Das Oberamt Wädenswil (1814-1830)

Quelle: Wädenswil Zweiter Band von Peter Ziegler

Die Restauration

Mit der Völkerschlacht von Leipzig im Jahre 1813 begann der Stern des französischen Kaisers Napoleon zu sinken. Der Einzug der alliierten Heere in Paris setzte den Schlussstrich unter die Abhängigkeit unseres Vaterlandes vom westlichen Nachbarstaate. Überall in Europa erstrebte man die Wiederherstellung der alten Zustände. Die Restauration vom Jahre 1814 machte auch vor den Zürcher Grenzen nicht halt. Ohne Volksbefragung ersetzten die Vertreter des Alten die Mediationsverfassung durch eine eigene1. Wieder gab es in Zürich einen Grossen Rat, nunmehr von 212 Mitgliedern, aber die Landschaft war mit 56 Abgeordneten noch schlechter vertreten als vorher. Aus ihrer Mitte wählten die Grossräte einen Kleinen Rat von 25 Mitgliedern, dem sieben Herren als Staatsrat entnommen wurden. Zwei Bürgermeister wechselten jährlich im Amte ab2. Der Kanton Zürich erhielt wieder eine neue Einteilung. An die Stelle der fünf Distrikte traten elf Oberämter, die mit geringen Abweichungen unsern heutigen Bezirken entsprachen3. An der Spitze jedes Oberamtes stand ein Oberamtmann, der die Befugnisse des früheren Statthalters übernahm. Er wurde vom Kleinen Rat aus den Bürgern des Kantons gewählt und stammte nicht immer aus dem Gebiet, das er zu verwalten hatte. Jedes Oberamt erhielt ein Amtsgericht, Es bestand aus dem Oberamtmann und vier Mitgliedern, die ebenfalls vom Kleinen Rat gewählt wurden. Die bisherigen Zunftgerichte verschwanden. Der Oberamtmann führte die Oberaufsicht über die Verwaltung seines Gebietes. Als Vorsitzender des Amtsgerichtes hatte er auch richterliche Kompetenzen. Die Gewaltentrennung war also nicht durchgeführt.
Die Selbstverwaltung der Gemeinden erfuhr bedeutende Einschränkungen. Die wichtigste Einengung bestand darin, dass das Amt des Gemeindeammanns mit demjenigen des Gemeindepräsidenten vereinigt wurde. Weil die Regierung den Ammann aus einem Dreiervorschlag der Gemeinde wählte, konnte sie gleichzeitig die Wahl des Gemeindepräsidenten beeinflussen4.

