Die Landvogtei Wädenswil 1550 bis 1798

Quelle: Wädenswil Erster Band von Peter Ziegler

Der Stadtstaat Zürich um 1550

Um die Mitte des 16. Jahrhunderts wurde die ehemalige Johanniterkommende Wädenswil dem Stadtstaat Zürich angeschlossen, einem Staatsorganismus mit folgenden Merkmalen1: Einer kleinen Zahl von bevorrechteten Personen, den Bürgern der Stadt Zürich, stand die Regierungsgewalt über ein Territorium, über die Zürcher Landschaft, zu. Die Untertanen auf dem Lande hatten keine politischen Rechte. Sie konnten sich lediglich in der örtlichen Selbstverwaltung betätigen. Ausgangspunkt aller staatlicher Willensbildung war die Stadt; in ihr waren alle Hoheitsrechte vereinigt.
Der Grosse Rat und der Kleine Rat amteten als oberste Landesbehörden der souveränen Republik Zürich und gleichzeitig auch als oberste Behörden der Stadt. Im Gegensatz zur heutigen Gewaltentrennung herrschte also früher Gewaltenvermischung. Kraft ihrer Doppelstellung erfüllten der Grosse und der Kleine Rat Aufgaben, welche heute Bundes-, Kantons- und Stadtbehörden übertragen sind2.
Der Grosse Rat, auch «Rat der Zweihundert» oder «Räth und Burger» geheissen, übte die oberste Gewalt in der Republik aus. In dieser Behörde, die 212 Mitglieder zählte, sassen die 50 Herren des Kleinen Rates, die Achtzehner der Constaffel und die 144 Zwölfer der zwölf Zünfte. Der Grosse Rat war vor allem Gesetzgeber und entschied über die wichtigeren Staatsangelegenheiten.
Der Kleine Rat, auch täglicher Rat genannt, setzte sich zusammen aus den zwei Bürgermeistern, den 24 Ratsherren sowie den 24 Zunftmeistern und war die oberste Verwaltungs-, Zivil- und Strafgerichtsbehörde. Als oberste Verwaltungsbehörde besorgte er vor allem die laufenden Regierungsgeschäfte. Er war zuständig für die wichtigsten kirchlichen Angelegenheiten und entschied als oberste Militärbehörde viele, aber nicht alle Fragen militärischer Art. Für zahlreiche Mandate kamen dem Kleinen Rat die Verordnungs-, Oberaufsichts- und Strafrechte zu, besonders auf dem Gebiete der Markt-, Gewerbe- und Feuerpolizei3.
Das Staatsgebiet, die Zürcher Landschaft, war in Verwaltungsbezirke verschiedener Grösse und Struktur unterteilt. Neben den beiden autonomen Munizipalstädtchen Winterthur und Stein am Rhein zerfiel das Territorium in Innere Vogteien oder Obervogteien und in Äussere Vogteien. Die äusseren Vogteien ihrerseits gliederten sich in Landvogteien (eigentliche Regierungsbezirke) und in Äussere Obervogteien (Verwaltung mit niederer Gerichtsbarkeit). Als Vertreter des Rates regierten nebenamtliche Obervögte die Obervogteien, hauptamtliche Landvögte die Landvogteien4.

