Ursula Hauser - 50 Jahre Organistin

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 2006 von Peter Weiss
 
«Ursle, vom nächschte Sunntig aa spilsch du i der Chile!» Mit diesen Worten engagierte Pfarrer Hans ten Doornkaat seine ehemalige Konfirmandin als Organistin der Kirchgemeinde Hütten mit einem Jahresgehalt für sämtliche Dienste von 1000 Franken. Am 26. Februar 1956 bestritt sie ihren ersten Gottesdienst. Pfarrer ten Doornkaat gab ihr ein Heft, in welches sie fortan jeden Gottesdienst mit Predigttext, Liedern und den von ihr gespielten Werken eintrug.
 

MUSIKALISCHE ANFÄNGE

Der Musik zugetan waren schon Ursulas Eltern und Grosseltern. Die Grossmutter mütterlicherseits gründete einen Kirchenchor, die Mutter des Vaters einen Töchterchor. Der Vater, von Beruf Spengler und Installateur, war ein leidenschaftlicher Schwyzerörgeli-, Klarinetten- und Saxophonspieler. Musik, vor allem Ländler- und Unterhaltungsmusik, war im Gasthof «Kreuz», den die Mutter als hervorragende Köchin und Wirtin führte, allgegenwärtig. «Ich wollte unbedingt Klavier spielen lernen, ich war begeistert von diesem Instrument.» Von der vierten bis sechsten Klasse erhielt Ursula Hauser bei Frau Maag in Hütten, während der Sekundarschulzeit in Richterswil bei Tildy Lüthi Klavierunterricht. Als sie 10-jährig war, schickte sie ihr Vater zum bekannten Ländlermusikanten Martin Seeler nach Einsiedeln, der sie die Klavierbegleitung der Volksmusik lehrte.
Hauskapelle Pfister im Gasthaus «Kreuz» in Hütten. Von links: Ursle, Hansueli, Vater Robert, Röbi.
 
Nach zwei Monaten Unterricht begann sie in der familieneigenen Hauskapelle mit Vater und ihren zwei Brüdern mitzuspielen. Der grössere Bruder Hansueli spielte Handorgel, der kleinere, Röbi, Bassgeige. So sehr die zahlreich herbeiströmenden Gäste die regelmässigen Tanzveranstaltungen im «Kreuz» schätzten, so anstrengend und ermüdend war das stundenlange Spielen – meist auswendig und ohne Noten – oft für die jungen Musikanten. Auch an Hochzeiten, Familienfesten und an der Chilbi wurde aufgespielt, und in den Freinächten kam man nicht vor morgens 3 Uhr ins Bett.
Wen wunderts, dass Ursula tags darauf in der Schule hie und da einschlief und ihr Sekundarlehrer diesbezüglich bei ihren Eltern vorstellig wurde.
Doch die Kinder wurden für ihren Einsatz auch belohnt. Der Vater zahlte für jeden Auftritt eine kleine Summe in eine Reisekasse. «Einmal fuhren mein Vater, Hansueli und ich mit dem Motorrad Marke BMW mit Seitenwagen nach Rom und Neapel. Abends dort angekommen, sagte der Vater: «Jetzt gömer na schnäll uf de Vesuv.» Zweimal ging die Reise auch nach Paris.
Sonntag, 29. Juli 1951: 1.-August-Feier in der Schweizer-Kolonie in Paris «avec le concours de la Kinder Kapelle Pfister de Hütten». Da kein Klavier vorhanden war, musste Ursle ihren Part auf einer Handorgel mit Klaviatur spielen.
 

