Wädenswil 1916 – eine Zeitreise

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 2016 von Mariska Beirne / Christian Winkler

Zur Eröffnung der Kulturgarage an der Florhofstrasse 15 blickte die «Historische Gesellschaft Wädenswil» hundert Jahre zurück und präsentierte nach einer Idee des Historikers Adrian Scherrer vom 16. Januar bis 10. April 2016 die viel beachtete Ausstellung «Wädenswil 1916 – eine Inszenierung». Auf 13 Tafeln würdige sie mit Text und Bildern Persönlichkeiten, die damals im Industriedorf Wädenswil wegen ihres Engagements in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft bekannt waren. Vor jeder Tafel gab es zudem Gegenstände mit engem Bezug zum dargestellten Menschen zu betrachten. Überdies vertiefte das Volkstheater Wädenswil, welches die Kulturgarage ebenfalls nutzt, das Dargestellte mit einprägsamen kurzen Szenen. Diese spielten in Wädenswiler Beizen: im «Schiffli», «Engel» oder im Alkoholfreien Restaurant «Sonne» und erweckten die ausgewählten Persönlichkeiten schauspielerisch zum Leben.
Das von Mariska Beirne, Präsidentin der Historischen Gesellschaft, und Christian Winkler, Leiter der Dokumentationsstelle Oberer Zürichsee, erarbeitete Wissen wird auf den folgenden Seiten in alphabetischer Reihenfolge der Personennamen präsentiert und ist damit nach Schluss der Ausstellung weiterhin greifbar. [pzi]

Albert Bär

1878 21.6. Albert Bär wird geboren.
1898 Gründungsmitglied des Grütliturnvereins.
1900–1912 Oberturner.
1908 Ehrenmitglied des Grütliturnvereins.
1910 Hochzeit mit Emilie Bachmann.
1915–1919 Gemeinderat.
1916 Kreis-Oberturner.
1916 Eröffnung der Schreinerei.
1916–1926 Leiter der Männerriege.
1938–1950 Obmann der Veteranengruppe.
1945 Schliessung der Schreinerei.
1970 31.7. Albert Bär stirbt 92-jährig.
 
Linker Turner und Schreiner
Albert Bär war ein Turner durch und durch. Er war 1898 bereits bei der Gründung des Grütliturnvereins – später Satus (Schweizerischer Arbeiter-, Turn- und Sportverband) – dabei. Zwölf Jahre amtete er ab 1900 als Oberturner und führte seine Turnkameraden an den Turnfesten an. Zahlreiche Auszeichnungen zeugen von den Erfolgen. Schon bald wurde er zum Ehrenmitglied ernannt und 1916 gar zum Kreis-Oberturner von Zürich, Luzern und Zug berufen. Zum 50-jährigen Bestehen des Satus verfasste Bär ein handschriftliches Jubiläumsbüchlein. 1916 eröffnete Albert Bär seine Schreinerei, die er bis 1945 führte. Zu dieser Zeit war er bereits ein Jahr Mitglied des Gemeinderates für die Sozialisten. Bär blieb bis 1919 im Amt, war also auch während der hitzigen Zeit des Landesstreiks und der damit verbundenen Unruhen in Wädenswil Gemeinderat.

Albert Bär (1878–1970)

Als Bär nicht mehr selbst turnte, blieb er seiner Leidenschaft dennoch treu. Als Kampfrichter, Präsident der Veteranen und als Besucher unzähliger Verbandsturnfeste verfolgte er das Turnen bis ans Lebensende.
 
Grütlianer und der Satus
In der Mitte des 19. Jahrhunderts waren Grütlivereine patriotische Vereine (Grütli = Rütli), die das Handwerk und je länger je mehr die Arbeiterschaft aufnahmen. In Wädenswil wurde der Grütliverein 1860 gegründet. Man traf sich in der «Schmiedstube», dem Vereinslokal, im «Rössli», im «Edelweiss» oder im «Löwen», dem heutigen «Volkshaus». Der Grütliverein fusionierte 1916 mit der Sozialdemokratischen Partei. Albert Bär sprach sich gegen diese Zusammenlegung aus. In den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts teilte sich die Turnerschaft immer mehr auch entlang politischer Grenzen, später kam noch eine konfessionelle Trennung (Katholischer Turnverein KTV) dazu. Auch in Wädenswil spalteten sich die Turner in zwei Lager, als 1898 der Grütliturnverein gegründet wurde. Er wurde später in Satus umbenannt. 1916 litt der Turnverein, wie viele andere Vereine auch, an den fehlenden Männern, da viele im Militärdienst waren. Am 30. August 1916 wurde die Damenriege gegründet, die bereits im November mit einem Elfenreigen am Unterhaltungsabend auftrat.
 

Elfenreigen der 1916 gegründeten Damenriege.

Der Grütliturnverein im Jahr 1914 mit Ehrenmitglied Albert Bär in der Mitte.

