Chläus, Böögge, Chilbi und anderi Brüüch

Aus der Arbeit der Chlauszunft

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1976 von Peter Friedli
 
Jedes Jahr freuen sich Hunderte von Kindern auf den grossen Einzug der Wädenswiler Samichläuse. Längs der Oberdorfstrasse-Zugerstrasse bis zum «Engel» hinunter drängen sich dann die Schaulustigen und warten auf die reich gefüllten Wagen, die von Eseln gezogen werden. Hunderte von Händen greifen nach den Orangen, Äpfeln, Nüssen und Guetzli, welche von den prachtvoll gekleideten Samichläusen verteilt werden.
Am Abend des 6. Und 7. Dezember poltern die Männer viele Treppen hinauf zu einzelnen Wohnungen. Die Kinder wissen sofort, wer klingelt und pocht. «So, so, bisch meini das Jahr brav gsi . . . » oder aber «Ja, das Jahr hät de Samichlaus vil Uguets gehört vo dir . . . », alles das kann aus dem dicken Sünden- und Tugendbuch des Bärtigen vernommen werden. Einige zögernd, leicht verängstigt, wieder andere fröhlich, oft sogar keck, tragen dann ihre Versli und Liedli vor. Dann endlich öffnet sich des Chlauses Leinensack: Geschmückte Lebkuchen, Früchte und Nüsse verteilt der Allwissende. Mit tiefer, langsamer Stimme erteilt er noch Mahnungen für das nächste Jahr, und polternd und kingelnd geht der Chlaus zum nächsten Kind.
Wer steckt eigentlich hinter diesen Mänteln und Bärten? Die Chlauszunft wurde 1964 gegründet, mit damals zehn Mitgliedern. Für die Kinderbescherung konnten Fr. 182.75 ausgegeben werden. Die Kleider und Bärte wurden selbst angefertigt (Kosten Fr 510.60). 1975 waren es 16 Mitglieder, die für die Kinder Fr. 1064.10 ausgaben. Der Lohn für diese Idealisten: Leuchtende Kinderaugen. Für unsere Gemeinde aber bedeutet ihr Wirken die Erhaltung eines schönen Brauches. Herzlichen Dank!




