Kirchgemeinde und Kirche in vorreformatorischer Zeit

Quelle: Wädenswil Erster Band von Peter Ziegler

Die Pfarrei

Die vorreformatorische Pfarrei Wädenswil umfasste früher ein Gebiet, das viel grösser war als die heutige Kirchgemeinde1. Zu ihr gehörte das ganze Herrschaftsgebiet zwischen See und Sihl, ausser Richterswil und Hütten. Sie schloss also ursprünglich auch die heutige Pfarrei Schönenberg ein sowie einige Orte der jetzigen Kirchgemeinde Hirzel. Innerhalb dieses grossen, rund 2925 Hektaren umfassenden Gebietes war nur das Dorf Wädenswil im Besitze eines Gotteshauses, und von überall her mussten die Leute nach Wädenswil zur Predigt gehen. Der weite, oft ein- bis zweistündige Kirchgang mag besonders im Winter und für ältere Bewohner recht mühsam und beschwerlich gewesen sein. Wie mögen die Wege vor mehr als dreihundert Jahren ausgesehen haben! Mehr einem ausgewaschenen Bachbett ähnlich als einem Strässchen! Wie mühsam war das Gehen bei schlechtem Wetter oder im Winter, bei Schnee und Eis! Welche Anstrengung mag das Begleiten der Verstorbenen gekostet haben, die einen so weiten Weg getragen werden mussten!
Eine Änderung in den kirchlichen Verhältnissen trat erst 1617 ein, als die Höfe Spitzen, Spreuermühle, Bächenmoos, Brunnen, Rechberg, Müsli, Nussbäumen, Aesch, Ober- und Unterweisserlen abgetrennt und der neuen Bergkirche Hirzel angegliedert wurden2. Eine Petition von 1696 bewirkte 1703 ferner die Schaffung der Kirchgemeinde Schönenberg im Gebiet des oberen Wädenswiler Berges3.

