Aus der Geschichte der katholischen Pfarrei

Quelle: Wädenswil Zweiter Band von Peter Ziegler

Wieder Katholiken im Kanton Zürich

Seit im Frühjahr 1525 die letzte Messe verklungen war, gab es auf zürcherischem Boden während Jahrhunderten keinen katholischen Gottesdienst mehr. Nun galt das Reformationsrecht, wonach der Herrscher die Religion seiner Untertanen bestimmen konnte. Aus der Reformation Zwinglis war der Glaubensstaat hervorgegangen: das Staatskirchentum, die Einheit von Staatsvolk und reformiertem Kirchenvolk1. Erst die Helvetik brachte einen Wandel. Mit dem Gesetz vom 7. Januar 1800 wurde freie Niederlassung ohne die bisherigen konfessionellen Einschränkungen gewährt. Eine neue Situation ergab sich im Jahre 1803. Damals kamen Dietikon und Rheinau mit katholischer Bevölkerung zum Kanton Zürich2. Da die Verfassung diesen beiden Gemeinden die bisherigen Religionsverhältnisse garantierte, wurde die jahrhundertelange konfessionelle Geschlossenheit des Zürcher Staatswesens durchbrochen. Seit 1844 wurden auch in der Stadt Zürich, in der Augustinerkirche, regelmässig katholische Gottesdienste durchgeführt. Die Bundesverfassung von 1848 brachte die Kultusfreiheit. Während bisher katholischer Gottesdienst nur in Dietikon, Rheinau und Zürich gestattet war, konnte er fortan ungehindert im ganzen zürcherischen Gebiet gehalten werden. Von diesem neuen Recht machten zuerst im Jahre 1860 die Katholiken von Winterthur Gebrauch.
Die Industrialisierung eröffnete eine Veränderung der Bevölkerungsstruktur im ganzen Kanton: Der Zuzug katholischer Gläubiger aus den inneren Kantonen setzte ein. 1864 wurde in Horgen, in Langnau und in Männedorf, 1865 in Hombrechtikon, 1866 in Wald zum ersten Mal römische Messe gelesen. Dann gründete man Missionsstationen: 1876 in Uster, 1878 in Rüti, 1882 in Bülach3. Hatte man im Jahre 1860 im Kanton Zürich 11‘256 katholische Einwohner gezählt, so waren es 1880 bereits 30‘298, und die Zahl der Pfarreien hatte sich von drei auf zehn erhöht4.
Auch in Wädenswil liessen sich allmählich wieder Leute katholischen Glaubens nieder. Im Jahre 1830 zählte die Gemeinde 68 und im Jahre 1850 178 Katholiken5. 1860 standen den 5712 Reformierten schon 251 Personen des römisch-katholischen Bekenntnisses gegenüber6, die sich nach seelsorgerlicher Betreuung sehnten. Im Frühling 1881 trug Baumeister J. Cavallasca dem katholischen Pfarrer Dominik Bosshard in Horgen den Wunsch vor, auch in Wädenswil sollten Messen gelesen werden7.