Peter Friedli




Wädenswiler Fasnacht 1976

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1976 von Peter Schuppli


Seit 1972 versucht die damals neugegründete «Neue Fasnachtsgesellschaft» (NFG) für einige Tage wieder etwas Leben in unsere Stadt zu bringen. Vorher waren es jahrelang nur die allen Schwierigkeiten trotzende «Sakkophonie 1958 Wädenswil» und die unermüdlichen «Freunde der Kinderfasnacht», welche noch einen Hauch von Fasnachtsstimmung in unser (damals noch) Dorf brachten. Der Wunsch nach einem echten Fasnachtsumzug wurde von Jahr zu Jahr grösser. Nicht nur die Kleinen, sondern auch die Grossen schienen wieder Freude an der Fasnacht zu finden. Mit Hilfe einiger echter Idealisten wurde die Idee verwirklicht und seither ständig ausgebaut. Heute nun darf die NFG mit berechtigtem Stolz auf die bisher vier von ihr organisierten Fasnachten zurückblicken. Der Höhepunkt wurde ganz bestimmt im März 1976 erreicht.
Die Wädenswiler Fasnacht hat innert kurzer Zeit eine der Stadt würdige Grösse erreicht und findet in immer breiteren Kreisen Anklang und Beachtung – auch in der Nachbarschaft. Mannigfaltig sind die von Vereinen und Wirten angebotenen Anlässe: das urwüchsige Hallenbadfest des Turnvereins und der Harmonie, die Etzel-Bööggete, der Sportfischer-Ball, der Volkshaus-Maskenball, die Bergfasnacht im Neubühl. Reichhaltig ist zudem die Palette der NFG: Einschellen der Fasnacht – Fasnachtsumzug – Schnitzelbankfest – Maskenbälle für jung und alt – Rosenchüechlistand – Wurststand – Fasnachtsbar – selbst hergestellter Rosoli … Unser diesjähriges, in der gelungenen Fasnachtsplakette ausgedrücktes Sujet «Schlafe, poschte, Märggli chläbe – Wädischwiler Dörfli-Läbe», fand sogar im «Tages-Anzeiger» Beachtung. Erstmals hatte man am Sonntagabend nach dem imposanten Guggen-Konzert auf dem Postplatz das Gefühl, ganz Wädenswil habe sich von der fasnächtlichen Stimmung ergreifen lassen. Im ganzen Dorfkern begegnete man herumziehenden Cliquen, phantasievoll geschminkten Einzel- oder Gruppenmasken und schaurig schön dröhnenden Guggenmusiken. In den Restaurants herrschte Hochbetrieb wie selten im Jahr. Und überall sah man zufriedene Gesichter ob der gelungenen Fasnacht.
Doch was gegen aussen so eindrücklich aussah, was so reibungslos über die Bühne zu rollen schien, war das Resultat harter, viel Zeit und Geld erfordernder Arbeit. Wochenlange Vorbereitungen sowie ein Ausgabenbudget in der Höhe von 20 000 Franken verlangten Ausdauer, Mut und Nerven der Veranstalter. Der Wetterbericht rückte ins Zentrum der Diskussionen, und spätestens am Sonntagmorgen früh richtete sich das Augenmerk gen Himmel. Glücklicherweise drückte der Wettergott auch diesmal ein Auge zu und liess nur die Temperatur auf den Nullpunkt sinken, seine Schleusen blieben hingegen den ganzen Tag geschlossen.
Nebst der über Erfolg einer ganzen Fasnacht entscheidenden Frage – feucht oder trocken? – hatten die NFG-Organisatoren weitere, jedoch nicht unlösbare Probleme zu meistern. Zu der mageren Beteiligung von Wädenswiler Vereinen am Umzug – eingekaufte Gruppen aus der Nachbarschaft füllten die Lücken – kamen Rekrutierungsschwierigkeiten für den Plakettenverkauf, für die Umzugsverpflegung (immerhin sind 500 Erwachsene und 1000 Kinder zu «füttern») und für den Standbetrieb hinzu, kurz, die Helfer waren in allen Bereichen rar. Daneben musste sich die NFG dieses Jahr noch mit Anlaufschwierigkeiten des erstmals für beinahe alle Fasnachtsanlässe zu freiem Eintritt berechtigenden Passe-partout herumschlagen.
Leider mussten die Veranstalter feststellen, dass nicht alle (Möchtegern)-Fasnächtler bereit sind, die Ideen des Fasnachtsvereins, sei es in finanzieller Hinsicht durch den Kauf einer Plakette, sei es auch nur auf moralische Art und Weise, zu unterstützen. Das Ziel der NFG ist jedoch, in der Funktion als Dachorganisation sowie als Organisator eigener Anlässe, der ganzen Stadt fröhliche und abwechslungsreiche Fasnachtstage zu bieten, den Kontakt der Wädenswiler untereinander zu fördern, das Gefühl der Zusammengehörigkeit zu wecken und aus dem Konglomerat von alt und jung, von Alteingesessenen und Neuzugezogenen ein Gebilde, eine Stadt mit Herz zu formen. Um diese selbst gestellte Aufgabe zu realisieren, braucht die NFG die idealistisch ausgerichtete Unterstützung und Mithilfe der ganzen Wädenswiler Bevölkerung.