Das Oberamt Wädenswil

Als Sitz der Oberamtmänner wählte man ehemalige Landvogteischlösser und Amtshäuser. Schon rein äusserlich wurde damit die Anknüpfung an die alten Zustände dokumentiert. Da Wädenswil über ein Schloss verfügte, bestimmte man Wädenswil zum Zentrum des Oberamtes. Für Horgen, das während der Meditationszeit der Hauptort eines Bezirks gewesen war, bedeutete das eine starke Enttäuschung. Mit Recht wiesen die unteren Gemeinden des Oberamtes Wädenswil darauf hin, dass der Hauptort für sie nur auf langem Wege zu erreichen sei. Man schlug daher vor, Zürich solle die Sust in Horgen, die ja auch Staatseigentum sei, zum Sitz des Oberamtmanns umbauen5. Ja, die Gemeinde Horgen war sogar bereit, ein Haus zur Verfügung zu stellen. Die Zürcher Regierung blieb aber bei ihrem Beschluss und gab Wädenswil den Vorzug, obwohl das im Bockenkrieg zerstörte Schloss mit grossen Kosten wiederaufgebaut werden musste. Am 15. Februar 1816 ernannte der Zürcher Rat den Unterstatthalter Peter Hotz von Oberrieden zum Oberamtmann des Amtsbezirks Wädenswil6. Vier Tage nachdem die neue Verfassung und Organisation des Justizwesens in Kraft getreten war, am 4. Juni 1816, feierte Wädenswil den Aufzug des neuen Oberamtmanns. Empfänge mit Militärparaden bildeten den Auftakt, geschmückte Häuser und Triumphbogen den würdigen Rahmen. Im Sommersaal der «Krone» platzierten sich Ratsherr Ott als Vertreter der Regierung, zur Rechten sein Sekretär, zur Linken Oberamtmann Hotz mit Sekretär, zu beiden Seiten die beiden Standes- und die Amtsweibel, die vier Oberrichter und die elf Gemeindeammänner. Ratsherr Ott eröffnete die Feier, an der auch Geistliche, Offiziere und Gemeindebürger teilnahmen. Dann leisteten Amtsrichter, Amtsschreiber und Gemeindeammänner den Eid. Die Begrüssungsrede des Oberamtmanns schloss den offiziellen Teil. Dann wurde bis in die Nacht hinein getafelt und gefestet7.
Als Peter Hotz im Sommer 1816 sein Amt antrat, wurde eben erst mit dem Wiederaufbau des 1804 zerstörten Wädenswiler Schlosses begonnen. Der Oberamtmann konnte also nicht in eine Amtswohnung einziehen und wohnte daher bis zum Juli 1818, bis zur Fertigstellung des neuen Amtsgebäudes, weiterhin in Oberrieden. Von Anfang an fanden aber die Gerichtssitzungen und die Audienzen im Hauptort des Oberamtes, in Wädenswil statt. Mehr als zweihundertmal reiste Hotz zwischen 1816 und 1818 mit Pferd und Wagen nach Wädenswil und zurück nach Oberrieden8. Die Geschäfte wurden im Hause des Oberamtschreibers Huber in Wädenswil erledigt, wo Hotz ein paar Zimmer gemietet und möbliert hatte, damit er dort auch übernachten konnte, wenn es die Arbeit erforderte. Zu den Sitzungen des Amtsgerichts und des Oberwaisenamtes versammelte man sich – bis die Amtsräume im neuen Schloss bezugsbereit waren – in der «Krone» und im «Hirschen»9.
Kaum war Peter Hotz am 4. Dezember 1821 abermals für 6 Jahre zum Oberamtmann von Wädenswil gewählt worden, starb er am 16. März 1822 nach nur achttägigem Krankenlager10. Hotz wurde auf dem Friedhof ob der Kirche Wädenswil bestattet. Zum Nachfolger wählte die Zürcher Regierung einen Stadtaristokraten, den 1777 geborenen Hans Heinrich Escher, der aus seinem Geburtsstand und dem bisher bekleideten Amte des Oberrichters eine ganz andere Einstellung zu Land und Leuten in seinem neuen Wirkungskreis mitbrachte. Escher trat sein Amt am 2. Mai 1822 mit den üblichen Festlichkeiten an und wurde 1828 vom Kleinen Rat in seiner Würde bestätigt11.
 

Der Schlossneubau von 1816/18

Im Mail 1804 erhielt der Wädenswiler Maurermeister Reiner den Auftrag, im ehemaligen Landvogteischloss, das im Bockenkrieg angezündet worden war, den Brandschutt wegzuräumen12. Das aufgehende Mauerwerk liess man aber stehen. Bereits im folgenden Monat nahm der Zürcher Ingenieur und Architekt Hans Conrad Bluntschli der Aeltere einen Augenschein auf der Brandstätte. In der Folge arbeitete der Architekt zuhanden des Baudepartementes einen Vorschlag aus, wie das brandgeschädigte Schlossgebäude wieder aufgebaut werden könnte. Grund- und Aufrisse dieses Projekts sind erhalten13. Bluntschli wollte das Haus über dem alten Grundriss erneuern und die zum Teil noch intakten Aussenmauern in den Neubau einbeziehen. Auch der Treppenturm in der Südecke sollte wieder erstehen, aber keinen Helm mehr tragen wie früher, sondern ein modernes Zwiebeldach. Die Inneneinteilung des dreistöckigen Baus sah über dem Keller eine erste Etage vor mit Küche, Wohnstube, Kammer, Kabinett und Gerichtsstube. Das zweite Stockwerk enthielt nach Bluntschlis Plan die Küche, die Stube, das Kabinett, eine Kammer, eine Nebenstube und eine Stube. Im Dachgeschoss das wie die beiden anderen Stockwerke von einem durchlaufenden Mittelgang durchzogen war, sah man fünf Kammern vor.
Der Zürcher Ingenieur Hans Conrad Bluntschli plante im Juni 1805 einen Wiederaufbau des Schlossgebäudes und des Turms nach diesem Aufriss. Der Plan wurde nicht ausgeführt.

