Bevölkerungswachstum und bauliche Entwicklung

Quelle: Wädenswil Zweiter Band von Peter Ziegler

Die demographische Entwicklung

Im Kriegs- und Revolutionsjahr 1799 zählte Wädenswil rund 3800 Einwohner1. Zwölf Jahre später wurde bereits die Viertausendergrenze überschritten, und 1836 war Wädenswil mit seinen 5094 Einwohnern die grösste Landgemeinde des Kantons Zürich. Winterthur, dessen Vororte damals noch nicht eingemeindet waren, vermochte Wädenswil erst zwischen 1850 und 1860 zu überflügeln2. Zwischen 1850 und 1880 wuchs die Wädenswiler Bevölkerung eher langsam von 5841 auf 6209 Seelen. Den grössten Zuwachs brachten die Jahre 1888 bis 1910. Damals schnellte die Bevölkerungsziffer von 6338 auf 9067 hinauf. Das Wachstum war nicht in erster Linie auf Geburtenüberschuss zurückzuführen, sondern mehr auf die Zuwanderung aus andern Gemeinden und Kantonen sowie aus dem Ausland. Während der Bevölkerungszuwachs der Schweiz in den Jahren 1860 bis 1890 im Mittel pro Jahrzehnt 6,66 Prozent betrug, verzeichnete der Kanton Zürich einen Zuwachs von 11,5 Prozent, Wädenswil gar eine Zunahme von 26,5 Prozent3. Schon am Ende des 19. Jahrhunderts kam es deshalb in Wädenswil zu einer erheblichen Bevölkerungsdichte. Während die Gemeinde im Jahre 1836 pro Quadratkilometer erst 281 Personen gezählt hatte, waren es im Jahre 1880 bereits 344 und 1910 gar 502 Personen4.
Wädenswil um 1900, Massstab 1 : 10’000.

Im Zeitabschnitt von 1910 bis 1950 nahm die Bevölkerung wieder verhältnismässig langsam und über die Jahre und Jahrzehnte hinweg ziemlich gleichmässig zu, mit Ausnahme der Krisenzeit, die zwischen 1930 und 1941 eine rückläufige Entwicklung brachte.
Wie gemässigt und für die Bevölkerung gut verdaubar die Entwicklung von 1910 bis 1950 − in der Zeit zweier Weltkriege und der Krise − verlief, zeigt unter anderem die Tatsache, dass während dieser vierzig Jahre kein neues Schulhaus gebaut werden musste. Die Entwicklung entsprach einem natürlichen organischen Wachstum des in der eigenen Wirtschaft verhafteten Gemeinwesens und unterlag Besiedlungseinflüssen von aussen, etwa von der Stadt Zürich her, nur ganz untergeordnet5. Zur Verdoppelung der Einwohnerzahl von 1836 mit 5094 Einwohnern auf 10‘155 Einwohner im Jahre 1950 bedurfte es einer Zeitspanne von mehr als hundert Jahren.
Seit 1950 stieg die Einwohnerzahl schnell fortschreitend auf 11‘677 im Jahre 1960 und auf 15‘695 am 1. Dezember 1970, was für das Jahrzehnt 1960 bis 1970 einer Zunahme von 34,4 Prozent entspricht6. Die rasche Vermehrung ist einerseits auf die Ausweitung der örtlichen Wirtschaft − etwa durch die Ansiedlung der Firma Standard in der Au − zurückzuführen, anderseits aber auch auf einen starken Zuzug von Pendlern, die in Wädenswil wohnen und auswärts, meist in der Stadt Zürich, arbeiten. Schon 1962 wurde festgehalten, die Au sei ein eigentliches Schulbeispiel für einen angehenden Schlafgänger-Ort, denn 1957 beherbergte die Au 40 Prozent Wegpendler7.
Mit der Auffüllung der Agglomeration Zürich schiebt sich die Grossstadt immer weiter aufs Land hinaus. Auch Wädenswil wird weiterhin Bevölkerungszuwachs zu verzeichnen haben. Die Regionalplaner haben errechnet, dass im ganzen nach modernen planerischen Grundsätzen besiedelten Gemeindegebiet von Wädenswil rund 60‘000 bis 70‘000 Einwohner untergebracht werden könnten, nämlich 30‘000 bis 35‘000 Menschen im jetzt eingezonten Raum Dorf und Au und etwa gleichviele im jetzt nicht in Zonen eingeteilten Berg8.

