RÜCKBLICK UND AUSBLICK

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 2002 von Doris Stüdli

VOR VERÄNDERUNGEN

Meine Wahl zur Gemeinderatspräsidentin am 12. März 2001 war von einigem politischen Geplänkel begleitet im altbekannten Links-/Rechts-Schema. Aber ich wurde gewählt und auch jene, für welche ich nicht wählbar war, feierten anschliessend kräftig mit. Ein anspruchsvolles und interessantes Jahr stand mir bevor. Ich war die letzte Gemeinderatspräsidentin, die den 45-köpfigen Rat präsidierte, denn Anfang März 2001 war die neue Gemeindeordnung vom Volk angenommen worden, was hiess, dass nach den Wahlen 2002 der Gemeinderat auf 35 Mitglieder und der Stadtrat von 9 auf 7 Mitglieder reduziert wurde.
Ich wünschte mir für mein Amtsjahr eine gute Streitkultur im Rat, musste aber bald feststellen, dass dies vor Wahlen wohl ein bisschen zu viel verlangt war. Einmal fand der Stadtrat, ich hätte eingreifen und ermahnen müssen und ein anderes Mal meinten Vertreter des Gemeinderates, irgendein vom Stadtrat abgegebenes Votum stehe diesem gar nicht zu. Auch die vielen politischen Vorstösse, die auf mein Pult flatterten, liessen darauf schliessen, dass Wahlen bevorstanden. Im Grunde genommen wollten wir alle das Gleiche, nämlich das Beste für Wädenswil. Aber gerade hier liegt die Schwierigkeit.

Gemeinderatspräsidentin Doris Stüdli.

Für die einen braucht es für ein attraktives Wädenswil möglichst viele Parkplätze im Zentrum und vor jedem Geschäft einige Gratisparkplätze, und die anderen würden die Autos am liebsten aus der Stadt verbannen und dafür einen Gratisbus einsetzen.

WICHTIGE ENTSCHEIDE

Trotz dieser unterschiedlichen Vorstellungen, was für Wädenswil gut ist, wurden doch einige grosse und für Wädenswil wegweisende Geschäfte durch den Gemeinderat gutgeheissen. So befürwortete er das Bauprojekt «Schwerpunktspital Zimmerberg». Nachdem auch der Souverän anfangs Dezember Ja dazu gesagt hat, steht der Zusammenlegung der Spitäler Wädenswil und Horgen nichts mehr im Weg. Obwohl es für manchen Wädenswiler und manche Wädenswilerin schmerzlich und kaum nachvollziehbar war, dass der eigene, gut erhaltene Spital geschlossen werden soll, siegte doch die Vernunft. Drei wichtige Teilrevisionen der Bau- und Zonenordnung (BZO), teilweise verbunden mit Sonderbauvorschriften, standen ebenfalls auf der Traktandenliste. So wurde durch diese Revision möglich, dass das Brauerei-Areal einer neuen Nutzung zugeführt werden kann. Mit diesem Schritt wird das Tor zu Wädenswil von Osten her wesentlich attraktiver und einladender. Die zweite BZO-Teilrevision betraf die Hintere Rüti. Mit diesem Entscheid wurden lange, emotionsgeladene Diskussionen um diverse Einkaufszentren beendigt. Diese Sonderbauvorschriften sind ein Kompromiss, aber ohne solche Kompromisse über die Parteigrenzen hinweg kann man heute meines Erachtens kaum mehr etwas bewegen. Als erstes positives Resultat der BZO-Teilrevision hat sich der sympathische «Landi» in der Hinteren Rüti angesiedelt. Die dritte Teilrevision mit Sonderbauvorschriften ermöglicht dem Asylverein, neben dem Altersheim Fuhr 20 bis 25 Alterswohnungen zu erstellen, was in Wädenswil einem grossen Bedürfnis entspricht.
 