Im Juni 1805 nahm Domänensekretär Spöndlin mit den Mitgliedern des Baudepartementes in Wädenswil einen Augenschein14. Offenbar war man aber von den Plänen des Architekten Bluntschli nicht befriedigt. Es wurde jedenfalls kein Baubeschluss gefasst, und die Angelegenheit ruhte bis zum Herbst 1909. Dann erhielt Bluntschli den Auftrag, «ohne Verzug für die Sicherstellung des Überrests des Schossgebäudes in Wädenswil besorgt zu sein» und das Wetterdach auszubessern15. Im Januar 1811 reichte das Baudepartement der Zürcher Finanzkommission eine Zeichnung und einen Kostenvoranschlag ein «über den Wiederaufbau des Schlosses in die alten Mauern». Gleichzeitig bat man die Behörde um Auskunft über den Zweck des neuen Gebäudes, damit man die Inneneinteilung des Neubaus entsprechend planen konnte16. Offenbar war die Finanzkommission nicht geneigt, das Bauvorhaben zu realisieren. Am 16. November 1812 legte das Baudepartement einen neuen Plan für den Wiederaufbau vor17. Er stammte nicht mehr von Bluntschli, sondern von einem jungen Zürcher Architekten, von Hans Conrad Stadler (1788−1846), dem Sohn des Stadtinspektors. Stadler hatte eine Maurerlehre absolviert, 1806 bei Weinbrenner in Karlsruhe. 1807 in Genf und 1808 bis 1811 in Paris studiert und lebte seit 1811 als Architekt und Baumeister in Zürich18. Anfänglich arbeitete er noch mit seinem Vater zusammen. Das Baudepartement schrieb nämlich 1812, der Auftrag für die Planung des neuen Schlosses Wädenswil sei seit einem Jahr erteilt gewesen, die vielen Geschäfte der Herren Stadler, Vater und Sohn, hätten aber die Eingabe verzögert19.
1812 legte Konrad Stadler Grund und Aufrisse für den Wiederaufbau des abgebrannten Schlosses vor die 1816/18 weitgehend verwirklicht wurden. – Plan der Nordfassade.
 
Die Pläne von 1812 unterscheiden sich deutlich vom Plane Bluntschlis von 1805. Der Turm für das Treppenhaus fehlt, und das Gebäude ist um ein Stockwerk niedriger gehalten. Die Eingangstüre in der Ostfassade ist im Plan von 1812 nicht mehr vorgesehen. Stadler schlägt zwei andere Eingänge vor: einen auf der Südseite und einen auf der Nordseite. An der Nordfassade – Richtung Zürichsee – werden drei Fensterachsen zu einem Mittelrisaliten zusammengefasst, der eine Dreiecksgiebel trägt. Hinter einer Sockelmauer schliesst hier eine zweiläufige Treppe an die Wand an. Darüber ruht ein dorischer Säulenportikus. Die vier Säulen stützen den Balkon des ersten Oberschosses20.
Die Pläne von 1812 wurden nicht Punkt für Punkt ausgeführt. Auf der Hofseite gegen Süden war noch kein Balkon vorgesehen. Auch die Dachgauben fehlten. Der spätere Bau lässt sich aber in seinen Grundzügen bereits ablesen.
Bevor das Baudepartement anhand der von Stadler eingereichten Pläne detaillierte Kostenberechnungen ausführen wollte, forderte es im November 1812 von der vorgesetzten Behörde über zwei Punkte Klarheit: Soll genau in die alten Mauern gebaut werden oder nach dem vorliegenden Plan in einem eingeschränkten Raum? Wird der Neubau tatsächlich als Gerichtsgebäude dienen oder lediglich als Pächterwohnung21?
Schloss Wädenswil: Aufriss der Westfassade, gezeichnet 1812 von Konrad Stadler. Auf der Hofseite gegen Süden ist noch kein Balkon vorgesehen. Auch die Dachgauben fehlen.

