DENKMALPFLEGE WÄDENSWIL MIT NEUEN ZIELSETZUNGEN

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1996 von Urs Eberhard

AUSGANGSLAGE

Die Erhaltung von wertvollen Altbauten und historischer Bausubstanz ist jeder Generation aufs Neue aufgetragen. Ob und wie zu erhalten ist und wo die Schwerpunkte zu setzen sind, hängt von verschiedenen Faktoren ab und sollte in kürzeren Zeitabständen neu und grundlegend überdacht werden. Dabei spielt die wirtschaftliche, politische und soziale Entwicklung einer Region oder einer Gemeinde eine wesentliche Rolle im Überdenkungsprozess.
Veränderte Bedürfnisse unserer Gesellschaft, ständig wachsende Raumansprüche, der Drang zu vermehrter Mobilität führten in den letzten Jahrzehnten zu einer enormen Bauproduktion und damit zu einer starken Veränderung des Landschafts- und Ortsbildes. Parallel zu dieser Entwicklung haben sich die Gesinnung und das Verständnis für das Alte und für die Geschichte und deren Werte gewandelt.

DENKMALPFLEGE IN WÄDENSWIL …

Zukunftsweisend konstituierte der Gemeinderat Wädenswil (Exekutive) 1971 die örtliche Natur- und Heimatschutzkommission (NHK), damit diese die Behörde (seit 1974 den Stadtrat) und die Baukommission bezüglich Fragen des Denkmal- und Naturschutzes sowie der Gestaltung des Ortsbildes berate.
Zur Beurteilung von Baubegehren oder Projekten dient der Kommission die Bau- und Zonenordnung (BZO), letztmals revidiert 1994. In den Detailausschnitten der verschiedenen Kernzonen sind Einzelbauten, spezielle Aussenräume sowie das Orts- und Strassenbild prägende Fassadenfluchten bezeichnet, die seit dem Inkrafttreten der BZO im Jahre 1974 wichtige denkmalpflegerische Bedeutung haben.
Als weitere Entscheidungsgrundlage für Umbau- und Renovationsarbeiten aus der Sicht der Denkmalpflege dient das 1982 durch die Arbeitsgemeinschaft für Ortsbildpflege und Inventarisation (AOI) aufgenommene Inventar schutzwürdiger Bauten auf dem ganzen Gemeindegebiet. Es enthält, ziemlich umfassend, mehrere hundert historische Einzelobjekte, die bezüglich Situations- und Eigenwert in die drei Kategorien «hervorragend», «bedeutend» und «erhaltenswert» gewichtet und eingestuft sind. Dieses Inventar beschränkt sich aber durchwegs auf die Erfassung von schutzwürdigen Bauten mit Erstellungsdatum bis Ende des 19. Jahrhunderts.

... IM WANDEL DER ZEIT

Die Erfahrungen, welche die Kommission in den letzten Jahren bei der Beurteilung von Umbau-, Anbau- und Ausbaubegehren an einigen dieser Objekte gemacht hat, haben gezeigt, dass die damalige Optik von Schutzwürdigkeit heutigen Auffassungen von Denkmalpflege nicht mehr standhält. Darum wurde das bestehende Inventar im Jahre 1996 unter den Aspekten Originalität, noch vorhandene Substanzqualität sowie Einmaligkeit grundlegend geprüft und neu gewichtet. In Absprache mit dem Stadtrat durchlaufen ausgeschiedene Objekte bei einem zukünftigen Baubegehren ein vereinfachtes Prüfverfahren durch die NHK und erhalten neu grössere Baufreiheiten im Rahmen der heute gültigen BZO.
Eine weitere Erkenntnis der Natur- und Heimatschutzkommission in den letzten Jahren war auch, dass nach der Jahrhundertwende bis in neueste Zeit auf dem ganzen Gemeindegebiet eine Vielzahl von Bauten entstanden sind, die bemerkenswerte architektonische Qualitäten aufweisen und darum mehr Beachtung verdienen. Sie könnten im denkmalpflegerischen Sinne eine Brücke schlagen von der historischen Bautechnik bis hin zur aktuellen Architekturszene.
Restaurant-Terrasse im Strandbad Rietliau, Wädenswil, 1933. Architekt: Hans Streuli, Richterswil.

