Räbeliechtliumzug im Ort

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1976 von Ernst Hiestand
 
Als junger Lehrer übernahm ich 1930 im Ort, so hiess damals diese Schulsektion, die 4. Bis 6. Klasse mit 48 Schülern. Schon im Herbst veranstaltete ich mit meinen Klassen einen Räbelichtliumzug, weil ich fand: Was die Richterswiler Vereine als Grossveranstaltung organisieren, das versuchst du mit deinen Schülern in bescheidenem Rahmen durchzuführen, weil alte Volksbräuche es verdienen, überall neu aufzuleben.
Begeistert schnitzten meine Schüler ihre Räben. Alte Kinderverse über Räbenlichter wurden von mir vertont und mit den Schülern eingeübt. So zum Beispiel:
Mueter, Mueter, ghörsch dä Lärme?
S’Chindli rännt derhär im Flug,
Mueter, dörf i au go schwärme
mit em Räbelichtlizug?
Lueg diä Räbe! Für en Batze,
han ich sie bim Chrömer gkauft.
Hilfsch mer au sie usezchratze,
dass mer d’Arbet gschwinder lauft?
Los, sie chömmet! Gsehsch durs Faischter
Det dä Schy? I laufe mit!
S’Müeterli dänkt: ’s isch doch eischter
ja nur eimal Räbezyt!
 
Ein Räbenlicht entsteht: Aushöhlen mit dem Suppenlöffel, Kerbschnitte mit dem Küchenmesser.

So gerüstet zogen wir vor die Bauernhäuser im Unter-, Mittel- und Oberort und im Steinacher, sangen dort unsere Lieder und wurden dafür von den dankbaren Zuhörern mit selbstgebackenen Birnweggen und frisch gepresstem Most bewirtet. Alle daran Beteiligten waren beglückt und freuten sich gemeinsam. Das ging nun jahrelang so, bis der Lehrer 1939 einrücken musste. Die Grenzbesetzungszeit brachte einen Unterbruch in der neu geschaffenen Tradition.
Als dann der Quartierverein Au gegründet wurde, übernahm es dieser, den Räbelichtliumzug neu aufleben zu lassen. Unterdessen war zwar die Schülerzahl beträchtlich angewachsen. Das Schulhaus mit zwei Lehrkräften genügte nicht mehr. 1959 war die Schulanlage im Ort durch einen Neubau erweitert worden. Sechs Klassen waren es vorerst, mit denen der Räbelichtliumzug durchgeführt wurde. In allen Klassen wurden die Räbelichtlilieder eingeübt und dann vor dem Abmarsch auf dem Schulhausplatz, wo die Schüler klassenweise Aufstellung genommen hatten, unter meiner Leitung gemeinsam gesungen. Neu eingeführt wurde die Prämierung der schönsten Räbenlichter. In stundenlanger, gewissenhafter Begutachtung wurden von den Lehrkräften pro Klasse die drei schönsten Exemplare ausgewählt und mit je einem SJW-Heft belohnt. Diese Beurteilung war nicht einfach und brachte den Lehrern mehr Ärger als Freude! Was war höher zu bewerten: die unbeholfenen Kerbschnitte eines selbständig arbeitenden Kindes oder die vollendete Schnitzkunst begabter Eltern? Der stundenlange, freudige Einsatz der Lehrer wurde durch die gehässige Kritik sich zurückgesetzt fühlender Eltern bald zum Erliegen gebracht. Da verzichteten wir lieber ganz auf eine Prämierung.
So beschränkte man sich fortan darauf, nach dem Singen der Lieder in einem jedes Jahr länger werdenden geschlossenen Lichterumzug auf den «Festplatz» zu marschieren. Als Hausvorstand fiel mir die schöne Aufgabe zu, die Zugsordnung zu leiten. Da gab es zwischen den einzelnen Klassen jeweils auch von Gruppen erstellte Kunstwerklein, die auf Leiterwagen oder Traggestellen mitgeführt wurden. Es war jedesmal eine Freude, den Lichterzug durch die Dunkelheit ziehen zu sehen, als geschlossenes Ganzes.
Die Erwachsenen standen Spalier und freuten sich an der vorbeiziehenden Jugend.
Heute hat sich auch das geändert. Die Lieder werden nicht mehr gesungen, mit dem Lichterzug ist es auch nichts mehr. Eltern und Kinder besammeln sich auf dem Schulhausplatz und wandern dann kunterbunt gemischt ins Appital. Vorbei sind die heimeligen Zeiten vom Singen vor den Bauernhäusern, dem Birnweggenschmaus und dem Süssmosttrunk. Der Quartierverein Au hat sich einem Ersatz einfallen lassen: Der Schuljugend wird ein Gratisservelat mit Brot und ein Becher Punsch abgegeben. Die Erwachsenen zahlen für Ihre Verpflegung, auch der Gründer des Räbelichtliumzuges tut das und macht sich dabei seine Gedanken, wie aus kleinen Anfängen eine Grossveranstaltung geworden ist. Herr Karl Zollinger stellt seine Wiesen und die Feuerlein zur Verfügung, Herr Ernst Eckert stiftet den Punsch, der Frauenverein Ort rüstet in der Küche von Frau Luise Zollinger die Würste und die Brotschnitten, mischt heisses Wasser mit dem Punsch und verteilt es an gross und klein. Der Quartierverein organisiert das Ganze und verkauft die beliebten Bons.
Und dann beginnt an den flackernden Feuerlein ein lustiges Braten. Eltern und Kinder, Neuzugezogene und Einheimische finden sich da in gemeinsamem Tun. Man lernt sich kennen, damit man nicht in den Grossüberbauungen aneinander vorbeilebt. Damit erfüllt dieser Anlass eine wertvolle zwischenmenschliche Aufgabe. Darüber freut sich nach 45 Jahren tätiger Mitarbeit der nun in den Ruhestand getretene Gründer.
 




Ernst Hiestand