Verwaltungsorganisation und Landvögte

Nachdem die Herrschaft Wädenswil im Jahre 1550 zürcherisch geworden war, hatte der Rat zu entscheiden, in welcher Form das erworbene Territorium dem Zürcher Stadtstaat einverleibt werden sollte. Eine Ratsabordnung, welche das neue Gebiet zu inspizieren hatte, schlug vor, man solle es als Obervogtei verwalten5. Aus Gründen, die uns verschlossen bleiben, stimmte aber der Rat diesem Antrag nicht zu, obwohl die Schaffung einer Innern Vogtei finanzielle Vorteile gebracht hätte. Die Regierung wählte die weniger häufige Verwaltungsform der Landvogtei. Damit gab es auf der Zürcher Landschaft neben achtzehn Obervogteien acht Landvogteien, nämlich Andelfingen, Eglisau, Greifensee, Grüningen, Knonau, Kyburg Regensberg und Wädenswil. Welches sind die Merkmale einer Landvogtei? Worin unterschied sich eine Landvogtei von einer Obervogtei?
Die Landvogteien umfassten in der Regel grössere Territorien als die Obervogteien, und sie lagen meistens stadtfern. Mandate des 18. Jahrhunderts sprechen daher auch von Äusseren Vogteien. Das Landvogteigebiet hatte häufig schon unter einem früheren Grundbesitzer eine staatliche Einheit gebildet, und es wurde dann auch innerhalb des zürcherischen Staatsorganismus dezentralisiert und selbständig verwaltet6. An der Spitze der Landvogtei stand der hauptamtlich eingesetzte Landvogt. Dieser musste Stadtbürger und Mitglied des Grossen oder des Kleinen Rates sein. Der Landvogt wurde für eine meist sechsjährige Amtsdauer gewählt, welche ursprünglich an der Fasnacht, seit 1771 Anfang Mai, begann. Nach der Wahl musste der Landvogt einen Eid leisten und versprechen, das Schloss in Ehren zu halten, die Rechte und Freiheiten der Herrschaft zu wahren, Nutzung und Gefälle einzuziehen und getreu zu verbuchen. Er versprach auch, ein gerechter Richter zu sein, keine Trinkgelder anzunehmen und ohne Erlaubnis des Bürgermeisters nicht länger als drei Tage vom Schloss fernzubleiben. Im Gegensatz zum Obervogt wohnte nämlich der Landvogt nicht in der Stadt, sondern auf einem Schloss innerhalb des ihm anvertrauten Hoheitsgebietes. Das Schloss des Landvogtes von Wädenswil wurde in den Jahren 1551 bis 1555 erstellt. Es ist zum Teil noch in seinem alten Baubestand erhalten und beherbergte ab 1902 die Eidgenössische Forschungsanstalt.
Der Landvogt hatte grössere Gerichtskompetenzen als der Obervogt. In Grüningen, Kyburg und Wädenswil übte er auf besonderen Landtagen auch die Blutgerichtsbarkeit aus7. Während die Obervogteien in starker Bindung zu den stadtzürcherischen Finanzämtern standen, kannten die Landvogteien nur einen sehr lockeren Rechnungsverkehr mit der Stadt. Zur Deckung der Verwaltungsauslagen erhoben sie eine besondere Abgabe, den «Bruuch». Die Landvogteirechnung gab genaue Aufschlüsse über die Einnahmen an Zinsen, Zehnten, Steuern, Zöllen, Abzügen, Bussen, Fällen oder Schirmgeldern und auch über die Auslagen für Besoldungen; Bauten und Reparaturen an Schloss, Zehnttrotte, Pfarrhaus oder Kirche; für Trinkgelder, Neujahrsgeschenke oder den Haushalt des Landvogtes8. Alle Rechnungen wurden vom Rechenrat geprüft, von einer Ratskommission, welche unter dem Präsidium des Bürgermeisters stand und ihre Kontrolle streng handhabte. Der Aufzug eines neuen Landvogtes9, der in Wädenswil zu Schiff oder zu Pferd erfolgen konnte, die Huldigungsfeier in der Kirche und die anschliessenden Bürgertrünke und Mähler waren für die Einwohner der Dörfer festliche Ereignisse.
Die Pflichten und Aufgaben, die ein Landvogt zu erfüllen hatte, waren mannigfaltiger Art. Da waren einmal die administrativen Arbeiten, die exakt erledigt werden mussten. Der Vogt war in erster Linie verantwortlich für den Finanzhaushalt und für die Verwaltung der Landvogtei. Dazu kamen richterliche Aufgaben. Der Landvogt präsidierte die Maien- und Herbst-Gerichte, er stand an der Spitze des Herrschaftsgerichts und des Landtags.
Auch militärische Belange wie Überwachung der Ausbildung, Musterungen, Kontrolle der Befestigungsanlagen, Zeughäuser und Pulvertürme waren dem Landvogt übertragen. Als Quartierhauptmann wählte er auch die Offiziere aus. Zusammen mit den Richtern und Weibeln bildete der Landvogt eine Art Polizeibehörde. Er beaufsichtigte das Schul-, Armen- und Kirchenwesen und kämpfte gegen Aberglaube, Zauberei und Schatzgräberei. Neben seinen zahlreichen Pflichten genoss der Landvogt auch diverse Rechte: Er durfte den Untertanen den Huldigungseid abnehmen, er ernannte sämtliche Beamten der Landvogtei und hatte auch das Recht, sie wieder abzusetzen. Alle autonom gewählten Gemeindebeamten mussten ihre Wahl durch den Landvogt bestätigen lassen. Auch die Landvögte konnten aber nicht nach blosser Willkür handeln. Sie standen unter strenger Kontrolle durch die Zürcher Regierung, und sie hatten ausserdem die hergebrachten Amts- und Herrschaftsrechte zu respektieren. Die Macht der Landvögte fand also Beschränkung in den Weisungen der Obrigkeit, anderseits in der Tradition, in den seit Generationen gültigen Gerichts- und Gemeindeverfassungen. Der Landvogt war nicht der unumschränkte Despot, wie er oft geschildert wird, sondern ein Rechenschaft schuldiger, beaufsichtigter Beamter und Verwalter teuer erworbener Staatsgüter.