AUSBILDUNG ZUR MUSIKERIN

Als es um die Berufswahl ging, entspann sich ein harter Kampf. Die gezwungenermassen aufgesuchte Berufsberaterin empfahl Ursula, Hausbeamtin oder Gärtnerin zu werden, ihre Eltern wünschten eher eine Ausbildung im Hotelfach, sie selber aber bestand hartnäckig darauf, entweder eine Mittelschule oder das Konservatorium besuchen zu können. «So han ich's duregstieret, das si mich für zwee, drei Mönet as Konsi glaa händ.» Mit ihrem Klavierspiel bestand sie die Aufnahmeprüfung. Direktor Wittelsbach zu ihrer Mutter: «Das Chind hed Landnerve, und das isch guet für de Musikerpruef.»
Nach einem halben Jahr Klavierunterricht begann sie gleichzeitig mit dem Studium des Orgelspiels bei Heinrich Funk, Organist am Fraumünster in Zürich, vormals in Wädenswil. Bei ihm lernte sie genaues, werkgetreues und sauberes Arbeiten an der Orgel. Nach einem weiteren halben Jahr wurde sie als Organistin der Kirchgemeinde Hütten angestellt, spielte aber weiterhin regelmässig in der väterlichen Ländlerkapelle.
So kam es oft vor, dass sie bis tief in die Nacht zum Tanz aufspielte und am nächsten Morgen an der Orgel in der Kirche wirkte.
19-jährig verliess Ursula Hauser ihr Elternhaus und bezog ein kleines Zimmer in Zürich. Die Eltern kauften ihr ein Bett und einen Kasten, das Klavier wurde gezügelt, und die Mutter schickte ihr ab und zu ein «Fresspaket». Mit 12 Klavierschülern, einem Stipendium und mit der Organistenstelle in Urdorf, die sie ab Mai 1959 versah, bestritt sie ihren Lebensunterhalt.
Dank ihrer musikalischen Begabung, einem starken Willen und dem ihr eigenen Leistungsvermögen bestand sie im Juli 1960 die Diplomprüfung als Organistin und Lehrerin des Orgelspiels bei Heinrich Funk, erwarb im November 1961 das Diplom als Lehrerin des Schulgesangs bei Willi Gohl und einen Monat später noch das Diplom als Klavierlehrerin bei Alfred Baum.
Von 1963 an wirkte Ursula Hauser während 16 Jahren als Organistin an der Bullingerkirche in Zürich-Hard. Um die Musik den Leuten näher zu bringen, organisierte sie jährlich Konzertreihen unter dem Titel «Musik in der Bullingerkirche» und gab zusammen mit anderen Solisten Orgel- und Kammermusikkonzerte, die zwar viel Anklang fanden und das Quartierleben bereicherten, deren Defizite sie aber selber zu tragen hatte. Die Zusammenarbeit mit den Pfarrern war anregend und erfreulich.
Pfarrer Ernst Hänzi: «Ich habe mir immer eine Organistin wie Frau Hauser gewünscht. Sie zeichnet sich aus durch grosse Musikalität, Ideenreichtum, Kooperationsfähigkeit, Einfühlungsvermögen und VitaIität.»
 

KONZERTDIPLOM BEI HANS VOLLENWEIDER

Nach ihrer Heirat und der Geburt der beiden Kinder Regula und Christian bereitete sich Ursula Hauser zielstrebig auf das Konzertdiplom vor. Im Grossmünster-Organisten Hans Vollenweider fand sie einen Lehrer und Förderer, der ihre solide Ausbildung bei Heinrich Funk durch künstlerisch freieres Gestalten, durch seine kreative Art mit den Klangfarben der Orgel umzugehen und durch sein urmusikantisches Wesen ideal ergänzte. «Die Orgel wurde zu einem bedeutenden Schwerpunkt meines Lebens. Ich arbeitete wie verrückt. Für meinen Mann war das sicher eine sehr schwierige Zeit.»

Am 27. Februar 1975 erspielte sich Ursula Hauser im Grossmünster ihr Konzertdiplom «mit Auszeichnung». Lisbet Thew, die Gattin des bekannten Pianisten Warren Thew, setzte über diesen Orgelabend spontan einen Bericht in die Lokalzeitung: «... Damit bot sie weit mehr als die Erfüllung eines Obligatoriums. Mit den ersten Takten ihres Spiels schon hatte sie ihr Publikum zu zuhörender Konzentration, im Verlauf des Abends zu heller Begeisterung gebracht ... Ein wahrhaft beglückender Abend durch eine grossartige Leistung!»
Es folgten Meisterkurse bei Jiri Reinberger in Prag, Jean Guillou in Paris sowie bei Lionel Rogg und Guy Bovet in Romainmôtier.
So viel Freude Ursula Hauser mit ihrem Orgelspiel andern bereitete, privat brachte es ihr nicht nur Glück: Die Ehepartner gingen später getrennte Wege.
 
