Uniform und das Käppi begannen das Bild des Dorfes zu beherrschen.
Am Samstagnachmittag um zwei Uhr mobilisierte bei der Glärnisch-Turnhalle die von Hauptmann Ernst Schlenker, Wädenswil, kommandierte dritte Kompanie des Landsturmbataillons 60. Nach der Bereinigung der Mannschaftslisten und nach der Inspektion der Ausrüstung wurde die 158 Mann starke Kompanie vereidigt und mit Munition versehen. Als Kantonnemente dienten in der Nacht vom Samstag auf den Sonntag die beiden Eidmattschulhäuser und der alte Turnschopf. Am Sonntagnachmittag um vier Uhr traf der Marschbefehl ein: Die Militärdirektion verfügte die sofortige Abreise nach Eglisau, wo die Wädenswiler die Brückenwache und den allgemeinen Wachtdienst übernehmen sollten. «Der Bereitstellung der strammen Kompanie wohnte ein grosser Teil unserer Bevölkerung bei», berichtete der «Anzeiger», «und manches Auge wurde feucht, als nach schneidigen Kommandos des Kompanieführers die anderthalb Hundert Senioren unserer Wehrmacht strammen Schrittes zum Bahnhof marschierten. Tausendfältiges Hüte- und Tücherschwenken der Bevölkerung verabschiedeten die vor freudiger Begeisterung leuchtenden Wehrmänner»3.
Kriegsmobilmachung 1914. Die 3. Kompanie des Landsturm-Bataillons 60 vor dem neuen Eidmattschulhaus.

Am Sonntagmorgen, 2. August, folgten sämtliche Pferdebesitzer der Gemeinde dem Pferde-SteIlungsbefehl. Auf dem Viehmarktplatz vor der Eidmatt-Turnhalle wurden rund 200 Pferde gemustert. 150 taugliche Tiere konnten in der Nacht vom Dienstag auf den Mittwoch im Güterschuppen verladen werden4.
Am Montag, 3. August, verkündeten die Lokalzeitungen in Extrablättern «Die Kriegserklärung Deutschlands an Russland». Tags darauf rückte der Auszug ein. Wiederum gaben Männer, Frauen und Kinder den rund 450 Wädenswilern das Geleit zum Bahnhof. Ein Extrazug brachte die Truppen des Auszugs auf ihre Korpssammelplätze5. Obwohl die Bevölkerung schon am 31. Juli 1914 in der Presse gemahnt worden war, sich nicht aus dem Konzept bringen zu lassen und im Interesse des einzelnen wie der Gesamtheit ruhig Blut zu bewahren, kam es zu überstürzten Handlungen6. Denn auch für den grössten Teil der Wädenswiler kam der Ausbruch des Ersten Weltkrieges völlig überraschend, hatte man sich doch allmählich an die «Säbelrassler» jenseits der Grenze gewöhnt und sie nicht mehr ganz ernst genommen. Auf den Banken und in Wädenswiler Läden tauschten die Leute eilig Banknoten gegen Silbergeld. Erst der Zeitungshinweis, «Banknoten haben jederzeit gesetzlichen Kurs, sind also gleichwertig wie Gold und Silbergeld», dämmte die Wechselsucht ein7. Am 1. August gelangten auch in Wädenswil die neuen Zwanzig-Franken-Noten zur Ausgabe8.