Die bauliche Entwicklung bis 1880

Um 1800 trug Wädenswil noch stark bäuerlichen Charakter. Das zeigt unter anderem der Brandkataster von 1826, der nicht nur die Bau- und Bedachungsart der Wohnhäuser beschreibt, sondern auch alle Nebengebäude verzeichnet9. Waschhäuschen, Trotten, Scheunen und Schöpfe gehörten fast zu jedem grösseren Heimwesen. Wir finden solche Bauten nicht nur in den Aussensiedlungen − im Giessen, Rothus, BoIler, auf dem Meierhof, ob dem Schloss, im Mülibach, auf dem Leihof und dem Bühl, auf der Fuhr, auf Untermosen, im Musli oder am Krähbach −, sondern auch in der eigentlichen Dorfzone: auf dem Buck und im Luftquartier, bei der «Krone» und beim «Engel», bei der «Reblaube» und bei der «Weinrebe», an der Hinteren Lände und am Sagenrain, in der Eidmatt und bei der Kirche, an der Türgass und an der Leigass. Die Scheune des Hauptmanns Blattmann zur «Hoffnung» wurde 1828 sogar mit einer Laube und 1837 mit einem Turm versehen10. Auch zum staatlichen Pfarrhaus gehörten ein Waschhäuschen und eine Scheune11. Im Giessen wird 1826 ein Rebhäuschen erwähnt und auf dem Boller ein Speicher. Auf dem BoIler und im Meierhof gab es Sennhütten.
Industriebauten vermochten das Dorf noch nicht zu dominieren. Handwerk und Gewerbe wurden meist in alten Gebäuden betrieben und erforderten noch keine Spezialbauten. Der Brandkataster von 1826 nennt im Giessen die Mühle, Schnupftabakstampfe und Säge von Hauptmann Ulrich Hauser sowie die Spinnerei Blattmann, Diezinger & Co., an der Luftgasse die Hafnerwerkstatt von Heinrich Leuti, im Luft die Schnupftabakstampfe von Rudolf Herdener, ob der «Krone» das Gerbegebäude von Präsident Hauser, beim «Engel» die Hutmacherwerkstatt von Caspar Eschmann, in der Seferen die Seifensiederei von Heinrich Streuli.
Wädenswil von Westen. 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Links die Häuser am Sagenrain, im Zentrum der «Freihof», im Vordergrund die Gegend beim späteren «Bürgli», rechts die Kirche und dahinter das «Schloss».

Zwischen 1800 und 1850 erfuhr das Dorfbild einen ersten Wandel. Eine Reihe alter Gebäude wurde beseitigt: 1814 das abgebrannte Landvogteischloss, 1819 das Dorfschulhaus, 1821 das Gemeindehaus bei der Kirche. Dafür setzten neue, immer moderner und grösser gehaltene Häuser ihre Akzente: 1811 der als Baumwollspinnerei erstellte «Freihof», 1813 die Gerberei Hauser, 1818 das Armenhaus am Plätzli, 1821 das Gemeindehaus «Sonne», 1835 der «Engel» und das Eidmattschulhaus, 1840 die Sust und der Seehof, 1848 das Waisenhaus.
Viele dieser Bauten hoben sich auch in der Stilrichtung von den herkömmlichen Zürichsee Häusern ab. Mit dem «Friedberg» ob der «Krone»12, dem «Freihof», der Gerbe und dem von Hans Konrad Stadler errichteten neuen Schlossgebäude fanden in der Gemeinde Louis-XVI-Formen und Klassizismus ihren Niederschlag13.
Weitere Veränderungen erhielt das Dorf durch den Bau der See-, Schönenberg- und Zugerstrasse in den 1830er und 1840er Jahren und dann vor allem durch den Bahnbau von 1870 bis 1876. Haaben und Häfen wurden aufgefüllt, und der Schienenstrang trennte Seeufer und Siedlung. Im Bahnhofgebiet erhielt Wädenswil einen neuen Mittelpunkt. Der 1875 eingeweihte Bahnhof, der «Engel», die «Krone», das «Schiffli» und das um 1880 eröffnete «Du Lac» mit seinem Glaspavillon und dem «jardin russe» waren wohlbekannt14.
Um dieselbe Zeit entstanden auch grössere Fabrikbauten. Die Pferdehaarspinnerei Schnyder bezog 1868 den Neubau an der Einsiedlerstrasse. In den 1870er Jahren erweiterte man die Brauerei und die Stärkefabrik Blattmann. 1874 nahm das Gaswerk den Betrieb auf. 1881 wurde im Neuwiesenquartier die mechanische Seidenweberei Gessner vollendet. Die Seifenfabrik Sträuli bezog 1886 einen Neubau an der Einsiedlerstrasse. Eine Reihe von Hochkaminen zeigte an, dass die Industrie das bäuerliche Dorf zu verändern begann.

