Stuckateure des Rokoko in der Schweiz

Quelle: https://www.sueddeutscher-barock.ch, 2020 - Andreas und Peter Anton Moosbrugger von Pius Bieri

Herkunft

Der Name Moosbrugger steht für eine bedeutende Künstlersippe aus dem Bregenzerwald. Über hundert Glieder der Familie betätigen sich während 150 Jahren im barocken Bauwesen. Ihr Arbeitsschwerpunkt ist das westliche Süddeutschland und die Schweiz. Meist sind sie Baumeister. Ihr bekanntester Vertreter ist der Klosterbaumeister von Einsiedeln, Br. Caspar Moosbrugger. Als Stuckateure treten Familienmitglieder erst im Spätbarock auf. Bekannt wird der Familienzweig des Franz Joseph Moosbrugger.1 Von seinen acht Kindern ergreifen vier Söhne das Stuckateurhandwerk. Sie sind in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vorwiegend in der Schweiz tätig, wo sie meist im Familienverband unter der Leitung der beiden Brüder Andreas und Peter Anton Moosbrugger arbeiten.

Moosbrugger, Andreas (1722–1787)

Andreas wird als erstes Kind am 8. November 1722 in Schoppernau geboren. Sein Ausbildungsgang liegt im Dunkeln. Es muss angenommen werden, dass schon der Vater Stuckateur ist und seine Söhne nachzieht. Andreas arbeitet um 1742/43 als selbständiger Stuckateur im Neubau der Benediktinerabtei St. Trudpert. Die Arbeiten im vorderösterreichischen Schwarzwaldkloster werden 1743 wegen des Österreichischen Erbfolgekrieges unterbrochen, worauf sich Moosbrugger im Januar 1744 erneut bewirbt. Aus dem Bewerbungsschreiben ist ersichtlich, dass er die Entwürfe jeweils selbst zeichnet. Erst 1754 ist er wieder als Stuckateur fassbar. Er stuckiert in Arlesheim die Hauskapelle des Andlauerhofs.

Im gleichen Jahr bewirbt er sich für die Stuckaturen der Domkirche von Arlesheim. Die Arbeit, für die sich im gleichen Jahr auch Johann Michael Feichtmayr bewirbt, wird später von Francesco Pozzi ausgeführt. 1755 stuckiert Andreas Moosbrugger die nahe von Arlesheim gelegene Pfarrkirche St. Katharina in Laufen. Hier arbeitet er mit seinen jüngeren Brüdern Jakob, Franz Joseph und Peter Anton zusammen.1 1758–1761 arbeitet der gleiche Moosbrugger-Trupp, immer unter der Leitung von Andreas, im Neuen Schloss Tettnang. Hier ist, in anderen Flügeln des Schlosses, gleichzeitig der Trupp von Joseph Anton Feuchtmayer tätig. Die folgenden Werke der Brüder zeigen, dass sie von den Arbeiten Feuchtmayers in Tettnang nicht unbeeinflusst bleiben. Während der Arbeiten in Tettnang heiratet Andreas Moosbrugger in Au im Bregenzerwald die Einheimische Maria Rüf. Zwei der Söhne aus dieser Ehe ergreifen später erneut den Beruf eines Stuckateurs.
Inzwischen ist auch der Bruder Peter Anton selbständig tätig. Eine Auflösung der Arbeitsgemeinschaft erfolgt aber nie. Weiterhin treffen sich alle Brüder regelmässig im Bregenzerwald, bleiben ihrem Wohnort Schoppernau oder Au treu und verbringen die Wintermonate immer in der Heimat. In unterschiedlicher Zusammensetzung sind sie dann in den Sommermonaten wieder gemeinsam tätig. Die bekannten Werke der folgenden Jahrzehnte können deshalb nicht in jedem Fall einem der beiden leitenden Brüder zugeschrieben werden. Erst 1781 ist Andreas Moosbrugger wieder mit einem Arbeitsakkord aktenkundig. Es handelt sich um die Stuckierung des grossen Predigtraums der reformierten Kirche von Horgen am Zürichsee. Seine Stuckdecke ist ein Meisterwerk des späten Rokoko. Der Einfluss des Frühklassizismus ist bereits spürbar. Eines seiner originellsten Werke dieser Zeit ist die Neugestaltung des Chors in der reformierten Kirche von Herisau. Während er 1782 das Langhaus noch konventionell mit einem Gipsgewölbe überspannt und stuckiert, überlagert er das spätgotische Chorgewölbe, ein Werk des Konstanzer Münsterbaumeisters Lorenz Reder, virtuos mit Rocaillen. Die Symbiose des gotischen Netzrippengewölbes mit Schmuckformen des Rokoko ist von grossem künstlerischen Reiz, der derartige Dialog ist kunstgeschichtlich wahrscheinlich einmalig. Andreas Moosbrugger stirbt am 25. März 1787 im Alter von 65 Jahren in Au im Bregenzerwald. Die alleinige Führung der Familienwerkstatt übernimmt jetzt Peter Anton Moosbrugger.