Hans Blattmann-Wehrli

1842 Hans Blattmann wird geboren
1876 Mitglied der Sparkassa-Gesellschaft
1882 Hochzeit mit Anna Wehrli; sie haben gemeinsam zwei Töchter und einen Sohn
1881–1905    Kantonsrat
1885 Mitglied in der Kommission für ein Krankenasyl
1886–1901 Mitglied der Gemeindeschulpflege
1889–1895 Gemeinderat
1890–1924 Präsident der Sparkassa-Gesellschaft
1892–1916 Mitglied der Waisenhauskommission
1895–1919 Präsident des Asylvereins
1924 Ehrenpräsident der Sparkassa-Gesellschaft.
1926 16.5. Hans Blattmann stirbt 84-jährig
 
Der Gemeinnützige
Hans Blattmann, wohnhaft im «Seehof», war von Beruf Kolonialwarenkaufmann. 50 Jahre war er Mitglied der Sparkassa-Gesellschaft, 34 davon als Präsident. In dieser Zeit erlebte er sowohl den Aufschwung und Fortschrittsglauben der Jahrhundertwende als auch dessen abruptes Ende im Krieg. Blattmann betätigte sich auf vielfältige Weise politisch. Er war im Verwaltungsrat der Wädenswil-Einsiedeln-Bahn und in der Eisenbahnkommission für die Südostbahn sowie Mitglied der kantonalen Kirchensynode, des Kantonsrats und des Gemeinderats. Zusammen mit seiner Frau Anna, die während mehr als 30 Jahren den Krankenpflegeverein präsidierte, engagierte sich Hans Blattmann sozial. Auch mit seiner Schwester Anna Schnyder, die auf eigene Kosten die Kinderkrippe erbauen liess, trieb er soziale Projekte voran, obwohl er mit seinem Schwager Jean Schnyder, dem Besitzer der Pferdehaarspinnerei Schnyder, ein eher unterkühltes Verhältnis pflegte.

Hans Blattmann-Wehrli
(1842–1926)

Blattmann war in der Baukommission für den Bau des 1886 eröffneten Krankenasyls und präsidierte den Asylverein, der für das Krankenasyl und das Altersasyl zuständig war.

Ulrich Spalinger (1903–1939)
Ulrich Spalinger war von 1903 bis 1939 Kapitalverwalter der Sparkasse. Da die Mitglieder des Vorstands ehrenamtlich arbeiteten, war das erste Standbein Spalingers das Amt des Bezirksrichters. Spalinger war engagiert und humorvoll. Der Legende nach fragte er die Kunden, wenn sie Geld von ihrem Sparbuch abhoben, wofür sie es verwenden wollten. Wenn er mit der Antwort nicht zufrieden gewesen sei, habe er zu einigen Belehrungen ausgeholt.

Sparkassa Wädenswil
Die Sparkassa wurde 1816 als «Ersparungs-Cassa» von Pfarrer Paul Philipp Bruch (1767–1818) gegründet und verschrieb sich «dem Sparkassawesen auf der Grundlage der Gemeinnützigkeit».

Ulrich Spalinger.

Die Mitglieder der Sparkassa-Gesellschaft sollten sich ohne persönlichen Gewinn für die Anstalt einsetzen. Sie arbeiteten deshalb ehrenamtlich und erst 1892 wurde beschlossen, als Dank einen jährlichen Ausflug durchzuführen und nach der Abnahme der Rechnung gemeinsam zu essen. Während des Kriegs verzichtete man jedoch auf diese beiden Anlässe. Die Gemeinnützigkeit der Sparkassa wirkte sich grundlegend auf die Gemeinde aus. Sie beteiligte sich an zahlreichen Aktiengesellschaften und förderte auf diese Weise die Wasserversorgung, die Eisenbahnen, das Waisenhaus, die Strassenbeleuchtung und das Sekundarschulhaus. Alljährlich schüttete sie zudem Beiträge an gemeinnützige Vereine aus. 1916 waren dies anlässlich des Jubiläumsjahres insgesamt 25 000 Franken. Ein Grundsatz der Sparkassa war auch die jährliche Veröffentlichung der Rechnung. Bei Kriegsausbruch 1914 kam die Sparkassa kurz in Bedrängnis, als viele in Angst geratene Einleger ihre Bankguthaben abhoben. Ein von Hans Blattmann vermitteltes Darlehen der Nationalbank von 100 000 Franken stabilisierte jedoch den Geldfluss wieder und bereits zu Beginn des Jahres 1915 war der Betrag wieder zurückbezahlt.

Hans und Anna Blattmann-Schnyder wohnten im "Seehof".

Haus Blume am Reblaubenweg - Sitz der Sparkassa bis 1940.

Dr. med. Florian Felix

1859 Geburt als Sohn des Pfarrers Johann Friedrich Felix und der Margaretha Felix-Flury in Peist GR. Er ist das zweite Kind. Im gleichen Jahr stirbt die Mutter. Der Vater heiratet bald wieder, es folgen vier weitere Kinder
1866–1874 Primarschulzeit in Tamins, Sekundarschule in Affeltrangen, wo sein Vater eine Pfarrstelle angenommen hat, anschliessend Kantonsschule in Frauenfeld
1878 Er beginnt das Studium der Chemie, was ihn aber nicht befriedigt, weil er Armen und Kranken helfen will, deshalb wechselt er zur Medizin
1883 Heirat mit Anna Flury, die zufällig den gleichen Nachnamen trägt wie seine Mutter. Mit ihr wird er vier Kinder haben
1885 Umzug nach Wädenswil und Eröffnung einer Praxis
1896 Tod seiner Frau Anna. Die Bindung soll so eng gewesen sein, dass er keine neue Beziehung eingehen konnte
1931 Florian Felix stirbt mit 73 Jahren in Wädenswil

