Hermann Müller-Thurgau (1850-1927)

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1982 von Peter Ziegler

Am 1. Juli 1982 wurde in der Forschungsanstalt für Obst- Wein- und Gartenbau in Wädenswil die Jubiläumsfeier 100 Jahre Riesling x Sylvaner-Rebe begangen. Die Kreuzung der Sorten Rhein-Riesling und Silvaner zur neuen Traubensorte, die in den letzten Jahrzehnten einen Siegeszug um die ganze Welt angetreten hat, gelang 1882 dem Schweizer Professor Hermann Müller-Thurgau in Geisenheim am Rhein. Wer war Hermann Müller-Thurgau?
Hermann Müller wurde am 21. Oktober 1850 als Sohn eines Rebbauern und Bäckers im Thurgauer Dorf Tägerwilen geboren. Nach dem Besuch des Lehrerseminars Kreuzlingen und einer kurzen Amtszeit in Stein am Rhein erwarb Hermann Müller im Herbst 1872 am Polytechnikum Zürich – der heutigen Eidgenössischen Technischen Hochschule – das Diplom eines Fachlehrers für Naturwissenschaften. Nach einer kurzen Zeit als Seminardirektor in Kreuzlingen zog er als Doktorand zum weltberühmten Pflanzenphysiologen Julius Sachs an die Universität Würzburg.

Hermann Müller-Thurgau, 1850-1927

Im Frühling 1876 wurde Dr. Hermann Müller an die Preussische Lehr- und Forschungsanstalt für Wein-, Obst- und Gartenbau nach Geisenheim berufen, wo er als Vorsteher der beiden Abteilungen Physiologie und Rebzüchtung wurde. Damit konnte er seinen Forscherdrang für die Kulturpflanzen einsetzen, besonders für den Weinstock und die Obstgehölze. Sein Ziel war es, durch streng wissenschaftliche Arbeit objektive Grundlagen zu schaffen für eine Verbesserung der Anbau- und Verwertungstechnik. Seine rund 330 wissenschaftlichen Untersuchungen auf den Gebieten Anatomie, Physiologie, Stoffwechselfragen, Pflanzenschutz und Weinbereitung wurden stark beachtet. Seine Versuche zur Gewinnung alkoholfreier Obst- und Traubensäfte bildeten den Ausgangspunkt für die Fruchtsaftindustrie.

Im Jahre 1881 verheiratete sich Hermann Müller mit der Rheinländerin Berta Biegen. Zu jener Zeit war am Institut in Geisenheim ein deutscher Pflanzenphysiologe tätig, der ebenfalls Hermann Müller hiess. Verwechslungen der beiden Kollegen lagen nahe und sollten vermieden werden. So nannte man den aus dem Thurgau stammende Forscher zur eindeutigen Kennzeichnung Müller-Thurgau.
1891 eröffnete ein Zweckverband von 14 deutschsprachigen Kantonen im ehemaligen Landvogteischloss Wädenswil eine landwirtschaftliche Versuchs- und Lehranstalt. Hermann Müller-Thurgau wurde erster Direktor dieser seit 1902 vom Bund geführten Forschungsanstalt. Er verstand es, einen Stab hervorragender Mitarbeiter auszulesen, zum Beispiel Theodor Zschokke und Heinrich Schellenberg, mit dem zusammen er jahrelang an der Selektion der Rebkreuzung Riesling x Silvaner und später an der Verbreitung dieser Neuzüchtung arbeitete.

In Wädenswil wurde Hermann Müller-Thurgau in den 1890er Jahren in die Schulbehörde gewählt. Zusammen mit seinem Freund, dem Dorfarzt Dr. Florian Felix, setzte er sich für Reformen in der Gemeinde ein. Direktor Müller war sodann Mitbegründer der SAC-Sektion Hoher-Rohn und fleissiges Mitglied des Männerturnvereins Wädenswil.
An seinem 70. Geburtstag wurde Müller-Thurgau mit vielen Ehrungen bedacht. Die Universität Bern ernannte ihn zum Ehrendoktor, landwirtschaftliche Organisationen verliehen ihm die Ehrenmitgliedschaft. 1924 trat der 73jährige Direktor von der Leitung der Versuchsanstalt Wädenswil zurück. Er starb nach kurzer Krankheit am 18. Januar 1927.
Neben der Rebsorte und dem Wein „Riesling x Silvaner“ oder „Müller-Thurgau“ erinnern an den hervorragenden Forscher: in Geisenheim der seit 1972 gestiftete Müller-Thurgau-Preis, in Wädenswil die 1950 an ihm benannte Müller-Thurgau-Strasse ob dem Schloss.




Peter Ziegler


Literaturnachweis: Robert Fritzsche, Hermann Müller-Thurgau, Schweizer Pioniere der Wirtschaft und Technik, Bd. 29, Verein für wirtschaftshistorische Studien, Zürich 1974.