«Klein-Paris»

Nun wandelten sich auch die sozialen Verhältnisse und die gesellschaftliche Struktur15. Marktschreierische Angebote verleiteten die Leute zum Kauf von fabrik- und serienmässig hergestellten Möbeln. Wer etwas auf sich hielt, kaufte sich eine billige Chiffonniere und Rohrsessel. 1885 schrieben die «Nachrichten vom Zürichsee», man sei in Wädenswil auslandsüchtig geworden. Es gebe viele, die meinen, sie seien gebildete, feine Leute, weil sie französische und deutsche Sachen kennen und kaufen, aber geringschätzig über die Leistungen des einheimischen Gewerbes urteilen16. Tatsächlich wurden in den Inseraten der Jahre 1884 bis 1890 in erster Linie ausländische Produkte angepriesen: Bulgaren-Schürzen, englische Stoffe, griechische und spanische Weine oder Münchner Biere. Es gab französische Cercles, und man liess ausländische Theatergruppen kommen17. Halb spöttisch, halb ernst-ironisch nannte man Wädenswil um die Jahrhundertwende «Klein-Paris»18.
Auch die Neubauten der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mussten sich nun von den traditionellen Bürgerhäusern unterscheiden. Man begann mit der Stadt zu wetteifern und errichtete Privatbauten, die etwas vorstellten. Ein Musterbeispiel für dieses Denken war der 1966 abgebrochene Sommersitz «Bürgli». In den Jahren 1864–1873 liess der Seidenindustrielle August Gessner auf dem Galgenrain, der alten Richtstätte Wädenswils, den Familiensitz «Bürgli» erbauen19: eine kleine Sensation am Zürichsee, die weit über das Dorf hinaus begeisterte Bewunderer fand! Wo gab es sonst in der Nähe eine Villa im Stile der Mittelmeerpaläste? Mit Sommerhaus, Rittersaal und offener Halle, mit Flachdächern, Turmzinnen, Wehrmauern und mit kunstvollen Park- und Gartenanlagen voller südlicher Pflanzen? Weil die flachen Zementdächer nicht wasserdicht gehalten werden konnten, weder mit Blech noch mit Asphaltbelägen, wurden die Gebäulichkeiten 1884/85 mit steilen Giebeldächern und die Türme mit Spitzhelmen versehen. Die südländische Villa verwandelte sich dabei in eine neugotische Turmbaute. Das Haus «Bürgli» war ein Werk der berühmten Zürcher Architekten Johann Jakob Breitinger (1814–1880) und Leonhard Zeugheer (1812–1866). Der Umbau erfolgte nach den Plänen von Alfred Friedrich Bluntschli (1842–1930)20.
Das 1864 bis 1873 für August Gessner erstellte Bürgli, vor dem Umbau von 1884.

Das 1884 mit Steildächern versehene Bürgli. Aufnahme von 1909.

