Ein Stück Alt-Wädenswil verschwindet

Vor dem Abbruch des Hauses Bahnhofstrasse 11

Quelle: «Allgemeiner Anzeiger vom Zürichsee», 14. April 2005 von Peter Ziegler

Mit dem Abbruch des alten Hauses an der Ecke Bahnhofstrasse/Engelstrasse − einem verputzten Riegelbau gegenüber dem 1834/35 neu erbauten Hotel Engel − verschwindet demnächst eines der letzten Gebäude des ehemaligen Kronen- oder Bahnhofquartiers, das in den Jahren 1931/32 dem neuen Bahnhof, dem Bahnhofplatz und dem Kronen-Block weichen musste. Zwischen Engelstrasse und Kronen-Block − jenem Gebäude, in dem sich heute unter anderem das Café Brändli und eine Pizzeria befinden − entsteht ein Neubau.
 
Der dreigeschossige Bau an der Ecke Bahnhofstrasse/Engelstrasse, mit zum See hin orientiertem Giebel, stammt aus der Mitte des 18. Jahrhunderts und hatte mit seinem vorgelagerten Platz einst direkten Anstoss am Zürichsee. Ein Vorgängerbau wird in den Grundprotokollen erstmals mit Eintrag vom 14. März 1673 erwähnt. Besitzer des Hauses mit Waschhaus, Holzschopf, Krautgarten, Reblaube und Ausgelände vorhalb dem «Engel» im Dorf Wädenswil war damals der Schiffmann Jakob Brupbacher. Spätestens 1706 war jenes Gebäude − jetzt und in der Folgezeit mit der Lagebezeichnung «unter der ‚Krone’ am See» − in zwei Haushälften geteilt.
Der Schiffmann Hans Brupbacher am See nannte 1745 das heutige, jedoch noch ungeteilte Gebäude sein Eigen. 1757 wurde das Haus in eine untere und eine obere Hälfte aufgegliedert: Hans Jakob Brupbacher der Ältere verkaufte auf offener Gant das untere, also seeseitige halbe Haus samt halbem Schopf, halbem Garten und halbem Vorplatz dem Heinrich Schärer ab Wolfbüel, Diener im Landvogteischloss Wädenswil. Die beiden Hausteile hatten fortan ihre eigene Geschichte.

Der untere Hausteil

1788 brachten die Erben des Heinrich Schärer den unteren Hausteil auf die Gant. Schützenmeister Heinrich Hauser ob der Kirche bekam den Zuschlag, behielt aber die Liegenschaft nicht, sondern veräusserte sie fünf Tage später mit etwas Gewinn dem Zuckerbäcker Wilhelm Fleckenstein. Dessen gleichnamiger Sohn, seit 1829 Eigentümer, verkaufte das halbe Haus am See unter der «Krone» 1838 dem Schiffmann Johannes Brupbacher. 1855 war der Drechsler Rudolf Rysler Eigentümer, 1861 der «Engel»-Wirt Jakob Hauser, der auf der Seeseite des Gebäudes einen Zinnenanbau erstellen liess. Mit dem Gasthof Engel ging der benachbarte Hausteil 1863 an Rudolf Meier und 1874 an Gottfried Hauser über.

Postlokal

Seit 1854 befand sich im Erdgeschoss des Hauses das Wädenswiler Postbüro. Geführt wurde es von Posthalter Kaspar Hauser und dessen Frau. Als der Postverkehr zunahm, gab Hauser um 1870 seine nebenbei geführte Buchbinderei auf. 1872 arbeitete Hauser mit zwei erwachsenen Töchtern auf dem Büro; drei Boten vertrugen die Briefe, Pakete und Telegramme. 1874 wurden die Postlokalitäten beim «Engel» erweitert. Ein Holzstich von 1885 zeigt das Gebäude neben dem «Engel» mit der Anschrift «Post & Telegraph» an der seeseitigen Fassade. Mit dem Bau der Nordostbahnlinie Zürich–Ziegelbrücke, eingeweiht 1875, verlor das Haus seinen Seeanstoss. Dafür lag es nun an der Bahnhofstrasse, welche Güterschuppen und Bahnhof längs des Geleises mit dem Kronen-Quartier und dem Gasthof Engel verband.
1889 wurde Felix Himmler-Hauser Nachfolger als Wädenswiler Posthalter und gleichzeitig Besitzer des unteren Hausteils. Himmler starb Ende März 1890, erst 41-jährig. Da sich der Nachfolger, Ulrich Müller, im Postbüro eingeengt fühlte, dislozierte das Telegrafen- und Telefonbüro 1893 ins Haus von Goldschmied Hess an der Ecke Seestrasse/Zugerstrasse (abgebrochen 1971), und am 14. November 1896 konnten an der Seestrasse 105 im «Monumentalbau», den Jean Streuli im nördlichen Teil des Armenhauslandes hatte erstellen lassen, neue Postlokalitäten bezogen werden.