Erste Gottesdienste in Wädenswil

Im Juni 1881 versammelten sich rund 60 Katholiken im Saal des Gasthofs zur Sonne, um die Lage zu besprechen8. Pfarrer Bosshard erklärte sich bereit, für die 400 Katholiken aus Wädenswil und Umgebung, die bis jetzt meist nach Wollerau kirchgenössig waren, in Wädenswil Gottesdienst zu halten. Die Gläubigen müssten aber den Zins für ein allfälliges Lokal, die Kosten für die Herstellung eines Notaltars und die Bahnspesen des Geistlichen übernehmen. Nun wurde eine Spendenliste in Zirkulation gegeben. 53 Anwesende zeichneten zusammen 342 Franken, womit die budgetierten Gesamtkosten bereits gedeckt waren. Eine Kommission von drei Mitgliedern unter dem Vorsitz von Baumeister Cavallasca, den man später scherzweise den Kaplan von Wädenswil nannte, übernahm das Einsammeln der Beiträge. Sonnenwirt Gull war gewillt, für die Gottesdienste einen Saal seines Gasthofes zur Verfügung zu stellen.
Viele Leute fanden es indessen unpassend, dass die Gottesdienste in einer Wirtschaft abgehalten werden sollten. Man fragte daher die reformierte Kirchenpflege an, ob sie für den Frühgottesdienst die Wädenswiler Kirche überlasse. Der Präsident dieser Behörde lehnte indessen das Gesuch mündlich ab. Als Grund führte er an, dass es in Wädenswil viele Sekten gebe, welche die Kirche auch benützen möchten, falls den Katholiken entsprochen würde.
Nun wandten sich die Katholiken an die Dorfschulpflege, mit der Bitte, sie möge das Kleinkinderzimmer im Dorfschulhaus als Gottesdienstlokal zur Verfügung stellen. Die Behörde entsprach dem Wunsch. Am 6. November 1881 hielt Pfarrer Bosshard im Parterre des heutigen alten Eidmattschulhauses den ersten Frühgottesdienst. Anfänglich erschienen lediglich 20 bis 25 Personen. Dann waren es 30, 50. Trotzdem der Gottesdienst auf halb sieben Uhr morgens angesetzt war, kamen schon um 1884 regelmässig 50 bis 70 Gläubige zur Messe, an Ostern und Pfingsten gar zwischen 100 und 200. Am Samstag zwischen 17 und 20 Uhr erteilte man den Kindern Religionsunterricht. Lobend wurde 1885 vermerkt, die 15 Kinder seien in der Christenlehre brav und fleissig gewesen.
Seit 1881 waren die Wädenswiler Katholiken in einer Genossenschaft zusammengeschlossen. Diese verfügte über einen kleinen Vorstand und legte jährlich in einer Generalversammlung das Protokoll und den Kassabericht vor. 1884 zum Beispiel wies Präsident und Kassier Cavallasca folgende Bilanz aus:
Einnahmen Fr. 349.80
Ausgaben Fr. 174.65
Vorschlag Fr. 175.15
Vermögen Fr. 602.95
 
Mit steigender Zahl der Katholiken wurde der Platz im Eidmattschulhaus knapp. Obwohl die Schulpflege den Raum unentgeltlich zur Verfügung stellte, sehnten sich die Wädenswiler Katholiken nach einem eigenen Gottesdienstraum. Bereits 1884 ermunterte daher Präsident Cavallasca die Versammlung, im Hinblick auf einen künftigen Kirchen- oder Kapellenbau freiwillige Spenden zu zeichnen. Im Jahre 1888 erwarb ein Komitee aus Abgeordneten von Wädenswil, Richterswil und Einsiedeln für 50 000 Franken die Liegenschaft des Baumeisters Bachmann in der Eidmatt. Dieses Areal in der Ostecke des heutigen Rosenmattparks war als Bauplatz für eine katholische Kirche vorgesehen. Da die nötigen Gelder noch fehlten, konnte der Kirchenbau aber nicht sofort verwirklicht werden. Dafür schuf man ein Provisorium. Das Wohnhaus, das zur Bachmannschen Liegenschaft ob dem eine einfache, aber würdige Notkapelle umgewandelt. Ein Wohltäter aus Einsiedeln spendete Innenschmuck, und am Schutzfest des heiligen Josef versammelte man sich zum ersten Mal seit 350 Jahren wieder in eigenem Gottesdienstraum.
In der Liegenschaft des Baumeisters Bachmann in der Eidmatt - rechts im Bild - wurde von 1888 bis 1897 katholischer Gottesdienst gehalten.

Von der Missionsstation zur selbständigen Pfarrei

Im Jahre 1886 trat Pfarrer Dominik Bosshard krankheitshalber von seinem Pfarramt in Horgen zurück. Schon zwei Jahre vorher hatte er auf die Betreuung der Wädenswiler Katholiken verzichten müssen. An seiner Stelle hielt vorerst Kaplan Schuler aus Wollerau Gottesdienst, dann lösten ihn Einsiedler Patres ab9. Sie halfen auch Bosshards Nachfolger, dem Horgener Pfarrer Johannes Furger, in der Betreuung der Wädenswiler Katholiken. 1888 wurde Wädenswil eine Missionsstation von Einsiedeln. Während mehrerer Jahre übernahm nun das Kloster Einsiedeln den Sonntagsgottesdienst. Besonders beliebt waren die Predigten des Paters Odilo Ringholz, der lange Zeit in Wädenswil aushalf. Im Herbst 1892 erhielt die Missionsstation Wädenswil, vorläufig als Vikariat von Horgen, einen eigenen Seelsorger: den Vikar Josef Schnöll aus Bayern, der bis im Frühling 1895 blieb.
1895 wurde Wädenswil zur selbständigen katholischen Pfarrei erhoben10. Zum Pfarreigebiet gehörten damals nicht nur das Dorf und die Au, sondern auch Richterswil und Schönenberg. Als Geistlicher amtete in den Jahren 1895/96 Johann Matthias Pernsteiner.