Weitere Stilformen kamen um die Jahrhundertwende zur Anwendung. Der Architekt August Hardegger wählte für die 1896/97 erbaute katholische Kirche von Wädenswil die Neuromanik. Die «Schwanau», das 1896 vollendete Postgebäude, der 1906 fertiggestellte «Merkur» und der 1907 umgebaute «Schwanen» waren vom Jugendstil beeinflusst. Die Villa «Rosenmatt» des Seidenindustriellen Emil Gessner-Heusser, 1898/99 vom Semper-Schüler Albert Müller (1846-1913) errichtet, verkörperte die moderne Richtung im Villenbau21. Als weitere typische Bauten der Jahrhundertwende sind die Fabrikhäuser für Arbeiter und Angestellte im Giessen, im Reidbach, an der Florhof- und der Glämischstrasse zu nennen, ferner die von den Zürcher Architekten Bischoff & Weideli erstellten Schulhäuser Stocken, Ort und Glämisch/Wädenswil, das Feuerwehrhaus an der Schönenbergstrasse, das von Architekt H. Müller in Thalwil geplante Bürgerheim und die 1912 von Bischoff & Weideli errichtete Villa Grünenberg für den Fabrikanten Heinrich Blattmann-Ziegler22.
Geschäftshaus «Merkur» Beispiel für den Baustil der Jahrhundertwende.

Die 1899 erbaute Villa Gessner im Rosenmattpark, seit 1940 Kirchgemeindehaus.

Die Jahrhundertwende: Bäche und Weiher werden eingedeckt

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wandelte sich das Dorfbild abermals. Die verschiedenen Bäche, die noch offen durch die Siedlung flossen, aber immer mehr Abwässer aufzunehmen hatten, wurden nun zugedeckt, die Weiher aufgefüllt23. 1902 erfolgte die Kanalisation des Gerbebaches. 1907 verschwand der Feuerweiher bei der Schmiedstube im Oberdorf. 1905 liess die Gemeinde den Stegweiher am Sagenrain eindecken. Dieser Weiher lag zwischen der Seidenweberei Gessner, der Schmiede und den Steghäusern. Sein Zufluss war der Krähbach. Der Abfluss hiess Sagenbach, denn sein Wasser trieb die Dorfsäge, die 1905 abgebrochen wurde und einem Neubau der Färberei Hummel & Co. Platz machte. Oberhalb und unterhalb des neuen Färbereigebäudes fasste man den Sagenbach schon 1905 in Beton. Zwischen Florhofstrasse und Hoffnungsweg wurde der Bachlauf im Jahre 1913 eingedolt. Als Notstandsarbeit während des Ersten Weltkrieges verlegte man 1915 einen Teil des Untermosenbaches in Röhren. 1921 deckten Arbeitslose den Gulmenbach ein. 1924 beschloss die Gemeindeversammlung die Eindeckung des Krähbach-Weihers und des Krähbachs von der Zugerstrasse bis zur Stegstrasse24.
Beide grossen Weihergebiete sind heute überbaut. Auf dem Areal des ehemaligen Stegweihers stehen Personalhäuser der Seidenweberei Gessner, auf dem eingedeckten Krähbach-Weiher Wohnhäuser der Überbauung Krähbach.
Traubengasse um 1919. Blick von der Florhofstrasse Richtung See. In der Bildmitte das Haus «Zur Hoffnung».
 
Die aus dem 17. Jahrhundert stammende, 1905 abgebrochene Säge am Sagenrain.

Die bauliche Entwicklung zwischen 1900 und 1940: Neubauten und Abbruch des Bahnhofquartiers

Die zunehmende Industrialisierung und das Anwachsen der Bevölkerung bestimmte schon früh die bauliche Entwicklung des Dorfes. Statistiker hatten im Jahre 1772 in der Gemeinde Wädenswil 337 Wohnhäuser mit 635 Haushaltungen gezählt. Schon 1814 registrierte man 490 Wohnhäuser. Von 1870 bis 1941 veränderte sich die Zahl der Häuser und Haushaltungen wie folgt25:

Jahr Häuser Haushaltungen
1870 771 1305
1880 764 1392
1888 684 1417
1900 873 1783
1910 997 2122
1920 896 2204
1930 1090 2431
1941 1169 2620

Die Tabelle zeigt, dass die Bautätigkeit im Zeitraum zwischen 1890 und 1910 stark zunahm. Innerhalb von zwanzig Jahren entstanden in Wädenswil 293 Häuser mit 705 Haushaltungen. Um 1900 konzentrierte sich der Wohnungsbau auf das Oberdorf-, Neudorf- und Stegquartier und um 1910 auf das Gebiet BoIler, Schlossbergstrasse. obere Schönenbergstrasse, Fuhrstrasse26. Auf die Wohnungsnot reagierten verschiedene private Baugenossenschaften nach dem Ersten Weltkrieg.
Liegenschaften «Bellevue» und «Schlenker» im Bahnhofsquartier, abgebrochen 1931.