 

Der Dorfarzt
Fast ein halbes Jahrhundert praktizierte Dr. Florian Felix als Dorfarzt in Wädenswil. Der vielseitig gebildete Mann interessierte sich für die Natur, Ornithologie, bildende Kunst, Musik und Literatur, insbesondere mochte er Gottfried Keller, den er persönlich gekannt hatte. Früh verwitwet, unterstützte ihn seine älteste Tochter Anna in der Praxis und im Haushalt. Sohn Paul machte dem Vater zeitlebens Sorgen: Er begann verschiedene Studien, brach aber alles ab, nannte sich später Schriftsteller, dies jedoch mit bescheidenem Talent, sodass er nie finanziell unabhängig wurde. Dem Humor von Florian Felix konnten seine privaten Schwierigkeiten nichts anhaben; immer wieder werden sein sonniges Gemüt und sein schallendes Lachen erwähnt. Zahlreiche Anekdoten von ihm sind überliefert. So soll ein Kind der Familie Hauser einmal im Auftrag des Vaters zu Dr. Felix geschickt worden sein, um auszurichten:

Florian Felix (1859–1931).

Mit der Rechnung könne etwas nicht stimmen, denn bei ihnen sei im vergangenen Jahr niemand krank gewesen. Felix soll geantwortet haben: «Buebeli, sag deinem Vater, das wisse der Felix auch. Die Rechnung ist aber zu bezahlen, sonst werde ich die Familie Hauser nie mehr besuchen.» Florian Felix liess auf diese Weise offenbar finanziell besser gestellte Patienten für die Behandlung der Ärmeren aufkommen.

Florian Felix war 1891 Mitbegründer der SAC-Sektion Hoher Rohn.

Florian Felix hatte seine Praxis im Haus zur Gerbe.

Krankenasyl Wädenswil, eingeweiht 1886. Hier wirkte Florian Felix als Belegarzt.

«Er war ein kleiner, rundlicher Mann mit blondem Schopf, grossen blauen Augen und weithin schallendem Lachen. Immer für gute Laune, voll Begeisterung für seinen Beruf, für Musik und alles, was ‹kreucht und fleucht›, daneben leidenschaftlicher Bergsteiger. Wir unternahmen viele Hochtouren zusammen.»

Mentona Moser

Eduard Fürst

1866 9.3. Geburt in Affoltern bei Zürich
    Sekundarschule, danach kaufmännische Lehre in Zürich
  Welschlandaufenthalt
1890 Als «Reisender» (Aussendienstmitarbeiter) kommt er nach Wädenswil und nimmt eine Stelle in der Mützenfabrik Fisch an
1898 25.3. Heirat mit Lina Zurlinden in Langenthal, mit ihr hat er fünf Kinder, von denen eines früh stirbt
1902 Patron Fisch nimmt Fürst als Kommanditär ins Geschäft auf
1908 Eduard Fürst übernimmt nach dem Tod von Jacques Fisch dessen Mützenfabrik an der Eintrachtstrasse
19161944 Mitglied der Sparkassagesellschaft
1944 3.4. Eduard Fürst stirbt 78-jährig in Wädenswil
 
Der Mützenfabrikant
Eduard Fürst wuchs in einfachen Verhältnissen in Affoltern bei Zürich auf. Sein Vater arbeitete als Seidenfärber und besorgte zusätzlich mit seiner Frau einen kleinen Landwirtschaftsbetrieb. Seine beiden Brüder starben früh, dafür durfte Eduard die Sekundarschule besuchen und eine kaufmännische Ausbildung machen, wofür er seinem Vater sehr dankbar war. 1890 kam er nach Wädenswil in die Mützenfabrik von Jacques Fisch, die er nach dem Tod seines Patrons im Jahr 1908 übernahm. Im selben Jahr baute er sich ein Haus an der Schönenbergstrasse, auf das er den Spruch «Zur Herberg hier für kurze Zeit, die Heimat ist die Ewigkeit» anbringen liess. Fürst galt als rastloser, zäher «Chrampfer», der sich selber keine Weichheit zugestand, seinen Arbeitnehmern gegenüber aber wohlwollend war. Langjährige Mitarbeiter, die eigentlich nicht mehr «rentabel» waren, behielt er dennoch in seinem Unternehmen, damit sie ohne existierende Vorsorgeeinrichtungen nicht Mangel leiden mussten. Langjährige Mitarbeiter nannten ihn denn auch liebe-, aber respektvoll «Papa Fürst».

Eduard Fürst (1866–1944)

Mützenfabrik Fürst an der Eintrachtstrasse.

Briefkopf der Hutfabrik Hochstrasser 1886.

Wädenswil als Hutmacherstandort
Wädenswil war seit Mitte des 19. Jahrhunderts führend in der Kopfbedeckungsindustrie. Es gab drei wichtige Fabrikationsbetriebe: Der älteste war die 1848 gegründete Hutmacherei H.J. Hochstrasser bei der Reformierten Kirche. Karl Felber, ehemaliger Angestellter von Hochstrasser, gründete 1870 die Hut- und Mützenfabrik Karl Felber. Die dritte Fabrik ging aus einem ehemaligen Angestellten Felbers hervor: Jacques Fisch gründete 1884 die spätere Mützenfabrik Fürst. Berühmtheit wurde der Betrieb für seine «Büsi-Mützen», die Fürst 1923 patentieren liess.
 
