Historische Gesellschaft Wädenswil

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 2018 von Mariska Beirne

Im Oktober 2017 beteiligte sich die Historische Gesellschaft Wädenswil (HGW) erstmals an der Museumsnacht im Bezirk Horgen: «11 Museen – 1 Nacht». In der Kulturgarage flimmerten an sechs Wänden gleichzeitig historische Filme über die Leinwände – ohne Ton natürlich. Zu sehen waren ein Radsportfest, der Abbruch des Bahnhofquartiers oder der Alltag in der Kinderkrippe – und das alles in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Ein Gratis-Shuttlebus transportierte die Nachtschwärmer von Ort zu Ort. Mit durchschnittlich über 100 Gästen waren die Ortsmuseen sehr gut besucht. Die Historische Gesellschaft verzeichnete mit 145 Besucherinnen und Besuchern den zweithöchsten Wert der teilnehmenden Museen.
Zum ersten Mal beteiligte sich die Historische Gesellschaft an der Museumsnacht im Bezirk Horgen.
 

Ausstellung 2018: «Töfflibuebe + Störefriede»

Der Vorstand der HGW hatte sich für die Ausstellung 2018 mit «Töfflibuebe + Störefriede» ein bisher wenig beachtetes Thema vorgenommen: Die Jugend und ihr Kampf für Freiräume. Das Töffli war das ideale Verkehrsmittel, um die Welt fern vom Elternhaus zu entdecken und Unabhängigkeiten zu erlangen. Oft frisiert, war das laute Gefährt zugleich aber auch ein Statussymbol, das die Zugehörigkeit zu einer Gruppe festlegte. Während die einen hauptsächlich der Frage nachgingen, mit welchen technischen Feinheiten die Anzeige auf dem Töffli-Tacho ans Limit gebracht werden konnte, liessen sich andere von den Achtziger-Unruhen in Zürich bewegen, die auch in der «Provinz» Wädenswil bemerkenswerte Spuren hinterliess.
Leute aus der Bewegung wohnten hier in mehreren Wohngemeinschaften. Eine davon, die WG Schönegg, gehörte gar zu den ersten Kommunen der Schweiz, gegründet von 68ern.
Die aufmüpfige Jugend sorgte jedoch nicht nur für Stirnrunzeln, sie schuf auch bleibende Institutionen: eine Skateanlage, das Theater Ticino und ein Jugendhaus. Zugleich bot sie den Nährboden für manch grosse DJ-Karriere.
 

Gespräche mit über vierzig Zeitzeugen

Das Kuratorenteam, bestehend aus Mariska Beirne und Christian Winkler, recherchierte hauptsächlich mit der historischen Methode «Oral History». Dazu wurden im Sommer und Herbst 2017 zahlreiche Gespräche mit über vierzig Akteuren geführt, die neben ihren Erinnerungen auch Fotos und Objekte zur Ausstellung beisteuerten. Insgesamt 62 Leihgaben waren in der Ausstellung schliesslich zu sehen, Fotografien nicht mitgezählt. Zu den einzigartigen Objekten zählten unter anderem:
– eine Rolle zur Töffli-Geschwindigkeitsmessung der Stadtpolizei Wädenswil
– ein Filmprojektor, der einst im Autonomen Jugendzentrum in Zürich gestanden hatte, später Filme im Wädenswiler «Klup am Central» projizierte und heute im Besitz des Theaters Ticino ist
– eine Sendestation von Radiopiraten
– das goldene Kostüm eines Mitglieds der «Golden Breakdancers»
Die gut besuchte Vernissage am 20. Januar 2018 verlief ungewöhnlich lebhaft. Es zeigte sich bereits an diesem ersten Abend, was sich die folgenden drei Monate immer wieder bestätigen sollte: Das Thema begeisterte in Bezug auf Interessen und Alter ein sehr heterogenes Publikum, das die Ausstellung aktiv besuchte. Vor den einzelnen Exponaten, Texten und Bildern entstanden rege Diskussionen – über Töffli-Frisiertechniken, gemeinsame Bekannte und unglaubliche Heldentaten.
 