Notenstudium anlässlich einer Radio-Aufnahme in Villmergen AG, 1970er-Jahre.
 

ORGANISTIN IN WÄDENSWIL

Aufgrund eines überzeugend vorgetragenen Probespiels und der einstimmigen Empfehlung der beiden namhaften Experten wurde Ursula Hauser von der Kirchenpflege auf den 1. Juli 1979 als Organistin der Kirchgemeinde Wädenswil gewählt.
Die Gemeindeglieder schätzten ihr abwechslungsreiches, lebendiges und erfrischendes Orgelspiel mit Werken aus verschiedenen Zeit- und Stilepochen. In den sonntäglichen Gottesdiensten verstand sie es, theologische Aussagen musikalisch aufzunehmen und zu vertiefen. Dank ihrem reichen Repertoire und ihrer gestalterischen Kraft gelang es ihr immer wieder, die Gottesdienste zu einer lebendigen Einheit zu fügen. Oft blieben die Frauen und Männer sitzen, um auch ihr Ausgangsspiel mit anzuhören.
Besonders einfühlsam gestaltete sie die Trauergottesdienste, ging auf Wünsche der Angehörigen ein, gab ihnen mit der Musik Raum für ihre Gefühle und schenkte ihnen Trost und Geborgenheit. Zitate aus Dankesbriefen: «Die Abdankung meiner lieben verstorbenen Mutter wurde dank Ihrem grossen musikalischen Können und Einfühlungsvermögen für alle zu einem unvergesslichen Erlebnis.» «Ihr wunderschönes Orgelspiel beim Trauergottesdienst hat uns alle ganz tief berührt.»
 
«Als das Zwischenspiel ertönte, flossen die Tränen in Strömen: Tränen der Trauer, Tränen über den Verlust, aber auch Tränen des Trostes und der Zuversicht.» «Das Ausgangsspiel bedeutete für mich echten Trost und gab mir Mut, das Leben wieder zu bejahen.»
Auch erinnert sich manches Brautpaar, wie es von Ursula Hauser auf der Orgelempore verschiedene Musikstücke vorgespielt bekam und die für die Hochzeitsfeier geeignetsten auswählen konnte. «Nochmals vielen herzlichen Dank für das tolle Orgelspiel an unserer Trauung. Du hast zu einem guten Stück zu einem unvergesslichen Festtag beigetragen.» «Phantastisch, herrlich, wunderbar! Wir beide waren ab und zu zu Tränen gerührt ob Deinem feinfühligen Spiel.» «Die Musik in der Kapelle war mit Abstand das Beeindruckendste der Zeremonie.»
Unzählig sind die Solistinnen und Solisten, deren Stimmen oder Instrumente sie in den verschiedensten Gottesdiensten und Konzerten begleitet hat. Auch das Zusammenwirken mit dem Kirchen- und Oratorienchor und dem Kammerorchester Wädenswil unter der Leitung von Felix Schudel trug reiche Früchte. Vertraut mit den verschiedensten Klangfarben und Ausdrucksmöglichkeiten der Orgel gelang es Ursula Hauser immer wieder, die Zuhörerinnen und Zuhörer zu begeistern und in ihren Herzen zu bewegen.

An der alten Wädenswiler Orgel, September 1991.

