Die Bauten der ehemaligen oberen Tuchfabrik
Quelle: Rundgang II durch Wädenswil, Publikation 1990 von Peter Ziegler
Die alte Fabrikanlage
Das ehemals vom Dorfgebiet abgesetzte Fabrikgelände ist heute mit dem Siedlungsgebiet verwachsen, das sich seit den 1970er Jahren stark ausgebreitet hat. Die Bauten der oberen Tuchfabrik liegen auf der untersten Geländeterrasse zwischen dem Trasse der Südostbahn und der Tannstrasse. Durch das Areal zieht sich die 1865 angelegte Einsiedlerstrasse. Die ältesten Bauten der Fabrikanlage steht bergseits des Reidbachs, dessen Wasserkraft ursprünglich für den Antrieb genutzt wurde. Um 1900 verlegte man den Schwerpunkt an die Einsiedlerstrasse. Noch heute bilden die Industriebauten eine erlebbare geschlossene Gruppe. Es finden sich hier drei grundsätzlich verschiedene Textilfabriktypen: der traditionelle, stark durchfensterte Satteldachbau von 1822, der niedrige Backsteinbau mit Flachdach vom 1894. Die wichtigsten Gebäude werden nachstehend in chronologischer Abfolge ihrer Entstehung vorgestellt. Der beigegebene Plan erleichtert das Auffinden der beschriebenen Objekte.
71 Obere Tuchfabrik. Übersichtsplan.
Erstes Fabrikgebäude von 1822
Das traufbetonte, viergeschossige Haus Einsiedlerstrasse 32 ist der Kernbau der oberen Tuchfabrik. Mit acht Achsen auf der Traufseite und drei Achsen auf der Giebelfassade ist er regelmässig befenstert. Zweiachsige Quergiebel betonen die beiden Traufwände. Das Oberlichtgitter des Haupteingangs in der nördlichen Giebelfront enthält ein Medaillon mit der Inschrift «HF & C 1822» (Hauser, Fleckenstein & Co. 1822). 1878 wurde auf der Südseite ein Remisengebäude angebaut und später zu einem Magazin mit Flachdach umgestaltet. Das weitgehend original erhaltene frühere Webereigebäude mit klassizistischen Stilelementen diente nach 1907 als Arbeiterwohnhaus und beherbergte zeitweise auch eine Kantine.
Fabrikgebäude von 1845
Am steilen Hang oberhalb des ältesten Fabrikbaus liess die Textilfirma Fleckenstein & Bethge 1845 ein langgestrecktes Wärmetröcknegebäude (Tannstrasse 9) erstellen, ein Massivbau mit Satteldach und regelmässig angeordneten, gesprossten Fenstern. Das 1891 für die Weberei genutzte Gebäude wurde 1901 zum Arbeiterwohnhaus umgestaltet.
72 Erstes Fabrikgebäude von 1822.
75 Fabrikgebäude von 1845.
73 Oberlichtgitter von 1822.
76 Fabrikgebäude von 1894.
77 Villa Einsiedlerstrasse 24 im Bau. Ansicht von Osten, 1883/84.
79 Villa Einsiedlerstrasse 24. Ansicht von Osten, mit Gartenmauer und Zaun längs der Einsiedlerstrasse.
Die Fassaden sind konsequent symmetrisch durchgestaltet, die steilen Satteldächer mit Eternitschiefer eingedeckt. Beachtung verdient die geschnitzten Balkenköpfe und die reich gestalteten Ziergitter bei Balkonen (aus der Giesserei A. Durenne im französischen Sommevoire), Treppengeländer und die Gartenumzäunung gegen die Einsiedlerstrasse. Das Geländer der auf dem Satteldach des Mitteltrakts gegen die Einsiedlerstrasse aufgestockten Zinne trägt die Initialen «FS» (Fleckenstein-Schulthess). Rückwände und Decken der beiden gedeckten Balkone auf der Seeseite waren ursprünglich dekorativ ausgemalt.
78 Villa Einsiedlerstrasse 24. Balkongitter.
80 Villa Einsiedlerstrasse 24. Wandmalerei-Fragmente auf der Terrasse im ersten Obergeschoss.
Dampfkesselhaus von 1885 und Hochkamin von 1902
Im Jahre 1885 stellte die Tuchfabrik Fleckenstein-Schulthess von der Wasserkraft auf Antrieb mit Dampfmaschine um. Bergseits der Einsiedlerstrasse entstand als niedriger Backsteinbau mit unregelmässiger Fassadengliederung und Flachdach ein Dampfkessel- und Maschinenhaus.
