Stellen wir uns der Herausforderung der Zeit!

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1989 von Maria Christener
7. November 1988: Der Gemeinderat stimmt dem Bau einer zweiten Parkebene auf dem Weinrebe-Platz zu; in der Volksabstimmung vom 24. September 1989 wir die Vorlage abgelehnt.

Politische Aktivitäten

Im Rahmen eines kommunalsoziologischen Projektes am Soziologischen Institut der Universität Zürich sind von 1986 bis 1988 Informationen über die politisch-administrative Organisation und die politischen Aktivitäten in allen Schweizer Gemeinden erhoben worden. Über das Ergebnis wurde vor einiger Zeit in der Presse berichtet. Ich zitiere daraus Punkte, die auch für Wädenswil von Interesse sein dürften.
- Im Kanton Zürich haben nur 12 von den 80 berechtigten Gemeinden (über 2000 Einwohner) den Schritt zur indirekten Demokratie vorzogen. Alle 12 haben mehr als 10 000 Einwohner.
- Ob die Einwohnerversammlung heute immer noch oder wieder als adäquat betrachtet wird, hängt offenbar von der Besucherzahl ab. Einige geringe Teilnehmerzahl stellt die demokratische Legitimität von Volksentscheiden in Frage. Eine hohe Teilnehmerzahl kann für viele Gemeinden zum organisatorischen Problem werden, weil keine geeigneten Lokalitäten zur Durchführung vorhanden sind.
- Als auffälligste Gesetzmässigkeit zeigt sich, dass die Teilnehmerquoten mit zunehmender Einwohnerzahl der Gemeinde sinken.
- Auch die Erwerbsstruktur der Bevölkerung spielt eine Rolle. Kleine Gemeinden mit einer von Landwirtschaft und Kleingewerbe geprägten Wirtschaftsstruktur haben besser besuchte Gemeindeversammlungen. Die Gemeindeversammlung mit wachsendem Bildungs- und Einkommensniveau der Bevölkerung findet keineswegs regeren Zuspruch.
- Bei vergleichbaren Gemeinden zeigt sich überraschend, dass die Teilnehmerzahl an Einwohnerversammlungen im umgekehrten Verhältnis zur Grösse der Gemeindeexekutive variiert. Es wird vermutet, dass ein grösserer Exekutivrat oder ein Parlament den Bedarf an direkter Demokratie verringert, weil mehr verschiedene soziale Gruppen und Parteien Gelegenheit haben, sich in im vertreten zu lassen, und weil Entscheidungen mit höherer Legitimität ausgestattet sind, wenn sie von einem grösseren Gremium beschossen werden. Oder umgekehrt: ein kleines, einseitig besetztes Gremium erzeugt bei zahlreichen Bürgern das Bedürfnis, auf das Verhalten der Exekutive an der Gemeindeversammlung mitbestimmend oder kontrollierend Einfluss zu nehmen, da sie der Meinung sind, dass ihre Interessen nicht genügend wahrgenommen werden.
- Man würde auch annehmen, dass sich Gemeinden in denen Parteien oder andere organisierte Gruppen eine rege politische Tätigkeit entfalten, durch überdurchschnittliche Besuche an der Gemeindeversammlung auszeichnen. Offenbar ist das Gegenteil der Fall. Viele bleiben zu Hause, denn sie gehen davon aus, dass organisierte Instanzen stellvertretend für sie ihre Anliegen in die kommunale Politik einbringen. Die Gemeindeversammlungen jener Gemeinden, die keine örtlichen Parteisektionen haben, sind am besten besucht.

Parlament oder Gemeindeversammlung?

Im Vorgenannten erkennen wir – sicher mit einiger Genugtuung – unsere eigenen lokalen Verhältnisse wieder. Wir haben sogar doppelte Erfahrung, denn Wädenswil gehört zu den 12 der 80 berechtigten Gemeinden, die den Wechsel zur indirekten Demokratie vollzogen, also ein Gemeindeparlament besitzen. Der Trost, dass andere mit gleichen oder ähnlichen Problemen zu kämpfen haben, ist gering, weil in absehbarer Zeit nicht mit einer Besserung der Dinge zu rechnen ist. Jüngstes Beispiel, sich über die aktive Beteiligung der Bevölkerung am politischen Geschehen Gedanken zu machen, bietet die Abstimmung über die Park-and-Ride-Anlage Weinrebe. Nur gerade 30 Prozent aller Stimmberechtigten vermochte selbst ein umstrittenes Geschäft wie dieses an die Urne zu «locken». Der Vollständigkeit halber sei festgehalten, dass es verworfen wurde.
Von Zeit zu Zeit flammt auch bei uns die Diskussion darüber auf, ob es wohl nicht doch angebrachter sei, zur Gemeindeversammlung zurückzukehren. Die Verfechter dieser Richtung begründen ihre Forderung mit der Debattierlust, der Ineffizienz unseres 45 Mitglieder zählenden Parlamentes und den Kosten, die der Parlamentsbetrieb verursache. Bei genauer Betrachtung der Ergebnisse des eingangs erwähnten Projektes müsste man eigentlich zum Schlusse kommen, dass eine solche Rückkehr gerade in Wädenswil wegen seiner Grösse und Bevölkerungsstruktur nicht zum Ziele führen würde.
5. Februar 1989: Einweihung der renovierten Abdankungshalle auf dem Friedhof.