Während dreier Jahre leitete sie einen Jugendchor mit etwa zwanzig jungen Sängerinnen und Sängern und bereicherte mit den frisch vorgetragenen Liedern manchen Gottesdienst. Der plötzliche Unfalltod ihres Sohnes Christian und die damit verbundene Kräfte verzehrende Trauer zwang sie 1990, diese sinnvolle Tätigkeit aufzugeben.
Um das Liedgut des im Jahre 1998 erschienenen neuen Kirchengesangbuchs bekannt zu machen, rief Ursula Hauser Sängerinnen und Sänger zu einem «Adhoc-Chor» zusammen, der während fünf Jahren unbekannte Lieder einübte und sie der Gemeinde näher brachte sowie mehrmals mit einfachen Chorsätzen die Gottesdienstbesucherinnen und -besucher in Wädenswil und in der Au erfreute.
Erwähnenswert sind auch die von ihr musikalisch gestalteten Gottesdienste in den Alterssiedlungen, die Orgelvorführungen für Schul- und Konfirmandenklassen, die Weihnachtssingen aller Schülerinnen und Schüler der Schulhäuser Eidmatt und Gerberacher sowie ihr Engagement für die Reihe «Wort und Musik».

Anlässlich einer Orgelvorführung erklärt Ursula Hauser die Funktionsweise einer Pfeife aus dem Trompetenregister (1998).

FYRAABIG-MUSIG

Ebenso war es ihr ein Anliegen, die Wädenswiler Konzerttradition weiterzuführen. Angesichts der schon zu jenem Zeitpunkt zutage tretenden Schwächen der damaligen Orgel war es ausgeschlossen, «nur» Orgelkonzerte zu veranstalten. Fantasie, innovatives Handeln und erstklassige künstlerische Kontakte waren gefragt, um trotz der schwierigen Situation ein Erfolg versprechendes Programm zusammenzustellen. Ursula Hauser ist dies dank ihrem unermüdlichen Einsatz und ihrer steten Offenheit für Neues auf einzigartige Weise gelungen. In eigener künstlerischer Verantwortung bereitete sie während 26 Jahren jeweils eine Reihe von acht bis neun originellen und abwechslungsreichen Konzerten vor, teils mit einheimischen Künstlern und Formationen, teils mit auswärtigen Musikern, Chören und Orchestern.
Die Fyraabig-Musig-Konzerte, die in der Regel etwa eine halbe Stunde dauerten, gewährten eine erholsame Atempause zum Wochenausklang und vermittelten gleichzeitig neue und ungewohnte Hörerlebnisse. Erinnert sei etwa an den weltberühmten Schlagzeuger Pierre Favre, den Jazzer Bruno Spoerri, der die Kirche mit Synthesizerklängen erfüllte, die Unterhaltungsmusiker Pepe Lienhard, Carlo Brunner und Willi Valotti im Zusammenspiel mit der Orgel. Mit Gretchen Newburger wagte Ursula Hauser die Verbindung von Orgelmusik und zeitgenössischem Tanz, und 2001 führten Blockflötist Conrad Steinmann und der Schriftsteller Peter Bichsel eine Sonate für menschliche Stimme und Blockflöten auf. «Ich will die Leute neugierig machen und freue mich, wenn sie nach einem Konzert heiter aus der Kirche gehen.» Mit der «Fyraabig-Musig-Reihe» hat Ursula Hauser Unzähligen weit über die Grenzen Wädenswils hinaus nachhaltige musikalische Erlebnisse geschenkt und damit das Musik- und Kulturleben unserer Stadt wesentlich mitgeprägt und bereichert.
Ursula Hauser und Pepe Lienhard.

Fyraabig-Musig zur Wättischwiler Chilbi 2006: v.l.: Robert Pfister, Kontrabass; Ursula Hauser, Orgel; Carlo Brunner, Klarinette; Martin Nauer, Akkordeon.

VEREIN ORGELFREUNDE WÄDENSWIL UND NEUE ORGELN

Nachdem Ursula Hauser 1987 als Expertin für eine neue Orgel in der Abdankungshalle Wädenswil verpflichtet wurde, deren Disposition erstellte und den Bau fachkundig begleitete, ging es in den folgenden Jahren darum, für die störungsanfällige und reparaturbedürftige Orgel in der Kirche eine Lösung zu finden. Da die Fachleute einhellig zu einem Neubau rieten, ergriff Ursula Hauser im Winter 1991 die Initiative zur Gründung des «Vereins Orgelfreunde Wädenswil», dessen Zweck es war, sich für ein dem prachtvollen Raum der Grubenmann-Kirche entsprechendes Instrument einzusetzen und einen Orgelfonds zu äufnen.
 