«Durch Fleiss, Sparsamkeit und Tüchtigkeit, gepaart mit sozialem Edelsinn, nicht zuletzt auch dank der tatkräftigen Mithilfe seiner beiden Schwiegersöhne Fritz Zurschmiede und Armin Staub, brachte er das Geschäft aus kleinen Anfängen zu grosser Blüte.»

Allgemeiner Anzeiger vom Zürichsee, 4.4.1944


In der Hutfabrik Felber an der Oberdorfstrasse.

Hermann Gattiker und die Wädenswiler Beizen

Die Wädenswiler Beizen
Das gesellschaftliche Leben fand früher zu einem grossen Teil im Wirtshaus statt. Eng damit verbunden waren die zahlreichen Vereine, die über ihr jeweiliges Stammlokal verfügten und nach den Versammlungen, Proben und körperlichen Ertüchtigungen hier einkehrten. An Wochenenden oder Feiertagen waren die Gaststuben voll, es gab Musik und es wurde getanzt. Zu den ältesten Gasthöfen in Wädenswil gehörten das Gemeindehaus bei der Kirche, das 1821 abgebrochen wurde, die «Krone», der «Engel» und der «Hirschen». Von der Bedeutung der Beizen zeugt auch die Zahl der ausgestellten Wirtschaftspatente. Es wurden 6 Gasthof-, 40 Wirtschafts- und 25 Kleinverkaufspatente erteilt.

Restaurant Schiffli, abgebrochen 1931.

Hermann Gattiker vor seinem Restaurant.

Hermann Gattiker und das «Schiffli»
Hermann Gattiker (1876–1967) machte eine Konditorlehre und übernahm nach einem Auslandaufenthalt 1901 von seinen Eltern das «Schiffli», was ihm den Übernamen «Schiffli-Gattiker» eintrug. Er betrieb das Restaurant bis das Gebäude 1931 für den neuen Bahnhof abgebrochen wurde. Von 1911 bis 1916 war er zudem der Pächter des Gasthofs auf der Halbinsel Au. Dort nahm die Zahl der Ausflugsgäste wegen des Kriegs immer mehr ab. Hermann Gattiker engagierte sich in der Stiftung zur Erhaltung der Burgruine Alt-Wädenswil, im Verkehrsverein und fast 45 Jahre im Fasnachtsverein «X-Gesellschaft».

Der «Engel»
Der 1878 erbaute Engelsaal war während Jahrzehnten ein viel genutzter und beliebter Versammlungsort. Hier fanden Bankette, Generalversammlungen, Musikfeste und Theateraufführungen statt. Aber auch die Turner präsentierten hier ihr Können an den Kränzchen und nutzten die gesamte Höhe des Saals. Witwe Pauline Meyer-Schoch erbte 1895 den Gasthof von ihrem verstorbenen Mann, der seit 1883 hier gewirtet hatte. Sie führte den Betrieb zusammen mit dem Sohn bis 1918.
 
Weinlieferung für den «Hirschen»
Im «Hirschen» fand zu Silvester 1916 ein rauschendes Fest statt. Denn die 400 Liter Traubensaft, die der Wirt Karl Kessler im Bündnerland für den beliebten Sausersonntag bestellt hatte, wollten einfach nicht gären. So kam es, dass es nach vielen Wochen erst um Weihnachten in den Fässern «rauschte», worauf im «Anzeiger» sofort zum grossen Sauserfest eingeladen wurde.
 
Abstinenzbewegung
Am Ende des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts fand die Alkohol-Abstinenzbewegung auch in der Schweiz grossen Anklang. Durch den Verzicht auf Alkohol versprach man sich die Lösung für zahlreiche gesellschaftliche Probleme und die Hebung der Sittlichkeit. Einer der Vordenker der Abstinenzbewegung war Auguste Forel. Er gehörte im Schloss Au bei Fanny Moser-Sulzer zu den gern gesehenen Gästen.

«Einmal empfing sie sogar eine Abordnung des Internationalen Kongresses des Guttempler Ordens. Der lange Demonstrationszug mit Forel an der Spitze marschierte vom Bahnhof die Allee entlang und rund um den Rasenplatz vor das Haus. Und Mama bewirtete alle.»

Fanny Moser-Sulzers Tochter Mentona

In Wädenswil gab es 1916 drei Vereine, welche die Abstinenz propagierten: das Blaue Kreuz, der Allianz-Abstinentenbund und die Guttemplerloge. In der Zeitung erschienen immer wieder Anzeigen, die für ihre Anliegen warben. Gegendarstellungen liessen oft nicht lange auf sich warten.
 
Alkoholfreier Gasthof «zur Sonne»
im Jahr 1911 eröffnete Robert Matzinger den alkoholfreien «Gasthof zur Sonne» als erste Lokalität dieser Art auf dem Land im Kanton Zürich. Hier fanden zahlreiche Vorträge zu Themen rund um die Gefahren des Alkoholismus statt.

Gasthof Hirschen, abgebrochen 1975.

Werbung für den Alkoholfreien Gasthof zur Sonne.