Im April 1813 erhielt Architekt Bluntschli den Auftrag, den Plan für das Schloss Wädenswil mit Stadler Sohn zu revidieren. Gleichzeitig waren Kostenberechnungen anzufordern, die dem Baudepartement und der Finanzkommission eingereicht werden mussten22. Im Herbst 1813 stand fest, dass die Mauern des alten Schlosses geschlissen werden sollten und dass höchstens die Fundamente wieder verwendet werden konnten. Der Abbruch der brandgeschädigten Mauern, «welche den Einwohnern von Wädenswil keinen angenehmen Anblick gewährt» hatten, begann im Oktober 181323. Ungefähr zur gleichen Zeit begann man in der Staatswaldung, wohl im Reidholz, mit dem Fällen des Bauholzes. Der Baubeginn der auf Frühling 1814 geplant war, musste aber nochmals hinausgeschoben werden.
Erst im Frühling 1816 wurde mit dem Neubau begonnen. Massgebend waren die Grund- und Aufrisse sowie die revidierten Kostenberechnungen, die Conrad Stadler Sohn am 16. Februar 1816 vorgelegt und die Architekt Bluntschli im Auftrag des Baudepartementes überprüft hatte. Die Kostenberechnungen Stadlers sind von einer Baubeschreibung begleitet, welche über die Konzeption des Neubaus orientiert24:
Perspektivische Ansicht des von Stadler geplanten klassizistischen Schlossgebäudes. Blick gegen Süden. Im Hintergrund der Wehrgang der bergseitigen Ringmauer.

Das Gebäude besteht aus einem Erdgeschoss und zwei Etagen. Drei Seiten werden auf die alten Kellermauern gestellt, die vierte Mauer wird von Grund auf neu errichtet. Die alten Fassaden und der Turm werden bis auf die Höhe des neu geplanten Sockels abgebrochen. Die Steine und die Balken des Kellerbodens werden im Neubau wieder verwendet. Mit dem Schutt wird der Garten terrassiert. Das Erdgeschoss, das 3 ½ Schuh höher liegt als jenes des abgebrannten Gebäudes, ist als Wohnung des Oberamtmanns geplant und enthält Küche, Wohnzimmer, Kabinett, Saal und Nebenkammern, ferner eine Dienstenkammer und einen doppelten Abtritt. Im ersten Stockwerk liegen die Repräsentations- und die Amtsräume: der grosse Gerichtssaal, das Ausstandszimmer, das Kanzlei- und Audienzzimmer, zwei Archivräume und ein Abtritt. Das zweite Stockwerk soll erst später ausgebaut werden. Wände, Decken und Böden werden hier roh belassen.
Während Jahren war der Baubeginn hinausgezögert worden. Nun eilte es plötzlich. Im August 1816 wandte sich das Baudepartement an Maurermeister Stadler und ersuchte ihn, «mehr Betriebsamkeit in die Arbeiten am Schlossgebäude zu Wädenswil zu legen»25. Und im Oktober 1817 gab man zu Protokoll: «Dem Maurermeister Stadler wird die schleunige Vollendung der Arbeiten kräftig anbefohlen»26.
Obwohl das Schloss noch nicht vollendet war, zog Oberamtmann Hotz mit seiner Familie am 19. Juli 1818 in den Neubau ein. Ende Mai 1819 legte Stadler die Baurechnung vor. Sie gibt Auskunft über die Abbrucharbeiten, über die Tätigkeit der Maurer, Steinhauer, Zimmerleute, Schreiner, Glaser, Schlosser, Spengler, Hafner, Maler, Schmiede und Fuhrleute27. Zur Hauptsache waren einheimische Handwerker am Schlossbau beschäftigt. Die meisten arbeiteten im Taglohn. Im Zusammenhang mit dem Bau des neuen Verwaltungsgebäudes wurde auch die Umgebung verändert. 1817 wurden die Garten- und Ringmauern abgebrochen und mit Platten gedeckt. Beim Haupttor schleifte man die Schanzenmauern. Auch das Brennhäuschen musste weichen28.
Hans Conrad Stadler zählt zu den bedeutendsten Architekten des Zürcher Klassizismus. Sein erstes Werk ist das als vornehmer Landsitz aufgefasste neue Schloss Wädenswil, das sich heute wie folgt präsentiert29:
Der schlichte, dreigeschossige Baukörper unter Walmdach hat einen rechteckigen Grundriss. Die Breitseiten weisen fünf, die Schmalseiten drei Fensterachsen auf. An der Nordseite – Richtung Zürichsee – springt ein dreiachsiger Mittelrisalit vor. Er ist von einem Dreieckgiebel mit Lünettenfenster gekrönt. In der symmetrisch gehaltenen Südfassade ragt auf der Höhe des ersten Obergeschosses ein einfacher Balkon vor. Er ruht auf zwei dorischen Säulen. Unter dem Balkon ist die Haustüre angeordnet. Eine Stockgurte aus Bolligersteinen schliesst das Erdgeschoss nach oben ab. Die Fenster des Erdgeschosses und des zweiten Obergeschosses sind schlicht gerahmt, die schlankeren Fenster des ersten Obergeschosses flach verdacht. Auf den Schmalseiten des Baus sind die Fenster gegen die Mitte zusammengerückt. Sie bilden einen gewollten Kontrast zu den leeren Eckfeldern. Ein Kranzgesimse mit Konsolenfries leitet über zum Walmdach, das auf allen vier Seiten je zwei Gauben trägt.
Schloss Wädenswil: Ansicht von Nordosten, 1919.