Ursula Hauser organisierte alljährlich spannende Exkursionen und veranstaltete Benefizkonzerte mit verschiedenen Künstlern und Künstlerinnen. Unvergessen bleibt das Matinee-Konzert, in dem sie zusammen mit Pepe Lienhard Jazz, Klassik und Evergreens spielte und das für den Orgelfonds über 10 000 Franken ergab.
Pepe zu Ursula: «Du bisch glaub nüd so fromm, aber du machsch wundervoll Musig.» In eindrücklicher Erinnerung bleibt auch das Kirchen- und Orgelfest Ende Juni 1997 mit diversen Konzerten, Festwirtschaft, Orgelspaziergang, Kinderprogramm und Familiengottesdienst sowie die originelle Orgelnacht voll Musik und bewegender Stimmung bis in die frühen Morgenstunden und der Orgelpfeifenverkauf im grossen Saal des Kirchgemeindehauses.
 
Orgelnacht vom Juli 1998. Duett nach Noten: Ursula Hauser mit Rainer Strambach aus Linz.

Abgesehen von den unzähligen ehrenamtlich geleisteten Arbeitsstunden für die Ausarbeitung des Orgelprojekts und die Organisation und Durchführung verschiedenster Benefizveranstaltungen zusammen mit den Orgelfreunden hat Ursula Hauser durch ihren Verzicht auf Honorare bei Privat- und anderen Konzerten dem Fonds über 40 000 Franken zukommen lassen. Am Schluss konnte der Verein der Kirchgemeinde den stolzen Betrag von 253 000 Franken übergeben. Wie gross war die Freude, als am Palmsonntag 2001 das allseits gelungene Werk festlich eingeweiht werden konnte!
Dass heute sowohl in der Friedhofkapelle wie in der festlichheiteren Grubenmannkirche je ein erstklassiges, kunst- und klangvolles Instrument steht, ist zu einem wesentlichen Teil dem überdurchschnittlichen Engagement von Ursula Hauser zu verdanken.
 


Die neue Wädenswiler Orgel von 2002. Plakette an der Innenseite der linken Orgeltüre, gestiftet von den Orgelfreunden.

AUSGEDEHNTE KONZERTTÄTIGKEIT

Ursula Hauser unternahm immer wieder Konzertreisen, die sie in zahlreiche Gegenden der Schweiz und in beinahe alle Länder Europas führten. Sie organisierte und leitete für den Schweizerischen Lehrerverein Orgel-Studienreisen nach Südwestfrankreich und zu den Silbermann-Orgeln in Sachsen. «Reisen hat für mich wie die Musik viel mit Kommunikation zu tun.» Schon zu Zeiten des eisernen Vorhangs unternahm sie in ihrem grünen Deux-Chevaux Konzerttourneen in die damalige DDR und nach Polen. In Krakau wurde ihr Wagen einst komplett ausgeraubt, nur der Koffer mit den Noten und die Orgelschuhe blieben zurück. «Gott sei Dank», rief Ursula Hauser, «die Diebe haben immerhin Kultur!» Bei ihrer Rückkehr wurde ihr an der Schweizergrenze der Pass abgenommen, vierzehn Tage später folgte ein eingehendes Verhör durch einen Beamten der Bundespolizei, und in Bern gab es über sie eine Fiche.
Erfreulicher verliefen die Konzertreisen durch die westeuropäischen Länder, wie Spanien, Italien, Frankreich und Deutschland, wobei das Guilmant-Konzert in der Kathedrale «Notre Dame» in Paris und die Konzerte im Berliner Dom eigentliche Höhepunkte bildeten. Zu erwähnen ist auch ihr Studienaufenthalt von Januar bis Juli 1996 an der Hohenzollernkirche in Berlin-Wilmersdorf, wo sie für 590 D-Mark pro Monat eine A-Musikerstelle als Organistin und Chorleiterin versah und mit grossem Erfolg eine Konzertreihe «Musik zum Feierabend» ins Leben rief.
Wohin immer sie für ein Konzert eingeladen wird, sie reist ein paar Tage früher an, um «mit der Orgel zu verhandeln», denn «jede Orgel ist eine Persönlichkeit. Wie mit einem Menschen muss ich mit ihr zuerst den Dialog suchen, mit ihr sprechen, streiten, kämpfen, um herauszufinden, welche Musik zu ihr passt, muss alle Register ziehen, um ihre Klangfarben und ihren Charakter kennen zu lernen.»
Ihre eigenen klassischen Orgelkonzerte auf hohem Niveau wie auch die Konzerte zusammen mit Solisten etwa im Rahmen der Fyraabig-Musig oder wie das Weihnachtskonzert 2005 mit dem Symphonischen Orchester Zürich im grossen Tonhallesaal fanden regen Anklang und lobende Anerkennung. «Du hast wunderbar artikuliert, die kleinen Einheiten klar herausgearbeitet und zu grossen Bögen zusammengefügt, abwechslungsreich und immer angemessen registriert, nie langweilig, durch und durch spannungsreich und voller innerer Dynamik – ein grosses Fest!» (Hans-Jürg Stefan, Leiter des Kirchenmusikinstituts Zürich). Und Bruno Eberhard, erster Organist an der St.-Ursen-Kathedrale in Solothurn: «Das durchdachte Programm, Deine klaren Registrierungen und Dein musikantisches, virtuoses Spiel haben mich begeistert; nochmals höchste Anerkennung und Gratulation!»
 