Die Häuser beidseits der Kronengasse wurden im Sommer 1931 geschleift. Im Hintergrund die unterste Partie der Gerbestrasse.

Das Restaurant «Schiffli» am Standort des heutigen Bahnhofs und des Bahnhofplatzes.

Abbruch des Restaurants «Schiffli», Sommer 1931. Im Hintergrund links das Haus «Fortuna».


Einen starken Einbruch ins Dorfbild brachten die Jahre 1931/32. Damals wurde der Bahnhofplatz angelegt und ein neues Stationsgebäude erstellt. Dem Bahnhofumbau musste das ganze Bahnhofstrasse- und Kronengasse-Quartier weichen27. Anfang Juni 1931 brach man das Restaurant «Du Nord» und das Haus «Bonato» am Bahnweg ab, und in den ersten Augusttagen riss Abbruch-Honegger zehn weitere Häuser nieder, so die «Akazie«, das «Bellevue», die «Blume», die «Friedau», das «Pöstli», das «Schiffli» und die Häuser «Schönegg» und «Seeau». Ihnen folgten im Mai 1932 die «Johannlsburg» und die «Krone». Der 1933 vollendete neue Kronenblock war das erste grosse Gebäude mit Flachdach in Wädenswil. Weitere Flachdachbauten folgten 1933 mit dem Strandbad Rietliau und 1935 mit dem Krankenhaus.
«Johannisburg» und «Krone» an der Seestrasse, abgebrochen 1932.

Am Standort dieser 1931 abgebrochenen Häuser erhebt sich heute der Kronenblock. Rechts der «Engel».

Neue Siedlungen und Wohnquartiere

Seit 1919 förderten Bund, Kanton und Gemeinde den Wohnungsbau. Bis 1944 wurden in den zürcherischen Seegemeinden – mit einer Sperre von 1933 bis 1939 − insgesamt 990 Wohnungen subventioniert28. Im Verhältnis zur Bevölkerungszahl beteiligte sich die Gemeinde Wädenswil mit 266 Wohnungen am stärksten von allen Zürichsee Gemeinden. Nicht nur während des Zweiten Weltkrieges, sondern auch in der Nachkriegszeit legte die Gemeindebehörde den Stimmbürgern Anträge betreffend die Förderung des Wohnungsbaus vor29.
Die ersten Wohnkolonien – Siedlungen mit mehreren gleichen oder ähnlichen Häusern − wurden in Wädenswil schon zu Ende des 19. Jahrhunderts erstellt. 1893–1895 entstanden die Fabrikhäuser an der Glärnischstrasse und 1894–1907 jene im Neudorf. 1921–1934 wurde im BoIler und im Meierhof gebaut, 1924–1929 an der Büelenstrasse, 1927–1929 an der Dahlienstrasse, 1931 am Fluhweg. Damit dehnte sich das Dorf bis 1930 vorwiegend in die Breite aus.
Die höher gelegenen Terrassen wurden erst später erschlossen. In den Jahren 1938–1948 entstanden die Bauten im Mühlebachquartier, in den Jahren 1930–1935, 1940–1947 und 1958 die Häuser an der Unteren Weidstrasse und zwischen 1950 und 1956 jene an der Oberen Weidstrasse. Während des Zweiten Weltkrieges und in der Nachkriegszeit erstellten verschiedene Genossenschaften weitere Siedlungen: 1944 bezog man die von Wädenswiler Industriellen in Auftrag gegebenen und von den Architekten H. Fischli und O. Stock geplanten 28 Einfamilienhäuser der Siedlung Gwad30. 1945 waren die von Architekt Fritz Jenny, Zürich, entworfenen 13 Einfamilienhäuser der Siedlung Schönmatt ob dem Friedhof vollendet31 und 1947 die Bauten der Siedlung Musli.
In den 1950er und 1960er Jahren richtete sich die bauliche Entwicklung des Dorfes neben der Au vor allem auf die beiden grossen Ausfallstrassen aus: auf die Schönenbergstrasse und die Zugerstrasse, wo moderne Wohnblöcke aus dem Boden schossen und die Grünflächen. immer stärker zusammenschrumpften. Schrittweise wurde das Gebiet südlich und westlich des Friedhofs erschlossen: zuerst durch eine Reihe von Einfamilienhäusern, dann durch die grosse Überbauung Eichweid. Auch längs der Speerstrasse im Baumgarten entstanden neue Häuser. Im Unteren Sandhof wurden 1966 erstmals in der Gemeinde Häuser mit Eigentumswohnungen fertiggestellt32.
Seit den 1960er Jahren erhielt auch das Einzugsgebiet der Zugerstrasse erheblichen Siedlungszuwachs. In der 1962 bezogenen Wohnsiedlung Gulmenmatt des Industrie-Arbeitgeber-Vereins Wädenswil-Richterswil standen die beiden ersten Hochhäuser des Dorfes33. Dann folgten die Bauten an der Tobelrain- und Wiesenbachstrasse, in der Holzmoosrüti, im Hangenmoos und unterhalb der «Schönegg»34.
Siedlung Gulmenmatt mit den beiden ersten Hochhäusern des Dorfes, erbaut 1962.