Schloss Wädenswil: Ansicht von Süden, 1970.

Loskauf der Grundzinse und Zehnten

In den letzten Jahren der Restaurationsperiode begann in Wädenswil der Loskauf der alten Abgaben an Bodenzins und Zehnten. Damit ging ein altes Postulat der Wädenswiler Bauern in Erfüllung. Die Lage der Landwirte wurde verbessert, und eine lange Zeit heftiger Auseinandersetzungen und Missstimmungen ging zu Ende.
Schon 1798, zu Beginn der Helvetik, hatte man wegen dieser Frage im helvetischen Parlament gestritten. Der extrem revolutionären Richtung, der auch Wädenswiler angehörten, gelang es aber damals nicht, die unentgeltliche Abschaffung der Feudallasten durchzusetzen30. Als die neue Regierung im Jahre 1801 den Zehnten wiederum verlangte, weigerten sich 105 Pflichtige, ihre Abgabe zu entrichten. Im Januar 1802 wurden Konrad Huber zur «Krone» und Johannes Diezinger im Luft mit einem Memorial ans helvetische Parlament gesandt. Man trat aber nicht auf ihre Wünsche ein. Als der Zürcher Grosse Rat im Dezember 1803 ein Loskaufgesetz herausgab, kam es zu Tumulten, im März 1804 zu neuen Petitionen und dann zum Bockenkrieg. Auch 1811, 1815 und 1825 versuchten Wädenswiler Bauern, ihr altes Postulat durchzusetzen. Ihre Gesuche und Abordnungen nützten aber nichts.
Zu Beginn des Jahres 1828 gaben einige zehntenpflichtige Bürger dem Gemeinderat zu verstehen, dass sie geneigt wären, die alten Abgaben loszukaufen31. Oberamtmann Heinrich Escher lud alle Zehntenpflichtigen auf den 8. April 1828 zu einer Versammlung in die Kirche ein. Nachdem das Gesetz von 1803 verlesen worden war, stimmte man ab, ob man den Zehnten loskaufen wolle oder nicht. Jeder Pflichtige wurde namentlich aufgerufen. Beim Taufstein erhielt er einen Pfennig, den er entweder in die mit Ja oder mit Nein bezeichnete Schachtel legen musste, die hinter dem Vorhang bei der Türe stand32.
Mit 391 Stimmen, die weit mehr als die Hälfte des zehntenpflichtigen Grundeigentums repräsentierten, wurde der Loskauf beschlossen. 79 Wädenswiler sprachen sich dagegen aus. Unverzüglich wählte die Versammlung aus den drei Wachten Dorf, Berg und Ort je acht Bürger, denen man die Erledigung des wichtigen Geschäfts übertrug. In ihrer Sitzung vom 19. April 1828 wählten die 24 Bürger aus ihrer Mitte den Gemeindeammann Jakob Blattmann in der Eidmatt zum Präsidenten, alt Gemeindeschreiber Martin Strübi zum Sekretär, den Geschworenen Jakob Diezinger zum Buchhalter33. Die Mitglieder – ihre Zahl wurde nachträglich auf 28 erhöht – bildeten vier Kommissionen: eine schiedsrichterliche Kommission, eine Rechnungskommission, eine Klassifikations-Kommission für den nassen Zehnten (Weinzehnten) und eine Klassifikations-Kommission für den trockenen Zehnten.
Formular von 1828 für die Berechnung des Zehntenloskaufs in Wädenswil.