Die Kirche bis zum Übergang an die Johanniter

1217 wird für Wädenswil ein Priester genannt4; die älteste urkundliche Erwähnung der Kirche fällt ins Jahr 1270. Am 30. August 1270 wurde im Baumgarten neben der Kirche Wädenswil ein Vertrag besiegelt, laut welchem der letzte Freiherr, Rudolf III., dem Kloster Wettingen verschiedene Güter zu Hütten, das Langmoos und die Schweigen zu beiden Seiten der Sihl abtrat5. Wenn auch über die Grösse und das Aussehen der ältesten Wädenswiler Kirche nichts überliefert worden ist, so darf doch ein für damalige Begriffe stattlicher Bau angenommen werden. In der Urkunde ist nämlich ausdrücklich von einer «ecclesia», also von einer Kirche die Rede. Hätte 1270 in Wädenswil nur eine Kapelle gestanden, so wäre dies sicher in der Urkunde vermerkt worden, und man hätte den Begriff «ecclesia» durch «capella» ersetzt. Wir haben noch weitere Belege dafür, dass Wädenswil in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts ein bedeutenderes Gotteshaus besessen haben muss: Es waren hier nämlich zwei Geistliche tätig. Neben dem Leutpriester Rudolf, welcher erstmals in einer Urkunde vom 26. März 1265 genannt wird6, amtete ums Jahr 1270 auch ein Pfründer Petrus an der Wädenswiler Kirche. Aus dem Liber decimationis, einem Zehnregister des Bistums Konstanz von 1275, ist er sichtlich, dass der Wädenswiler Leutpriester das verhältnismässig hohe Einkommen von 26 Mark beschwor, mehr als dreimal so viel wie der Leutpriester zu Horgen und sechs Mark mehr als der Geistliche in Richterswil7.
Als Stifter eines Gotteshauses kommen die Freiherren von Wädenswil in Betracht. In einer Urkunde vom 29. August 1286 hören wir, dass ein Freiherr Eberhard von Wädenswil der Kirche das Gut Laubegg vergabt habe8. Und aus dem Jahrzeiturbar der Kirche Richterswil geht hervor, dass Anna von Bürglen, die erste Gattin Rudolfs III. von Wädenswil, der Kirche Richterswil verschiedene Reliquien geschenkt hat9. Es darf wohl daraus geschlossen werden, dass sich die Freiherren auch um das kirchliche Leben ihrer Untertanen gekümmert haben, und es wäre durchaus denkbar, dass sie in Wädenswil zumindest eine kleine Kapelle errichteten. Im Jahre 1265 treten die Plebane von Wädenswil und Richterswil in einem Rechtsgeschäft des Freiherrn Rudolf III. als Zeugen auf, was auch darauf hinzuweisen scheint, dass zwischen den weltlichen Grundherren und den Kirchen der Herrschaft Beziehungen bestanden.
Wenn man die Kirchenstiftung den Freiherren von Wädenswil zuschreibt, kann sie nicht vor dem 12. Jahrhundert erfolgt sein. Es erhebt sich damit die Frage, zu welcher Pfarrei das Gebiet von Wädenswil vorher gehört hat, von welcher Pfarrei es abgetrennt worden ist. Gegen eine Abtrennung von Horgen – beziehungsweise von der alten Pfarrei St. Peter in Zürich, die bis in jene Gegend hinaufreichte – spricht die grundherrschaftlich und herrschaftlich sehr betonte Grenze des Meilibachs10. Es ist eher denkbar, dass Wädenswil einst zur Grosspfarrei Ufnau gehört hat. Im Zusammenhang mit der Neuweihe von St. Peter auf der Ufnau im Jahre 1141 oder mit den Streitigkeiten wegen der Abtnachfolge in Einsiedeln, 1142, könnte Wädenswil losgelöst und der direkten Aufsicht der dortigen Freiherren unterstellt worden sein11.
Zwischen 1265 und 1270 trat in den kirchlichen Verhältnissen zu Wädenswil eine Änderung ein. In jener Zeit nämlich ging das Patronatsrecht an das Kloster Wettingen über. Wahrscheinlich ist auch das Marienpatrozinium der Wädenswiler Kirche auf Wettinger Einfluss zurückzuführen. Maria wird zwar nicht direkt als Schutzpatronin unserer Kirche bezeugt. Aber verschiedene andere Anhaltspunkte sprechen dafür: Das Bild der Maria stand 1285 im Siegel des Wädenswiler Kirchherrn12; es schmückte die Glocken von 1462 und 151213, und die Frühmesspfründe von 1470 wurde ebenfalls zu Ehren Christi und seiner Mutter Maria gestiftet14. Wir irren wohl kaum, wenn wir annehmen, dass auch die Wädenswiler Kirchweih in ältester Zeit auf den Tag des Himmelfahrtsfestes Mariae, den 15. August, angesetzt war.
Im Jahre 1287 ging die Herrschaft in den Besitz des Johanniterhauses Bubikon über. Der geistliche Ritterorden bemühte sich sofort, sein neues Herrschaftsgebiet abzurunden und vor allem die durch Rudolf von Wädenswil entfremdeten Rechte wieder in seine Hand zu bringen. Es ist ohne weiteres verständlich, dass sich der Orden in erster Linie auf den Erwerb der Vogtei und des Patronatsrechtes über die Kirche Wädenswil konzentrierte, konnte es doch den Johannitern nicht gleichgültig sein, wer im Zentrum ihrer Herrschaft über religiöse Fragen zu entscheiden und zu gebieten hatte. Die Zisterzienser ihrerseits scheinen an ihrem Grundbesitz und an den kirchlichen Rechten zu Wädenswil nicht sonderlich gehangen zu haben. Bereits am 15. Januar 1291 erklärte sich Abt Volker von Wettingen bereit, dem Johanniterhaus Bubikon um 400 Mark Silber alle Besitzungen zu Wädenswil und die Rechte am dortigen Gotteshaus zu überlassen15. Damit hatte sich der Johanniterorden in der Herrschaft Wädenswil nicht nur die politische, sondern auch die kirchliche Autorität gesichert.