Ende der 1960er Jahre entstanden an der oberen Zugerstrasse neue Wohnquartiere.
 
Nachdem sich die Wädenswiler Bautätigkeit mit wenig Ausnahmen eher auf die Peripherie des Dorfes beschränkt hatte, wurden in den Jahren 1970/71 auch verschiedene Neubauprojekte im Dorfkern ausführungsreif, so an der Grünaustrasse, an der Oberdorf- und Zugerstrasse, an der Rebberg- und Buckstrasse. Manche Dorfpartie − etwa die Gegend am Schwanenplatz oder an der Trubengass − wird dadurch ein völlig neues Gesicht erhalten35.
Während die bauliche Entwicklung den Wädenswiler Berg nur unbedeutend erfasste, überrollte sie die Au innert weniger Jahre. 1956 hatte man im Gebiet zwischen Gwad − Unterort − Steinacker und Appital erst rund 160 Häuser und 240 Haushaltungen gezählt36. Schon 1962 wurden in der Au 180 Wohnungen fertiggestellt und 1963 waren 600 weitere Wohnungen im Bau oder im Stadium der Planung37. Und dies bedeutete erst den Anfang einer Entwicklung, die sich seither von Jahr zu Jahr fortsetzt. Die Überbauungen im Oberort, im Zopf, im Appital, im Mittelort, im Maiacher, im Steinacher, im Unterort und im Seeguet − Siedlungen mit je 100 bis 400 Wohnungen − sind Marksteine in der jüngsten Geschichte der Au38. Der stark angestiegene Wohnungsbau in der Au spiegelt sich auch in der Statistik der in Wädenswil fertiggestellten Häuser und Wohnungen. Für die Jahre 1961 bis 1970 ergibt sich für die ganze Gemeinde folgendes Bild39:
 
Jahr Häuser Wohnungen
1961 23 158
1962 24 205
1963 29 173
1964 23 79
1965 17 95
1966 37 197
1967 14 63
1968 36 279
1969 66 329
1970 74 387
 
Anlässlich der Volkszählung von 1950 harte man in Wädenswil 1328 Häuser und 2869 Haushaltungen registriert. 1960 waren es bereits 1439 Häuser mit 3349 Haushaltungen und 1970 gar 1747 Häuser und 5123 Haushaltungen40. Im ersten Halbjahr 1971 wurden weitere 26 Gebäude mit 180 Wohnungen bezugsbereit.

Das Gebiet der Au um 1900, Massstab 1 : 20'000.
 
Mittelort Au, 1971.
 