Das Central und Köbi im Mittelpunkt

Den Mittelpunkt der Ausstellung bildete das Restaurant Central. Dieses Lokal, so war aus den Interviews hervorgegangen, bildete in den 1980er-Jahren eine Art Schmelztiegel für Junge und Ältere jeglicher Couleur. Töfflibuebe wie Hausbesetzer, die sonst wenig Berührungspunkte kannten, erzählten mit ähnlicher Ehrfurcht von Wirt Köbi Elsener, der integrierend wirkte: ein gutmütiger Bär, der allerdings auch kräftig zupacken konnte, wenn es denn nötig war, und dessen Präsenz in der Regel genügte, um Hitzköpfe abzukühlen, so der Tenor.
Zwei Originaltische aus dem Central, bedruckt mit Zitaten über den legendären Wirt, und «Schwartenwände» mit Fotos aus dem Lokal spannten den szenografischen Bogen. Für deren grafische Umsetzung zeichnete Ueli Schuwey verantwortlich und für die Technik war Rolf Munz zuständig.
Das nachgebaute Restaurant Central als Mittel- und Ausgangspunkt der Ausstellung.

Um das Restaurant Central gruppierten sich die weiteren thematischen Schwerpunkte: Töfflibuebe, das Jugi und damit verbunden Breakdance und DJs, Skater, Sprayer, der Filmclub «Klup am Central», das Theater Ticino, die Wohngemeinschaften und die Schönegg, die Besetzung der Neudorfstrasse und des Seegüetli, Musikbands und Radiopiraten.
Im von Bea Strickler geführten Museums-Bistro lud eine anfangs weisse Wand die Besucher dazu ein, die Ausstellung mit eigenen Erinnerungen zu ergänzen. Vor allem ehemalige Töfflibuebe nutzten diese Gelegenheit und steuerten Bildmaterial, eine polizeiliche Mängelliste der in der Ausstellung dokumentierten Töffli-Grosskontrolle und weitere Andenken bei. Aus den Gesprächen mit den Akteuren aus fünfzig Jahren Jugend von Wädenswil entstand eine Begleitbroschüre, die im März erschien. Sie enthält Interviews und zahlreiche Bilder, die in der Ausstellung thematisiert und gezeigt wurden.

Erfreuliche Besucherzahlen

1597 Personen besuchten während der drei Monate die Ausstellung, davon 161 Jugendliche und Kinder, von denen die meisten zu den 7 Schulklassen gehörten, welche an einem Workshop in der Ausstellung teilnahmen. Von den 1436 erwachsenen Besucherinnen und Besuchern bezahlten 1049 den Eintritt von 8 Franken, für Kinder bis 12 Jahre war der Eintritt frei. 85 Personen besuchten die Ausstellung mit einem Gratis-Eintritt, den sie beispielsweise als Sponsor oder Interviewpartner oder -partnerin erhalten hatten.
Fast 1600 Personen besuchten die Ausstellung «Töfflibuebe + Störefriede».

Die Ausstellung öffnete jeweils am Mittwoch, Samstag und Sonntag ihre Pforten. Am beliebtesten war der Sonntag – sicherlich auch, weil dann jeweils die öffentlichen Führungen stattfanden. Einen Besucherrekord verzeichnete die Ausstellung am ersten Ausstellungstag nach der Vernissage am 21. Januar mit 78 Eintritten. Wie erwartet waren die Spezialanlässe wie die Vernissage, das Podiumsgespräch und das Erzählcafé am besten besucht.

