Am Ende des Sortengartens stehen wir am Fuss der Treppe, die durch den Rebberg steil hinauf zum
Landgasthof Halbinsel Au führt. Schon seit längerem werden auf beiden Seiten der Treppe pilzwiderstandsfähige Rebsorten (kurz Piwi) angebaut. Diese Rebsorten zeigen eine erhöhte Widerstandskraft gegenüber dem Falschen und Echten Mehltau, den zwei wichtigsten Pilzkrankheiten der Rebe. Diese Sorten müssen daher gar nicht oder nur reduziert mit Fungiziden behandelt werden, so dass die Fussgänger auf der Treppe nicht dem Sprühnebel ausgesetzt sind.
Pilzwiderstandsfähige Rebsorten entstehen durch die Kreuzung von Europäer- und Amerikaner-Sorten. Durch diese Kreuzungszüchtung wird seit über 100 Jahren versucht, die Widerstandskraft der Amerikaner-Rebe mit der Weinqualität der Europäer-Sorten zu kombinieren. Diese Sorten könnten die Nachhaltigkeit des Weinbaus in der Region massiv verbessern, da bei Europäer-Reben in gewissen Jahren bis acht Behandlungen gegen den Falschen Mehltau durchgeführt werden müssen, wobei die eingesetzten Mittel sich in den letzten Jahrzehnten bezüglich den Auswirkungen auf Mensch und Umwelt stark verbesserten.
Der Anbau von pilzwiderstandsfähigen Sorten bringen einen doppelten Vorteil: Es werden keine oder viel weniger Fremdstoffe ins Agroökosystem Rebberg eingebracht und es können Kosten eingespart werden. Bei diesen Vorteilen stellt sich die Frage, warum die Piwis nicht besser bekannt und weiter verbreitet sind? Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten; die Gründe sind vielfältig und komplex. Folgende Punkte können angeführt werden:
1. Unbefriedigende Weinqualität. Vor allem zur Anfangszeit waren zum Teil recht mangelhafte Weine aus Piwi-Sorten im Umlauf, da häufig Quereinsteiger, die keine professionelle Ausbildung in Weinbereitung hatten, mit diesen Sorten experimentierten. Man ist sich in der Branche einig, dass die Piwis zum Teil hohe Ansprüche an die Vinifikation stellen. Es gibt einige Beispiele, die zeigen, dass aus Piwi-Sorten gute bis sehr gute Weine hergestellt werden können. Als Hinweis dafür können die Weinpreise genommen werden. So wird ein Solaris für 24 Franken oder ein Léon Millot für 26 Franken auf dem Markt angeboten. Auf der anderen Seite bleibt bis jetzt der Eindruck, dass aus Piwi-Sorten keine ganz grossen Weine gekeltert werden können. Es scheint, dass bis zu einem gewissen Grad ein Trade-off zwischen Widerstandskraft und Weinqualität besteht. Aber gleichzeitig fehlt auch die Erfahrung in der Weinbereitung. Es hat schliesslich auch eine lange Zeit gedauert, bis aus der europäischen Sorte Blauburgunder nicht mehr der einfache Ostschweizer Clevner, sondern die hochwertigen Blauburgunder-Weine gekeltert wurden.
2. Andere Weinstilistik, andere Aromen. Vor allem bei Weinspezialisten haben sich zum Teil feste Erwartungen eingespielt, so dass die etwas andersartige Aromatik per se negativ bewertet wird. Bei Degustationen mit Laien oder Weineinsteigern zeigt sich oft ein anderes Bild. Die Piwi-Sorten werden vergleichbar oder manchmal sogar besser bewertet als die herkömmlichen Sorten.
3. Schlechte Erfahrungen mit dem Regent. Der Regent wurde 1967 gezüchtet und wird vor allem in Deutschland seit der Jahrtausendwende im grösseren Stil angebaut. Diese Sorte wurde an der Agroscope ACW intensiv getestet und schliesslich aufgrund der guten Erfahrungen als neue widerstandfähige Sorte empfohlen. Schon nach wenigen Jahren wurde eine erhöhte Anfälligkeit auf den Falschen Mehltau beobachtet, und heute muss an gewissen Standorten der Deutschschweiz der Regent ähnlich häufig behandelt werden wie die Europäersorten, zum Beispiel Blauburgunder. An der Widerstandskraft hat sich wahrscheinlich nichts geändert, sondern es hat sich möglicherweise ein Pilzstamm herausselektioniert, der die Widerstandskraft des Regents durchbrechen konnte. Für unser Klima war die Basis der Widerstandskraft offensichtlich zu schmal. Diese schlechte Erfahrung hat viele Winzer vorsichtig gemacht beim Anbau von Piwi-Sorten. Es sind daher vor allem die Bio-Winzer, die die Pionierrolle übernehmen und auf dieser Schiene weiterarbeiten.
Für die langfristige Vision eines nachhaltigen Weinbaus in der Deutschschweiz nimmt der Anbau von Rebsorten, die nur wenig gespritzt werden müssen und die Erwartungen der Konsumenten an die Weinqualität erfüllen, einen hohen Stellenwert ein. Es kann sein, dass dieses Ziel in den nächsten Jahrzehnten erreicht werden kann. Aber es kann auch gut sein, dass die Skeptiker Recht bekommen, dass die Vision nur eine Illusion war.
Es ist aber das Ziel unserer Schule, diesen Weg zu pilzwiderstandsfähigen Sorten zu fördern und bei der Weiterentwicklung mitzumachen. Ein erster Schritt ist ein Piwi-Sortengarten links und rechts der Hoteltreppe. Dadurch erhalten die Piwis in der Ausbildung einen höheren Stellenwert und die Bevölkerung wird für das Thema sensibilisiert.
Für die Umsetzung wurden im Rahmen einer Bachelor-Arbeit und in Zusammenarbeit mit der AON, dem FiBL und Piwi-International 70 der interessantesten Piwi-Sorten ausgewählt und bezüglich ihrem Potenzial für den Anbau rangiert. Die besten Sorten sind in der nächsten Tabelle aufgeführt. Im Mai 2012 werden die ersten Sorten gepflanzt.