JÜRG SIGNER - DICHTER UND DRAMATIKER

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1994 von Peter Ziegler

Man sieht den bärtigen Mann öfter durch Wädenswils Strassen gehen, meist die Pfeife im Mund; man begegnet dem eher scheuen Menschen an Sommertagen im Strandbad; man trifft ihn bei den Filmtagen im Rosenmattpark, obwohl er zwar das Medium Film als harte Konkurrenz zum geschriebenen Wort bezeichnet, und doch weiss man eigentlich wenig über ihn: den einheimischen Dichter und Dramatiker Jürg Signer. So sei er im «Jahrbuch der Stadt Wädenswil» einmal vorgestellt.
Jürg Signer, geboren am 2. Januar 1948, wohnt seit seinem zwölften Altersjahr in Wädenswil. 1984 begann er damit, das Schreiben zu seiner Hauptbeschäftigung zu machen. Vorbild sind ihm bis heute die klassischen Dichtungen, in deren Tradition er sich weiss. Das Ringen mit Sprache und Form kostet ihn denn auch – wie er es selbst ausdrückt – «den beschwerlichen Weg einer Anti-Karriere zum Zeitgeist».
Jürg Signer ist Wädenswiler und liebt seine Heimat. Sein Bekenntnis hat er einmal in folgende Worte gefasst:
Jürg Signer
«Bin ich längere Zeit fort von Wädenswil, fehlt mir immer der See, der Geschichte atmende Zürichsee, dieser sich unaufhörlich den atmosphärischen Bedingungen anpassende Wasser-Wetter-Spiegel und ruhende Pol für den Augenmenschen ist für mich gleichzeitig geistiger Bündeliplatz der Inspiration. Viele liebe Menschen im Dorf sind mir von früher her bekannt. Oft scheint die Stadt wie ausgestorben. Doch Wädenswil ist eine feste Burg, die grosse Seele lebt in ihr.»
Jürg Signer hat viel publiziert, doch ist ihm – bedauerlicherweise – bis heute der grosse Durchbruch nicht gelungen. Das Erstlingswerk, der 1984 bis 1986 geschriebene Roman «Seifenblasen, ein Abschied vom 20. Jahrhundert», veröffentlicht in der Edition Herbst, Zürich, ist vergriffen. Der Text zu einem Oratorium, «Die sieben Gesänge vom demütigen Gott», erschien 1983 in einer illustrierten und numerierten Erstausgabe im Selbstverlag und 1986 wiederum in der Edition Herbst. Zwischen 1984 und 1990 entstanden Signers Nachdichtungen in deutscher Sprache nach englischen Texten der Beatles (1962–1970) und von John Lennon (1970–1980). 1984 begann die 1993 registrierte Phase der «700 Gedichte», 1991 unterbrochen von «Ganz herrische Welt», einer Sammlung von weiteren hundert Gedichten. Neben dem 1987/88 verfassten zweiten Roman «Ein Yogi im Strandbad» folgen permanent weiterführende «Projekte, Meditationen, Dichterische Texte».
1989 wandte sich Jürg Signer einer neuen Literaturgattung zu: dem Schauspiel. Drei Stücke hat er bis jetzt geschrieben: 1989/90 «Eleanor Rigby», 1991 bis 1993 «Johanna die Kühle» und 1993/94 «Der Ruf». Aufgeführt wurden sie bis jetzt nicht – auch beim «Europäischen Dramatiker Wettbewerb» am Theater Kassel war im Herbst 1993 – wie mir Jürg Signer im Januar 1994 schrieb – «ein weiterer Misserfolg zu verzeichnen». Ebenso mit «Johanna die Kühle» war 1993 bei der «Stiftung Bundesrat Emil Welti für das Drama», Bern, beim 24. Preisausschreiben die Konkurrenz zu vielfältig.
Doch lernen wir Jürg Signer in eigener Sprache kennen, in fünf Gedichten, die er zum Abdruck ausgewählt hat:
 

BIN ICH WIE DU?

Göttlich tönt und hart der Klang des Donners, frei zu sein. Sich anpassen, Bedingungen hinnehmen, das sei Karma.
Bin ich wie du, unentwegt Gott? Der Grausamkeit Guru und doch Liebe? Am Himmel hängt das Schild GRATIS, es plant jemand neue Engelsqualen.
 