Erste Kriegsmassnahmen

Nach den kurzen Tagen der Mobilmachung wirkte das Dorf wie ausgestorben. Der Strassenverkehr hatte beinahe aufgehört. Der kräftigere Teil der Bevölkerung, Väter und Söhne, war beim Militär im Felde, und nur die Frauen und Töchter, die Kinder, die Alten und die für den Militärdienst untauglichen männlichen Bewohner waren zurückgeblieben. Während einige Fabriken vollauf beschäftigt waren, hatten andere die Arbeitszeit reduziert. Einige Betriebe sahen sich sogar veranlasst, die Produktion vorübergehend ganz einzustellen. Auch die Bauern waren schlimm dran, denn an mehr als einem Ort hatte auch der Knecht unter die Fahnen treten müssen. Zudem vermisste man auf den Betrieben die Pferde, die man für den Militärdienst hatte abgeben müssen.
Nachdem ein Grossteil der jüngeren Männer ins Feld gezogen war, mussten die Zurückgebliebenen das normale Leben in der Gemeinde nach Möglichkeit aufrechterhalten. In ausserordentlichen Sitzungen traf der Gemeinderat erste Kriegsmassnahmen. Er befasste sich mit der Unterstützung der Angehörigen der Wehrmänner und gab bekannt, Unterstützungsgesuche seien gemäss Artikel 23 der Eidgenössischen Militärorganisation dem Gemeinderat einzureichen9. Wer Arbeit suchte oder Arbeiter brauchte, konnte sich an das Arbeitsvermittlungsbüro wenden10. Die Polizeistunde wurde auf 23 Uhr angesetzt, an Samstagen und Sonntagen auf 24 Uhr. Die Feuerwehr hatte ihre Einsatzmöglichkeiten zu überprüfen. Da von 300 Feuerwehrmännern nur noch gut hundert in Wädenswil weilten, verfügte der Kommandant, dass bei einem Brandausbruch sofort alle drei Kompanien aufgeboten werden mussten11. In den Sektionen war sogar jeder männliche Einwohner zwischen dem 16. und dem 60. Altersjahr verpflichtet, sich im Ernstfall auf dem Brandplatz einzufinden. Am 8. August trat der Kriegsfahrplan in Kraft. Von diesem Zeitpunkt an verkehrte auf dem linken Ufer nur noch alle zwei Stunden ein Zug in jeder Richtung. Die Südostbahn führte täglich fünf Züge von und nach Einsiedeln beziehungsweise Arth-Goldau12.

Die Bürgerwehr

Um die zurückgebliebenen Familien zu beruhigen, wurde die Wädenswiler Polizei am 3. August durch bewaffnete Tag- und Nachtpatrouillen verstärkt. Gleichzeitig organisierte der Gemeinderat eine Bürgerwehr, die eng mit den Polizeiorganen zusammenarbeiten konnte13. Das Dorf und die umliegenden Höfe wurden in sechs Kreise eingeteilt, dazu kamen die Region Waisenhaus und die Sektionen Langrüti, Stocken und Ort. Nacht für Nacht patrouillierte ab 7. August in jedem Kreis eine Doppelwache, ausgerüstet mit Feuerwehrrock, Mütze und geladenem Gewehr. Personen, die von der Wache angerufen wurden, mussten unverzüglich stillstehen, Unbekannte hatten sich auszuweisen. Der Wachtdienst war in erster Linie noch rüstigen und gesunden Familienvätern übertragen, die bereits verdienstlos waren und sich dadurch einen kleinen Erwerb sichern konnten. Dazu kam eine Reihe freiwilliger Helfer. Als Chef der Bürgerwehr amtete der Feuerwehrkommandant Emil Ehrsam-Denzler, als dessen Stellvertreter J. Baumann-Isler. Nachdem der Landsturm und die Landwehr wieder entlassen worden waren und Wädenswil keine nennenswerten Ausschreitungen zu melden hatte, wurde die Bürgerwehr Ende Oktober 1914 wieder aufgelöst. Man begnügte sich fortan mit einer verstärkten Polizeiwache. Die Unkosten, welche durch den Wachtdienst entstanden waren, wurden teilweise durch freiwillige Beiträge gedeckt.