Der Kirchenbau von 1896/97

Im März 1890 konstituierte sich der Kirchenbauverein Wädenswil. Da Horgen bereits schuldenfrei war, setzte sich Pfarrer Furger mit Opfermut und Erfolg für den Bau einer katholischen Kirche in Wädenswil ein. Die Missernte von 1893 erschwerte indessen die Sammeltätigkeit. Dass die neue Kirche der Maria geweiht werden sollte, stand schon 1893 fest. 1894 diskutierte man über die Zahl der Sitzplätze. Man einigte sich auf 600.
Die Liegenschaft ob dem Armenhaus, die ursprünglich als Kirchenbauplatz erworben worden war, erwies sich als wenig geeignet. Man fand, die Kirche gehöre nicht mitten unter Wirtschaften und lärmende Geschäftsbetriebe und hielt daher nach einer günstigeren Lage Ausschau. In der Folge entschloss man sich, die katholische Kirche im Gebiet des Giessens zu erstellen11. Die Richterswiler, denen das Gotteshaus auch dienen musste, hatten so einen kürzeren Weg zurückzulegen. Das Projekt Giessen zerschlug sich indessen. Dafür konnte man das heutige Terrain an der Etzelstrasse erwerben. Die Liegenschaft ob dem Armenhaus wurde dem Baumeister Ferrari verkauft.
Nun begann die Phase der Planung. Als Architekt liess sich der erfahrene Kirchenbauer August Hardegger (1858−1926) aus St. Gallen gewinnen, der sich auf den Bau katholischer Kirchen in Anlehnung an mittelalterliche Stile spezialisiert und unter anderem die reformierten Kirchen von Davos, Oerlikon und Männedorf sowie die Liebfrauenkirche in Zürich errichtet hatte12. Im Frühling 1896 begann man mit dem Bau des Hauptschiffs, der beiden Seitenschiffe und des Chors. Das Werk schritt gut voran. Schon im Herbst des gleichen Jahres kam der Rohbau der Kirche unter Dach. Für den Ausbau der Kirche und für die Erstellung des Turmes fehlten indessen die Mittel. Das nötige Geld zu beschaffen, war die erste Hauptaufgabe des Pfarrers Josef Imhasly, der im September 1896 vom Churer Bischof zum Nachfolger des Pfarrers Pernsteiner ernannt worden war13. Pernsteiner, des ewigen Kollektensammelns müde, hatte Wädenswil schon nach 1 3/4 Jahren verlassen, um an der Kantonsschule Chur die Stelle eines Religionslehrers zu übernehmen.
Im Jahre 1897 entstand der Kirchturm. Da die Fundamente zu wenig tief und zu wenig stark waren, verzichtete man auf einen hohen Helm und setzte einen leichteren Turmabschluss. Dass dieser Entscheid richtig war, zeigte sich bereits 1903. Nachdem die Glocken aufgezogen waren, begann sich der Turm zu senken. Schon 1904 zeigten sich Risse, die ausgebessert werden mussten.
Im gleichen Jahr wie der Kirchturm wurde auch das Pfarrhaus erstellt. Im April 1898 konnte Pfarrer Imhasly die alte Wohnung in der Eidmatt verlassen und in den schönen Neubau einziehen.
Wie freuten sich die Wädenswiler Katholiken auf den Tag, da für sie eine geräumige Kirche zur Verfügung stand! Das Lokal in der Eidmatt war äusserst eng. Obwohl man jeden Sonntag zwei Gottesdienste hielt, konnte kaum ein Drittel der Katholiken ihre Pflichten erfüllen: der Raum fasste nur etwa 200 Personen. Zudem schämten sich verschiedene, in einem derart nüchternen Lokal ihren Glauben zu bekennen.
Obwohl die Bestuhlung und der Unterbau des Hochaltars die einzige Innenausstattung bildeten, hielt man am 18. Juli 1897 − knapp anderthalb Jahre nach Baubeginn − in der Wädenswiler Marienkirche den ersten Gottesdienst. Nachdem der bischöfliche Archivar Noser aus Chur den Neubau benediziert hatte, wandten sich Stiftsdekan P. Thomas Bosshart am Morgen und alt Pfarrer Pernsteiner am Nachmittag mit Festpredigten an die Gläubigen. Eine grosse Volksmenge feierte den Freudentag mit gewaltiger Begeisterung. Allein, schon zwei Tage später brach Unheil über die Gemeinde Wädenswil herein. Das schwere Hagelwetter vom 20. Juli verwandelte das Dorf im Nu in eine Winterlandschaft14. Auch das neue Gotteshaus erlitt schwere Schäden an Dach und Fenstern.
 