Eine Hochzeit 1556

Die sozial gehobene Stellung des Landvogtes kam in seiner Tätigkeit, in der Kleidung, im vielfach luxuriösen Haushalt und in der Ehrerbietigkeit zum Ausdruck, mit der ihn die Leute grüssten. Sie äusserte sich aber auch in Festen, die auf Schloss Wädenswil gegeben wurden.
Im Sommer 1556 vermählte sich Junker Jakob von Cham, der älteste Sohn des ersten Wädenswiler Landvogtes, mit Verena Wirz, der reichen Tochter des Ammanns Jakob Wirz von Erlenbach. Am 2. August, einem Sonntag, nahm die vier Tage dauernde Hochzeit mit einem Kirchenbesuch ihren Anfang. Von überall her waren die Leute zu Hunderten nach Wädenswil gewandert und gefahren, um diesem Ereignis beizuwohnen10.
Nach dem Besuch der Predigt zog das Brautpaar, von vielen Gästen umringt, zum Landvogteischloss hinauf, in dessen geräumigem Hof schon vor einiger Zeit zwei prächtige Zelte aufgeschlagen worden waren.
An 131 Tischen zu je 10 Gedecken wurde nun hier vier Tage lang gefestet und gezecht. Tanz folgte auf Tanz, ein Büchsenschiessen um eine Ehrengabe wurde ausgerufen, da plötzlich dröhnten vom See her Schüsse. Alles horchte auf und spähte nach dem Ufer. Dort schwenkten soeben 22 bekränzte Schiffe ein, deren Mannschaft mit Spiessen und Büchsen bewaffnet war und schoss, «dass die Muren stoben». In kriegerischem Aufzug kamen da an die tausend Mann angefahren, um das junge Paar zu beglückwünschen. Sie stammten zum grossen Teil aus rechtsufrigen Seegemeinden und aus der Stadt. Bis zum Mittwochnachmittag blieb die fröhliche Hochzeitsgesellschaft in bester Stimmung beisammen. Dann wurden Narren und Spielleute beschenkt entlassen.
Die soziale Stellung der landvögtlichen Familie brachte es mit sich, dass dann und wann hohe Besuche wie Bürgermeister, Gelehrte oder Künstler im Schloss abstiegen und einige Tage hier verweilten. Zu den Gästen auf Schloss Wädenswil gehörte beispielsweise auch Heinrich Pestalozzi. Er war mit dem letzten Wädenswiler Landvogt, David von Orelli, befreundet und las der Familie des Landvogts öfters auf dem Schloss Wädenswil aus «Lienhard und Gertrud» vor11.
 
David von Orelli (1749-1813), letzter Landvogt zu Wädenswil, 1790-1798. Kupferstich von Mathias Stumpf nach einer Zeichnung von Johann Heinrichs Lips.

Landschreiber

Ein weiterer wichtiger Beamter der Landvogtei war der Landschreiber, der in der Regel aus der Herrschaft stammte. Er war direkt dem Landvogt unterstellt und stand der Herrschafts-Kanzlei, der Landschreiberei, vor. Der Landschreiber begleitete den Landvogt zu allen Amtshandlungen. Er schrieb mit wenigen Ausnahmen alle Urteile, Kauf- und Schuldbriefe, Teilungen, Auffälle (Konkurse), Ausrichtungen, Vogtkinderrechnungen und Kirchenrechnungen. Er besorgte Verpfändungen und Übertragungen und stellte Urkunden und vom Landvogt erlassene Mandate und Weisungen aus. Gesiegelt wurden die Urkunden jedoch vom Landvogt, sonst hatten sie keine Gültigkeit. Eine Verordnung von 1544 setzte für die Verrichtungen der zürcherischen Landschreiber bestimmte Taxen fest. Für das Abschreiben eines Mandates von einem Bogen Umfang durfte er einen Batzen verlangen, für einen Brief an das Landgericht ein bis zwei Gulden, für eine Weisung und Appellation 12 Batzen, für eine Urfehde 10 Batzen und für einen Gantbrief 15 Schillinge. Die Taxen für die «Hüratsbriefen» durfte der Landschreiber – laut Schreiberordnung von 1704 – selbst bestimmen12.
Da der Landschreiber keine fixe Besoldung bezog, sondern für die Besorgung der einzelnen Geschäfte eine bestimmte Taxe erhob, war er daran interessiert, möglichst viele Schriftstücke ausfertigen zu können. Dass er dabei keine Konkurrenz litt, versteht sich von selbst. Die Obrigkeit hat die Landschreiber auch immer wieder in ihrem Berufe vor ungerechter Konkurrenz geschützt: Im Jahre 1565 beklagte sich der Wädenswiler Landschreiber beim Rat in Zürich, dass schon früher «der von Horgen uss barrem gyt und der von Meylen uss unwüssenheit» entgegen der Ordnung Zinsbriefe unter der dortigen Vögte Siegel für Herrschaftsleute von Wädenswil geschrieben hätten. Auch neulich seien wieder einige Uetikoner mit fremden, das heisst nicht von ihm geschriebenen Briefen erschienen, deren Sieglung der Landvogt von Wädenswil verweigert habe. Der Landschreiber bat die Obrigkeit, ihn in seinen Rechten zu schützen, was in der Folge auch geschah.
Als erster Landschreiber zu Wädenswil wird 1555 Hans Helbling genannt. Sein Nachfolger war vermutlich Peter Eschmann. Seine Familie hatte das Landschreiberamt während zweihundert Jahren inne, nämlich von 1574 bis 177313. Besonders bekannt war Landschreiber und Rittmeister Johann Jakob Eschmann (1654–1742), der tapfere Kämpfer im Villmergerkrieg von 1712. Als letzter Landschreiber amtete Hans Konrad Keller (1741–1802).