Linderung der Notlage in Wädenswil

Behörden, freiwillige Organisationen und Private machten sich bereits im August 1914 ans Werk, um die Notlage in Wädenswil zu lindern. Es wurden Massnahmen getroffen, die − teils mit Unterbrüchen − bis zum Kriegsende im Herbst 1918, ja bis 1919 aufrechterhalten wurden. Die Rotkreuzsektion sammelte Gaben für die Wehrmänner14. Die Frauenkommission der Arbeitsschule liess für unbemittelte Wehrmänner Socken und Hemden anfertigen und verband damit Hausverdienst für die Wädenswiler Frauen. Die Samaritersektion des Roten Kreuzes gab ihre Bereitschaft bekannt, kranke und verwundete Wehrmänner zu pflegen. Die Färberei und chemische Waschanstalt Hummel anerbot sich, die Wäsche unbemittelter Wehrmänner unentgeltlich zu reinigen15. Für die Bürgerwehr trocknete dieselbe Firma gratis die Kaputte.
Ein erstes Anliegen der Behörde war in den Augusttagen die Sicherstellung der Ernte. Auch der Anbau von gesunder und billiger Kost wurde jetzt schon empfohlen: «Geerntete Äcker, Gartenbeete usw. sollten sofort mit Wintergemüse bepflanzt werden», hiess es am 5. August 1914 im «Anzeiger». Eine Kommission nahm sich der Obstverwertung an. Das Fallobst sollte nicht mehr dem Vieh verfüttert, sondern gekocht, gedörrt oder sterilisiert werden. Die Versuchsanstalt gab in den Zeitungen Anleitungen zur Herstellung von Obst- und Gemüsekonserven. Die Molkerei Wädenswil verkaufte abgerahmte Milch zum billigen Preis von 5 Rappen pro Liter16.
Als Zweigunternehmen der Wädenswiler Haushaltschule wurde schon Anfang August 1914 die Flickstube eröffnet. An zwei Wochentagen erteilten Schneiderinnen im alten Eidmattschulhaus freiwillig Rat zum Ändern und Flicken von Kleidern und Wäsche17. Es wurden hier Männer-, Knaben-, Frauen- und Mädchenkleider geflickt, gewendet oder geändert, und aus ausgetragenen Kleidungsstücken Erwachsener entstanden praktische Buben- und Mädchenkleider. Anfang Juni 1915 wurde die Flickstube wieder geschlossen.
Ein weiteres Frauenkomitee machte es sich zur Aufgabe, bedürftigen Frauen Arbeit und Verdienst zu verschaffen. Am 11. September 1914 wurde im Lokal der Kinderkrippe die erste Heimarbeit vergeben18. Die Zahl der Arbeitsuchenden stieg rasch. Um allen Gesuchen entsprechen zu können, bemühte sich das Komitee um Arbeitsaufträge. Es gelang, vom Roten Kreuz grössere Bestellungen zu erhalten. Verschiedene Vereine und Private gaben auch Weihnachtsbescherungen in Auftrag. Als nach Neujahr 1915 die Bestellungen ausblieben, liess das Komitee auf Lager arbeiten. Damit der Stapel fertiger Sachen nicht zu hoch wurde, setzte man im Dorf von Zeit zu Zeit Verkaufstage an. In Heimarbeit wurden auch grosse Mengen von Soldatenhandschuhen gestrickt und Säcke für Evakuierte angefertigt. Das Frauenkomitee hatte eine grosse Arbeit zu bewältigen, denn sämtliche Stoffe für Näharbeiten wurden zugeschnitten abgegeben, und jeder Strickarbeit wurde eine Anleitung beigefügt. Jeden Freitag nahm man in der Krippe die fertigen Arbeiten entgegen, man zahlte die Löhne aus und gab neue Näh- und Strickarbeiten in Auftrag. Um die Wehrmänner-Unterstützung und die Hilfstätigkeit in der Gemeinde sinnvoll zu koordinieren, bildete der Gemeinderat Wädenswil ein Hilfskomitee, dem Vertreter des Gemeinderates, der Armenpflege, des Spendguts, des Pestalozzivereins, der Lehrerschaft, der Arbeiterschaft, der äusseren Sektionen und der verschiedenen Frauenvereine angehörten19. Gemeindepräsident Franz Weber führte den Vorsitz. Die vom Gemeinderat bestellte Notstandskommission eröffnete am 1. Oktober 1914 eine Suppenanstalt. Im Gemeindehaus «Sonne» wurde täglich nahrhafte Suppe zubereitet und zum Teil gratis, zum Teil zum Selbstkostenpreis von 20 Rappen pro Liter, abgegeben. Als die Suppenanstalt Ende März 1915 die erste Betriebsperiode schloss, konnte man der Bevölkerung folgendes mitteilen20:
«Die Kommission liess es sich angelegen sein, durchwegs eine vollwertige Suppe zu bereiten, die geeignet ist, als vollständige Mahlzeit zu genügen. Es wurden daher in jeder Suppe ansehnliche Quantitäten Fleisch, Gemüse und Kartoffeln mit den Spezereien verkocht; einzelne Suppen erhielten statt Fleischzusatz eine Käseeinlage. Der Einkauf der Suppenartikel war schon im Herbst schwierig, da einzelne Produkte gar nicht, andere nur schwer und teuer zu beschaffen waren, namentlich die Erbsen, die eine bei allen beliebte Suppe ergeben, waren fast nicht aufzutreiben. Es wurden daher verschiedene neue Zusammenstellungen erst daheim im Kleinen probiert und dann ins Grosse übersetzt. Dadurch gelangten 17 verschiedene Menüs zur Ausführung. Als Extragabe wurde in der Blumenkohlzeit zweimal Blumenkohlsuppe zubereitet». Alle Auslagen konnten durch freiwillige Spenden gedeckt werden. Den Sommer über ruhte der Betrieb in der Suppenküche. In den Wintern 1915/16, 1916/17, 1917/18 und 1918/19 wurde er aber wieder aufgenommen und erfreute sich grosser Beliebtheit und regen Zuspruchs.
Bereits im August 1914 traf der Gemeinderat Massnahmen, um der Arbeitslosigkeit in der Gemeinde zu steuern. In einem Aufruf wurden die Geschäftsinhaber gebeten, ihre Betriebe mit der noch vorhandenen Arbeiterschaft so gut wie möglich aufrecht zu erhalten. Wo dies nicht gehe, solle die Arbeitszeit verkürzt werden, oder man solle die Arbeiter gruppenweise und im Turnus beschäftigen. Gleichzeitig ersuchte der Gemeinderat alle Einwohner, die Arbeiten irgendwelcher Art zu vergeben hatten, dies jetzt zu tun.
Auch die Gemeinde half mit, der Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken. Als Notstandsarbeiten vergab Wädenswil im Kriegsjahr 1915 folgende Aufträge21: die Eindolung des Untermosenbaches, die Korrektion der Büelenebnetstrasse, die Neugestaltung des Seeplatzes, den Innenumbau des Gemeindehauses zum Freihof.