Die erste Innenausstattung

Ein Jahr lang war das Kircheninnere schmucklos und öde. Dann führten verschiedene Stiftungen zwischen 1898 und 1901 zu einer Bereicherung des Innenraums. Der Hochaltaraufsatz, die Kreuzigungsgruppe über dem Hochaltar, das Altarbild mit Mariae Krönung, der Kreuzweg, der eine Seitenaltar, der Taufstein und das Chorgestühl waren Geschenke edler Wohltäter. Der Hochaltar in der Art eines Reliquienschreins stammte aus der Werkstatt des Sankt Galler Künstlers J. N. Neumann. Kunstmaler Franz Vettiger in Uznach schuf das Altarbild, und 1901 schmückte er die Apsis mit dem Fresko der acht Seligkeiten. Die Kreuzigungsgruppe war Grödener-Arbeit, das Chorgestühl das Werk des Alfons Noflaner15. Als Kanzel diente bis 1911 ein einfacher hölzerner Kasten, der − wie sich ein Zeitgenosse ausdrückte − «auf den Bänken vorn auf der Frauenseite sein vielverwünschtes Dasein fristete».
 

Die Kirchweihe

Da das Jahr 1901 für den Kanton Zürich zur Firmung bestimmt war, entschloss man sich, die Weihe der neuen katholischen Kirche Wädenswil mit der Firmung zu verbinden. Die Weihe fand am 8. September 1901 statt. Die Kirche und der Hochaltar wurden zu Ehren der Himmelfahrt Mariae geweiht. Den Seitenaltar bei der Kanzel weihte man dem Herzen Jesu, den andern Seitenaltar dem heiligen Josef. Als Patroziniumsfest wurde Mariae Himmelfahrt (15. August) bestimmt, als Fest der Kirchweih der zweite Sonntag im Oktober.
 

Katholische Kirche von Norden, um 1913.

Glocken und Turmuhr

Sechs Jahre lang stand der Turm ohne Uhr und ohne Glocken da. Doch «Not lehrt nicht nur beten, sondern auch betteln», notierte ein Zeitgenosse16. 1903 konnten bei der Firma Rüetschi in Aarau vier Glocken im Gesamtgewicht von rund 58 Zentnern in Auftrag gegeben werden. Am 8. November 1903 nahm der Abt von Einsiedeln die Glockenweihe vor17. Die vier Glocken sind auf die Tonskala E – Fis – A - Cis gestimmt und tragen folgende Inschriften:
Grösste Glocke, Jesus dem guten Hirten geweiht:
«Bone pastor, Deus vere
Tu nos pasce, nos tuere»
Betglocke, Maria geweiht:
«Ave Maria»
Dritte Glocke, dem heiligen Josef geweiht:
«Salve Pater Salvatoris»
Kleinste Glocke, den heiligen Engeln und den armen Seelen geweiht:
«Requiem aeternam, dona eis Domine»
 
Gleichzeitig mit den Glocken wurde auch eine Turmuhr bestellt. Das Werk entstand in der Firma J. Manhardt in München und kostete 2000 Franken. Als Pfarrer Imhasly im Jahre 1904 auf Wunsch des Bischofs Wädenswil verliess, um die Pfarrei Beckenried zu übernehmen, waren Kirche, Glocken und Uhr schuldenfrei. Dies hatte man weitgehend der zielgerichteten Sammeltätigkeit des zurücktretenden Pfarrers Imhasly zu verdanken.

Westfassade der 1896/97 von August Hardegger erbauten katholischen Kirche.
 