Das Gerichtswesen

Beim Kauf der Johanniterkommende Wädenswil hatte Zürich den neuen Untertanen zugesichert, es werde die alten Rechte respektieren. Darum blieb der Landtag, das höchste Kriminalgericht der Herrschaft, auch unter Zürichs Hoheit erhalten. Wenn ein Todesurteil gefällt werden musste, etwa über Räuber, Mörder oder Hexen, versammelten sich die stimmberechtigten Herrschaftsleute unter dem Vorsitz des Landvogtes auf dem Landtagsplatz bei der Kirche oder auf der Tanzlaube des Gesellenhauses. Ankläger und Angeklagter hatten je einen Fürsprecher bestimmt. Nachdem Replik und Duplik abgeschlossen waren, besprachen sich die beiden Fürsprecher im Ausstand mit den Landrichtern. Nach der Rückkehr in die Schranken stellte der Fürsprecher des Klägers seinen Strafantrag. Die Richter, aber auch Leute ausserhalb der Schranken, äusserten ihre Meinungen. Dann stellte der Landvogt durch das Mehr die allgemeine Ansicht des Landtages fest, und das Urteil galt als gefällt14. Die Scharfrichter und die Weibel führten dann den zum Tode Verurteilten auf den Richtplatz. Dieser lag ausserhalb des Dorfes, auf der Kuppe eines markanten Nagelfluh- und Mergelhügels oberhalb der Seferen, im Gebiet des späteren Bürglis. Hier muss auch schon früh ein Galgen gestanden haben. Eine Galgenhofstatt wird schon 1543 erwähnt15. Am 20. April 1559 schrieb der damals amtierende Landvogt Hans Röuchli an den Rat von Zürich, das Hochgericht zu Wädenswil – das heisst der Galgen – sei seit einigen Jahren «von elty nidergefallen»16. Er bat darum die Obrigkeit, sie möge den Galgen wieder zimmern und aufrichten lassen, damit er seine abschreckende Wirkung von neuem auf die vielen Bettler und Landstreicher ausübe. Die Bitte des Landvogtes wurde erhört, und noch im selben Jahr stand auf dem Galgenrain ein neuer Galgen. Er war ein halbes Jahrhundert lang im Gebrauch und wurde 1616 erneuert. Nachdem sich die Herrschaftsleute im Jahre 1646 im Wädenswiler Handel gegen das Stadtregime aufgelehnt hatten, beschloss der Rat am 28. April 1647, der Herrschaft Wädenswil zur Strafe das Recht, hohes Gericht halten zu dürfen, zu entziehen. Der Galgen wurde abgebrochen, auf ein Schiff geladen und im Zürichsee versenkt.
Mit der Entfernung des Galgens hatte der Galgenrain, wie die Richtstätte im Volk genannt wurde, seine Rolle ausgespielt. Die Flurnamen Galgenrain, Galgengass und Galgenhölzli für ein Wäldchen, das sich über die Hügelkuppe zog, lebten aber weiter und erinnerten zum Teil noch bis ins 20. Jahrhundert hinein an den Ort, wo man in der Landvogtei Wädenswil die Todesstrafe durch Hängen vollzogen hatte.
Auch die Mai- und Herbstgerichte, welche schon unter der Johanniterherrschaft getagt hatten, blieben in der Landvogtei Wädenswil erhalten. Diese Gerichte, ebenfalls auf dem Gesellenhaus durchgeführt, hatten geringfügige wirtschaftliche Streitigkeiten zwischen den Dorfleuten zu schlichten. Aus jedem Haus innerhalb des Landvogteigebietes musste ein Mann an den Gerichtsverhandlungen teilnehmen. Am Maigericht wurden sodann die Herrschaftsbeamten und die Richter gewählt17. Zürich erachtete es im Jahre 1593 für nötig, die Bestimmungen des Hofrodels von 1409 und viele gewohnheitsmässig überlieferte Rechtssatzungen in einem für die ganze Landvogtei Wädenswil gültigen Herrschaftsrecht festzuhalten. Dieses Gesetzbuch vereinigte Bestimmungen über Schuld- und Pfandrecht, Stundung von verfallenen Zinsen, Arrest, Appellation, Konkursrecht, Vormundschaftsrecht oder Wild- und Holzbann. Dazu kamen strafrechtliche Vorschriften, zum Beispiel solche über Frevel, Totschlag, Körperverletzung, Ehrverletzung oder Grenzverletzung18.