Moosbrugger, Peter Anton (1732–1806)

Der jüngste Stuckateur-Spross der Familie wird am 30. Juni 1732 in Schoppernau geboren. 1755 ist Peter Anton Moosbrugger erstmals als Geselle unter der Leitung seines Bruders in Laufen erwähnt. Die Brüder werden anschliessend im Umfeld des schaffhausischen Stuckateurs Johann Ulrich Schnetzler vermutet.2 Viele Motivübernahmen deuten darauf hin. Ihre Bekanntschaft mit dem Baumeister und Brückenbauer Hans Ulrich Grubenmann3 dürfte während dieses Aufenthaltes in Schaffhausen entstanden sein. Grubenmann baut hier 1756–1758 seine berühmte Holzbrücke über den Rhein.4 Wenig später stuckieren die Brüder Moosbrugger seine Kirchenbauten, erstmals 1761 im zürcherischen Oberrieden. 1766 unterschreibt Peter Anton einen Akkord für die Stuckaturen der bekannten Grubenmannkirche von Wädenswil am Zürichsee. Sein Bruder Andreas wird 15 Jahre später im Nachbardorf Horgen die ebenso aufsehenerregende Kirche des Schwiegersohns von Grubenmann, Johann Jakob Haltiner,5 stuckieren. Beide Bauwerke sind ungewöhnlich grosse Zentralräume über Rechteck- und Ovalgrundrissen.6
Für die Baumeister Grubenmann und Haltiner stuckieren die Brüder Moosbrugger, teilweise im Unterakkord, zwischen 1761 und 1785 acht Kirchen, immer für evangelisch-reformierte Kirchgemeinden. Eine Frucht dieser Zusammenarbeit bilden auch die vielen Aufträge für Stuckaturen in Wohnhäusern von Textil-Handelsherren, deren Anfang 1769 das Haus Zellweger am Landsgemeindeplatz in Trogen bildet. Inzwischen gründet auch Peter Anton Moosbrugger eine Familie. 1763 heiratet er in Schoppernau Barbara Moosbrugger. Von den fünf Kindern der Familie treten später drei Söhne in die väterliche Werkstatt ein.7 Um 1770 beginnt eine zweite fruchtbare Zusammenarbeit der Moosbrugger mit einem weiteren wichtigen Baumeister. Johann Ferdinand Beer8, ein Landsmann aus dem Bregenzerwald und Baumeister der Fürstabtei St. Gallen, wird bis 1786 zu einem wichtigen Partner der Brüder Moosbrugger. Meist ist es jetzt Peter Anton Moosbrugger, der die Verträge für Stuckaturen in neun Landkirchen der Fürstabtei in der «Alten Landschaft» schliesst. Noch lange arbeitet er produktiv, obwohl inzwischen die Söhne selbst Aufträge übernehmen. Dem reinen Frühklassizismus hat er sich in eigenen Entwürfen nie zugewandt. Nur der frühklassizistische Festsaal der Benediktinerabtei Muri bildet 1791 eine Ausnahme. Muri bleibt seine erste und einzige Arbeit nach fremdem Entwurf.9 Obwohl er wahrscheinlich noch länger arbeitet, sind von ihm nach 1792 keine Stuckaturarbeiten mehr bekannt. Am 20. Juni 1806 stirbt Peter Anton Moosbrugger im Alter von 74 Jahren in Schoppernau.