Auswirkungen der Bautätigkeit: Infrastruktur, Autobus, Bauordnung und Zonenplan

Das starke Anwachsen des Dorfes und der Au beeinflusste die Infrastruktur der Gemeinde − den Bau von Strassen, Kanälen, Schulhäusern usw. − in starkem Masse. Auch die Gemeindeorganisation wurde komplizierter. Auf das Frühjahr 1974 trat deshalb eine revidierte Gemeindeordnung in Kraft, welche unter anderem die Gemeindeversammlung durch ein Gemeindeparlament. den Grossen Gemeinderat, ersetzte41. Der am 1. Oktober 1953 provisorisch und am 1. April 1957 definitiv eingeführte Ortsautobus brachte eine willkommene Verbindung der Aussenquartiere unter sich und mit dem Dorfzentrum42. Der Busbetrieb wurde schrittweise ausgebaut; schon 1965 musste ein drittes Fahrzeug angeschafft werden.
In einer Zeit, wo vor allem auswärtige Baugesellschaften die Gemeinde als Wirkungsfeld für ihre meist spekulative Wohnbautätigkeit wählen, seit Zürich und seine Vororte ausverkauft sind, ist es für die Gemeinde von grösster Bedeutung, dass sie mit der 1964 erlassenen Bauordnung und dem dazugehörigen Zonenplan festgelegt hat, wo und wie gebaut werden darf. Damit kann man vor allem der Streubauweise, die jede vernünftige Gesamterschliessung eines Gebietes erschwert, erfolgreicher entgegentreten43. Im Zonenplan wurde auch die neue Industriezone Winterberg − Hintere Rüti ausgeschieden, wo bereits einige Fabrikbauten stehen und wo für die Gemeindewerke ein Werkhof gebaut worden ist44.
 




Peter Ziegler



Anmerkungen

Anzeiger = Allgemeiner Anzeiger vom Zürichsee
DOZ = Dokumentationsstelle Oberer Zürichsee, Wädenswil
GV = Gemeindeversammlung
LGW = Lesegesellschaft Wädenswil
StAW = Stadtarchiv Wädenswil
UA = Urnenabstimmung
 