Das Militärwesen

Im Jahre 1624 wurde der Stadtstaat Zürich in zehn Militärquartiere eingeteilt. Einer dieser Militärkreise war das Wädenswiler Quartier. Es erstreckte sich von der Schwyzer Grenze bis Rüschlikon, reichte vom Zürichsee bis zur Sihl und umschloss die Dörfer Richterswil, Wädenswil, Horgen, Oberrieden, Thalwil und Rüschlikon sowie die Kirchsprengel Hütten und Hirzel. Das Kommando über die rund 1480 Wehrfähigen führte der Quartierhauptmann.
 
Musterungen
Die Quartierhauptleute – ehemals die Landvögte, nach 1697 qualifizierte Offiziere – waren für die Ausbildung und Ausrüstung ihrer Mannschaft verantwortlich19.
Jedes Jahr setzte der Quartierhauptmann für seinen Militärbezirk eine Hauptmusterung an. Alle Wehrpflichtigen der Herrschaft Wädenswil hatten sich auf dem Hauptsammelplatz «Obermatt», südlich der Burgruine, einzufinden. Zuerst wurden die Mannschaftsverzeichnisse bereinigt, dann folgte die Waffeninspektion. Nach der Kontrolle der persönlichen Ausrüstung mussten die Soldaten Rechenschaft ablegen über den Stand ihrer Ausbildung. Hierauf spendete der Landvogt allen Wehrmännern Wein und Brot.
 
Trüllmeister
Die Verantwortung für eine vorschriftsgemässe Ausbildung der Soldaten trug der Trüllmeister. Fünfmal jährlich fanden sich die wehrpflichtigen Wädenswiler auf dem Musterplatz beim Geren ein, wo sie kompanieweise unter Aufsicht der Hauptleute gedrillt wurden. Dazu kamen – ebenfalls übers Jahr verteilt – wettkampfmässig durchgeführte obligatorische Zielschiessen im Schützenhaus am See.
 
Waffen und Munition
Seit dem Ende des 16. Jahrhunderts war die Zürcher Regierung streng darauf bedacht, dass in den Landvogteischlössern Waffen- und Munitionsvorräte gehalten wurden. Auch im Schloss Wädenswil gab es ein Zeughaus, in dem 1573 unter anderem zwölf Artilleriegeschütze standen. In Kriegszeiten wurde der Arsenalbestand durch Waffenlieferungen aus dem Zürcher Zeughaus verstärkt. Da der Munitionsnachschub durch schlechte Strassen behindert war, verpflichtete die Regierung die zürcherischen Gemeinden, sich für den Fall eines Angriffs ebenfalls mit Kriegsmaterial einzudecken. Wädenswil verwahrte Pulver und Blei in einem Pulverhüsli, das 1683 ob der Empore ins Kirchendach eingebaut wurde.
 