Bertha Isler – das Fräulein vom Amt

Von Bertha Isler, die von 1908 bis nach 1920 die Telefonzentrale Wädenswil bediente, kennen wir einzig den Namen. Zudem wissen wir, dass sie in dieser Zeit unverheiratet gewesen sein muss, denn die PTT beschäftigte ausschliesslich ledige Frauen. Das Portraitbild ist wohl jünger und zeigt eine der Nachfolgerinnen Bertha Islers. Das erste Telefonnetz der Schweiz wurde 1880 in Zürich in Betrieb genommen. Bereits 1883 folgte Wädenswil mit dem neunten Ortsnetz der Schweiz und elf Abonnenten. Mitte 1916 zählte das Netz in Wädenswil 171 Anschlüsse. Telefoniert werden konnte nur tagsüber, denn einen Nachtbetrieb gab es erst ab 1923. Wer telefonieren wollte, drehte die Kurbel an seinem Telefonapparat, was bei Fräulein Isler an der Zentrale ein Signal auslöste. Telefonnummern gab es noch nicht, man verlangte einfach den gewünschten Namen. Für Verbindungen innerhalb des Wädenswiler Telefonnetzes stöpselte Isler die Verbindung direkt, sonst musste sie die Verbindung zu einer anderen Telefonzentrale aufnehmen. Nach Zürich standen 1923 sechs Leitungen zur Verfügung. Die Wartezeit für eine Verbindung konnte mehrere Minuten betragen. War ein Gespräch beendet, drehte man wiederum die Kurbel, was «Abläuten» genannt wurde. Erfolgte nach fünf Minuten kein Abläuten, hatte die Telefonistin zu fragen: «Fertig?» Falls keine Antwort kam, beendete sie die Verbindung.

Das "Telefonfräulein" am Telegraf.

Das 1896 eingeweihte Postgebäude an der Seestrasse 105. Fassadenmalereien im Jugendstil.

Die bis 1936 von Hand bediente Telefonzentrale Wädenswil.

Gisela Lucci-Purtscher

1871 16.11. Geburt in Konstantinopel, heute Istanbul. Ihr Heimatort ist Lienz, Österreich. Die Eltern sind 1871 aus beruflichen Gründen in Konstantinopel, denn der Vater ist Oberinspektor der Südbahngesellschaft
vor 1894 Ausbildung zur Lehrerin
1894 Immatrikulation an der Universität Zürich für das Studium der Medizin
18991900 Abschluss des Studiums an der Medizinischen Klinik der Universität Innsbruck
1910 10.10. Heirat in Basel mit dem Witwer Rinaldo Lucci, italienischer Staatsbürger, der eine Tochter in die Ehe mitbringt
1913 02.02. Vortrag in Wädenswil: «Über den Unterschied zwischen Schulmedizin und Naturheillehre»
1914 Umzug von Basel nach Wädenswil, zuerst im Grundhof wohnhaft
19151916 Bau einer Villa mit Terrasse an der Halden am heutigen Alpenweg 71
1916 Einzug in den Neubau und Eröffnung des Kurbades «Frauenheil» an dieser Adresse
1920 Scheidung von Rinaldo Lucci
1930 Umzug nach Feldmeilen, wo sie in der Stöckenweid ein Kur- und Erholungsheim mit biologischem Landbau betreibt
1939 Umzug auf den Möschberg BE, zusammen mit ihrer Hausdame Frl. Merz. Sie liess sich ein Chalet bauen und praktizierte noch bis ca. 1956
1959 10.07. Gisela Lucci-Purtscher stirbt im Alter von 88 Jahren auf dem Möschberg
 
Die Naturheilärztin
Gisela Malewa Purtscher begann ihr Medizinstudium in Zürich, wo Frauen zum Studium bereits zugelassen waren, und schloss es später in Innsbruck ab. Sie wohnte danach in Basel und heiratete mit 39 Jahren den um sechs Jahre jüngeren Italiener Rinaldo Lucci. Die Eheleute waren sehr unterschiedlich: Sie störte sich bald daran, dass ihrem Mann keine Arbeitsstelle gut genug war und sie ihn finanzieren musste. Er vermisste an ihr die hausfraulichen Tugenden. Und im neuen Frauenkurbad, das seine pragmatische Frau am Wädenswiler Berg erbauen liess, fehlte es ihm an Eleganz und Komfort. Er war nur noch selten anwesend und vergnügte sich offenbar ausserehelich, wie die Ärztin anhand seiner Filzläuse diagnostizierte. Abgesehen von diesen intimen Details aus den Scheidungsakten ist über das Privatleben der Reformärztin wenig bekannt. Sie betreute auch nach der Trennung von ihrem Mann zeitweise dessen schwierige Tochter und liebte ihre Deutschen Schäferhunde. Eine Konstante in ihrem Leben war die Hausdame Frl. Merz, die bereits in Wädenswil für sie arbeitete, ebenso später in Feldmeilen und auf dem Möschberg.

Gisela Lucci-Purtscher
(1871–1959)

Am gesellschaftlichen Leben Wädenswils hat sich Lucci-Purtscher offenbar nur wenig beteiligt. Neben dem Betrieb ihrer ärztlichen Praxis schrieb sie Bücher zu unterschiedlichen Reformthemen und bot Kurse für Tiefenatmen, Gymnastik, Massagen oder Wasseranwendungen an. Zudem arbeitete sie mit der Autosuggestionstechnik von Emil Coué und galt als beste deutschsprachige Lehrerin auf diesem Gebiet.
 