Anhang: Rokoko im Tirol und in der Schweiz nach 1770

Bis zum Ende des 17. Jahrhunderts beanspruchen die «Welschen», wie die Stuckateure aus dem Gebiet der oberitalienischen Seen genannt werden, die Führungsrolle für barocke Stuckausstattungen. Um 1700 werden sie von den Wessobrunnern abgelöst. Die Wessobrunner prägen auch das süddeutsche Rokoko, im Profanbereich seit 1735, im Sakralbereich seit 1740. Mit dem kurfürstlichen Generalmandat von 1770, das den Frühklassizismus in Kirchen verordnet und die «lächerlichen Zierarten» des Rokoko nicht mehr erlaubt, wird dem Wessobrunner Rokoko-Stuck in Bayern offiziell die Existenzberechtigung entzogen.10 Von den grossen Meistern des süddeutschen Rokoko sind zu dieser Zeit die meisten schon verstorben oder nicht mehr tätig.11 Ihre Söhne wenden sich dem neuen französischen «goût a la grecque» zu, der jetzt an allen Fürstenhöfen, in den nach Frankreich orientierten Ständen der Schweiz und selbst in bedeutenden Abteien wie St. Blasien, Rot an der Rot, Wiblingen oder Muri Einzug hält. Nicht überall findet diese Übernahme des strengen französischen Frühklassizismus Anklang. In grossen Gebieten Österreichs, vor allem im Tirol, und auch in der deutschen Schweiz kann sich die Rocaille noch lange als Stuckornament halten. Tiroler und Vorarlberger Stuckateure treten jetzt an die Stelle der Wessobrunner. In der Schweiz dominiert die Werkstatt der Moosbrugger. Nur Martin Fröwis,12 ein weiterer Vorarlberger, und Lorenz Schmid13 aus Landsberg können nach 1770 noch als Konkurrenten gelten. Im französisch geprägten Solothurn stuckiert die Familie des Francesco Pozzi schon frühklassizistisch, und auch Lorenz Schmid wechselt in Bern um 1780 zum neuen Stil. Die Gründe, warum im Tirol und in Teilen der deutschen Schweiz die Rocaille als Ornament noch bis in die 1790er-Jahre überlebt, sind vielfältig. Ein Vergleich des kahlen frühklassizistischen Innenraums der reformierten Kirche von Embrach mit dem festlichen, durch Moosbrugger stuckierten Innenraum der gleichzeitig gebauten reformierten Kirche von Horgen erklärt vieles. Auch die Baumeister sind entscheidend, nicht nur in Embrach und Horgen. Grossen Anteil am Überleben der Rocaille haben im Tirol und in der Innerschweiz auch die Baumeistersippen der Singer.14 Eine bewusste Verweigerung französischer Einflüsse durch ländlich geprägte Bauherren kann ausgeschlossen werden. Die vielen weltgewandten reformierten Textilindustriellen, die durch die Moosbrugger noch bis Mitte der 1780er-Jahre ihre Wohnräume stuckieren lassen, sind das Gegenteil von Traditionalisten. Die mit Veduten bereicherten Rokokostuckaturen werden offenbar von dieser Führungsschicht noch lange nach 1770 der glatten Decke des «goût a la grecque» vorgezogen.