Hochwachten
Mit der Schaffung der Militärquartiere wurde 1624 auch die Alarmorganisation modernisiert. Nach bernischem Vorbild schuf man ein Hochwachtnetz. Auf aussichtsreichen Bergkuppen und Hügelzügen, die miteinander in optischer Verbindung standen, stellte man Signaleinrichtungen auf: Holzstösse, Mörser und eine Feuer- oder Harzstud. Das war ein galgenartiges Holzgerüst, an dem ein mit brennendem Pech gefüllter Kessel hochgezogen und hin und her geschwungen werden konnte. Wenn Gefahr drohte, gab man von den Hochwachtpunkten aus Signale. Bei Tag erzeugte man mit nassem Holz und grünen Stauden Rauch; bei Nacht steckte man die Pechpfanne in Brand; im Nebel ertönten Böllerschüsse.
In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts liess der Zürcher Kriegsrat das Hochwachtsystem im Innern des Kantons weiter ausbauen. Auch das Wädenswiler Quartier, das bisher nur über eine Hochwacht auf dem Zimmerberg verfügt hatte, erhielt neue Wachtplätze. Um das Jahr 1650 wurde auf «Gisibach» im Wädenswiler Berg eine Harzstud aufgestellt. Wenig später mag auch die Signaleinrichtung im Hofe des Landvogteischlosses entstanden sein.

Schanzen
Ihre geographische Lage im südlichsten Zipfel der Zürcher Landschaft machte die Landvogtei Wädenswil zu einem militärisch wichtigen Gebiet. Es wurden deshalb schon früh verschiedene Verteidigungsmassnahmen getroffen: Man sperrte die drei wichtigen Sihlübergänge, und im 17. Jahrhundert baute man das Landvogteischloss Wädenswil zu einem Festungswerk aus. Seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts mass die Zürcher Regierung der Schlossbefestigung eine geringere Bedeutung bei. Als Frucht langjähriger Verhandlungen und Beratungen wurde in den Jahren 1710 bis 1712 eine wohldurchdachte Grenzverteidigung aufgezogen20. Diese ging vor allem darauf aus, die durch die Geländeformation als günstig vorgezeichneten Einfallswege aus dem Schwyzerland abzuriegeln. Zu diesem Zwecke wurden zwischen Zürichsee und Sihl in weitem Bogen fünf starke Erdwerke aufgeworfen: zu äusserst links gegen den See hin die Sternenschanze, das Eichschänzli bei Samstagern, die Bellenschanze am Hüttnersee, die Hüttnerschanze zwischen der Sihl und dem Dorfe Hütten und eine Befestigung, weIche die Finsterseebrücke auf dem rechten Sihlufer deckte. Die im Richterswiler Allmendgebiet gelegene Sternenschanze (Koordinaten 694950/228875) hatte die Aufgabe, einen Überfall auf Richterswil zu erschweren. Nachdem ein früheres Schanzwerk während des Ersten Villmergerkrieges von 1656 versagt hatte, wurde die Sternenschanze im Mai 1712 neu errichtet: 210 Fuss lang und 180 Fuss breit. Drei Schiessscharten ermöglichten das Beschiessen der gegenüberliegenden schwyzerischen Itlismoos-Schanze. Zwischen der Bellen- und der Sternenschanze, nordöstlich der heutigen Station Samstagern, stand das Eichschänzli. Im Gegensatz zu den übrigen Befestigungsanlagen hatte es einen ovalen Grundriss mit Achsenlängen von 150 und 120 Fuss. Die Eichschanze musste den Durchbruch des Feindes zwischen der Bellen- und der Sternenschanze verhindern.
