SEPPI – «30 JAHRE NIX PROBLEM!»

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 2003 von Magdalena E. Preisig

Zwischen Plätzli und Coop, Oberdorfstrasse und Bahnhofplatz ist kein Fetzen Papier sicher vor Seppi, dem Strassenwischer von Wädenswil. Er wischt alles zusammen: Zigarettenstummel, weggeworfene Verpackungen und Marronischalen. Von Montag bis Freitag versieht Giuseppe Grandine mit seinem Karren, dem Besen und der Schaufel seinen Dienst – seit 30 Jahren. Er ist glücklich über seine Arbeit und sagt von den drei Jahrzehnten: «30 Jahre nix Problem!»

AUF DER SUCHE NACH ARBEIT

Die Jahre davor waren bestimmt vom Suchen nach einer existenzsichernden Arbeit. Die hatte er als 18-Jähriger zusammen mit seinem Vater per 1. April 1964 bei der Tuwag gefunden, und auch seine Frau Rosa, die er am 17. Januar 1965 heiratete, fand dort ihren Verdienst. Doch am 30. September 1971 stellte die Firma die Stofffabrika­tion ein. Die junge Familie – Elisa gehörte seit 1967 und die kleine Laura seit dem Frühjahr 1971 dazu – kehrte nach Sizilien zurück. Bereits zwei Monate später reiste Giuseppe Grandine allein in die Schweiz, denn er hatte eine Anstellung bei der Firma Standard in der Au gefunden. Vier Monate später war er schon wieder entlassen. Ein weiterer Versuch in einer Stofffabrik in Weill am Rhein währte nur zwei Monate. Schliesslich suchte – und fand – sein in der Au wohnhafter Schwager Arbeit für ihn. Ebenjene Arbeit, die er heute noch tut und von der er sagt: «Schöne Luft, reden mit Leute, besser als Fabrik.»

IM DIENST VON WÄDENSWIL

Durch den Vertragsabschluss mit der Gemeinde Wädenswil am 26. Januar 1972 war Ruhe in Giuseppe Grandines Leben gekommen. Im Jahre 1974 wurde ihm Stammhalter Massimiliano geboren. Inzwischen ist er siebenfacher Grossvater. Die Familie hat sich in der Schweiz etabliert, denn in der fernen Heimat gibt es keine Verwandten mehr.
Seit geraumer Zeit ist Giuseppe Grandine beim Znüni nicht mehr mit Gärtnerkameraden zusammen: «Ich nid gern diskutieren – nicht alle gleich», findet er und trinkt seinen Espresso und raucht seine Zigarette für sich allein im Gärtnerhaus Rosenmatt. Da lagern seine Besen, die er einen nach dem andern auf Wädenswils Strassen und Plätzen verraspelt. Jede Woche einen. Aus Bambus sind sie, der Stiel wie auch das Reisig. Sie seien robuster als die Erikabesen aus Esche und Birkenreisig und besser als Plas­tikbesen, hat sein Test ergeben. Bei Regenwetter sei seine Arbeit schwerer, da schmerzten ihn manchmal abends die Arme. Immerhin sammle er im Jahr sechs bis zehn Tonnen Abfall zusammen.
Giuseppe Grandine, am Plätzli in Aktion mit seinem Bambusbesen.