INTERNATIONAL ANERKANNTE EINSPIELUNGEN

Schon in den 1970er-Jahren spielte sie verschiedene Werke für das Radio ein, wobei der Aufnahmeleiter den Ausdruck «der typische Hausersche Schwung» prägte. 1978 folgte eine Schallplattenaufnahme im Grossmünster Zürich mit Chorälen und Choralvorspielen aus dem Orgelbüchlein von Johann Sebastian Bach, zusammen mit dem Singkreis der Engadiner Kantorei unter der Leitung von Karl Scheuber.
In ihrem reichen Repertoire bildet die romantische Musik des 19. Jahrhunderts einen besonderen Schwerpunkt. Als erste Organistin der Schweiz spielte sie Werke von Alexandre Guilmant ein. Eine Aufnahme im Grossmünster wurde von ihr abgebrochen, weil der Klangcharakter dieser Orgel nicht ihren Vorstellungen von französischer Romantik entsprach.
Wie ein Bildhauer, der für ein bestimmtes Werk in ganz verschiedenen Steinbrüchen nach dem passenden Stein sucht, machte sich Ursula Hauser auf, die geeignete Orgel zu finden. An der romantischen Orgel der Kirche St. Johann in Schaffhausen, die durch einen Volksentscheid bereits dem Untergang geweiht war, erfolgte eine erste Einspielung, gleichzeitig ein hartnäckig geführter und schliesslich gewonnener Kampf für die Erhaltung des wertvollen Instrumentes und eine zweite Aufnahme auf der restaurierten Orgel. Die NZZ schreibt über diese CD:
«Musik und Instrument entsprechen sich in vollkommener Weise. Und die Organistin dokumentiert auf fesselnde Art jene Mischung aus Strenge und improvisatorischer Auflockerung, die Guilmants Musik angemessen ist. Sie trifft genau deren Gefühlsgehalte, vermag aber auch ihren konzertant-virtuosen Ansprüchen zu genügen.» Und in der Fachzeitschrift «Ars organi» lesen wir: «Hausers Interpretation ist musikalisch erstklassig, ihre Farbwahl von grossem Gespür für das melodisch und harmonisch Reizende in Guilmants Musik.»
Ebenso wohlwollend wurde ihre Gesamteinspielung der sechs Orgelsonaten von Felix Mendelssohn an der Ladegastorgel im Dom zu Schwerin aufgenommen:
Mit Domorganist Jan Ernst an der Ladegast-Orgel im Dom zu Schwerin, 1992.