Peter Schuppli, Präsident NFG

Wädenswiler Bundesfeier

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1976 von Kurt Rohr
 
Früher wurden in Wädenswil drei Bundesfeiern durchgeführt: eine auf der Halbinsel Au, eine auf dem Geren und die offizielle Feier auf dem Seeplatz bzw. im Rosenmattpark oder in der Kirche. Die Langrütler-Feier war ein kleine, schlichte, fast familiäre Angelegenheit, dafür mit einem um so grösseren Höhenfeuer. Der Verkehrsverein hatte im Dorf je länger desto mehr Mühe, Leute zu finden, die sich – mitten in der Ferienzeit – für diese Aufgabe zur Verfügung stellten. Es kam dazu, dass die in kurzen Intervallen durchfahrenden Züge Darbietungen auf dem Seeplatz fast verunmöglichten. 1970 gelangte der Verkehrsverein Wädenswil an die Bergvereine mit dem Ersuchen, die Bundesfeier nicht nur für die Langrüti, sondern für die ganze Gemeinde auf dem Geren zu organisieren. Nach einem gelungenen Versuch beauftragte dann der damalige Gemeinderat (Exekutive) die Bergvereine, sich der Durchführung der 1.-August-Feier künftig anzunehmen. Es wurde in der Folge ein Organisationskomitee gebildet, bestehend aus Vertretern des Gemischten Chors, des Männerchors und des Quartiervereins Langrüti.
Natürlich stellte sich diesem Bundesfeier-Komitee sofort die Frage, ob man an der bisher eher konventionellen Feier festhalten oder, wie da und dort gefordert, nach einer neuen Form suchen solle.
Das OK entschloss sich, einstweilen die auf dem Geren bewährte, bodenständige Feier beizubehalten, jedoch in einem zweiten Teil ein frohes Fest mit Wirtschaftsbetrieb und Tanz anzugliedern. Auf die in anderen Gemeinden teils verketzerte Ansprache wollte man nicht verzichten. Wir meinen, dass es uns wohlansteht, am 1. August einen Moment der Besinnung auf unsere Aufgaben, unsere Rechte und Pflichten als Staatsbürger einzuschalten. In der Auswahl der Redner wird darauf geachtet, dass alle staatserhaltenden politischen Richtungen abwechslungsweise zu Worte kommen. Dieser Turnus wird höchstens aus besonderem Anlass durchbrochen.
Obwohl immer wieder Stimmen laut werden, die Bundesfeier gehöre an den See, steigt die Besucherzahl auf dem Geren von Jahr zu Jahr. Sicher sind es auch die herrliche Lage und die idealen Verhältnisse bei jeder Witterung, die immer mehr Leute anziehen. Vielleicht ist es aber auch das Programm, das vielen Mitbürgern gefällt, wobei sich die Organisatoren bemühen, stets für gewisse Abwechslungen zu sorgen. Fester Bestandteil der Bundesfeier sind die Darbietungen der Harmonie, einer der beiden Langrüti-Chöre, und die Kurzansprache eines Politikers. 1975 stand die 1.-August-Feier unter dem Motto «Wädenswil für Lü». Die Frauen vom Berg und vom Landwirtschaftlichen Verein hatten allerlei Kleingebäck, Bauernbrot und Kuchen gebacken. Der Verkauf dieser Backwaren trug der Aktion einen Erlös von über tausend Franken ein. Im Mittelpunkt des Abends stand die Ansprache eines Bürgers von Lü, Regierungsrat O. Largiadèrs. Auch die Festwirtschaft ging mit Ihrem Angebot auf die Aktion «Wädenswil für Lü» ein, offerierte sie doch nebst dem bereits zur Tradition gewordenen «Kaffee Patriot» auch einen besonders fein zubereiteten «Kaffee Münstertal».
So ist denn die Bundesfeier auf dem Geren bereits zur guten Tradition geworden. Die Bewohner der Langrüti werden sich der 1.-August-Feier auf dem Geren annehmen, solange dazu ein Bedürfnis besteht. Sollten sich aber Vereine oder Private bereitfinden, wiederum eine Bundesfeier am See zu organisieren, wären die rund fünfzig Langrütler, die für Organisation und Durchführung der Bundesfeier im heutigen Rahmen nötig sind, nicht unglücklich, einmal nur als Zuschauer und Zuhörer teilzunehmen.
 