Die Kirche als Kunstdenkmal

Die Architektur der Jahrhundertwende, im Falle der katholischen Kirche Wädenswil der neuromanische Stil, ist von den Kunsthistorikern lange Zeit verachtet worden. Heute werden aber auch diese Bauformen anerkannt und zu den erhaltenswerten Stilen gerechnet18. Es ist daher gerechtfertigt, auch die katholische Kirche von Wädenswil, das Werk August Hardeggers, als Kunstdenkmal zu würdigen.
Die Kirche besteht aus einem rechteckigen Langhaus mit Satteldach und mit vier Lichtgaden in Form von rundbogigen Zwillingsarkaden in den Längsfassaden. Dem Hauptschiff sind zwei Seitenschiffe vorgebaut. Sie weisen vier einfache Rundbogenfenster und eine Seitentüre auf. Eine halbrunde Apsis mit Zwerggalerie unter der Dachtraufe schliesst das Hauptschiff gegen Osten ab. Die Vierung ist nicht konsequent durchgeführt; das mit einem Dachreiter geschmückte südliche Querschiff im Bereich der Apsis findet im Norden keine Entsprechung. Dort steht der Glockenturm. Er ist durch Gurten in vier Geschosse gegliedert. Im dritten Geschoss sind die vier Zifferblätter angeordnet, im vierten, wo die Glocken hangen, je vier gekoppelte Rundbogenfenster pro Fassade. Ein gedrungener achtseitiger Spitzhelm, flankiert von vier kleinen, pyramidenförmigen Helmen, bildet den Turmabschluss.
Das Bogenfeld des markanten Portals in der Westwand des Hauptschiffs wurde erst im Jahre 1959 künstlerisch gestaltet. Bruder Xaver Ruckstuhl aus dem Kloster Engelberg wählte als Motiv für seine moderne Steinhauerarbeit die Erhebung Mariens durch den Heiligen Geist. Die Sockel der vier Säulen zeigen in romanischer Geisteshaltung die Motive der Nacht und der Finsternis, des Ungeheuerlichen und Unerlösten, Köpfe der Schlange, der Nachteule, der Sumpfkröte und des Menschen. Über diese niederen Mächte lenken die Säulen hinauf zu den Kapitellen, welche die vom Rundbogen übernommenen Feuerzangen des Heiligen Geistes tragen19.
Das Kircheninnere, das anfänglich recht nüchtern wirkte, wurde im Laufe der Zeit weiter ausgestaltet. Der schrittweise Ausbau wirkte sich indessen auf die stilistische Einheit des Kirchenraums nachteilig aus. An Weihnachten 1906 wurde die von Kuhn in Männedorf gebaute Orgel eingeweiht, die das kurzatmige Harmonium ersetzte. 1910 erhielt die Orgel ein elektrisches Getriebe nach System Meiringer in Basel. Als Kanzel diente ursprünglich ein einfacher Holzkasten, der vom auf den Frauenbänken stand, wo die Akustik am besten war. Nachdem 1907 die Treppe mit lautem Knall zusammengekracht war, leitete man eine Sammlung ein für den Bau einer richtigen Kanzel. Hardegger schlug vor, man solle wie in San Clemente in Rom zwei Kanzeln setzen, und zwar zu beiden Seiten des Aufstiegs in den Chor. Schlechte Akustik verhinderte aber dieses Vorhaben.
1911 erhielt der Bildhauer Karl Leuch in Zürich den Auftrag, die neue Wädenswiler Kanzel zu schaffen. Das überdimensionierte neue Werk aus glimmerhaltigem Vogesenstein und mit betonierter Rückwand wurde schwer kritisiert. Der Pfarrer bezeichnete es als das Werk eines Stümpers und hielt fest, es werde wegen seiner Aufdringlichkeit gegenüber den Altären immer ein Stein des Anstosses sein. Das Bildprogramm für den künstlerischen Schmuck der zwischen den Chorbogenpfeilern platzierten Kanzel stammte von Pfarrer Melchior Camenzind, der von 1904 bis 1913 als markante Persönlichkeit in Wädenswil wirkte. Leuch konnte die Bildhauerarbeiten aber nicht mehr vollenden, denn er starb 1912. Nun nahmen sich die Einsiedler Künstler Payer & Wipplinger der Arbeit an. Was Payer zeichnete und Wipplinger meisselte, wurde von den Zeitgenossen als tadellose, sinnvolle und schöne Bildhauerei empfunden. Auch die holzgeschnitzten Apostelfiguren, Kopien nach dem Sebaldusgrab in Nürnberg, waren Werke der Einsiedler Künstler.
Während der Amtszeit des Pfarrers Karl Blunschy, der von 1913 bis 1946 in Wädenswil wirkte, wurden in der Kirche die elektrische Heizung, die elektrische Beleuchtung und das elektrische Läutwerk eingerichtet. Anlässlich der Innenrenovation vom Herbst 1934 beseitigte man die massige Kanzel. 1941 entstand der kleine Pietà-Altar im Hintergrund der Kirche. Während der Renovation von 1934 und später wurde der ursprüngliche Zustand verändert. Man vergrösserte die Empore und baute eine neue Orgel. Man versetzte die Kanzel vom Schiff zum ersten Chorbogen, man räumte die Hauptaltaraufbauten ab und ergänzte provisorische Holzstufen. Der Tabernakel wurde zum linken Seitenaltar versetzt, neben dem rechten Seitenaltar entstand ein neuer Taufstein, und die Beichtstühle wurden von den Seitenwänden an die Rückwand umplatziert20.
Innenraum mit Kanzel und Chormalereien, vor der Renovation von 1934.
Nachdem 1969 in einer ersten Etappe die Aussenrenovation der Kirche durchgeführt worden war, beschloss die Kirchgemeindeversammlung im Sommer 1971 die Erneuerung des Kircheninnern. Das Projekt des Architekten Josef Riklin in Wädenswil, der mit der Innenrenovation beauftragt worden ist, sieht nicht nur Änderungen vor, um die Kirche an die neuen liturgischen Erfordernisse anzupassen; es wird auch einige formale Verbesserungen bringen21. Die Sakristei wird um die Apsis des rechten Seitenaltars vergrössert. Die schlecht proportionierten acht Säulen im Kirchenschiff, deren Trommeln mit den aufgeklebten Engeln zudem kitschig wirken, werden durch neue Säulen ersetzt. Das Chorgemälde, das in der Farbgebung und in der Zeichnung nicht mehr befriedigt, wird übertüncht. Hochaltar, Seitenaltäre und Kanzel werden entfernt. Bildhauer Bruder Xaver Ruckstuhl, Engelberg, wird die Neugestaltung übernehmen. Der neue Altartisch wird näher zum Kirchenschiff gerückt und tiefer gesetzt. Zur Linken des Altars entsteht ein neuer Ambo, der linke Seitenaltar wird neu gestaltet. Verputz, Bestuhlung und Heizung werden erneuert, die Orgel wird überholt. Das vorgeschlagene Projekt betont die Ursprünglichkeit des Stils und wird dem Kircheninnern eine ansprechende, der neuen Liturgie und dem heutigen ästhetischen Empfinden angepasste Form geben.
 