ALLERHAND ABFALL

Was alles landet in Grandines Karren? «Kein Geld, sonst alles», lautet seine knappe Antwort. Und was war das Speziellste, das er zusammenwischte? «Slip», sagt er, ohne auf weitere Details einzugehen. Aber natürlich entsorgt er auch das Cocifläschli, das halbvoll einsam und verlassen auf einer Mauer steht. Er leert auch die Robidogs und die Abfallkörbe. Besonders im Sommer hat seine Nase ein Problem damit. Nebst Windelnpaketen können es auch schimmelndes Brot, Tetrapackungen mit säuernden Milch­resten oder vergärende Spaghetti sein. Sowieso teilt Giuseppe Grandine die Zeit seiner Strassenwischertätigkeit in zwei Abschnitte ein: jene vor und jene nach der Einführung der Sackgebühren im Jahre 1993. Davor wars angenehmer, denn niemand entsorgte Haushaltabfälle in den öffentlichen Abfallkübeln. Wenns bei einem Abfallkorb gar zu arg wurde und er sich beim Chef beklagte, entschied dieser auch mal: Dann nehmen wir den Kübel weg. Findet Giuseppe Grandine ein Portemonnaie, auch es enthält nie Geld, höchstens noch Ausweispapiere, dann liefert er es der Polizei ab.
Zweimal im Jahr stehen die Männer des Strassendienstes dem Strassenwischer im Kampf um die Sauberkeit bei: an der Fasnacht und an der Chilbi. Im Winter schaufelt der Strassenwischer die Umgebung der Bushaltestellen von Schnee frei. So gerne, wie Giuseppe Grandine seine Arbeit verrichtet, so überzeugt ist auch der Strassenmeister Werner Kunz von seiner Leistung: «Das ist der rechte Mann am rechten Ort. Er ist immer gesund und immer freundlich, zu jedermann.» Man habe sich tatsächlich auch schon überlegt, ihn durch eine Maschine zu ersetzen. Aber diese könnte keine Abfallkübel leeren und nicht in den Ecken oder auch einmal unter einem parkierten Auto etwas hervorwischen. Und dass der Strassenwischer diskret ist, zeigt seine zurückhaltende Auskunft über das zusammengekehrte Bekleidungsstück.

GANZ BEI DER SACHE

Was ist denn Giuseppe Grandines Philosophie? Er, der treu sein Pflichtpensum erfüllt und sich damit begnügt. Was denkt er beim Kehren der Strasse? «Nix – nix denken, nix studieren», kommt vehement die Antwort und macht klar, dass hier ein Mensch am Werk ist, der ganz bei der Sache ist, die er im Moment tut. An morgen zu denken, findet er nicht gut. Er hat sich auch von der Meinung der Leute abgesetzt. Es interessiere ihn nicht, was die Leute (über ihn) denken. Und doch kapselt er sich nicht ab, sondern hat ein offenes Gesicht behalten. Das macht ihn ansprechbar. Ein alt Stadtrat rühmt: «Er nimmt immer meinen Gruss ab.» Seine Präsenz in den Strassen von Wädenswil hat Giuseppe Grandine zum bekanntes­ten Wädenswiler gemacht. Zwar kennen die meisten seinen Namen nicht, weshalb der Mann im blau-leuchtorangen Dress bei vielen einfach die Bezeichnung «dä chlii, härzig Italiäner» trägt. «Ich liebe ihn», sagt eine junge Frau, und ein Senior bekommt glänzende Augen, wenn er an ihn denkt: «Er isch sonen Liäbe. Ich rede amigs eis, zwei Minute mit em.» Grandines respektvolle Haltung gegenüber den Menschen und dem Ort, an dem er lebt, schlüsselt er mit vier Worten auf: «Ich bin ein Gast.» Selbst über jene, die achtlos etwas fortschmeissen, schimpft er nicht, sondern sagt einfach: «Die jungen Leute haben andere Mentalität.»

REISEN UND KOCHEN

Als Reisender besucht Giuseppe Grandine gerne grosse Städte wie Wien, Paris und Budapest. München bezeichnet er, der Fachmann, als «saubere Stadt». Das Hobby, dem er an Wochenenden nachgeht, ist Kochen – italienisch natürlich. Dazu kann die Familie auch einmal einen guten Tropfen Wein trinken, den er von Leuten auf der Strasse geschenkt bekommen hat. Zwar erhalte er nicht mehr so viele Geschenke wie früher, aber doch immer wieder Schokolade oder eine Geldnote. Er fragt die Leute nicht nach ihrem Namen. Deshalb fand er erst durch einen Bekannten heraus, dass ein Mann, der ihn beschenkt hatte, ein bekannter Industrieller war. Eine behinderte Frau, die auf gut begehbare Trottoirs angewiesen ist, gebe ihm jedes Jahr einen Fünfliber. Am 2. Januar 2003 feierte Giuseppe Grandine seinen 57. Geburtstag. Was bedeutet, dass er der Stadt Wädenswil noch acht Jahre als Strassenwischer erhalten bleibt.




Magdalena E. Preisig