Kurt Rohr



Chilbi

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1976 von Hans Buchmann

Vater und Tochter auf der Rössliriiti

Chilbizeit ist eine besondere Zeit. Ob man will oder nicht, wird man doch Jahr für Jahr in ihren Bann gezogen. Die hohe Zeit der Chilbi beginnt schon Tage vor dem Fest . . . Soweit der Bericht des Redaktors des Allgemeinen Anzeigers vom Zürichsee.
Und tatsächlich! Jene, die für die Gestaltung und die Durchführung der Chilbi verantwortlich sind, benötigen eine lange Vorbereitungs- und Organisationszeit!
Bereits am Chilbimontag, während des Einzugs der Platzgelder, bringen die nach gutem Geschäftsgang glücklichen und fröhlichen Schausteller erste schüchterne Wünsche für die nächstjährige Chilbi an.
Ende November erscheinen dann in den Organen des Schaustellerverbandes unsere Platzauschreibungen mit der Bitte, bis Mitte Dezember Buden, Stände, Reitschulen usw. mit den entsprechenden Abmessungen anzumelden. Dem Aufruf aus Wädenswil wird grosszügig Folge geleistet! Hochbahnen, Autoscooter, Riesenräder, Geister- und Rundbahnen werden uns in solcher Zahl angeboten, dass eine mindestens dreimal so grosse Chilbi bereitgestellt werden könnte. Unsere Chilbiplätze sind jedoch von der Grösse her gegeben. Daran lässt sich nicht ändern. Die Vergrösserung entspräche aber wohl auch keinem Bedürfnis.
Bei der Auswahl und Plazierung der Bahnen müssen verschiedene Aspekte berücksichtigt werden. Es gilt Attraktionen einzubauen, die Konkurrenzierung gleichartiger Geschäfte auszuschliessen, gedeckte Anlagen möglichst gleichmässig zu verteilen, den Gesamtenergiebedarf zu errechnen und die benötigten Kapazitäten zuzuweisen. Damit man eine möglichst günstige Ausnützung erhält, werden Symbole der Geschäfte – Rechtecke, Quadrate oder Kreise – auf einem Grundplan ausgelegt.
Die Auswahl bereitet grosses Kopfzerbrechen, sind doch alle Schausteller nette, fröhliche und ehrliche Menschen! Wie schwer muss es doch fallen, einen seit Jahren in Wädenswil tätigen Schausteller von der nächsten Chilbi auszuschliessen! Leider müssen wir auch solch harte Entscheide fällen. Denn wir wollen unseren Mitbürgern immer eine attraktive Chilbi bieten und jenen Schaustellern, welche sich teilweise seit Jahren um einen Platz in Wädenswil bemühen, endlich auch einmal eine Gelegenheit zu einem guten Geschäft geben.

Zauber der Zentrifugalkraft: Auto.

Im Laufe des Januars erhalten die berücksichtigten Schausteller Ihre Verträge und können nun rechtzeitig Ihr Jahresprogramm zusammenstellen. Auch die Abgewiesenen werden schriftlich benachrichtigt.
In einer zweiten Etappe, Mitte Mai, erfolgt die Ausschreibung für die eigentlichen Marktfahrer. Von ihnen erfahren wir die gewünschten Standlängen und natürlich ebenfalls Platzwünsche. Auch da gilt es, mancherlei Rücksichten zu nehmen.
Anfangs August werden die Diensteinteilungen festgelegt: für die Stadt- und Kantonspolizisten, für das Verkehrskorps der Feuerwehr und für die Mannschaft des Bauamtes. Sie alle stehen während der Chilbi im Grosseinsatz: für den Verkehrsdienst und die Signalisation, für die nächtlichen Ronden, für die Kontrolle der Schaustellerpatente, für das Stellen der Verkaufsstände, aber auch für die morgendliche Reinigung der Vergnügungsplätze.
Mit der eigentlichen Zuteilung der Standplätze, an die Schausteller in der Vorwoche und an die Marktfahrer am Chilbisamstag, enden die organisatorischen Vorbereitungen. Dann bleibt nur noch die Hoffnung auf gutes Chilbiwetter und auf wohlwollende Aufnahme der Chilbigestaltung durch die Wädenswiler Chilbibesucher.
 