Als Folge des neuen Bau- und Planungsgesetzes und der revidierten Bau- und Zonenordnung im Jahre 1994, die zu einer allgemeinen Ausnützungserhöhung in praktisch sämtlichen Bauzonen führte, werden in Zukunft vermehrt Baubegehren für Um- und Ausbauten oder für Ausbauten von Dach- und Untergeschossen zu erwarten sein.
Mit der aktuellen planerischen Verdichtungsphilosophie erhält der Denkmalschutz eine noch grössere Bedeutung als bisher. Einerseits verstärken die grösseren Nutzungsmöglichkeiten das Gefälle zum alten Bestand, andererseits können durch grössere Baumassen in der Nähe von Altbauten Probleme der Einpassung entstehen. Damit geht es in Zukunft nicht nur um die Gewichtung von Einzelbauten, sondern auch vermehrt um die Beurteilung der Nahumgebung, von Häuserensemblen, Baugruppen oder ganzen Quartierteilen.
Im Weiteren ist es nur eine logische Folge, dass künftig aus Sicht der Denkmalpflege nicht nur historische Bauten vor möglichen Veränderungen zu beurteilen sein werden, sondern ebenso Zeitzeugen der neueren Architektur. Diese Erkenntnisse zwangen die Denkmalpflege, ihren Aufgabenbereich neu zu definieren und neue Zielsetzungen auszuformulieren.
 