Nachdem man der Finanzkommission des Kantons Zürich den Zehnten gekündigt hatte, errechnete man aufgrund des Durchschnittsertrags mehrerer Jahrzehnte die Höhe der Loskaufsumme. Dann ermittelte man in den fünf Zehntenbezirken der Gemeinde – dem Eichzehnten, Grosszehnten, Gebisholzzehnten, Opfisauzehnten und Rüti- oder Hangenmooszehnten34 – das pflichtige Grundeigentum. Zu diesem Zweck brauchte man genaue Anhaltspunkte über die Lage und die Grösse der einzelnen Grundstücke. Da solche Planunterlagen fehlten, gab die Gemeinde Wädenswil im Jahre 1828 die Schaffung von Zehntenloskaufplänen in Auftrag. Als Zeichner konnte man den Wädenswiler Geometer Rudolf Diezinger (1770-1847) gewinnen35. Verschiedene Ämter und Behörden hatten bei Diezinger, der sich autodidaktisch zum Geometer ausgebildet hatte, schon früher Pläne in Auftrag gegeben. Von Diezingers Frühwerken kennt man unter anderem den Grundrissplan des Wädenswiler Musterplatzes im Geren von 179336. Als 1807 das Linth-Unternehmen begann, wurde der tüchtige Geometer vom Zürcher Ratsherrn Hans Konrad Escher in die Linthebene gerufen. Fast alle Pläne, die über das Tal aufgenommen werden mussten, waren Diezingers Arbeit. Von 1811 bis 1813 wirkte der Geometer bei der Triangulation im Kanton Bern mit 37.
Übersichtsplan der Gemeinde Wädenswil, 1829/30 aufgenommen von Geometer Rudolf Diezinger als Grundlage für den Zehntenloskauf. Im Dorfgebiet gab es damals noch zahlreiche Rebberge.

Als Grundlage für den Zehntenloskauf in Wädenswil schuf Rudolf Diezinger ein Übersichtsblatt und 12 Detailpläne38. Das karthographische Meisterwerk ist heute für die Lokalgeschichte von unschätzbarem Wert, gibt es doch genaue Auskunft über die Siedlungsstruktur, über Gewässer und Vegetation, über Verkehrswege und Flurnamen39.
Die Vermessung der Grundstücke ergab, dass 3090 Jucharten Land für den trockenen und 132 Jucharten für den nassen Zehnten pflichtig waren. Demnach wurde die Loskaufsumme auf 35 523 Gulden 5 Schilling 9 Heller errechnet40. Der Betrag sollte innert neun Jahren in gleichmässigen jährlichen Raten bezahlt werden.
Im Juni 1832 vernahm die Zehntenloskaufskommission, dass der Grosse Rat ein neues Loskaufsgesetz erlassen und die Preise gegenüber dem Gesetz von 1803 bedeutend gesenkt hatte. Die Wädenswiler baten daher die Regierung in einem Memorial, sie möge für die noch zu leistenden Teilzahlungen den neuen Rechnungsmodus anwenden. Das Gesuch wurde aber abgelehnt!
Nachdem die Finanzkommission die letzte Rate erhalten hatte, stellte sie der Gemeinde Wädenswil am 11. November 1836 eine in Leder gebundene Zehntenloskaufsurkunde aus41. Die Abrechnung zwischen der Gemeinde und den Grundeigentümern wurde erst im März 1838 abgeschlossen. Geometer Diezinger, der in den letzten Jahren als Buchhalter der Zehntenloskaufs-Kommission geamtet hatte, konnte einen Einnahmenüberschuss von 2490 Gulden ausweisen, der den ehemals zehntenpflichtigen Bürgern zurückbezahlt wurde42.

Soziale Werke

Die Epoche der Restauration war eine ruhige und friedliche Zeit. Sie war arm an politischen Ereignissen, dafür reich an gemeinnützigen Werken. Im Abstand von nur wenigen Jahren entstanden in Wädenswil verschiedene Bauten und Einrichtungen, die in andern Kapiteln dieses Buches ausführlicher besprochen werden:
 
1816 gründete man die Sparkasse
1818 war das Armenhaus bezugsbereit
1819 weihte Wädenswil ein neues Schulhaus ein, ebenso den Friedhof an der heutigen Oberdorfstrasse
1821 vollendete man das neue Gemeindehaus, das heutige alkoholfreie Gemeindehaus zur Sonne
1826 erklang in der Wädenswiler Kirche die erste Orgel
1827 eröffnete der Dichter Johann Jakob Reithard in Wädenswil eine höhere Privatschule für Knaben und Mädchen