Hans Buchmann
Polizeivorstand


Chilbi einst und jetzt

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1976 von Bruno Rüttimann
 
D’Chilbi isch au nümme, was sie emal gsi isch . . . Der alte Mann, der diese Worte zu sich selbst spricht, blickt mit leiser Wehmut über den Rummelplatz. Er versteht die moderne Neonwelt, die elektronischen Apparate und die hämmernde Musik nicht mehr – die Zeit hat ihn überrannt, und die gute, alte Chilbi hat dabei Schritt gehalten.
Wo einst knarrende Leder-Transmissionen das Karussell in Gang brachten, stehen heute schallgedämpfte Elektromotoren mit immensen Kräften. Wo einst Blasebalg und Lochkarte den Orgelpfeifen einen Marsch oder eine lüpfige Polka entlocken konnten, spielt heute ein Super-Hi-Fi-Stereo-Sound-Track popige Musik aus der Hitparade in Lautstärken, die weit über der Schmerzwelle liegen. Wo einst Menschenkraft mühsame Arbeite verrichtete, heben heute pneumatisch-hydraulische Anlagen unzählige Tonnen mit Leichtigkeit in die Höhe. Wo einem einst das Glasauge des dutzendfach übermalten, hölzernen Rösslis anglotzte, blitzen heute im Wechsellicht von elektrischen Lampen polierter Chrom und flitternde Hochglanzlacke. Was einst gemütlich und gemächlich im Kreise sich drehte, wirbelt heute in horrenden Tempi und stets wechselnden Neigungswinkeln herum. Wo einst das Liebespaar sich küsste und die Kleinen freudig lächelten, klammern sich heute Menschen verzweifelt an Haltegriffen, kämpfen Kinder schreiend gegen das Übelwerden.
 «. . . nüt meh Gmüetlis; nu na Rummel und en chaibe Lärme» fügt der alte Mann mit resigniertem Unterton bei und verlässt kopfschüttelnd die Stätte seiner verloren geglaubten Romantik. Doch, ist sie den wirklich verloren? Vermögen denn nur noch Leierkastenklänge und Kitschbildli, artige Mädchen mit Schleckstengeln und weissen Spitzenröckchen, stämmige Chilbimannen mit schief aufgesetzten Bérets und Schiessbudendamen mit knallroten Kussmündchen und überbetontem Wangen-Rouge des Menschen Sentiment zu rühren? Muss auf allem und jedem die vielgepriesene und jahrealte Patina den einstigen Glanz dämpfen, damit süsse Gefühle unser Blut etwas in Wallung bringen? Braucht es immer einen Schuss zwanziger oder dreissiger Jahre, ein wenig naiv anmutende Rückständigkeit und zu belächelnde Unvollkommenheit, dass unser Herz seinen Rhythmus etwas erhöht und uns mit wohliger Wehmut erfüllt?

Zauber der Zentrifugalkraft: Menschen.

Auch die nervöse, hektische Unordnung der Chilbi in der heutigen Zeit, das verwirrende, bunte Kunterbunt und die schreiende Vielfalt der elektronisch erzeugten Musik, das Wechselspiel von sich kontrastierenden Magenbrotdüften und schnaubender Pneumatik, von grellen Stroboskopblitzen und kreischenden Mädchen, von lässig auf- und abspringenden Chilbimannen und dumpf knallenden Präzisionswaffen, von rülpsenden Bierleichen und lieben Göttis mit lieben Enkeln an der Hand, von aggressiven Schussfahrten ohne Ziel und und und . . ., all dies ist willkommene, ja notwendige Bereicherung unseres meist zu stereotypen Lebensablaufes. Diese schrecklich-faszinierende Mischung von nüchternem Maschinenpark und traumhafter Märchenwelt, von Disney-Land und elektronischem Paradies, dieses unkontrollierte Wirrwarr von asynchron brüllenden Lautsprechern und nicht abgestimmten Farbskalen bietet die unerlässliche Abwechslung, die sinnvolle Ergänzung unserer einseitigen Kost.
Und auch in dieser chaotischen, verrückten Welt ist genügend Platz für ein bisschen Fröhlichkeit, ein wenig Herzlichkeit, eine Prise Übermut und ein kleines, kleines Stückchen Romantik.




