1972 erlebte die dahinserbelnde Wädenswiler Fasnacht einen Neuanfang: Walter Cheesy Tessarolo und Ennio Maspero gründeten die Neue Fasnachtsgesellschaft (NFG) und deren Vorstand organisierte als weiteren Höhepunkt 1976 im Saal des Hotels Engel das erste Schnitzelbankfest. Da es an einheimischen Gruppen noch mangelte, stand 1976 und 1977 der Bergföhn Samstagern auf der «Engel»-Bühne. 1978 und 1979 traten die Freunde der Kinderfasnacht mit einer eigenen Schnitzelbank auf. Der Saal war damals nur halb voll. Die Wädenswiler Bevölkerung musste sich erst an das Neue gewöhnen.
Zmitzt i d Schnure, 1978
Kurt Schoch: Fasnächtler der ersten Stunde, 1981
De Schuelerbueb, 1980
Räbhaldehäxe aus der Au, 1981
Wädi Wüeler, 1981
Schlegelchätscher, 1981
Chuttebutzer, 1981
Chääs und Ursi, 1984
Im gleichen Jahr traten die Panzerknacker in ihren Sträflingskleidern erstmals auf. Noch immer erfreuen sie das Publikum mit ihren träfen Sprüchen aus dem Gefängnis und der abschliessenden Melodie: «Läck isch das en Schiissdräck, wänn da ine bisch. Dusse wärs jetzt chaibe glatt, will z Wädi Fasnacht isch.»
1988 folgten erstmals «D Söibuebe», 1989 «Zwee doofi Schuelerbuebe», die in einer alten Schulbank aus Schüleraufsätzen vorlasen, 1989 die «Schtöörwöscher», 1991 «Vatter und Söön», 1992 die «Wöschwiiber», 1993 die «Herzbuebe», 1994 «D Spitzfädere», 1996 die «Auseehüüler», 1997 die rappende Vogelscheuche und die Formation «D Zündhölzli», 2000 die Fledermäuse «diräkt vom Chileturm», die noch immer als Wädi-Wüelmüüs mitwirken. An der Fasnacht 2000 tagte erstmals das Dorfgericht, das mit Richter, Ankläger, Verteidiger, Weibel und Protokollführer verschiedene Wädenswiler Fälle verhandelte.
Mitglieder der Neuen Fasnachtsgesellschaft führten 1982 das Spotttheater ein, das später mit vielen weiteren Auftritten aufwartete: so 1983 mit der «Psychiatrischen Klinik Wädenswil», 1996 mit Bauern, die sich über tiefe Fleischpreise der Grossverteiler ärgern und eine Migros-Blockade planen, oder 2003 mit der Abdankung für den «Engel»-Saal.
Spotttheater, 1985
Zu den beliebten Gruppen am Schnitzelbankfest zählen seit 1993 die «Luggebüesser». Links auf der Bühne steht eine Telefonkabine, in der viele Anrufende zum Hörer greifen, rechts ein Tisch mit zwei Personen, die wechselweise eine Wädenswiler Institution verkörpern: das Stadthaus, die Stadtpolizei, das Bauamt, die Zeitungsredaktion, ein Geschäft. Star der Nummer ist Waldi Waldvogel, der als Giuseppe in gebrochenem Deutsch mit seinem Chef Kunzeli telefoniert, ihm seine Probleme schildert und auch abstruse Ideen vorbringt, wie man zum Beispiel die Stadtkasse füllen könnte.
2006 gab die neue Gruppe «Di Halb-Edle» von der Burgruine mit Cheesy Tessarolo, drei Landsknechten und einer gestylten Madame, welche am Flipchart die Zeichnungen umblättern muss, ihren Einstand. 2007 traten die Bierhimml Angels erstmals auf und scheuten sich nicht, Wädenswiler Politiker zum Gesang auf die Bühne zu holen.
Nicht nur Gruppen, auch Einzelauftritte gehören zu den Wädenswiler Schnitzelbankfesten. Zu erwähnen sind Bauer Aeppli als «Chueri vom Berg» sowie Karl Willi mit seinen Vorträgen über Nutzen und Schaden der Läuse als Haustiere (1988), über die Volkszählung (1991) und über den Büstenhalter (1995). Ferner Erika Haltmeier, die 1993 erstmals mit Handorgelbegleitung ihre Schnitzelbank sang und dabei auch ihren Bruder, das Dorforiginal Hans Hesse, nicht schonte. Als Blumenfrau in Tracht, als Fischverkäuferin und vor allem als «Nonna Nostrano» trat sie bis 2008, ihrem 80. Geburtstag, auf.