Die Kirche unter den Johannitern

Über die Leutpriester, welche in vorreformatorischer Zeit an der Kirche Wädenswil geamtet haben, ist man nur lückenhaft unterrichtet. Es ist überliefert, dass dem Leutpriester das Pfarrhaus und der Ertrag des Pfrundlands zustanden16; in eine Naturalentschädigung teilten sich die Kirchgenossen und der Johanniterorden. Gelegentlich werden in den Urkunden einige Namen genannt17. Im Jahre 1470 stifteten die Kirchgenossen von Wädenswil mit Einwilligung des Johanniterpriors Johannes von Ow und mit Zustimmung des Bürgermeisters und der Räte der Stadt Zürich eine Frühmesspfründe, das heisst, sie stellten einen Kaplan an, der jeden Tag bei Sonnenaufgang in der Wädenswiler Kirche eine Messe zu zelebrieren hatte.
Die Frömmigkeit des mittelalterlichen Menschen kam in erster Linie in den Werken zum Ausdruck, die man für gottgefällig hielt, also vor allem in Schenkungen an die Kirche. Man hoffte damit für sein Seelenheil zu sorgen; dasselbe erwartete man von den Totenmessen, den Jahrzeiten. Damit in aller Zukunft jährlich am Todestag Gedenkmessen zelebriert wurden, errichtete man schon bei Lebzeiten Stiftungen zugunsten der Kirche und des Leutpriesters. Man nannte sie Jahrzeitstiftungen. Damit der Priester wusste, auf welche Tage die zu lesenden Messen fielen, zeichnete er die Namen der Verstorbenen im Jahrzeitbuch, in einer Art Kalender, auf. Das Jahrzeitbuch von Wädenswil wird erstmals 1448 erwähnt18. Der Leutpriester Johannes Koler beklagte sich damals, dass die Kilchmeier ihm das Jahrzeitbuch nicht aushändigen wollten. Die Wädenswiler wollten das Buch selber verwahren und es dem Leutpriester nur von Fall zu Fall mit auf die Kanzel geben, damit er an den Einträgen ja nichts zu seinen Gunsten ändern konnte!
Das älteste Wädenswiler Jahrzeitbuch ist heute nicht mehr vorhanden. Wahrscheinlich wurde es nach der Herstellung des Jahrzeit-, Kirchen- und Frühmessurbars (1554/55) vernichtet, weil es für veraltet und wertlos galt, da ja mit der Reformation die Seelenmessen abgeschafft und die betreffenden Abgaben, die nun hauptsächlich zugunsten der Armen verwendet wurden, im neu erstellten Jahrzeiturbar rechtsgültig verzeichnet worden waren. – Das im Zürcher Staatsarchiv aufbewahrte Jahrzeit-, Kirchen- und Frühmessurbar bildet heute eine ausgezeichnete Quelle für die Flurnamen- und Familienforschung19.




Peter Ziegler

Anmerkungen

StAZH = Staatsarchiv Zürich
ZUB = Urkundenbuch für Stadt und Landschaft Zürich
 
1 Jakob Pfister, Geschichte der Pfarrei Wädenswil, Wädenswil 1930, S. 3/4.
2 StAZH, E II 210, S. 146.
3 StAZH, E I 109. – Peter Ziegler, Schönenberg, Allgemeiner Anzeiger vom Zürichsee, Heimatblätter vom Dezember 1958.
4 ZUB 1, Nr. 382.
5 ZUB IV, Nr. 1440.
6 StAZH, Urkunden Kappel, Nr. 83.
7 Freiburger Diözesanarchiv I, Freiburg i. Br. 1865.
8 ZUB VI, Nr. 1958.
9 Festgabe Paul Schweizer, 1922, S. 175–182. – StAZH, F lI c 63.
10 Paul Kläui, Zur Frühgeschichte der Ufenau und der Kirchen am oberen Zürichsee, Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich, Bd. 43, Heft 1.1965, S. 33.
11 Paul Kläui, Ufenau, 1965. S. 33.
12 ZUB V. Nr. 1919.
13 ZBZ. Ms J 432. – Jakob Pfister. Pfarrei Wädenswll, 1930. S. 89–92.
14 StAZH. C IV 5. Schachtel 8. - Abgedruckt bei Jakob Pfister. Pfarrei Wädenswil. S. 48–52; ebenso Beilagen 3–6.
15 ZUB VI. Nr. 2121.
16 Jakob Pfister. Pfarrei Wädenswil, 1930. S. 66–75.
17 Jakob Pfister, Pfarrei Wädenswil, 1930. S. 74/75.
18 StAZH. C II 14. Nr. 59.
19 StAZH. F II c 86, 87, 88.