Die Abtrennung der Pfarreien Richterswil und Schönenberg

Um 1900 umfasste die katholische Pfarrei Wädenswil noch ein grösseres Gebiet als heute. Weder Richterswil noch Schönenberg und Hütten besassen damals eigene Kirchen, und so begaben sich die Katholiken dieser Gemeinden auch nach Wädenswil zum Gottesdienst. 1906 wurde Richterswil, das zum Teil auch nach Wollerau kirchgenössig war, offiziell mit Katholisch Wädenswil vereinigt. Im Jahre 1908 kaufte der von Wädenswil aus gegründete Kirchenbauverein Richterswil ein mitten im Dorf gelegenes Haus, dessen Lokale zu ebener Erde in eine Notkirche umgebaut wurden22. 1911 erhielt Richterswil, wo bereits mehr als tausend Katholiken lebten, einen eigenen Seelsorger. Dadurch konnte der Pfarrer von Wädenswil entlastet werden. Nun drängte sich ein Kirchenbau auf. Der Plan, den August Hardegger, St. Gallen, im Jahre 1912 vorlegte, gefiel nicht. 1913 stimmte der Bischof einem Projekt zu, das Architekt Adolf Gaudy aus Rorschach eingereicht hatte. Im Juni 1914 konnte die von den Gebrüdern Ferrari, Wädenswil, gebaute Kirche Richterswil eingesegnet werden23.
Bis 1924 gehörten auch Hirzel, Schönenberg und Hütten kirchlich zu Wädenswil. Schon 1908 erteilte der Wädenswiler Pfarrer im Schulhaus Langrüti katholischen Unterricht. 1919 wurde der katholische Männerverein Schönenberg und Umgebung gegründet, der in opferfreudiger Gesinnung einen Kirchenbaufonds äufnete. Mit Hilfe der inländischen Mission konnte im November 1922 eine kleine Kirche errichtet werden, wo der Pfarrer von Wädenswil oder Patres aus dem Kloster Einsiedeln regelmässig Sonntagsgottesdienste hielten24. Im September 1923 kam der erste Pfarrer nach Schönenberg. Er wohnte aber noch in Wädenswil, bis 1931 das mit einem Unterrichtslokal versehene neue Pfarrhaus Schönenberg bezogen werden konnte. Die Kirche Schönenberg löste sich am 1. Juli 1924 von Wädenswil und wurde zur selbständigen Pfarrei erhoben, von der sich später Hirzel als eigene Pfarrei lostrennte.