Die wichtigste und stärkste Verteidigungsanlage war die Bellenschanze nordöstlich des Hüttnersees (Koordinaten 694100/226950). Als kleines Erdwerk – durch Holzverschläge, Hecken und Stauden gedeckt – hätte sie schon im Jahre 1656 der Verteidigung des Wädenswiler Quartiers dienen sollen. Die Barrikaden vermochten jedoch den feindlichen Stürmen nicht standzuhalten, und die Besatzung, fünfzig Infanteristen unter dem Befehl von Hauptmann Lochmann, wurden aus der Schanze vertrieben. Nach Kriegsende war die Bellenschanze noch längere Zeit Verhandlungsgegenstand der Eidgenössischen Tagsatzung21. Schwyz und Zug drängten auf die Schleifung der Anlage, konnten aber nichts erzwingen, da die katholischen Orte ihrerseits nicht bereit waren, die Festungen Baden und Rapperswil preiszugeben.
In der Zeit zwischen dem 14. Mai und dem 14. Juli 1712, kurz vor Ausbruch des Zweiten Villmergerkrieges, wurde die Bellenschanze vergrössert und zu einer länglichen, hinten geschlossenen Lunette ausgebaut. Die fünfseitige, 150 Fuss lange und 80 Fuss breite Befestigung wurde mit einer hölzernen Brustwehr und mit einem Graben versehen. Eine Wand von oben zugespitzten Pfählen umzog die ganze Anlage und schützte die Soldaten gegen Sturmangriffe. Eine Bretterhütte im Innern der Schanze barg die Munition.
Die auf einem Moränenhügel südlich des Dörfchens Hütten gelegene Hüttnerschanze (Koordinaten 693 1001225 500) bildete die rechte Flanke des zürcherischen Festungsgürtels und beherrschte den obersten Teil des Richterswiler Berges und den über die Sihl führenden Hüttner Steg. Sie ermöglichte einerseits eine wirksame Verteidigung der Siedlung, anderseits konnte von hier aus die wichtige Durchgangsstrasse zwischen den Orten Schwyz und Zug unter Feuer genommen werden. Mit dem Bau der Hüttnerschanze wurde Mitte Mai 1712 begonnen, nachdem der erste Plan, eine Stellung beim «Bergli» auszubauen, vom Leiter des Befestigungswerkes, Major Hans Konrad Werdmüller (1660–1723), verworfen worden war. Bei denkbar schlechtem Wetter wurden die Gräben ausgehoben und die Wälle geschichtet, und nach 14 Tagen schon war die Befestigung fertiggestellt. Sie bestand zur Hauptsache aus vier quadratisch angeordneten Erdwällen von 120 Fuss Seitenlänge. Brustwehren, Gräben und eine nach Westen vorstossende halbrunde Palisadenwand erhöhten den Schutz. Auf der Ostseite, gegen «Halden» hin, befand sich der Eingang. In den vier Ecken der Schanze waren Geschützstellungen vorgesehen.
Die fünf Befestigungsanlagen allein hätten noch keinen genügenden Schutz des Hinterlandes garantiert. Die einzelnen Schanzen lagen viel zu weit voneinander entfernt, und so wäre es dem Feind ein Leichtes gewesen, die freien Zwischenräume zu durchbrechen. Damit schwyzerische Angriffe auf die Herrschaft Wädenswil wirksam abgewehrt werden konnten, wurde hinter der Schanzenlinie eine mehrere hundert Meter tiefe Verteidigungszone geschaffen. Diese wurde auf den Schmalseiten durch den Zürichsee und die Sihl begrenzt. Eine zweite Befestigungsgruppe trennte den Verteidigungsraum vom Hinterland. Stützpunkte dieses hinteren Schanzengürtels waren der Hügel Wolfbüel, der Kirchhof Schönenberg, der Esel, der Sennwald und das Landvogteischloss Wädenswil.
Am 22. Juli 1712, während des Zweiten Villmergerkrieges, hatten die Verteidigungsanlagen an der zürcherisch-schwyzerischen Grenze die Bewährungsprobe zu bestehen.
Grundriss der Sternenschanze, 1748.