Monte Verità am Wädenswiler Berg
Der Begriff Lebensreform steht für eine ganze Reihe unterschiedlicher Reformbewegungen, die am Ende des 19. Jahrhunderts vor allem in Deutschland und der Schweiz aufkamen. Sie waren eine Reaktion auf die rasche Industrialisierung, verbunden mit der Verstädterung der Landschaft und ungesunden Lebensbedingungen der Fabrikarbeiter. Der menschliche Körper wurde neu entdeckt und die Reformer strebten nach einer naturgemässen Lebensführung Vegetarismus, Naturheilkunde, Reformkleidung, Sonnen- und Lichtbäder, Fastenkuren oder Ausdruckstanz waren nur einige der Themen, die zu dieser Zeit aufkamen. Der wohl bedeutendste Ort der Schweizer Lebensreform war der Monte Verità oberhalb von Ascona. Auf dem Wädenswiler Berg betätigte sich Gisela Lucci-Purtscher gleich in mehreren Reformbereichen: Neben den Kursen und dem Angebot für Sonnen-, Luft- und Schwitzbäder schrieb sie Bücher über Ernährung, über Frauenthemen und Mutterschaft – hier beschäftigte sie sich auch eingehend mit der Reformkleidung, weil das Korsett den weiblichen Körper schädige. Ihre Schriften zum Thema Autosuggestion gelten noch heute als Standardwerke.
«Aus Liebe habe ich den Mann von Anfang an nicht geheiratet, sondern um nicht allein zu sein und weil ich dachte, man könne doch keinen Mann finden, der in jeder Richtung allen Wünschen entspreche.»
 
«Sofern wir überhaupt die Absicht haben, unser Leben zu bejahen, sind wir nicht vor die Wahl gestellt, die Autosuggestion anzuwenden oder nicht. Denn sie ist ein Wesentliches im Lebensvorgang selbst. Wir haben nur die Wahl, ob wir sie, die sowohl Gutes als auch Schlimmes bewirken kann, fernerhin unbewusst anwenden, ober ob wir sie bewusst benützen wollen.»

Gisela Lucci-Purtscher

Frauenkurbad von Gisela Lucci-Purtscher am heutigen Alpenweg.

Fanny Moser von Sulzer-Wart

1848 28.07. Geburt der Fanny Louise, Freiin von Sulzer-Wart
1870 28.12. Heirat mit dem reichen Uhrenindustriellen Heinrich Moser aus Schaffhausen, Geburt der beiden gemeinsamen Töchter Fanny und Mentona
1874 23.10. Tod Heinrich Mosers – nur 4 Tage nach der Geburt der zweiten gemeinsamen Tochter erhebt er sich vom Frühstückstisch, fällt zu Boden und stirbt
1874–1887 Fanny Moser-Sulzer und ihre Töchter ziehen mehrmals um
1887 Einzug auf Schloss Au
1903 Tochter Fanny heiratet Jaroslav Hoppe, einen Musiker
1903 Tochter Mentona beginnt sich nach einem Englandaufenthalt in Zürich sozial zu engagieren und gibt Kurse für Sozialarbeiterinnen. Später entsteht daraus die Schule für Soziale Arbeit
1909 Mentona heiratet den Sozialisten Dr. Hermann Balsiger
1914 Tochter Fanny, die gegen den Willen der Mutter studiert und doktoriert hat, beginnt sich wissenschaftlich mit parapsychologischen Phänomenen zu beschäftigen
1917 Fanny Moser-Sulzer verkauft ihr Anwesen auf der Au. Umzug nach Kilchberg
1925 02.05. Fanny Moser-Sulzer stirbt 77-jährig in Kilchberg und hinterlässt ihren beiden Töchtern je ein grosses Vermögen, obwohl sie beiden «nur» den gesetzlichen Pflichtteil zugesteht
 
Eine Frau voller Widersprüche
Freiin Fanny wuchs in Winterthur als Mitglied des adligen Sulzer-Zweiges auf. 21-jährig lernte sie auf einer Zugfahrt den um 43 Jahre älteren Heinrich Moser kennen, einen Uhrenindustriellen aus Schaffhausen, und heiratete ihn kurze Zeit später gegen den Willen ihrer Eltern. Auch die fünf Kinder des Witwers waren gegen die Verbindung, insbesondere der älteste Sohn Henri. Als Moser nach der Geburt seiner Tochter Mentona starb, verbreitete der Sohn das Gerücht, Fanny habe ihren Mann vergiftet. Die junge Witwe liess die Leiche exhumieren und untersuchen. Obwohl damit die Unschuld bewiesen war, versperrte ihr das Gerücht später in Karlsruhe den Zugang in adlige Kreise. Mit dem Kauf der Au ergab sich dann aber die Gelegenheit, selber Hof zu halten. Die Freifrau nannte sich fortan Baronin, was im deutschen Sprachraum eigentlich nicht die korrekte Anrede war. Die Beziehung zu ihren Töchtern war schwierig. Die Lieblingstochter Fanny studierte gegen den Willen der Mutter, die jüngere Mentona wurde erst Sozialistin und später Kommunistin.