«Ursula Hauser hat sich dieser Herausforderung mit adäquaten, in den langsamen Sätzen eher zügigen Tempi und deutlicher Artikulation gestellt, sodass der Raum als wichtiges Element in die Gestaltung einbezogen wird, was insbesondere in den verhaltenen Sätzen mit solistischen Registrierungen zu bezaubernden Klangerlebnissen führt. Herausgekommen sind überzeugende Interpretationen .... » (NZZ).
Zu erwähnen sind auch die beiden gelungenen Aufnahmen mit der Flötistin Ursula Bosshardt in der Stadtkirche Olten und im Berliner Dom und das Klangporträt der neuen Wädenswiler Orgel.

WIEDERERWACHEN DER VOLKS- UND SALONMUSIK

Anlass dazu war der traditionelle Familiengottesdienst zur Wädenswiler Chilbi. «Ich chönnti doch für d Chind e paar Riitschuelstückli spile.» Gesagt, getan. Nicht nur trat ein Kind spontan aus der Bankreihe und begann zu tanzen, auch die Erwachsenen waren hell begeistert, und eine fröhliche und gelöste Stimmung erfüllte die Kirche.
Ursula Hauser begann weitere Walzer, Polkas, Märsche und Ohrwürmer vergangener Zeiten für die Orgel zu arrangieren, veranstaltete am Vorabend der Chilbi jeweils eine Extra-Fyraabig-Musig und spielte die volkstümlichen Stücke 1989 allein, 1993 zusammen mit den Trompetern Fritz Bachofner und Ruedi Geiger unter dem Titel «Wättischwiler Chilbi-Musig» auf Tonbändchen ein. «Ich hatte überhaupt keine Probleme beim Spielen dieser Stücke. Das Gefühl für Rhythmus, Schwung und Atem, für die Atmosphäre und die Bewegungsabläufe dieser Musik war einfach da. Es spielte wie von selbst. Ich spürte, diese Musik ist ein Teil von mir. Und mit ihr war meine ganze Jugendzeit wieder da.»
Unter dem Titel «Die leichte Muse und die Königin der Instrumente» hat Ursula Hauser diese heiteren und schwungvollen Melodien auf drei CDs eingespielt: in der Tonhalle Zürich, im Schloss Tarasp und auf der neuen Wädenswiler Orgel.
Zu hören sind diese Perlen der leichten Muse auch an verschiedenen Orten in Konzerten zu Kirchweihen, anlässlich des Zibele-Märits in Bern, der Herbstmesse in Basel oder als zweiter Teil eines klassischen Konzertes. «Die Stücke scheinen dem Publikum leicht spielbar zu sein, in Wirklichkeit aber sind sie oft höchst anspruchsvoll», sagt Ursula Hauser. Wie der Funke der Begeisterung jeweils auf die Zuhörenden überspringt, zeigen zahlreiche Konzertbesprechungen: «Dass die virtuosen Werke mit duftender Leichtigkeit gerieten und alle Erdenschwere vergessen liessen, war der meisterhaften Technik der Organistin zu verdanken, die mit unverkennbarer Begeisterung ans Werk ging, das Publikum dauernd zum Schmunzeln brachte und es ihm schwer machte, ruhig sitzen zu bleiben und nicht einfach zu den mitreissenden Rhythmen zu tanzen.» Da ist die Rede von sprühender Lebensfreude, von heiterem Charme, temperamentvollem Enthusiasmus und lebendiger Spielfreude.
 