Anmerkungen

1 Jakob Moosbrugger (1724–1798), Michael Moosbrugger (*um 1725/27) und Peter Anton (1732–1806). Peter Anton ist damit zum ersten Mal als 23-jähriger Geselle im Trupp seines Bruders erwähnt.
2 Johann Ulrich Schnetzler (1704–1763) aus Schaffhausen. Maler und Stuckateur. Ausbildung an der Wiener Akademie bei van Schuppen, Studienreisen nach Deutschland und Frankreich. Stuckaturen hauptsächlich in Bürger- und Zunfthäusern von Schaffhausen, Bern und Aarau. Zu ihm siehe: www.sikart.ch/KuenstlerInnen
3 Hans Ulrich Grubenmann (1709–1783) aus Teufen in Appenzell Ausserrhoden. Brückenbauer mit Holzbrücken in unübertroffenen Spannweiten und Baumeister von Sakralbauten mit ebenfalls technisch hochentwickelten Dachstühlen. Zu ihm siehe den Beitrag in HLS.
4 Dafür werden 400 Normaltannen und 20 besonders hohe Tannen aus dem Bregenzerwald nach Schaffhausen geschwemmt.
5 Johann Jakob Haltiner (1728–1800) aus Altstätten. Zimmermann und Baumeister mit Ausbildung bei Hans Ulrich Grubenmann. Heiratet 1751 eine Nichte Grubenmanns. Selbständiger Baumeister nach 1766.
6 An der evangelisch-reformierte Kirche Wädenswil (1765/66) von Hans Ulrich Grubenmann ist Johann Jakob Haltiner beteiligt. Die freie Stuckdecke hat die Masse 17/21 x 34 m oder 629 m2. Die Reformierte Kirche Horgen (1780/81) hat eine freie Stuckdecke von 22 x 34 m. Sie ist ein Werk von Haltiner. Er ist auch Baumeister des grossen Kirchensaals von Kloten (freie Stuckdecke 435 m2), der 1786 von der Moosbrugger Werkstatt stuckiert wird.
7 Johann Michael (1767–1831), Johann Jakob (*1769) und Joseph Simon (1774–1831).
8 Johann Ferdinand Beer (1731–1789), Baumeister aus Au im Bregenzerwald. Zu ihm siehe die Biografie und das Werkverzeichnis in dieser Webseite.
9 Der Entwurf stammt von Valentin Lehmann (um 1734–1818) aus Harmersbach, seit 1782 fürstlich fürstenbergischer Hofarchitekt in Donaueschingen. Der Saal wird 1789 durch Brand zerstört. Der Stuckplan von Lehmann ist im Stiftsarchiv Muri-Gries erhalten.
10 Hugo Schnell und Uta Schedler in «Lexikon der Wessobrunner» 1988.
11 Verstorben: Johann Baptist Zimmermann 1758, Johann Georg Üblher 1763, Giuseppe Antonio Bossi 1763, François Cuvilliés 1768, Franz Xaver Feichtmayr 1763, Dominikus Zimmermann 1766, Joseph Anton Feuchtmayer 1770. Nicht mehr tätig: Johann Michael Feichtmayr (letzte Arbeit Langheim 1770).
12 Johann Martin Fröwis († 1795) aus Lauterach bei Bregenz, seit 1760 in der Schweiz tätig.
13 Lorenz Schmid (1751–1799) aus Pflugdorf bei Landsberg, Stuckatuer, Marmorierer, Altarbauer, vermutlich Schüler von Johann Michael Feichtmayr, seit 1773 in der Schweiz tätig. Um 1780 Hinwendung zum Frühklassizismus.
14 Im Tirol ist Franz Singer (1724–1789) aus Götzens tätig; in der Schweiz Jakob Singer (1718-1788) und Johann Anton Singer (1721–1795), beide aus Forchach im Lechtal. Sie bauen nach 1770 hervorragende Raumschöpfungen des spätesten Barocks (Götzens, Näfels, Schwyz). Die Pfarrkirche von Götzens im Tirol (BM. Franz Singer, Weihe 1780) ist im «Dehio» als «eine der schönsten Dorfkirchen des Rokoko im süddeutschen Sprachgebiet» beschrieben. Diese Kirche wird in Muotathal 1786–1793 fast wörtlich vom Tiroler Baumeister Andreas Wechner aus Landeck wiederholt (Stuckateur: Peter Anton Moosbrugger 1789).