Etzelsaal, Anna-Kapelle und Kirche Au

Seit 1924 deckt sich das Gebiet der katholischen Pfarrei Wädenswil mit der politischen Gemeinde. Die wachsende Bevölkerungszahl - man zählte
1930  2272 1950 2472
1941 2171 1960 3598
 
Einwohner des römisch-katholischen Glaubensbekenntnisses25 − führte zu verschiedenen baulichen und organisatorischen Änderungen. Sie wurden zu einem grossen Teil unter Pfarrer Walter Risi ausgeführt, der von 1946 bis 1967 mit Tatkraft in Wädenswil wirkte26.
Im September 1959 weihten die Katholiken den neuen, ans Pfarrhaus angebauten Etzelsaal ein27. Der Neubau, der mit zwei Sälen und vier Zimmern den Aufgaben eines Kirchgemeindehauses genügt, und ein zwischen Pfarrhaus und Kirche geschaffener Hof mit gedecktem Kreuzgang fügen sich ruhig in das Gesamtbild der Kirchenanlage ein. Die Bauten sind absichtlich in klaren Formen gestaltet, damit neben der neuromanischen Kirche und dem stillosen Pfarrhaus aus der Jahrhundertwende nicht noch ein drittes Element hervortrete. Der Abschlussblock des Säulengangs ist mit einer Betonplastik künstlerisch akzentuiert. Mit blosser Schalung formte hier Bruder Xaver Ruckstuhl aus dem Kloster Engelberg einerseits das abstrakte Bild des guten Hirten, anderseits formal dekorativ das aufsteigende Band der Herde.
Unweit des Weilers Tanne im Wädenswiler Berg, wo in vorreformatorischer Zeit am Pilgerweg nach Einsiedeln ein Bildstöcklein zur Verehrung der heiligen Anna gestanden haben soll, erbauten die Katholiken in Fronarbeit ein Bergkirchlein. Die am Auffahrtstag 1956 geweihte St.-Anna-Kapelle stellt eine gefällige Verbindung her zwischen modernem Baustil und traditionellem kirchlichem Sakralbau28. Fünf Jahre nach der Weihe wurde in der Kapelle ein vom Engelberger Pater Karl Stadler geschaffenes farbiges Chorfenster eingesegnet. Das 7 m hohe und 4 m breite Fenster in Dalles-de-verre-Technik zeigt Christus den Keltertreter und in den Seitenpartien links den Weg des Verderbens und rechts den Weg des Heils. Die Komposition des Chorfensters ob dem Altar ist überragt von der Darstellung des Heiligen Geistes in Taubengestalt29. Die öffentlich-rechtliche Anerkennung der katholischen Kirche durch die Annahme des neuen Kirchengesetzes am 7. Juli 1963 brachte auch in Wädenswil Änderungen. Am 24. November 1963 konstituierte sich die Versammlung der römisch-katholischen Kirchgemeinde Wädenswil. Die Kirchgemeindeversammlung vom 1. Dezember 1964 genehmigte die Kirchgemeindeordnung und die Besoldungsverordnung30. Mit Vertrag vom 8. Juli 1968 überliessen die Stiftung St. Marien − 1951 aus dem ursprünglichen «Kirchenbau-Verein Wädenswil» hervorgegangen -, die Stiftung St. Anna und die Stiftung Bruder Klaus ihre Liegenschaften − Kirche, Pfarrhaus, Etzelsaal; St.-Anna-Kapelle; Bauland in der Au im Baurecht - der römisch-katholischen Kirchgemeinde Wädenswil zur Benützung, welche sich gleichzeitig verpflichtete, für den Unterhalt der Gebäude und für die Amortisation der Grundpfandschulden aufzukommen31.
Die 1956 erstellte Anna-Kapelle im Wädenswiler Berg.
Im Jahre 1957 wurden im aufstrebenden Gemeindeteil Au die ersten katholischen Gottesdienste gehalten. Damit die Katholiken der Au noch besser betreut werden können, beschloss die Kirchgemeindeversammlung vom 16. September 1970 den Bau der katholischen Kirche Au als Teil eines gemeinsamen Kirchenzentrums für Reformierte und Katholiken. In der Urnenabstimmung vom 27. September 1970 wurde jedoch sowohl der Antrag der evangelisch-reformierten Kirchenpflege zur Krediterteilung für die Erstellung kirchlicher Bauten in der Au als auch der Antrag des Gemeinderates betreffend Errichtung eines gemeinsamen Glockenturms mehrheitlich abgelehnt32. Die Katholiken sind aber entschlossen, die Kirche «Bruder Klaus» in der Au im Jahre 1973 trotzdem zu bauen, doch ohne Pfarrhaus und ohne Sekretariat33.