Die Lage der Industrie

Im Vergleich zu den Nachbargemeinden war die wirtschaftliche Lage von Wädenswil günstig. Dies verdankte man vor allem der Vielseitigkeit der Industrie. Keiner der Grossbetriebe musste seine Tore ganz schliessen, die Produktion konnte, wenn auch mit Einschränkungen, weitergeführt werden. Drei Beispiele sollen zeigen, wie man sich der Kriegssituation anpasste.
Die Brauerei Wädenswil wurde am Ende der Saison vom Krieg überrascht, als die Malzvorräte auf ein Minimum zusammengeschmolzen waren. Mit einem Schlag fehlte es an Personal; Pferde und Motorwagen waren requiriert. Später war die Verwendung von Autos überhaupt verboten. Der Kriegsfahrplan unterwarf den Eisenbahnverkehr schweren Einschränkungen. Für die an gute und prompte Bedienung gewöhnte Kundschaft kamen Zustände, die man bisher nie gekannt hatte: Das Bier musste zum grössten Teil in der Brauerei abgeholt werden. Am meisten Sorgen bereitete die Beschaffung der Rohstoffe. In den Wirtschaften erschienen Tafeln mit der Aufschrift: «Bier mit Reiszusatz». Weil das dünne Kriegsbier keinen Anklang fand, sank der Absatz unaufhörlich22.
Auch der Seidenweberei Gessner brachte der Krieg Sorgen ganz verschiedener Art: Belastungen durch Kriegsversicherung, Mehrdiskont, Zinsverluste und Kursrückgänge. Dabei musste man grosse Vorräte an Rohseide anlegen, um allfällige Preisaufschläge und Verknappungen ausgleichen zu können. Neben dem Kapitalbedarf gegen Kriegsende hin machten der Firma Gessner auch andere Probleme zu schaffen. Die Geschäfte in Kanada, Frankreich, Italien und England gingen zurück. Wegen Rohstoffmangels, der trotz aller Voraussicht und Vorsorge eingetreten war, mussten die Maschinen an Samstagen stillstehen. Trotz allem war die Firma für das Wohl der Arbeiter besorgt. So stand der Belegschaft in Wädenswil eine Sterilisier- und Dampfdörranlage zur Verfügung 23.
In der Stärkefabrik Blattmann schien der Erste Weltkrieg die gründliche Aufbauarbeit auf einen Schlag zu zerstören. Namentlich das Auslandgeschäft wurde jäh unterbrochen. Die Rohstoffeinfuhren stockten, die Preise von Rohstoffen und Fertigfabrikaten begannen unaufhörlich zu steigen. Für Weizenstärke, die noch vor dem Krieg Fr. 95.- gekostet hatte, zahlte man 1918 Fr. 172. Die Preise für Maispuder stiegen von Fr. 99 auf Fr. 225, für Reisstärke von Fr. 108 auf Fr. 168. Zunehmende Absatzschwierigkeiten zwangen die Firma, die Produktion teilweise umzustellen. Unter dem Namen Fischkleister nahm man damals die Fabrikation von Trockenkleister auf, der bald zu einem Hauptprodukt wurde24.