Ein Stadtpolizist, Hausbesetzer und Skater auf der Bühne

Insgesamt fanden sieben Führungen für Privatgruppen sowie sechs öffentliche Führungen durch die Ausstellung statt. Daneben wurden drei geführte Spaziergänge «Raum für die Jugend: den Störefrieden auf der Spur» durchgeführt, bei denen das Publikum auch die Skatehalle und das Jugendhaus Sust besichtigen konnte.
Im Februar fand das Podiumsgespräch «Töfflibuebe + Störefriede – damals und heute» statt. Moderator Hannes Hug führte in drei Gesprächsrunden mit unterschiedlichen Gästen – die bewegten WGBewohner/innen, die Töfflibuebe samt Stadtpolizist und die «heutige Jugend» – durch den lebendigen Abend. Im März brachte das Erzählcafé «50 Jahre 1968» als Kooperation mit der Lesegesellschaft mit Elisabeth Joris, Jo Lang, Helene Pinkus-Rymann und Benedikt Weibel spannende Vertreter von 1968 auf die Bühne. Als letzte Aktion im Rahmenprogramm tuckerte im April eine kleine Gruppe Töffli-Nostalgiker auf einer Töfflitour durch das Zugerland.
Am 22. April war die Ausstellung zum letzten Mal geöffnet, anschliessend wurde mit vielen Freiwilligen abgebaut – auch diese Ausstellung war nur dank der fleissigen Unterstützung von rund 40 Helferinnen und Helfern sowie der finanziellen Unterstützung privater Geldgeber, einiger Stiftungen und des lokalen Gewerbes möglich.
Skater, Sprayer, DJs: Die Jugendkultur sucht sich immer wieder neue Freiräume.
 

Vorbereitungen für 2019: Wädenswil, Schönenberg, Hütten

Zeitgleich mit der Eröffnung der Ausstellung 2018 begannen schon die Vorbereitungen für die Ausstellung 2019. Aus Anlass des Gemeindezusammenschlusses von Wädenswil, Schönenberg und Hütten zum 1. Januar 2019 wird sich die HGW in einem historischen Porträt diesen drei Orten widmen, die gemeinsam einst einen grossen Teil der Herrschaft Wädenswil bildeten mit Sitz der Freiherren von Wädenswil in der heutigen Burgruine. Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts lösten sich Hütten und Schönenberg von Wädenswil ab und wurden unabhängige politische Gemeinden. Nach dem Zusammenschluss wird Wädenswil neu an die Kantone Schwyz und Zug grenzen. Nicht immer handelte es sich um eine unsichtbare Grenze, die sich heute hauptsächlich in unterschiedlichen Steuersätzen manifestiert: In früheren Zeiten lag hier eine harte Trennlinie zwischen den Konfessionen, die sich sogar in Kriegen entlud. Hütten war Schauplatz von Schlachten zwischen Reformierten und Katholiken.
Kurator der kommenden Ausstellung ist Christian Winkler. Er wird neben den Ereignissen, die in die Geschichtsbücher eingingen, auch die Eigenheiten der Dörfer porträtieren, ihre Unterschiede und Gemeinsamkeiten sichtbar machen. Zu besuchen ist die Ausstellung von Januar bis April in der Kulturgarage.

Ferienpass: «Waschen wie früher»

Die neuen Ausstellungen entstehen jeweils in den Sommer- und Herbstmonaten im stillen Kämmerlein. Von der HGW ist in dieser Zeit in der Öffentlichkeit wenig zu sehen – bis auf eine Ausnahme: Wer sich an einem Montagnachmittag Mitte Juli die Schönenbergstrasse hinauf bewegte, entdeckte am Sonnenbrunnen eine Kinderschar, die auf Waschbrettern begeistert schmutzige Wäsche schrubbte, um sie anschliessend in den Gelten mit Stampfern zu bearbeiten und zu spülen. Bereits zum zweiten Mal bot die HGW das Ferienpass-Angebot «Waschen wie früher mit Waschbrett und Gelte» an. Während ein Teil der Kinder mit Waschen beschäftigt war, machten sich die anderen währenddessen im Gartencafé Giardino an die Herstellung farbiger Seifenkugeln. Passanten blieben stehen und liessen das Bild der eifrigen Kinder am Brunnen auf sich wirken, die mit einer grossen Selbstverständlichkeit mit dem alten Gerät hantierten, eingerahmt von den aufgespannten Wäscheseilen, an denen die Wäschestücke in der warmen Sommersonne trockneten.



Mariska Beirne