ORGELLEHRERIN UND DOZENTIN

Zahlreich sind die Orgelschülerinnen und -schüler, die Ursula Hauser gefördert, zielstrebig unterrichtet und deren Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten sie gestärkt hat.
Doch hören wir sie selbst: «Ursula liegt sehr viel daran, dass wir bei allem üben immer auch mit viel Freude musizieren. Sie kann ermuntern, faszinieren, begeistern.» «Sie ist eine aussergewöhnliche und grosszügige Orgellehrerin, setzt sich für ihre Schülerinnen voll ein. Kein Weg ist ihr zu weit oder zu mühsam, um beim Registrieren für Gottesdienste, Konzerte oder Prüfungen zu helfen.» «Sie ist sehr genau und überhört keine Fehler!» «Man verliess die Wädenswiler Kirche nach einer Orgelstunde immer aufgestellt, mit neuem Mut und Elan, auch wenn man miserabel gespielt hatte.» «Sie verfügt über ein enormes Wissen.» «Sie vermittelt gelebte Freude an der Musik.»
Auch Prof. Dr. h.c. Ambros P. Speiser, Forschungsdirektor der Brown Boveri Baden, war ihr Schüler. Er schreibt: «Die fünf Jahre des Unterrichts bei Ihnen habe ich in sehr schöner Erinnerung. Ich habe Ihre Lektionen als didaktisch geschickt, künstlerisch hochstehend und menschlich sehr anregend empfunden, und ich war erfreut über die Fortschritte, die ich habe erarbeiten können. Ich bewunderte Ihr impulsives und virtuospräzises Spiel, auch meine Frau war jedes Mal von Ihrer Orgelmusik begeistert!»
Am Institut für Kirchenmusik und später an der Musikhochschule Zürich erteilte Ursula Hauser angehenden Organisten Unterricht im Orgelspiel und in Begleitpraxis. «Du hast etwas sehr Wichtiges an die Leute herangetragen: das Kommunikative, auf einem Instrument, welches sonst gerne zu «Autismus» neigt. Diesem Vorgang zuzuschauen, war für mich spannend» (Karl Scheuber, Abteilungsleiter).
Toggenburger Orgeltage.

«TOGGENBURGER ORGELTAGE»

Zudem engagiert sie sich in der Aus- und Weiterbildung von Organisten. Seit neun Jahren bietet sie mit den «Toggenburger Orgeltagen» jeden Sommer ein Weiterbildungsseminar an, in dem sie eigenes Wissen weitergibt oder bedeutende Interpreten einlädt, wie zum Beispiel den Berliner Dom-Organisten Michael Pohl oder dieses Jahr Tobias Willi, einen der besten jungen Organisten der Schweiz, den eine Mehrheit der Wädenswiler Organistenwahlkommission und Kirchenpflege trotz ausgezeichneter Zeugnisse bezüglich Ausbildung, Können und Teamfähigkeit, trotz alle andern weit überragendem Probespiel und trotz der einstimmigen Empfehlung der beiden hochkarätigen Experten verschmäht hatte.
17 Jahre engagierte sich Ursula Hauser auch im Vorstand des Zürcher Kirchenmusikerverbandes.
 

RÜCKBLICK UND AUFBRUCH ZU NEUEN UFERN

«Füfzg Jaar de Pfäärer zuelose und immer na richtig im Chopf – das isch es Fäscht wert!» So organisierte und gab Ursula Hauser im Mai dieses Jahres ein äusserst vielseitiges und farbiges Jubiläumskonzert. Gewaltig wie zwei Eckpfeiler standen am Anfang die tiefgründige d-Moll-Toccata und Fuge von Johann Sebastian Bach und am Schluss die machtvolle Toccata aus der Fünften Sinfonie von Charles-Marie Widor. Die ergreifenden Lieder des Spitzenchors «Camerata Berlin-Wannsee» erinnerten an ihre Liebe zu dieser Stadt. Musikerinnen und Musiker, mit denen sie in den vergangenen Jahren öfters konzertierte, gaben ihr Bestes, und zusammen mit ihren beiden Brüdern und einem Klarinettisten begeisterte sie mit der hinreissend gespielten «Steiner Chilbi». Das Konzert vermittelte einen lebendigen überblick über die verschiedenen von Ursula Hauser gepflegten Stilrichtungen, und die über vierhundert Zuhörerinnen und Zuhörer dankten ihr mit einer lang anhaltenden «standing ovation».
Am darauf folgenden Sonntag wurde sie als offizielle Organistin der Kirchgemeinde Wädenswil verabschiedet. Für eine Künstlerin, die sich so sehr mit ihrem Beruf und der Orgel identifiziert wie Ursula Hauser, kann der Rücktritt vom Amt niemals Abschied von der Musik bedeuten. «Ich fühle es ganz stark: Die Energiequellen der Musik sprudeln fröhlich weiter ... » Freuen wir uns auf weitere Kostproben ihres Könnens.



Peter Weiss