Anbau und Rationierung

Schon im Herbst 1914 hatte der Gemeinderat den Wädenswilern empfohlen, in ihren Gärten und Pünten vermehrt Gemüse für den Eigenbedarf anzubauen. Im Jahre 1916 pachtete die Gemeinde verschiedene Grundstücke und überliess sie 126 Interessenten mietweise für Gemüsepflanzungen. Die Äcker in der Kleinweid, im Grossengaden, im Hessen und im Grüental wurden zum Teil von älteren Primarschülern und von Sekundarschülern bebaut. 1917 pflanzte man vor allem Kartoffeln. Unergiebige Äcker beeinflussten indessen das Resultat des gesamten Anbaus in der Gemeinde schon im Jahre 1917 so ungünstig, dass der Gemeinderat beschloss, diese Art der Lebensmittelproduktion aufzugeben25.
Die vom Bundesrat angeordnete Erhebung brachte 1917 auch in Wädenswil Klarheit über die Anbauverhältnisse26. Auf den Landwirtschaftsbetrieben der Gemeinde wurden damals gesamthaft angebaut: 1 ha 78 a Weizen, 69 a Dinkel, 59 a Roggen, 51 a Sommergerste, 4 ha 36 a Hafer, 24 a Mais, 2 ha 12 a Hülsenfrüchte, 22 ha 84 a Kartoffeln, 1 ha 84 a Runkelrüben, 2 ha Kohlrüben, 50 a gelbe Rüben, 3 ha 20 a Gemüse. Dazu kamen die privaten Pflanzplätze und das Notstandspflanzland mit folgenden Produkten und Anbauflächen: 173 ha 54 a Kartoffeln, 1 ha 27 a Bohnen und Erbsen, 2 ha 39 a Kabis und Kohlarten.
Schon im Verlauf des Jahres 1916 wurden Heu, Brennstoffe und Nahrungsmittel knapp. Als sich die Zufuhrverhältnisse weiter verschlechterten, verfügte der Bundesrat im Frühling 1917 die Rationierung der Lebensmittel. Im September beschloss der Gemeinderat die Abgabe der Buttermarken. Auch das Brot und sämtliche Teigwaren durften nur noch rationiert abgegeben werden. 1918 gelangten unter anderem Fettkarten zur Ausgabe, und als 13. Lebensmittel wurde die Kartoffel rationiert. Alle Lebensmittelkarten wurden in Wädenswil von freiwilligen Helfern in die Haushaltungen verteilt. Trotz der Rationierung schnellten die Preise ununterbrochen nach oben. Ende 1918 waren sie, im Vergleich zu 1914, für Nahrungsmittel und Mieten mehr als doppelt so hoch, ohne dass die Löhne auch nur annähernd gleich gestiegen wären. Im Mai 1918 stellten auch die Wädenswiler Metzgereien den Verkauf von Kalbfleisch ein, weil niemand mehr so hohe Preise zahlen wollte27.
Aus dem letzten Kriegsjahr ist auch ein erfreuliches Ereignis zu melden: Der Armeetag zu Gunsten der schweizerischen Nationalspende, welche Unterstützungen leistete für Familienfürsorge, an Soldatenstuben, kranke schweizerische Wehrmänner, Kriegswäschereien und an die Angehörigen an Grippe verstorbener Wehrmänner. In Wädenswil wurde der Armeetag am 30. Juni 1918 durchgeführt28. Musikdarbietungen auf dem Platz vor der «Eintracht», ein Hauptkonzert auf dem Postplatz und die allgemeine Sammlung, die sich über mehrere Wochen erstreckte, ergaben in Wädenswil Einnahmen von über 59‘900 Franken − ein Ergebnis, das sich sehen lassen durfte.