Peter Ziegler


Anmerkungen

1 Ich danke Herrn Pfarrer Hans Baumann für die Durchsicht dieses Kapitels. - Gotthard Schmid, Die Evangelisch-reformierte Landeskirche des Kantons Zürich, Zürich 1954, S. 295 ff.
2 Hans Kläui, Geschichte der Herrschaft und Gemeinde Turbenthal, Bd. 2, Turbenthal 1960, S. 364. - Werner Raths, Die Bevölkerung des Kantons Zürich seit dem Ende des 18. Jahrhunderts, Statistische Mitteilungen des Kantons Zürich, Heft 15/1949, S. 66.
3 Bernhard Kar! Böhler, Die staatsrechtliche Stellung der römisch-katholischen Kirche im Kanton Zürich, Siebnen 1952.
4 Gotthard Schmid, Landeskirche, S. 301.
5 Jakob Höhn, Das Gemeindearchiv Wädenswil, Wädenswil 1901, S. 22 (ZBZ, Bro 4921).
6 Jakob Höhn, Die eidgenössische Volkszählung (1900) in Beziehung auf die Gemeinde Wädenswil, Wädenswil 1901, S. 6 (ZBZ, Bro 4895). - Nachrichten vom Zürichsee, 20. Dezember 1900.
7 Handschriftliches Protokoll über die Anfänge der Pfarrei Wädenswil und über den Kirchenbau. Das im Pfarrarchiv aufbewahrte Dokument wird im Folgenden als Kirchenbauprotokoll zitiert.
8 Kirchenbauprotokoll 1881.
9 KirchenbauprotokoIl1885–1888.
10 Kirchenbauprotokoll 1895. - A. Teobaldi, 50 Jahre katholisches Leben im Kanton Zürich, Zürich 1930, S. 39.
11 Anzeiger 1895, Nr. 61, 133.
12 Schweizerisches Künstler-Lexikon, Bd. 2, Frauenfeld 1908, S. 15/16 (August Hardegger). - Anzeiger 1896, Nr. 32, 45, 103,145.
13 Pfarrblatt St. Marien Wädenswil, Nr. 21, November 1968.
14 Anzeiger 1897, Nr. 83.
15 Kirchenbauprotokoll1897-1900.
16 Kirchenbauprotokoll1903.
17 Anzeiger 1903, Nr. 131. - Erneuerung von Uhrwerk, Zifferblättern, Zeigern: KGV vom 28. April 1964.
18 Der Weg ins 20. Jahrhundert, Katalog des Gewerbemuseums Winterthur, 1969 (Jugendstil).
19 Anzeiger 1959, Nr. 223.
20 Herbert Gröger, Die Bistümer der Schweiz, Helvetia Christiana, Bistum Chur, Bd. 2, Kilchberg 1942, S. 275/276.
21 Pfarrblatt St. Marien Wädenswil, Nr. 11, Juni 1971.
22 A. Teobaldi, 50 Jahre katholisches Leben im Kanton Zürich, S. 65.
23 Herbert Gröger, Bistum Chur, Bd. 2, S. 276.
24 Herbert Gröger, Bistum Chur, Bd. 2, S. 277.
25 Statistische Mitteilungen des Kantons Zürich. Ergebnisse der Volkszählungen von 1930-1960.
26 Die Hand, die für uns werkte, Dank an Pfr. Walter Risi, Wädenswil1967. - Anzeiger 1967, Nr. 280.
27 Anzeiger 1959, Nr. 223.
28 Die Hand, die für uns werkte. - Peter Ziegler, Wädenswil - Vergangenheit und Gegenwart in Bildern, Wädenswil 1962, S. 83.
29 Katholisches Pfarramt Wädenswil, Erläuternder Text auf farbiger Karte des Kirchenfensters.
30 Weisung für KGV der römisch-katholischen Kirchgemeinde Wädenswil vom 1. Dezember 1964.
31 Verträge im Pfarrarchiv.
32 Anzeiger 1970, Nr. 212.
33 Anzeiger 1971, Nr. 30.