Besitz der Familie Brupbacher

Die Witwe Ida Himmler-Hauser verkaufte ihren Besitz − die seeseitige Haushälfte mit Zinnenvorbau und Vorhalle − im Jahre 1906 dem Sohn des Graveurs, Heinrich Brupbacher-Bösiger (1862–1908). Seit diesem Jahr war das ganze Haus im Besitz der gleichen Familie: ab 1910 der Gebrüder Brupbacher, später Elektrogeschäft im unteren Hausteil und Geschäft für Optik in der bergseitigen Haushälfte. Der grosse Zinnenanbau und die Vorhalle auf der Seeseite des Hauses − hier wurde um 1900 auch ein Alkoholfreies Restaurant betrieben − wurde 1930 von den Bundesbahnen erworben und für die Erweiterung der Geleiseanlagen beim neuen Bahnhof abgebrochen. Als Ersatz entstand ein neuer, kleinerer Zinnenanbau mit Laden.

Der obere Hausteil

1757 verkaufte Hans Jakob Brupbacher den unteren Hausteil und behielt für sich die bergseitige, ans Kronengässlein grenzende obere Haushälfte. 1764 tauschte er diesen Besitz mit Heinrich Hermann, der ihm dafür einen Anteil an einem Haus in der Nachbarschaft, «oberhalb der Schützenmauer» überliess. Diese Schützenmauer − eine Mauer mit Schützenscheiben − stand am Ufer des Kronenbachs, in der Gegend des heutigen Bahnhofkiosks, und ist auf älteren Dorfansichten abgebildet. Geschossen wurde vom Schützenhaus aus, das sich am Platz des späteren Hotels Seehof (Seestrasse 94) erhob.
Heinrich Hermann, der neue Eigentümer des oberen Hausteils mit einem Keller unter dem Hausgang, war Käsehändler und besass ausserdem ein Gebäude mit drei Käsekellern. 1773 geriet er in Konkurs, und die Liegenschaft kam an die Gläubiger alt Seckelmeister Heinrich Herdener und Heinrich Gattiker. Diese fanden in Hans Jakob Eschmann-Hüni einen Käufer. Der obere Hausteil vererbte sich hernach innerhalb der Familie Eschmann und wurde 1857 Besitz der einzigen Nachkommin, von Elisabeth Brupbacher-Hauser (1804–1870).

Graveur Henri Brupbacher

Bereits 1853 hatte deren Sohn Heinrich oder Henri Brupbacher (1830–1909) hier seine Graveur-Werkstatt mit Laden eingerichtet. Er führte das Geschäft des verstorbenen Vaters Heinrich Brupbacher-Hauser (1802–1847) weiter, der sein Handwerk im Haus zum Felsen auf dem Buck ausgeübt hatte. Im «Allgemeinen Anzeiger vom Zürichsee» empfahl sich «H. Brupbacher, Graveur neben dem Engel» am 5. März 1853 für das Gravieren amtlicher Siegel und Stempel, für Familienwappen und Grabinschriften. Auf Weihnachten 1878 inserierte er zusätzlich für optische Artikel, wie Barometer, Thermometer, Brillen, Zwicker, Lupen und Operngucker. 1888 empfahl er seinen «neu restaurierten» Laden neben der Post und erinnerte daran, dass er nebst Gravierarbeiten aller Art auch Telefonleitungen verlege sowie Ziergegenstände vernickle, versilbere und vergolde.
Der jüngere Bruder des Graveurs, Zuckerbäcker Ferdinand Brupbacher (1837–1912), richtete 1862 in einem neuen Zinnenanbau am oberen Hausteil seine Backstube mit Laden ein. Ein Jahr nach dem Tod von Elisabeth Brupbacher-Hauser fand 1871 die Erbteilung statt. Zuckerbäcker Ferdinand Brupbacher übernahm den elterlichen Besitz, der jetzt im Grundbuch umschrieben wurde als ein halbes Haus, der obere Teil, samt Zinnenanbau und Bäckerei darin. Dazu gehörte ferner 1/36 Anteil am Kronenbrunnen, laut Brunnenbrief vom 19. Dezember 1853.
Elf Jahre später, im September 1882, verkaufte Ferdinand seinen Hausteil dem ältesten Bruder, dem Graveur Henri Brupbacher-Haab. Dieser starb am 1. Dezember 1909 im Alter von 79 Jahren. Mit seinem Tod endete eine lange Familientradition, hatten die Brupbacher doch das Handwerk des Petschaftstechers und Graveurs seit etwa 1700 ausgeübt. Werkzeuge, Siegelabdrücke, Briefe, Wappen- und Rezeptbücher kamen 1970 als Schenkung der Familie ins Wädenswiler Ortsmuseum.
Ab 1910 besassen Enkel des letzten Graveurs als Gebrüder Brupbacher die Gesamtliegenschaft Bahnhofstrasse 11. Die Brupbacher AG als Nachfolgerin veräusserte das Haus im Frühling 1988 an Beat Weber, den Inhaber der benachbarten Zentrum-Garage.

Haus Bahnhofstrasse 11, 1930.

Haus Bahnhofstrasse 11 vor dem Abbruch.

Haus von Osten während des Abbruchs.

Haus von Westen im Abbruch.
 
Haus von Westen im Abbruch.




Peter Ziegler