Ab September 1917 durfte das Brot nur noch rationiert abgegeben werden.

Milchrationierungskarte vom September 1918 mit 30 Coupons für den Bezug von je 1/2 Liter verbilligter Milch.




Peter Ziegler



Anmerkungen

Anzeiger = Allgemeiner Anzeiger vom Zürichsee
DOZ = Dokumentationsstelle Oberer Zürichsee
LGW = Lesgesellschaft Wädenswil
 
1 . R. von Salis, Weltgeschichte der Neuesten Zeit, Bd. 2, Zürich 1962. – Fritz Schaffner, Abriss der modernen Geschichte, Frauenfeld 1967.
2 Ähnliche Untersuchungen für andere Zürcher Gemeinden: Hans Frey, Stäfa, Bd. 2, Stäfa 1969, S. 91 ff. – Heimatbuch Meilen 1963, S. 107 ff. – Quellen für ganzes Kapitel: StAW, II B 17.3. 1-3. – StAW, II B 10.13. 1 (Kriegswirtschaftsamt). – StAW, II B 10.13.4.1, Rationierung 1914–1918.
3 Anzeiger, 3. August 1914.
4 Anzeiger, 1.,3. und 5. August 1914.
5 Anzeiger, 5. August 1914.
6 Anzeiger, 31. Juli 1914.
7 Anzeiger, 1. August 1914.
8 Anzeiger, 3. August 1914.
9 Anzeiger, 5. August 1914.
10 Anzeiger, 3. August 1914 (Inserat).
11 Anzeiger, 7. August 1914.
12 Anzeiger, 8. und 9. August 1914.
13 Anzeiger, 8. und 14. August, 30. Oktober 1914. – StAW, II B 20.3.1, Bürgerwehr.
14 Anzeiger, August 1914.
15 Anzeiger, August 1914.
16 Anzeiger, 9. Oktober 1914.
17 Anzeiger, 26. Juni 1915.
18 Anzeiger, 9. Oktober, 18. und 30. Dezember 1914.
19 Anzeiger, 9. Oktober 1914.
20 Anzeiger, 26. Juni 1915.
21 Anzeiger, 26. Juni 1915. – Voranschläge und Rechnungen der öffentlichen Güter der Gemeinde Wädenswil, 1915 bis 1918.
22 Albert Hauser, Aus der Geschichte der Brauerei Weber in Wädenswil, Zürich 1957, S. 55.
23 Peter Ziegler und Max Mumenthaler, 125 Jahre Seidenweberei Gessner, Wädenswil1966, S. 29.
24 Albert Hauser, Aus der Geschichte der Stärkefabrik Blattmann & Co. Wädenswil, 1856–1956, Wädenswil 1956, S. 40 und 42.
25 DOZ, LC 15, Chronik LGW 1917. – StAW, II B 10.13.10.
26 DOZ, LC 15, Chronik LGW 1917.
27 DOZ, LC 15, Chronik LGW 1918.
28 DOZ, LC 15, Chronik LGW 1918.