29.11.1993
 

EIN HÖHERES

Wir knien am Sommerrand. Honig blüht so sanft. Die Weizenfelder reifen. Im Dorf am See. Es ist, was ist, blauer Maientag. Goldenes Jahr knistert, und wir sind frei.
 

STILLE TRAUER

Abendstunden gibt es, trauernder Frühling, da wird das weiche Herz zum Kind und horcht hinaus, ob nicht der geliebte,  längst gestorbne Mensch wieder findet mit vertrautem Schritt in das alte Haus, die müden Augen träumen, und in den Tränen ist unendliches Weh einer vergangenen Zeit, er kommt nicht mehr.
 

ABSCHIED IM SEPTEMBER

Ade Herbst, kühle Tage, bald schon seid ihr eingeschneit, von Winterlast und Frost umgeben, die Nächte kalt, die Stunden breit. Wollt ihr mir noch etwas sagen? Habt ihr nicht zuviel getan! Möcht euch nur noch fragen: Wie steht die alte Erdenbahn? Bin zu müd und einsam jetzt, ruhe an der dunklen Schwelle erster leichter Frühjahrstage; welche Blume blüht zuletzt? Immer spür ich diese Wärme, Sonne, feines helles Holz, mich zieht es in die Feme, Wald und Berge sind mein Stolz.

5.9.1993

UNTER ENGELN

Wollte oft herausfinden, wer wohl bei Gott der ärmste Mensch sein musste, zu Lösungen kam ich nie, immer wurde das Rätsel verdeckt, unergründlich die Gefechte unter Engeln, feuchte Augen mein Gebet.

Zu seinem Gedicht «Abschied im September» äusserte sich der Autor mit Brief vom 24. Januar 1994 wie folgt: «Mit literarischen Produktionen ist es ähnlich wie mit der Popularität: Was einem gut gefällt, kommt nicht an, und was weniger gut gefällt, findet Anklang. Mir geht es jedenfalls so. Was ,Abschied im September' betrifft, so wurde mir von verschiedener Seite unter grossen Beifallskundgebungen gesagt, wie hervorragend dieses Gedicht sei; gleichzeitig riet mir ein Freund, Ihnen dieses Gedicht zu schicken ... Ich finde es nicht besonders ... »
Und an anderer Stelle: «Ich habe mir schon oft und früher überlegt, ob ich in die Politik einsteigen soll, anders zwar als mein Vater, ich bin im Lauf der Jahre ein sehr bewusst konservativ denkender Mensch geworden und stehe den Linken und Extremen meistens ratlos gegenüber, immer hoffend, dass menschliche Prozesse greifen würden. Doch für mich ist der Zug längst abgefahren, der Zug der Politik, die ich privatem Wirken hintanzustellen gezwungen bin. Mir fehlt auch die Fähigkeit zu ,schnurren' ... So bin ich halt auch ein bisschen sehr Mönch geworden, der sein Schweigen über alles liebt.»
Über dem Schreiben, seiner Leidenschaft, vergisst Jürg Signer mitunter auch die Zeit. Und dann kommt postwendend ein Brief: «Ich muss mich noch aufrichtigst bei Ihnen entschuldigen: Am 26.12.93 um 00.30 Uhr hat bei Ihnen das Telefon einmal geläutet; das war ich, in der irrtümlichen Annahme, Sie hätten einen identischen Fax-Empfang mit automatischem Umschalter bei der Telefonwahl ... » So der Anfang eines mit Schreibmaschine eng beschriebenen vierseitigen Briefs, in dem vieles aufbricht, was den sensiblen Zeitgenossen Jürg Signer beschäftigt hat und noch beschäftigt, und das er schreibend verarbeitet. Ein Brief, der dann weitergeht mit den Worten: «Es ist inzwischen 3 Uhr früh geworden, und ich will schliessen mit meinem Aus-der-Schule-Plaudern ... »
Und dann – trotz vielen kritischen Gedanken, nach rückwärts gewendetem nächtlichem Sinnen, aus dem zuweilen auch Enttäuschung, nicht aber Verbitterung spricht – ein hoffnungsvoller Blick in den kommenden Tag mit neuen Plänen: «Bald braue ich mir frischen und feinen duftenden Morgenkaffee; heute kommt die Zeitung nicht, es ist ja Sonntag. Die Mutter ist wieder im Spital, ich will sie auch heute besuchen.»
 




Peter Ziegler


 

Zeichnung von Jürg Signer im Buch «Seifenblasen», nach dem Motiv «His Masters Voice» der EMI-und Electrola-Schallplatten.