Der aus handgefertigten Ziegelsteinen aufgemauerte Hochkamin stammt aus dem Jahre 1902 und war ursprünglich 42 Meter hoch. Der Aussendurchmesser am Kaminkopf betrug einst 225 Zentimeter, der Innendurchmesser 175 Zentimeter. Ein Blitzschlag verursachte im Bereich der Krone Risse im Mauerwerk. Die
TUWAG verzichtete auf den Abbruch des von ihr nicht mehr benötigten Hochkamins, liess aber 1988 aus Sicherheitsgründen die beschädigte Krone um 8 Meter kürzen. Am Fuss ist die Kaminmauer 110 Zentimeter mächtig und verjüngt sich dann alle fünf bis sechs Meter um 12 Zentimeter.
Wollwäscherei von 1885
Der langgestreckte, zweigeschossige Satteldachbau mit unregelmässiger Anordnung von Einzelfenstern und gekoppelten Fensterpaaren mit Stichbogensturz sowie horizontaler Gliederung durch ein Gurtgesimse wurde 1885 für die Wollwäscherei erstellt. Das Gebäude steht hinter jüngeren Fabrikbauten am steil ansteigenden Gelände und ist von der Einsiedlerstrasse her kaum sichtbar. Die Wollwäscherei in Sichtbackstein-Bauweise ist typisch für den Fabrikbaustil des späten 19. Jahrhunderts.
81 Kranz des Kochkamins von 1902, abgebrochen 1988.
82 Ökonomiegebäude von 1889.
86 Fabrikgebäude von 1894. Aufnahme 1976.
Shedbau von 1890/1906
Seeseits der Einsiedlerstrasse wurde 1890 in Sichtbackstein-Bauweise eine Sheddachanlage gebaut und 1906 durch ein weiteres Sheddachgebäude gegen Süden vergrössert. Die für die Spinnerei genutzten Bauten bedeuteten damals eine neue Entwicklung im Fabrikbau, die vor allem darauf Wert legte, den natürlichen Lichteinfall optimal zu nutzen. Die beiden rechtwinklig zueinander ausgerichteten Gebäudetrakte mit je sechs Giebeln entsprechen den zwei Bauphasen. Die Strassenfassade setzt sich aus den sechs asymmetrischen Giebeln des unteren Baus und einer mit Lisenen und einem Zahnschnittfries unter dem Dachgesims verzierten Traufseite des Traktes von 1906 zusammen.
Fabrikgebäude von 1894
Zwischen dem Altbau von 1822 und der Einsiedlerstrasse wurde 1894 als dreigeschossiger Backsteinbau mit Flachdach ein neues Webereigebäude (Einsiedlerstrasse 30) erstellt, welches den Strassenraum in entscheidender Weise prägt. Die Jahrzahl 1894 am Dachaufsatz weist auf das Baujahr hin. Die unverputzten Backsteinwände, die in Achsen angeordneten grossen Fenster mit Sichbogensturz, die Pilaster zwischen den Fensterachsen, die Gurtgesimse und ein Fries unter dem Dachgesims sind typisch für den Fabrikbau der Jahrhundertwende, mit leichter Anlehnung an den «Schlössli-Stil». Anstelle der ehemaligen Sprossenfenster sind heute Rippenglasquadrate eingesetzt. 1936 wurde das Fabrikgebäude um vier Fensterachsen nach Süden vergrössert. Die Erweiterung hebt sich durch Rechteckfenster und Fassadengestaltung ohne Pilaster vom Bau 1894 ab.
Färbereigebäude von 1924
Das Färbereigebäude, ein klar durchgestalteter Backsteinbau in Basilika-Form mit erhöhtem, durch Walmdach abgeschlossenem Mittelbau, wurde 1924 zwischen das Wohnhaus Einsiedlerstrasse 28 und das Wollwäschereigebäude eingefügt. Die tieferen, als Pultdachbauten ausgebildeten «Seitenschiffe» ragen auf den Querseiten über den Mittelbau vor und enden in je zwei Giebeldachbauten. Hohe Fenster gliedern die Längsseiten regelmässig. Stark prägend sind die zwei Kaminreihen mit je sechs Entlüftungskaminen, die sich beidseits an das «Mittelschiff» anschmiegen.
Auf der Einsiedlerstrasse oder der Tannstrasse gehen wir seewärts und biegen dann oberhalb des Bahnübergangs an der Linie der
SOB nach links in den Bollerweg ein.