SCHRECKENSMELDUNGEN

Mitten im September 2001 wurden wir in unserem politischen Alltag von den Meldungen über die Terroranschläge auf die Twin Towers in New York und das Pentagon in Washington aufgeschreckt. Diese schrecklichen Bilder werden noch lange in unserer Erinnerung bleiben. Man wähnte sich in einem Horrorfilm und konnte kaum glauben, dass dies Wirklichkeit war. Die USA, die zutiefst in ihrem Stolz getroffen waren, konstruierten eine Achse des Bösen und verschworen sich darauf, die Terroristen in der ganzen Welt zu jagen. Afghanistan war das erste Ziel, wo das Talibanregime zerschlagen wurde, aber der mutmassliche Drahtzieher der Terroranschläge, der Chef der Al-Qaida-Bewegung, konnte bis heute nicht gefasst werden. Mir persönlich macht es etwas Angst, dass die USA bereits für den nächsten Krieg rüsten, nämlich ein weiteres Mal gegen den Irak. Ob das die Lösung ist? Ich bezweifle es.
Kaum hatten wir uns etwas erholt von diesem Schrecken, erfolgte in Zug eine unglaubliche Bluttat. Ein Amokläufer drang in den Zuger Kantonsrat ein und erschoss 14 Menschen, Mitglieder des Kantonsrates und der Regierung. Amerika machte schon sehr betroffen, aber die Betroffenheit über die Bluttat von Zug war körperlich spürbar, denn Zug liegt uns doch sehr nahe. Innerhalb weniger Minuten hat ein Wahnsinniger den kleinen Kanton Zug in Trauer und Entsetzen versetzt und in vielen Familien und Betrieben grosse Lücken gerissen. Es ist mir unbegreiflich, dass Menschen so tief sinken können und zu solchen Taten fähig sind, gezeichnet von tiefem Hass und ohne jeglichen Respekt gegenüber den Mitmenschen.
Vor der nächsten Ratssitzung wurde darüber diskutiert, ob wir Sicherheitsvorkehren ergreifen müssten, um einen solchen Übergriff in Wädenswil zu verhindern. Wir verzichteten auf spezielle Massnahmen, da wir doch ein kleines «Landparlament» sind und ein Grundpfeiler unserer Demokratie schliesslich die grosse Freiheit ist, die jedes einzelne Mitglied der Gesellschaft geniesst. Dazu gehört auch das Offenstehen der Türen in der Verwaltung und an den Ratssitzungen. Der Herbst 2001 hatte es wahrlich in sich. Die Negativschlagzeiten liessen uns nicht zur Ruhe kommen. Es sei nur an das Swissair-Debakel, die Auszahlung von überrissenen Bonussen an sogenannte Top-Manager oder den Brand im Gotthardtunnel erinnert.

FREIHEIT

Freiheit war das Thema meiner Erst-August-Ansprache auf dem Geren. Freiheit ist für mich das zentralste Menschenrecht, das wir geniessen. Freiheit bildet die Grundlage von unserem Denken und Handeln. Freiheit ist der Traum unseres Lebens und wird heute leider oft mit Grenzenlosigkeit verwechselt. Aber der Begriff Freiheit ist unzertrennlich an Grenzen gekoppelt, so wie der Morgen nach dem Abend ruft oder Leben und Tod zusammengehören. Freiheit ist eine der kostbarsten Ressourcen, die wir haben. Und wie alle kostbaren Ressourcen ist sie auch nur beschränkt verfügbar. Die Freiheit jedes Einzelnen hört dort auf, wo die Freiheit von unseren Mitmenschen anfängt. Da wir heute anscheinend nicht mehr in der Lage sind, mit unserer Freiheit massvoll umzugehen, muss sie durch Gesetze und Verordnungen eingeschränkt werden. Toleranz und Respekt gegenüber unserem Nächsten gehören ebenfalls zur Freiheit. Unsere Freiheit bewahren als eigenständiges Land heisst für mich nicht, sich abzuschotten, sondern die Beziehungen zu unseren Nachbarstaaten aktiv mitzugestalten. Nur so können wir die grösst mögliche Freiheit für unser Land bewahren.

JUBILÄEN

Zu den schönen Pflichten einer Gemeinderatspräsidentin gehört es, den verschiedenen Einladungen an Jubiläen, Einweihungen oder dergleichen Folge zu leisten. Der eindrücklichste Anlass war bestimmt die regierungsrätliche Einladung an die Feier «650 Jahre Kanton Zürich in der Eidgenossenschaft». Der Festakt in der riesigen Bahnhofhalle, die Eröffnung des Züri-Fäschtes am Limmatquai und die anschliessende Schifffahrt mit Gala-Diner waren überwältigend. Einmal im meinem Leben bewegte ich mich mitten unter den grossen Politikern unseres Landes! Aber auch die kleineren Anlässe hier in Wädenswil, seien es die Sportlerehrung, die Dressurprüfungen im Mosli oder das 100-Jahr-Jubiläum des Schützenvereins, um nur einige zu nennen, habe ich genossen und einiges gesehen und gehört, das mir ohne spezielle Einladung verschlossen geblieben wäre.
 

AUSBLICK

In Wädenswil stehen einige grössere Bauprojekte an wie die Mehrfachturnhalle, der Annex-Bau für das Stadthaus, ein neues Feuerwehrgebäude und vieles mehr. Wir werden darüber diskutieren müssen, wie viel wir uns leisten wollen und was für Auswirkungen dies auf den Steuerfuss hat. Wädenswil musste immer mit knappen finanziellen Mitteln auskommen. Eine Steuerkraft von rund einem Viertel unter dem kantonalen Mittel, verbunden mit einem Steuerfuss im Bereich des kantonalen Mittels, zeigen, dass bei uns immer mit wenig viel erreicht werden musste. Zur Standortattraktivität einer Stadt gehört aber nicht nur der Steuerfuss, sondern auch eine gute Infrastruktur. Und hier besteht ein gewisses Nachholbedürfnis.
Ferner hoffe ich, dass es immer wieder Leute gibt, die bereit sind, einen Beitrag an das Gemeinwohl zu leisten und sich für ein politisches Amt oder eine Behördentätigkeit zur Verfügung stellen und damit auch auf einen Teil ihrer Freizeit verzichten. Auch wenn ein solches Amt nicht immer dankbar ist und man sich oft der Kritik aussetzt, bin ich überzeugt davon, dass sich der Einsatz für unsere schöne Stadt Wädenswil auf jeden Fall lohnt.
 



Doris Stüdli,
Gemeinderatspräsidentin 2001/2002