Bruno Rüttimann


Wädenswiler Knabenschiessen

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1976 von Ernst Hiestand
 
Wie es dazu kam und warum es heute nicht mehr durchgeführt wird. In der Stadt Zürich aufgewachsen, nahm ich mit Begeisterung in all den Jahren, in denen ich teilnahmeberechtigt war, am Knabenschiessen im Albisgüetli teil. Ich schoss nie schlecht und wäre beim letzten Mal sogar Schützenkönig geworden, wenn ich in der Aufregung des in Aussicht stehenden Erfolges nicht den letzten Schuss ins Zentrum der falschen Scheibe geknallt hätte. Diese Niederlage sollte ihre Folgen haben. Bis es aber soweit war, zogen die Jahre ins Land. 1930 übernahm ich im Schulhaus Ort meine Lebensstelle als Lehrer. 1951 war es endlich soweit, dass mein inzwischen herangewachsener Sohn als Bürger der Stadt Zürich am Knabenschiessen unserer Vaterstadt hätte teilnehmen können. Meine Anmeldung wurde aber abgewiesen mit der Begründung, dass heutzutage nicht mehr das Bürgerrecht zähle, wie es seit altersher gewesen war, sondern nur noch das Wohnortprinzip gelte. «Dann wird eben ein Wädenswiler Knabenschiessen ins Leben gerufen, damit mein Sohn schiessen kann!» war für mich die einzig mögliche Folgerung.
Bei den Kameraden der Schützengesellschaft Au fanden meine Pläne begeisterte Zustimmung. Jede nur mögliche Unterstützung wurde mir zugesagt, wenn ich die gesamten Vorbereitungen, die Durchführung und Leitung dieses Anlasses übernehme. Im Kleinkaliberstand Hangenmoos sollte der erste Versuch gewagt werden. Mit Feuereifer machte ich mich ans Werk. Ein Anmeldeformular wurde entworfen, ein Bettelbrief an die Gabenspender aufgesetzt, behördliche zivile und militärische Bewilligungen mussten eingeholt werden, nichts durfte vergessen werden, was zum Gelingen nötig war. An die Verpflegung aller Teilnehmer musste gedacht werden: Wer lieferte Brot, Wurst und Most? Die Gewehre mussten bestellt, geholt und nach dem Schiessen wieder ins Zeughaus zurückgebracht werden. – Standblätter, Standblattausgabe, Rangierung und alles Finanzielle erledigte von Anfang an gewissenhaft und zuverlässig mein Schützenkamerad Walter Leuthold. Ich bin ihm zu grossem Dank verpflichtet.
Am ersten Septembersamstag des Jahres 1951 war es soweit. 66 Knaben vom Ort, von Wädenswil und Schönenberg hatten sich angemeldet. Im Stand der Kleinkaliberschützen im Hangenmoos erwarteten vereinseigene Instruktoren mit ihren Gewehren die jungen Schützen. Rechnungsbüro, Gabentisch und Verpflegungsabgabe waren im Schiesstand Steinacher untergebracht. Vereinseigene Schreiner hatten den Gabentisch gezimmert, auf dem Schützenfrauen die von mir eingesammelten Gaben fein geordnet und gezählt bereitgelegt hatten. Keine überdimensionierten Gaben waren es, aber jeder sollte etwas mitheimnehmen können. So lautete die Devise. Abend für Abend hatte ich nach der Schule bei den Spendern in der Au und im Dorf vorgesprochen. Ausnahmslos wurde ich überall mit grossem Verständnis und zustimmender Freude aufgenommen. Mit dem vollgepackten Veloanhänger brachte ich die Gaben ins Schulhaus, wo sie auf den Festtag warteten. Das erste Wädenswiler Knabenschiessen gelang zur Zufriedenheit aller Beteiligten. Die Begeisterung war so gross, dass beschlossen wurde, fortan jedes Jahr ein Knabenschiessen durchzuführen, aber vom nächsten Jahre an auf 300 m im Steinacher. 1952 waren es schon 126 Knaben. Goldschmied Küffer hatte inzwischen eine schöne Wanderkanne gestiftet, und Malermeister Estermann spendete jedes Jahr für jeden Jahrgangersten einen schön bemalten Holzteller. Name, Punktzahl und Jahrgang wurden während der Rangierung noch eingetragen. Die Teilnehmerzahl wuchs von Jahr zu Jahr. Bald konnte ich die Gaben nicht mehr selber einsammeln. Aber immer wieder fand ich Helfer in den Reihen der Schützengesellschaft Au, die mich unterstützten. Ich bin ihnen allen von Herzen dankbar, denn ohne ihre treue Hilfe wäre es mir unmöglich gewesen, diesen Anlass durchzuführen. 1967 waren es 247 Knaben. Der Schützenstand Steinacher war bei der Rangverkündigung und der Gabenverteilung zum Bersten voll. Jedermann wollte dabei sein, wenn der Schützenkönig mit Wanderkanne, Holzteller und der selbst erwählten Gabe in den Händen vor Freude strahlte. Bis dann der Allerletzte sein Gäblein vom leergewordenen Gabentisch mit nach Hause nehmen konnte, war längst die Dunkelheit hereingebrochen. In den letzten Jahren war auch eine Lautsprecheranlage und eine Beleuchtung notwendig geworden. Wie würde es wohl weitergehen? 1968 waren die Vorbereitungen bereits getroffen. Der Schiesstag war bestimmt, sämtliche Vereine hatten im Laufe des Sommers ihre Schiesspflicht erfüllt, nur das Knabenschiessen und die verschiedenen Endschiessen standen noch auf dem Programm. Da kam, wie ein Blitz aus heiterem Himmel, die üble Kunde: Der Schiessstand Steinacher wird aberkannt und darf ab 1. September 1968 nicht mehr benützt werden. Seltsam, höchst seltsam. Bis alle Vereine ihre Bedingung geschossen hatten, war es nicht gefährlich gewesen. Das Knabenschiessen war der erste gefährliche Schiessanlass! Wer der eigentliche Urheber dieses üblen Spieles war, weiss ich heute noch nicht. Für mich bedeutete es das Ende einer schönen, erfolgreichen, von mir geschaffenen Tradition zur Freude der schiessfreudigen Jugend von Wädenswil. Man machte mir zwar den lächerlichen Vorschlag, mit den 250 Knaben und allem Drum und Dran ein einer Nachbargemeinde den Anlass weiterzuführen . . . In grimmigem Zorn entschloss ich mich, alles aufzugeben und selber keinen Schuss mehr abzugeben, bis das Dorf Wädenswil wieder einen eigenen Schiesstand hat! Das war 1968! Heute schreiben wir 1976! Wie lange dauert dieser klägliche Zustand noch an? Wehmütig denke ich an die Zeiten zurück, als es das Wädenswiler Knabenschiessen noch gab!