1 Albert Hauser, Wirtschaftsgeschichte von Wädenswil, Njb LGW 1956, S. 249. − Die Angaben schwanken. Werner Raths, Die Bevölkerung des Kantons Zürich seit Ende des 18. Jahrhunderts, Statistische Mitteilungen des Kantons Zürich, Heft 15, 1949, S. 98 rechnet mit 2967 Einwohnern wohl zu niedrig.
2 Werner Raths, Die Bevölkerung des Kantons Zürich, S. 108.
3 Albert Hauser, Wädenswil, S. 251.
4 A. Schoch, Beiträge zur Siedlungs- und Wirtschaftsgeographie des Zürichseegebietes. Zürich 1917, Tabelle IV.
5 Emil Bader, Unser Gemeinwesen in der Zukunft, in: So leben wir, Jubiläumsschrift der Kirchgemeinde Wädenswil, Wädenswil 1967, S. 236.
6 Statistische Quellenwerke der Schweiz, Heft 467, Bern 1971, S.17.
7 Anzeiger 1962, Nr. 280.
8 Emil Bader, Unser Gemeinwesen in der Zukunft, S. 238.
9 StAW, IV B 59, 2-6.
10 StAW, IV B 59, Brandkataster 1826, S. 227.
11 Pläne der Scheune aus den 1830er Jahren befinden sich im Archiv der Kantonalen Denkmalpflege, Zürich.
12 Hermann Fietz, Die Kunstdenkmäler des Kantons Zürich, Bd. 2, Basel 1943, S. 323. − Konrad Escher, Das Bürgerhaus in der Schweiz, Bd. 18, Zürich 1927, Tafeln 20 und 22.
13 Hans Jenny, Kunstführer der Schweiz, Küssnacht 1934, S. 164 (eine Neuauflage des Kunstführers erschien im Herbst 1971).
14 Albert Hauser, Abschied vom alten «Du Lac», Anzeiger, 12. Juli 1958.
15 Albert Hauser, Wädenswil, S. 261 ff.
16 «Nachrichten vom Zürichsee» 1885, Nr. 40.
17 «Nachrichten vom Zürichsee» 1884, Nr. 10; 1885, Nr. 21 und 28. − Albert Hauser, Wädenswil, S. 262.
18 Albert Hauser, Wädenswil, S. 264.
19 Peter Ziegler, Vom Bürgli auf dem Galgenrain, Anzeiger 1966, Nr. 84. – Peter Ziegler und Max Mumenthaler, 125 Jahre Seidenweberei Gessner, Wädenswil 1966, S. 20. − «Neue Zürcher Zeitung» 1964, Nr. 3934.
20 Historisch-biographisches Lexikon der Schweiz, Bd. 7, Neuenburg 1934, S. 649; Bd. 2, Neuenburg 1924, S. 281.
21 Der Weg ins 20. Jahrhundert, Ausstellungskatalog 1969 des Gewerbemuseums Winterthur, S. 67.
22 Haus Bürglistrasse 20. − Die Schweiz, Schweizerische illustrierte Zeitschrift, Zürich 1913, S. 10.
23 DOZ, LC 14 und 15, Chroniken LGW 1902–1921. − Weisung für GV vom 3. August 1902 (Gerbebach). − Schon um 1880 war der Dorfbach zwischen Türgass und «Hirschen» und längs der Gerbe bis zum See mit Steinplatten eingedeckt (Anzeiger 1946, Nr. 248).
24 Weisung des Gemeinderates vom 17. März 1924.
25 Volkszählungs-Statistiken 1860-1941. − Jakob Höhn, Die eidgenössische Volkszählung 1900, S. 6.
26 DOZ, LC 13 und 1§4, Chroniken LGW 1900 und 1909.
27 Weisung für UA vom 23. Februar 1930. − Anzeiger 1931, Nr. 123, 124, 128; 1932, Nr. 78 und 173.
28 Heinrich Peter, Siedlungsfragen am Zürichsee, Jahrbuch vom Zürichsee 1945/46, S. 17 ff.
29 Z. B. UA vom 11. April 1943, 2. Juli 1944, 21. Januar 1945, 17. September 1952, 22. März 1953, 7. Dezember 1958, 14. Februar 1960 und 9. April 1967. − Über Landpolitik der Gemeinde: UA vom 5. März 1961. – StAW, II B 10.14.6.
30 Weisung für UA vom 11. April 1943. − Heinrich Peter, Siedlungsfragen, S. 23.
31 Anzeiger 1945, Nr. 119 und 120.
32 «Neue Zürcher Zeitung» 1966, Nr. 3337: Erfahrungen mit dem Stockwerkeigentum.
33 Jahrbuch vom Zürichsee 1964/66, S. 403.
34 Anzeiger 1970, Nr. 218. − Voranschlag der öffentlichen Güter für das Jahr 1971, S. 83.
35 Anzeiger 1963, Nr. 297; 1968, Nr. 115; 1970, Nr. 167, 184, 247,279; 1971, Nr. 145.
36 Statistische Mitteilungen des Kantons Zürich, Heft 38, August 1956, S. 122–125.
37 «Zürichsee-Zeitung» 1961, Nr. 172,223.
38 Anzeiger 1966, Nr. 27; 1967, Nr. 209; 1969, Nr. 239; 1970, Nr. 21, 182. − Voranschläge 1971, S. 83.
39 Statistiken des Bauamtes Wädenswil über die Bautätigkeit in Wädenswil, zuhanden des Bundesamtes für Industrie, Gewerbe und Arbeit in Bern.
40 Anzeiger 1971, Nr. 6.
41 Weisung für UA vom 6. Juni 1971. − Anzeiger 1971, Nr. 71.
42 Weisungen für GV vom 25. Mai 1954, 16. März 1955, 19. Dezember 1956 und 22. April 1965.
43 Emil Bader, Unser Gemeinwesen in der Zukunft, S. 237, 240. − Weisung für GV vom 11. März 1964. − Bauordnung und Zonenplan in Kraft: 11. November 1964.
44 Weisung für GV vom 22. April 1965 und UA vom 23. März 1969.