2 Fragestellungen: Ungewöhnliche Stilwahl, brachliegendes Potenzial

2.1 Spätheimststil statt neue Sachlichkeit

Um das ehemalige Sparkassengebäude stilgeschichtlich zu platzieren, lohnt ein Blick auf das Wädenswiler Baugeschehen der Zwischenkriegszeit. Die Nachbargebäude, die alte Post (Seestrasse 105) und das in zwei Phasen erstellte Haus Merkur (Bahnhofstrasse 5/Seestrasse 104), sind typische Vertreter des späten Historismus mit seiner Vorliebe für palastartige Grossbauten und für aufwändigen Neurenaissance- und Neubarock-Dekor. Um 1905-1910 kam es zu einem abrupten Geschmackswechsel; die architektonischen Meinunungsmacher und -macherinnen plädierten nun für eine Vereinfachung und für eine Rückkehr zum Altschweizerisch-Bodenständigen. Die Architekturgeschichte spricht von einem Reform- oder Heimatstil. Ein Wädenswiler Beispiel dafür ist das 1912 erbaute Bürgerheim.
Links: Mietpalast Seestrasse 105, ursprünglich mit Postbüro, erbaut 1896 und Haus Merkur, Seestrasse 104, ursprünglich mit Warenhaus, erbaut 1905–1906 von Karl Schweizer für Johannes Schubiger (Postkarte Archiv Peter Ziegler). – Rechts: Bürgerheim Wädenswil (heute Teil des Alterszentrums Frohmatt), erbaut 1911–1912 vom Thalwiler Architekturbüro (Heinrich) Müller und (Albert) Freytag (Thalwil) für die Bürgergemeinde Wädenswil (Abbildung aus SBZ 65/1915, Tafel 38).

Nach dem Ersten Weltkrieg propagierten Avantgardisten einen Bruch mit der architektonischen Tradition zugunsten straff-ornamentloser geometrischer Formen und verlangten das Sichtbarmachen moderner Baumaterialien und -strukturen. Ein Leitbau dieses «Neuen Bauens» ist das 1926 nach Plänen von Walter Gropius erstellte Bauhaus in Dessau. Vergleichsweise spielerisch-dekorativ waren im Vergleich dazu die Bauten der Landesausstellung und des Kongresshauses, mit denen der Kanton Zürich 1939 ein Bekenntnis zur Moderne ablegte. Die Mehrheit der Architekten und Architektinnen zogen eine noch moderatere Ausprägungen der Moderne vor, einen neusachlichen oder Art-Déco-Stil, bei denen traditonelle Motive wie Geschossgliederungen, Fensterrahmungen und Dachvorsprünge in reduzierter Form beibehalten wurden. Wädenswiler Beispiele für eine moderate Moderne sind das Bahnhofgebäude und der Kronenblock.

Links: Kronenblock, erbaut 1932–1933 von Heinrich Bräm und Albert Kölla und Bahnhofgebäude, erbaut 1931–1932 nach Plänen von SBB-Bautechniker Alfred Fehr, mit Einarbeitung von Vorschlägen Heinrich Bräms (Fotografie 1957, Archiv Peter Ziegler). – Rechts: Landhaus Rietliau, erbaut 1933 von Albert Freytag für Walter Weber-Bürki (Foto aus dem Gebäudeinventar Wädenswil Nr. 161).

Vielen waren aber auch Bauten wie der Kronenblock zu kalt und zu fabrikartig. Die Nationalsozialisten (aber keineswegs nur sie) bevorzugten einen monumental-martialischen Neuklassizismus. Andere optierten für einen versachlichten Heimatstil, so der Brauereidirektor Walter Weber-Bürki in einem Landhaus, das er 1933 in der Rietliau bauen liess. In solchem Spätheimatstil ist auch das Sparkassengebäude gehalten. Warum hat die Bauherrschaft eine gemütvolle, betont konservative Formsprache gewählt?

2.2 Parkplatz «Im Dorf» statt «Eintrachtplatz»

Das ist eine Frage, die es zu erörtern gilt. Die andere betrifft die städtebauliche Situation des Gebäudes. Bei einem Blick auf den Stadtplan stellt man fest, dass sich vor der südöstlich orientierten Hauptfassade ein grosser, trapezförmiger Freiraum ausdehnt. Da er keinen Namen hat, bezeichnen wir ihn im Folgenden als «Eintrachtplatz», nach der Strasse, die ihn im Südosten begrenzt. Namenlos ist dieser Platz, weil ihm die wichtigste Qualität eines Dorf- oder Stadtplatzes abgeht: als Verweil-, Begegnungs- und Einkaufsbereich zu dienen. Stattdessen wird er nämlich als Parkplatz genutzt.
Links: Entwurf zu einer neuen BZO, Kernzonenplan 1 vom 14.3.2022, Ausschnitt mit der Mündung der Eintracht- in die Seestrasse. Rosa: «Ausgeprägte Platz- und Strassenräume». – Rechts: «Wädenswil im April 1971», Flugaufnahme Swissair Photo AG, Jubiläumsgabe des Rabattvereins Wädenswil und Umgebung, Ausschnitt mit dem Plätzli-Quartier.

Parkplätze sind zwar heiss begehrt, aber städtebaulich gesehen handelt es sich um reine Nutzflächen, um Rumpelkammern sozusagen. Bezeichnenderweise wurde das Areal, als 2010–2012 mittels eines Wettbewerbs nach Verdichtungsmöglichkeiten im Stadtkern gesucht wurde, von einem Teilnehmerteam als Standort für einen wuchtigen Block vorgeschlagen.
Im Folgenden ist zu fragen, wie dieser Freiraum überhaupt entstanden ist, als was er ursprünglich konzipiert war und wann und weshalb er zu einem Autoabstellplatz verkam. Diese Frage ist insofern aktuell, als die SBB den Bahnhof seeaufwärts verlängern will und der «Eintrachtplatz» damit in den Fokus der Stadtplanung rücken wird. In dem 2022 von der Stadt Wädenswil veröffentlichten Entwurf zu einer neuen Bau- und Zonenordnung ist er denn auch bereits als «ausgeprägter Platz- und Strassenraum» gekennzeichnet.