Fanny Moser (1848–1925)

Fanny Moser gehörte zwar zu den reichsten Frauen der Schweiz, doch der Erste Weltkrieg löste bei ihr Existenzängste aus, weil grosse Teile ihres Vermögens in Russland angelegt waren. Aus diesem Grund verkaufte sie 1917 ihr Gut auf der Au fast panikartig und zog nach Kilchberg.
 
Die Baronin und ihre Gäste
Kaum auf Schloss Au eingezogen, begann Fanny Moser grosse Einladungen zu veranstalten: Konzerte, Tanzabende, Bootsfahrten oder Damen-Teekränzchen. Im Gästebuch finden sich neben Vertretern des wilhelminischen Kaiserreiches Schweizer Namen wie die von Salis, Escher oder Wille. Auch Künstler weilten gerne auf der Au: Der Dichter Meinrad Lienert, die Schriftsteller Emil Ludwig und Conrad Ferdinand Meyer oder die Maler Segantini und Hodler. Wer bei der Baronin in Ungnade fiel, dessen Name wurde im Gästebuch überklebt – so Pfarrer M. Bion aus Zürich, der Tochter Fanny in ihrem Wunsch zu studieren unterstützt hatte oder der wohl bekannteste Gast: Sigmund Freud. Ihn hatte sie 1890 in Wien aufgesucht. In seinen «Studien über Hysterie», beschrieb er später den Fall von «Frau Emmi von N», die allzu leicht als Fanny Moser identifizierbar war. Aus Wädenswil finden sich Hermann Müller-Thurgau oder die Textilfabrikanten Gessner und Treichler mit dem Dorfarzt Dr. Florian Felix. Über den Gelehrten Auguste Forel liess sich die Baronin für die Abstinenzbewegung begeistern. Mit und ohne Alkohol, das zeigt das Gästebuch, war die Au für viele Besucher ein beliebter Rückzugs- und Ausflugsort.
 
«Die Umwälzung, die Forel mit der Abstinenzbewegung bewirkte, war erstaunlich. Wenn bis dahin an allen Festlichkeiten, selbst bei privaten Anlässen und Tanzgesellschaften gegen Schluss regelmässig Gäste betrunken unter dem Tisch lagen, kam dies fortan nur noch selten vor.»

Mentona Moser

Fanny Moser mit Tochter Fanny und deren Mann Jaroslaw Hoppe auf der Au.

Schloss Au, bis 1917 Besitz von Fanny Moser.

Hermann Müller-Thurgau

1850 21.10. Geburt in Tägerwilen (TG)
  Nach der Volksschule Besuch des Lehrerseminars Kreuzlingen.
1869 Lehrer an der Realschule Stein am Rhein.
1870–1874 Studium der Naturwissenschaften am Polytechnikum, der heutigen ETH, mit Doktorat.
1876 Leiter des Instituts für Pflanzenphysiologie an der Preussischen Lehr- und Forschungsastalt für Wein-, Obst- und Gartenbau in Geisenheim. In dieser Zeit erhält er zur Unterscheidung und wegen seiner Herkunft den Zusatz «Thurgau» an den Namen gehängt
1881 Hochzeit mit Berta Biegen; sie haben gemeinsam drei Töchter.
1891 Direktor der deutsch-schweizerischen Versuchsstation und Schule für Obst-, Wein- und Gartenbau im Schloss in Wädenswil.
  Mitgründer der Sektion Hoher Rohn des SAC.
1898 Publikation «Die Herstellung unvergorener und alkoholfreier Traubenweine».
1902 Die Versuchsanstalt wird von der Eidgenossenschaft übernommen.
1906 Nach Jahren der Forschung und der Züchtung zusammen mit Heinrich Schellenberg werden erstmals 100 Liter Riesling × Silvaner hergestellt
1924 Rücktritt als Direktor der Versuchsanstalt.
1927 18.1. Hermann Müller-Thurgau stirbt 76-jährig.
1950 Der 100. Geburtstag wird mit der Einweihung der Müller-Thurgau-Strasse beim Schloss gefeiert.
1999 Genetische Untersuchungen kommen zum überraschenden Befund: In der Traube ist kein Silvaner enthalten, es handelt sich um einen Riesling × Chasselas.
 
Der Forscher
Müller-Thurgau war ein äusserst exakter Forscher, der zahlreiche Reben- und Obstkrankheiten entschlüsselte und Bekämpfungsmethoden ermittelte. Ausserdem befasste er sich mit der Gärung und Fehlern in Weinen und Obstsäften. Die Entwicklung von haltbarem gärungsfreiem Traubensaft und von Most war bahnbrechend, denn vorher gab es noch keine alkoholfreien Fruchtsäfte auf dem Markt. Der Mitbegründer der Abstinenzbewegung, Auguste Forel, wollte Müller-Thurgau aus diesem Grund als Kopf der Bewegung gewinnen, was Müller-Thurgau aber ablehnte. Er hielt die Bewegung für eine Erscheinung des Zeitgeists, die Wissenschaft müsse aber zeitlos gültig sein. Müller-Thurgau galt als fröhlich und humorvoll. Seine wissenschaftlichen Erkenntnisse brachte er verständlich und einfach umsetzbar in die Praxis, weshalb er auch bei Obst- und Weinbauern ein geschätzter Diskussionspartner war.
 