Ernst Hiestand


Räbeliechtliumzug im Ort

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1976 von Ernst Hiestand
 
Als junger Lehrer übernahm ich 1930 im Ort, so hiess damals diese Schulsektion, die 4. Bis 6. Klasse mit 48 Schülern. Schon im Herbst veranstaltete ich mit meinen Klassen einen Räbelichtliumzug, weil ich fand: Was die Richterswiler Vereine als Grossveranstaltung organisieren, das versuchst du mit deinen Schülern in bescheidenem Rahmen durchzuführen, weil alte Volksbräuche es verdienen, überall neu aufzuleben.
Begeistert schnitzten meine Schüler ihre Räben. Alte Kinderverse über Räbenlichter wurden von mir vertont und mit den Schülern eingeübt. So zum Beispiel:
Mueter, Mueter, ghörsch dä Lärme?
S’Chindli rännt derhär im Flug,
Mueter, dörf i au go schwärme
mit em Räbelichtlizug?
Lueg diä Räbe! Für en Batze,
han ich sie bim Chrömer gkauft.
Hilfsch mer au sie usezchratze,
dass mer d’Arbet gschwinder lauft?
Los, sie chömmet! Gsehsch durs Faischter
Det dä Schy? I laufe mit!
S’Müeterli dänkt: ’s isch doch eischter
ja nur eimal Räbezyt!
 
Ein Räbenlicht entsteht: Aushöhlen mit dem Suppenlöffel, Kerbschnitte mit dem Küchenmesser.