Träf waren in all den Jahren die kernigen Sprüche der Schnitzelbänkler und manches Bonmot wurde in Wädenswil zum gängigen Begriff. So etwa die Bezeichnung «Kummerbuben» für die Stadtpolizei oder «Ochseschüür» für das Stadthaus.
Nebst Sprüchen zu Ereignissen aus der Schweiz und dem Ausland begeisterten vor allem Reime, die auf das Geschehen in Wädenswil Bezug nehmen. Einige Themen seien in Erinnerung gerufen: der Hundekot auf dem Seeweg (1983), die stinkende Kläranlage (1984), der abgelehnte Gemeindesaal (1990), die vielen Fehler im «Allgemeinen Anzeiger vom Zürichsee» (1991), die weibliche Gemeindeordnung (1994), das Hanfbier in der alten Fabrik (1997), der saure Wein am Wädifäscht (1998), der Zimmerberg-Bus (2004), die unentgeltliche Sperrgut-Entsorgung (2005), das neue Wädenswiler Logo (2006), der Leuchtturm auf dem Seeplatz (2009), die Wolke am Bahnhofplatz (2010) …
Tell und Stapi, 1991
Eingeleitet, unterbrochen und abgeschlossen wird das Schnitzelbankfest traditionsgemäss mit dem Auftritt der Tambouren und verschiedener Guggenmusiken, von denen heute nicht mehr alle aktiv sind. Die Sakkophonie 1958 löste sich 1997 auf, die 1974 gebildete Stadtgrübler-Clique 1988, und die 1979 gegründete Calüpso Stielband trat 1991 zum letzten Mal mit ihren südamerikanischen Rhythmen auf. Seit 1976 sorgen die Trubadix, seit 1982 die Wadin-Schränzer und seit 1984 die Tambouren für Hochstimmung.
Frech, satirisch und mit scharfem Spott werden an den Schnitzelbankfesten menschliche Schwächen im täglichen Leben, in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft von Wädenswil zerpflückt. Normalerweise bleiben Reaktionen darauf aus. Nicht so nach der Fasnacht 1991 und 1992.
Die Chefredaktorin des «Allgemeinen Anzeigers vom Zürichsee», Viviane Lüdi, hatte die Fasnacht 1991 nicht humorvoll gefunden und als fremden- und frauenfeindlich kritisiert. Die Landhühner in schlüpfriger Garderobe hätten die Männer angemacht, fand sie, und der Scharfrichter Cheesy Tessarolo und sein Exekutor hatten kurzen Prozess gemacht: Nach dem Entscheid «Dä Grind mues role», fielen reihenweise Köpfe von Wädenswilerinnen und Wädenswilern. «Das Publikum liess sich mitreissen», kritisierte Viviane Lüdi und schrieb, für einmal habe die NFG alle Grenzen gesprengt. Am Schnitzelbankfest 1992 rechnete der Scharfrichter mit Viviane Lüdi ab: Wegen schändlichem und ketzerischem Verhalten gegen die gutgesitteten Gewerbetreibenden wurde sie als Hexe auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
Was wiederum zu heftigen Diskussionen führte. Die skandalerregenden Ereignisse von 1991 und 1992 blieben jedoch Einzelfälle.
1996 drohte ein Rechtsanwalt der NFG mit einer gerichtlichen Verfügung, sollte sein Klient und dessen ausgefallenes Hobby – Videoaufnahmen in Damentoiletten – Thema des Schnitzelbankfestes werden. Bewirkt hat es das Gegenteil: Verschiedene Gruppen wurden erst jetzt auf den Fall aufmerksam und handelten ihn ab.
Di Halb-Edle, 2007
Dass das Wädenswiler Schnitzelbankfest das 40-Jahr-Jubliäum feiern kann, zeugt von grossartigen Leistungen. Erbracht werden sie von engagierten Mitgliedern der Neuen Fasnachtsgesellschaft, welche für Vorbereitung und Durchführung verantwortlich zeichnen. Und für viel Gelächter und gute Stimmung sorgen Tambouren und Guggenmusiken in immer neuen Gewändern sowie viele begeisterte Fasnächtlerinnen und Fasnächtler mit ihren originellen Auftritten, schwungvollen Melodien und träfen Reimen. Jetzt schon darf man sich auf die Aufführungen an der Fasnacht 2016 freuen.
Peter Ziegler
Vatter und Söön, 1991
Erika Haltmeier als Nonna Nostrano.
Anne-Käthi Huser, 2014
Panzerknacker, 2013
Schtöörwöscher, 1989
Richter und Scharfrichter, 1992