Sternenschanze, 1966, letztmals verwendet im Sonderbundenkrieg von 1847.

Grundriss der Eichschanze bei Samstagern, 1748.
 
Eichschanze von Osten, 1966.

Grundriss der Bellenschanze beim Hüttnersee, 1748.

Erdwall der Bellenschanze, 1964.

Obwohl die Schwyzer und Zuger Truppen einige hundert Mann stark vorrückten, vermochten die Erdwerke standzuhalten, und dank einsatzkräftiger Kavallerie unter Rittmeister Eschmann konnte der schwyzerische Angriff in achtstündiger Abwehr zurückgeschlagen werden22.
Darstellung des Gefechtes um die Bellenschanze während des Zweiten Villmergerkrieges (22. Juli 1712), Kupferstich von J. A. Riedinger im Schweizerischen Landesmuseum in Zürich.

Das Ende der Landvogtei

Die Spannungen, welche sich im Laufe des 18. Jahrhunderts zwischen Untertanen und Obrigkeit mehr und mehr verschärften, übertrugen sich auf das Verhältnis der Wädenswiler Herrschaftsleute zum Landvogt23: Schon um 1720 wurden Hans Eschmann und Jakob Hotz bestraft, weil sie ungebührlich über den Landvogt gesprochen hatten. In den folgenden Jahren wurden Amtspersonen, wie Weibel und Untervogt, wiederholt beschimpft und tätlich bedroht, wenn sie Bussen einzogen oder Leute vor Gericht luden. Dem abziehenden Landvogt von 1760 fügten boshafte Buben «allerhand Schimpf mit Schiessen, Straumannen und Pasquillen» zu. Johannes Teiler wurde 1761 «getrüllt», weil er «allzufreche und despectuose Worte gegen den hiesigen Herrn Landvogt geredet». Heinrich Baumann, der auf «offenem Platz höchst strafbar und sündlich gegenüber seiner diesmaligen Obrigkeit redete und selbige ärgerlich beschimpft», wurde zur Abbitte in die Kirche zitiert. Die Dorfgenessen, die diesem Akt hätten beiwohnen sollen, blieben aber zum Verdruss des Landvogts fern.
Nach den Worten kamen die Taten! Durch die französische Revolutionsliteratur beeinflusst, beschlossen die Wädenswiler anfangs Juni 1795, die Stäfner Patrioten zu unterstützen. Als die Franzosen im Februar 1798 zur Invasion schritten, spendete man auf der Landschaft offen oder versteckt Beifall. Vergessen waren die Gräueltaten der freiheitsbringenden Eroberer, vergessen alle positiven Leistungen des alten Staates. Am 3. April 1798 erschienen im Schloss zwanzig berittene Wädenswiler, um den Landvogt abzusetzen. An ihrer Spitze befand sich ein Bürger, der sich als Wilhelm Tell verkleidet hatte. Die Zürcher Regierung trat zurück. Das jahrhundertealte System der Obervogteien und der Landvogteien wurde aufgehoben. Überall hoffte man auf bessere Zeiten. Kamen sie aber auch wirklich?
 




Peter Ziegler

Anmerkungen

StAZH = Staatsarchiv Zürich
 
1 Anton Largiader, Geschichte von Stadt und Landschaft Zürich, Bd. 1, Erlenbach 1945, S. 184/185.
2 Franz Züsli, Beiträge zur Geschichte der Polizei-Organisation der Republik Zürich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, Zürich 1967, S. 5/6.
3 Züsli, S. 6.
4 Max Huber, Staatsrecht der Republik Zürich vor 1798, Schweizer Geschlechterbuch, Bd. 1, Basel 1904. – Anton Largiader, Die Anfänge der zürcherischen Landschaftsverwaltung, Zürich 1932.
5 StAZH, A 150/2, undatiert, wohl September 1550.
6 Peter Ziegler, Grundherrschaften, Obervogteien und Landvogteie n am Zürichsee, Zürichsee-Zeitung 1965, Nrn. 176, 182,188.
7 Albert Keller, Aus der Geschichte der Herrschaft Wädenswil IV, Neujahrsblatt der Lesegesellschaft Wädenswil für 1933, S. 36 ff.
8 StAZH, F III 38,1551–1798.
9 Jakob Pfister, Der Aufzug des Landvogts, Wädenswil 1923, Sonderdruck aus dem Allgemeinen Anzeiger vom Zürichsee.
10 Vergleiche das Gedicht des Spielmanns Heinrich Wirri von Aarau, in der Wickiana der Zürcher Zentralbibliothek. Abgedruckt in der Wädenswiler Jahresmappe 1934, Verlag J. Villiger, Wädenswil.
11 Erica von Schulthess, Aus den Jugendjahren von Johann Caspar Orelli, Zürcher Taschenbuch 1956, S. 92 ff.
12 StAZH, B III 78.
13 Hugo Schneider, Rittmeister Johann Jakob Eschmann und das Gefecht um die Bellenschanz bei Hütten, Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte, Band 12,1951, Heft 3, S. 164 ff. (mit Stammtafel Eschmann).
14 Albert Keller, Geschichte der Herrschaft Wädenswil IV, S. 36 ff.
15 StAZH, C V 1, Schachtel 18, dat. 11. 12. 1543.
16 StAZH, F III 38, 1559.
17 Albert Keller, Geschichte der Herrschaft Wädenswil IV, S.38.
18 StAZH, B III 85 und B III 78. Druck: J. Pestalutz, Vollständige Sammlung der Statuten des eidg. Cantons Zürich. Bd. 2. S. 135-167, Zürich 1839.
19 Peter Ziegler, Das Wehrwesen der Herrschaft Wädenswil. Neujahrsblatt der Lesegesellschaft Wädenswil für 1959.
20 StAZH. A 29/4. Kriegsratschläge zur Defension des Wädenschweiler-Quartiers, dat. 15. Brachmonat 1709. – Peter Ziegler, Wehrwesen, S. 10 ff.
21 Eidgenössische Abschiede, Bd. 6, Frauenfeld 1867, S. 330, dat. 16. 5. 1656.
22 Gottfried Guggenbühl, Zürichs Anteil am Zweiten Villmergerkrieg 1712, Zürich 1911, S. 177–192. – Peter Ziegler, Wehrwesen, S. 15 ff. mit weiteren Literaturangaben.
23 Albert Hauser. Wirtschaftsgeschichte von Wädenswil, Neujahrsblatt der Lesegesellschaft Wädenswil für 1956, S. 131 ff.