So gerüstet zogen wir vor die Bauernhäuser im Unter-, Mittel- und Oberort und im Steinacher, sangen dort unsere Lieder und wurden dafür von den dankbaren Zuhörern mit selbstgebackenen Birnweggen und frisch gepresstem Most bewirtet. Alle daran Beteiligten waren beglückt und freuten sich gemeinsam. Das ging nun jahrelang so, bis der Lehrer 1939 einrücken musste. Die Grenzbesetzungszeit brachte einen Unterbruch in der neu geschaffenen Tradition.
Als dann der Quartierverein Au gegründet wurde, übernahm es dieser, den Räbelichtliumzug neu aufleben zu lassen. Unterdessen war zwar die Schülerzahl beträchtlich angewachsen. Das Schulhaus mit zwei Lehrkräften genügte nicht mehr. 1959 war die Schulanlage im Ort durch einen Neubau erweitert worden. Sechs Klassen waren es vorerst, mit denen der Räbelichtliumzug durchgeführt wurde. In allen Klassen wurden die Räbelichtlilieder eingeübt und dann vor dem Abmarsch auf dem Schulhausplatz, wo die Schüler klassenweise Aufstellung genommen hatten, unter meiner Leitung gemeinsam gesungen. Neu eingeführt wurde die Prämierung der schönsten Räbenlichter. In stundenlanger, gewissenhafter Begutachtung wurden von den Lehrkräften pro Klasse die drei schönsten Exemplare ausgewählt und mit je einem SJW-Heft belohnt. Diese Beurteilung war nicht einfach und brachte den Lehrern mehr Ärger als Freude! Was war höher zu bewerten: die unbeholfenen Kerbschnitte eines selbständig arbeitenden Kindes oder die vollendete Schnitzkunst begabter Eltern? Der stundenlange, freudige Einsatz der Lehrer wurde durch die gehässige Kritik sich zurückgesetzt fühlender Eltern bald zum Erliegen gebracht. Da verzichteten wir lieber ganz auf eine Prämierung.
So beschränkte man sich fortan darauf, nach dem Singen der Lieder in einem jedes Jahr länger werdenden geschlossenen Lichterumzug auf den «Festplatz» zu marschieren. Als Hausvorstand fiel mir die schöne Aufgabe zu, die Zugsordnung zu leiten. Da gab es zwischen den einzelnen Klassen jeweils auch von Gruppen erstellte Kunstwerklein, die auf Leiterwagen oder Traggestellen mitgeführt wurden. Es war jedesmal eine Freude, den Lichterzug durch die Dunkelheit ziehen zu sehen, als geschlossenes Ganzes.
Die Erwachsenen standen Spalier und freuten sich an der vorbeiziehenden Jugend.
Heute hat sich auch das geändert. Die Lieder werden nicht mehr gesungen, mit dem Lichterzug ist es auch nichts mehr. Eltern und Kinder besammeln sich auf dem Schulhausplatz und wandern dann kunterbunt gemischt ins Appital. Vorbei sind die heimeligen Zeiten vom Singen vor den Bauernhäusern, dem Birnweggenschmaus und dem Süssmosttrunk. Der Quartierverein Au hat sich einem Ersatz einfallen lassen: Der Schuljugend wird ein Gratisservelat mit Brot und ein Becher Punsch abgegeben. Die Erwachsenen zahlen für Ihre Verpflegung, auch der Gründer des Räbelichtliumzuges tut das und macht sich dabei seine Gedanken, wie aus kleinen Anfängen eine Grossveranstaltung geworden ist. Herr Karl Zollinger stellt seine Wiesen und die Feuerlein zur Verfügung, Herr Ernst Eckert stiftet den Punsch, der Frauenverein Ort rüstet in der Küche von Frau Luise Zollinger die Würste und die Brotschnitten, mischt heisses Wasser mit dem Punsch und verteilt es an gross und klein. Der Quartierverein organisiert das Ganze und verkauft die beliebten Bons.
Und dann beginnt an den flackernden Feuerlein ein lustiges Braten. Eltern und Kinder, Neuzugezogene und Einheimische finden sich da in gemeinsamem Tun. Man lernt sich kennen, damit man nicht in den Grossüberbauungen aneinander vorbeilebt. Damit erfüllt dieser Anlass eine wertvolle zwischenmenschliche Aufgabe. Darüber freut sich nach 45 Jahren tätiger Mitarbeit der nun in den Ruhestand getretene Gründer.
 




Ernst Hiestand