NEUE AUFGABENBEREICHE, NEUE ZIELSETZUNGEN

In Zusammenarbeit mit dem Bauamt Wädenswil legte die Natur- und Heimatschutzkommission dem Stadtrat in diesen Jahr ein Konzept vor, das eine Inventaraufnahme von schutzwürdigen Bauten aus dem 20. Jahrhundert vorsieht. Mit der Anerkennung des Bedürfnisses wurden Fachleute mit einer ersten Objektauswahl beauftragt.
Inventare über neuere Bauten werden seit einiger Zeit erstellt, doch besteht viel weniger Klarheit darüber, welche Objekte überhaupt erfasst werden sollen. Das Baujahr allein ist bei neueren Bauten kein Kriterium mehr, und die geringere zeitliche Distanz erschwert eine objektive Baubeurteilung. Bauten aus den 50er Jahren wurden beispielsweise lange Zeit fast grundsätzlich negativ beurteilt und finden erst seit wenigen Jahren wieder Verständnis. Zudem gibt es aus diesem Jahrhundert eine sehr grosse Zahl von Bauten, was die Übersicht und die Auswahl erschwert. Zweifellos stehen in Wädenswil aber Bauten aus dem 20. Jahrhundert, welche wichtige Zeugen einer politischen, wirtschaftlichen, sozialen oder baukünstlerischen Epoche sind und deshalb der Nachwelt erhalten werden sollen.
Grundlage für die Definition und für jedes Inventar ist der § 203 des Bau- und Planungsgesetzes unter Art II Natur- und Heimatschutz. Er enthält indessen keinerlei Hinweise auf das Alter der Objekte. Neue Bauten können folglich grundsätzlich Schutzobjekte sein, sofern sie die vorgenannten Kriterien erfüllen. Weil aber für ein Schutzobjekt das Baujahr kein besonderes Merkmal ist, müssen andere Kriterien gefunden werden, um eine Objekt-Auswahl zu treffen. Kommission und Stadtrat vertreten ganz klar die Meinung, nicht eine Fülle von Objekten sei das Ziel, sondern eine Auswahl von wenigen ganz besonderen Bauten.
Damit ein Auswahlverfahren objektiv durchgeführt werden kann und schliesslich als Arbeitsinstrument taugt, werden folgende Kriterien angewendet:
Für Gebäude muss in erster Linie das Kriterium «wichtiger Zeuge einer baukünstlerischen Epoche» erfüllt sein. Ein Gebäude ist dann ein wichtiger Zeuge einer baukünstlerischen Epoche, wenn es überdurchschnittliche architektonische Qualität ausweist oder eine Architekturauffassung exemplarisch darstellt.
Die «Seltenheit» in Wädenswil allein ist kein entscheidendes Kriterium: Wenn ein Gebäude nur durchschnittliche Qualität aufweist, aber in Wädenswil der einzige Zeug dieser Epoche ist, genügt das nicht zur Aufnahme ins Inventar, wenn entsprechend Zeugen in der Region oder im Kanton ausreichend vorhanden sind.
Neben dem baukünstlerischen Rang soll das Gebäude mindestens ein weiteres Kriterium erfüllen, also auch Zeuge einer politischen, wirtschaftlichen oder soziale Epoche sein. Gebäude ohne besondere baukünstlerische Qualitäten sollen nur aufgenommen werden, wenn ihre Zeugnisqualität in Bezug auf die übrigen Kriterien sehr bedeutend ist. In den Schutzempfehlungen ist diesem Umstand Rechnung zu tragen.
Die Inventaraufnahme soll einen repräsentativen Querschnitt durch die neuere Baugeschichte der Stadt Wädenswil vermitteln. Daneben soll die Auflistung Bauten enthalten, die verschiedenen Nutzungsbereichen zugeordnet werden können, wie zum Beispiel Wohnen, Arbeiten, öffentliche Zwecke. Das Inventar soll ausserdem auf die Jahre zwischen zirka 1900 und zirka 1975 beschränkt werden. Es deckt damit folgende Zeiträume und Aspekte ab:
1900 bis 1930: Gründerzeit, Erster Weltkrieg und Nachkriegszeit
1930 bis 1950: Zweiter Weltkrieg mit den Jahren davor und danach
1950 bis 1975: Konjunkturjahre nach dem Zweiten Weltkrieg
Die Beurteilung von Bauten mit Erstellungsdatum nach 1975 wird einer späteren Generation überlassen.
Das Ziel dieser Inventaraufnahme ist einerseits, das bereits Bestehende zu erweitern und eine Lücke zu schliessen und andererseits, ein Arbeitsinstrument zu schaffen, das Werkzeugcharakter für Behörde und Bauwillige hat. Es erleichtert das Vorgehen bei der Projektierung möglicher baulicher Veränderungen eines Gebäudes oder eines Gebäudeensembles; es vereinfacht nicht zuletzt das Prüfverfahren in der Kommission oder durch die Baubehörde.
Siedlung Gulmenmatt. Architekt: Hans Fischli, Zürich, 1962. Ursprünglicher Zustand.

Siedlung Gulmenmatt 1996. An die Stelle des Flachdachs ist ein Walmdach getreten.

Trafostation der EKZ an der Untermosenstrasse, Baujahr 1934. Beispiel für die Lösung einer damals neuartigen Bauaufgabe.

Im Weiteren wirbt die Inventaraufnahme um Verständnis für gute Architekturleistungen einer vergangenen Generation in unserer Stadt und ist eine Information an die Wädenswiler Bevölkerung. Dies keinesfalls in der Meinung, das Inventar mit dem umschriebenen Schutzzweck sei einengend und dirigierend anzuwenden und zu vollziehen. Vielmehr ist eine pragmatische Anwendung gefragt, die dem Bauwilligen einen Handlungsspielraum erlaubt, um vernünftige, der Verhältnismässigkeit entsprechende Lösungen zu realisieren.




Urs Eberhard,
Präsident NHK 1995/96


Mehrfamilienhaus Florhofstrasse 17/19. Architekt: Hans Fischli, Zürich, 1959.
Siedlung Gulmenmatt. Architekt: Hans Fischli, Zürich, 1962.