Das Parlament bewilligt am 19. Dezember 1988 den Kredit für den Ersatz der Wohnbaracken im Hänsital.

In einer pluralistischen Ordnung müssen die verschiedenen Interessen ausgetragen und gegeneinander abgewogen werden können, selbstverständlich auf faire Art. Das führt zu Debatten. Ist man sich einig, sind sie kurz oder finden gar nicht statt. Sind die Meinungen zu einem Geschäft kontrovers, so gibt es notgedrungenermassen viel zu diskutieren. So trug es sich auch im vergangenen Amtsjahr zu.

Finanzen im Lot

Ganz im Gegensatz zu früheren Berichten aus dem Wädenswiler Parlament, in denen zu lesen steht: «Zum gewohnten Bild gehörte, dass die Finanzen viel zu reden gaben», kann nun vermerkt werden, dass weder die Rechnung noch das Budget oder der Finanzplan zu Diskussionen Anlass gegeben haben. Daraus darf geschlossen werden, dass sich die städtischen Finanzen im Lot befinden. Allerdings sind wir im Begriff, dem sich im ganzen Kanton abzeichnenden Trend der vermehrten Verschuldung zu folgen, was allen, die sich in der Vergangenheit vehement für eine Reduktion des ungedeckten Fremdkapitals eingesetzt haben, wohl nicht behagen dürfte.
Geschäfte im Zusammenhang mit Liegenschaften und Anlagen, obwohl zahlenmässig der grösste Anteil, warfen keine hohen Wellen. Notwendigkeit und Sachzwänge diktierten meistens den Gang.

Debatten über Umweltschutz

Debatten über Umweltschutz, nach wie vor ein zentrales Thema im Rat – die Mehrzahlt der persönlichen Vorstösse befasste sich in irgendeiner Form damit -, das uns auf unabsehbare Zeit beschäftigen wird, scheinen in ihrer Hitzigkeit und oft auch Unnachgiebigkeit die früheren Finanzdebatten abgelöst zu haben. Die Forderungen des Umweltschutzes sind unbequem, die Meinungen entsprechend kontrovers. Was von den einen als die Lösung angepriesen wird, erscheint anderen als das genaue Gegenteil. Wir kommen aber je länger je weniger darum herum, die Anliegen des Umweltschutzes in unsere Entscheide miteinzubeziehen. Dass wir dabei in Neuland vorstossen, macht die Sache nicht einfacher. Im Gegenteil, wir können uns nicht an vergangen Mustern orientieren. Wir werden uns gewisser Grenzen bewusst, weil wir nicht mehr in der Lage sind, alle Folgen unserer heutigen Entscheide genau abzuschätzen. Gemessen daran verliert die Tatsache an Bedeutung, dass zum Beispiel ein Gebäudeverputz nicht das hielt, was er vor 10 oder 15 Jahren versprach, und uns nun hohe Renovationskosten beschert.

Gemeinwohl als Ziel

Solche Erkenntnisse lassen ein ungutes Gefühl zurück. Wir können aber nicht den Kopf in den Sand stecken, sondern müssen uns den Herausforderungen unserer Zeit stellen und versuchen, sie zu bewältigen. Dabei sollten wir darauf achten, dass wir uns die Zukunft nicht mit Handlungen verbauen, die keinen Spielraum mehr lassen. Wir müssen bemüht sein, aufgrund des vorhandenen Wissens die anstehenden Probleme nach bestem Wissen und Gewissen zu lösen und die voraussehbaren negativen Wirkungen so gering wie möglich zu halten. Hoffentlich bleibt es auch in Zukunft so, dass dabei die Bereitschaft politischer und anderer Gruppierungen zum Kompromiss sowie die Sorge der Wädenswilerinnen und Wädenswiler um das Gemeinwohl letztlich die Oberhand behalten.




Maria Christener
Gemeinderatspräsidentin 1988/89