Peter Ziegler

Anhang

1 August Bernlochner, Der Kanton Zürich in der Restauration, Zürcher Diss. 1937.
2 Karl Dänliker, Geschichte der Stadt und des Kantons Zürich, Bd. 3, Zürich 1912, S. 94.
3 Anton Largiadère, Geschichte von Stadt und Landschaft Zürich, Bd. 2, Erlenbach  1945, S. 94.
4 Hans Rudolf Sprüngli, Heimatbuch der Gemeinde Rüschlikon, Rüschlikon 1965, S. 137.
5 Paul Kläui, Geschichte der Gemeinde Horgen, Horgen 1952, S. 386.
6 Johann Heinrich Kägi, Geschichte der Herrschaft und Gemeinde Wädenswil, Wädenswil 1867, S. 213.
7 Johann Heinrich Kägi, Wädenswil, S. 214.
8 StAZ, V II 51/6, datiert 2. Dezember 1818.
9 StAZ, V II 51/6, datiert 2. Dezember 1818.
10 Diethelm Fretz, Die Blattmann, Bd. 2, Zürich 1938, S. 146.
11 Diethelm Fretz, Die Blattmann, Bd.2, S. 146/147. – Johann Heinrich Kägi, Wädenswil, S. 215.
12 StAZ, M 1.8., datiert 28. Mai 1804.
13 StAZ, Plan B 649, datiert Juni 1805.
14 StAZ, M 1.8., datiert 22. Juni 1805.
15 StAZ, VV I 2/3, Protokolle des Baudepartements, Bd. 3, S. 87, November 1809.
16 StAZ, VV I 2/3, S. 228, datiert 4. Januar 1811.
17 StAZ, VV I 2/3, S. 401, datiert 16. November 1812.
18 Bruno Carl, Klassizismus 1770-1860, Zürich 1963, S. 87.
19 StAZ, VV I 2/3, S. 401, datiert 16. November 1812.
20 StAZ, Pläne B 548, 549, 552, 553, datiert 7. November 1812.
21 StAZ, VV I 2/3, S. 401, datiert 16. November 1812.
22 StAZ, VV I 2/4, S. 12, datiert 23. April 1813.
23 GAW, IV B 69.2, Chronik LGW 1813.
24 StAZ, V II 51/6, datiert 16. Februar 1816.
25 StAZ, VV I 2/4, S. 164, datiert 21. August 1816.
26 StAZ, VV I 2/4, S. 217, datiert 2. Oktober 1817.
27 StAZ, VV I 2/4, S. 333 ff. datiert 27. Mail 1819.
28 StAZ, RR II 23, Baurechnung Schloss Wädenswil, S. 12-14.
29 Bruno Carl, Klassizismus, S. 20, mit weiteren Literaturangaben – Florens Deuchler, Reclams Kunstführer Schweiz, Stuttgart 1966, S. 715/716.
30 Albert Hauser, Wirtschaftsgeschichte von Wädenswil, Njb LWG 1956, S. 139, 206. – GAW, IV B 1.4, S. 247.
31 Diethelm Fretz, Die Blattmann, Bd. 2, S. 152. – Jakob Höhn, Das Gemeindearchiv Wädenswil, Wädenswil 1901 (SA aus den Nachrichten vom Zürichsee), S. 9/10. – GAW, III B 9, Rechnung über den Zehntenloskauf und GAW, IV B 62. 1-6, Bücher über Grundzins- und Zehntensachen.
32 Johann Heinrich Kägi, Wädenswil, S 215/216.
33 Peter Ziegler, Wädenswil im 19. Jahrhundert (Auszüge aus der Chronik LGW), Anzeiger vom 3. August 1963.
34 Jakob Höhn, Gemeindearchiv Wädenswil, S. 10.
35 Peter Ziegler, Rudolf Diezinger (1770-1847), Heimatblätter, Monatsbeilage zum Allgemeinen Anzeiger vom Zürichsee, September 1962.
36 Verschiedene Pläne in StAZ und ZBZ.
37 Historisch-biographisches Lexikon der Schweiz, Bd. 2. Neuenburg 1924, S. 722.
38 Ortsmuseum und GAW. – Peter Ziegler, Wädenswil in Bildern, Wädenswil 1962, S. 32.
39 Albert Schoch, Wädenswil 1830, Anzeiger vom 5. September 1956.
40 Johann Heinrich Kägi, Wädenswil, S. 216.
41 GAW, I A 13.
42 GAW, IV B 69.2, Chronik LGW 1838.