Die Versuchsanstalt
Die Versuchsanstalt für Obst-, Wein- und Gartenbau wurde 1890 gegründet, da sich der Wein- und Obstbau in der Schweiz in einer Krise befand. Vereinfachte Transportwege hatten zum Import billigerer Weine geführt, es gab keine Regelungen gegen Weinzusätze («Kunstwein») und Schädlinge wie die Reblaus und Krankheiten wie Mehltau zerstörten die Bestände. Viel Obst wurde deshalb nur zu Schnaps gebrannt verwendet. Wädenswil hatte sich als Standort für das Institut letztlich gegen andere Orte durchgesetzt, weil es das Schloss mit Gutsbetrieb «schenkungsweise zur Verfügung stellte». Im Ersten Weltkrieg waren die Erkenntnisse der Anstalt besonders gefragt. Die steigenden Lebensmittelpreise und das immer knappere Nahrungsmittelangebot zwangen die Leute zu mehr Selbstversorgung. So wurden Kurse zum Haltbarmachen von Früchten und Gemüse angeboten, die rege besucht wurden. Auch Vereine veranstalteten solche Abende. Im Gegensatz zum Zweiten Weltkrieg war die Versorgung des Landes kaum organisiert. Die lange Dauer des Krieges überraschte die Behörden, weshalb auf allen Ebenen stark improvisiert wurde. Die Rationierung von Lebensmitteln setzte erst 1917 schrittweise ein.

Hermann Müller-Thurgau (1850–1927).

Hermann Müller war auch ein talentierter Zeichner.


«Der Wein ist ein grosses Kulturgut und ist der Gesundheit bei mässigem Genuss durchaus zuträglich. Alkoholfreie Fruchtsäfte sind notwendig für Menschen, die dem Wein nicht zugeneigt sind, ihn aus gesundheitlichen Gründen meiden müssen und vor allem für Jugendliche.»
 
Hermann Müller-Thurgau
 
Bakteriologisches Labor in der Versuchsanstalt, 1917.


Bertha Rellstab-Streuli

1868 Geburt der Bertha Steuli im Sonnenhof in Horgen
1890 Bertha heiratet Emil Rellstab, die beiden haben zwei Töchter und zwei Söhne
1912 Bertha Rellstab wird durch die Wahl ihres Mannes in den Nationalrat zur «Frau Nationalrat»
19161937 Bertha Rellstab ist im Asylverein Mitglied der Frauenkommission
1922 Ehemann Emil Rellstab stirbt.
1951 Bertha Rellstab-Streuli stirbt 83-jährig.
 
Frau Nationalrat
Bertha Rellstab-Streuli stammte aus einer gutbürgerlichen Horgner Familie. Standesgemäss erhielt sie in einem Pensionat im Welschland eine Ausbildung in Musik, Malerei und Kunsthandwerk. Mit 22 Jahren heiratete sie den 37-jährigen Bauern Emil Rellstab. Nachdem ihr Mann den elterlichen Betrieb im Leihof übernommen hatte, war sie für den prächtigen Bauerngarten und das Haus zuständig, wo sie ihr grosses Talent für Handarbeiten einbringen konnte. So waren beispielsweise alle Vorhänge im Haus nicht etwa genäht, sondern gestrickt. Allerdings nähte sie auch: Sie sammelte die in Berlin herausgegebene «Illustrierte Wäsche-Zeitung», die Schnittmuster und Stickanleitungen enthielt. In ihrem Nachlass sind die Ausgaben der Jahre 1897 bis 1913 erhalten. Der Erste Weltkrieg führte auch auf dem Leihof zu drastischen Einschränkungen. Während Ehemann Emil Rellstab als Nationalrat sehr oft in Bern weilte, war Sohn Paul als Kavallerist mit seinem Pferd im Dienst. So fehlte nicht nur ein wichtiger Mann, sondern auch das Zugtier.
 
Wohltätiges Engagement im Krankenasyl
Auch sozial engagierte sich Bertha Rellstab: 1916 trat sie in der Frauenkommission des Krankenasyls (später Spital) bei, in der sie bis 1937 amtete. Das Krankenasyl war im Jahr 1877 als Krankenstation mit drei Zimmern im Armenhaus gegründet worden. Initiantin dieses Projekts war Berthas 1904 verstorbene Schwägerin Elisabeth Rellstab gewesen. Weil der Platz im Armenhaus zu eng war, wurde bald aus Spendengeldern der Bau eines eigenen Krankenasyls in Angriff genommen, das 1886 eingeweiht wurde. Der Frauenkommission oblag der Betrieb des Spitals: Sie überwachte die Krankenpflege, die Haushaltführung, wählte das Pflegepersonal, entschied über Aufnahme und Entlassung von Patienten und setzte die Höhe des Pflegegeldes fest, während die Männerkommission für die technischen, baulichen und finanziellen Aspekte des Betriebs zuständig war. Nach 21-jährigem Engagement in der Frauenkommission wurde Bertha Rellstab von ihrer gleichnamigen Schwiegertochter abgelöst.
 

Bertha Rellstab-Streuli
(1868–1951).

Elisabeth Rellstab-Streuli (1843–1904).

Krankenasyl Wädenswil, eingeweiht 1886.

Fritz Stüssi

1874 06.04. Geburt im Bauerndorf Huggenberg in der politischen Gemeinde Hofstetten bei Elgg, wo der Vater eine Stelle als Primarlehrer hat. Gymnasium und Musikschule in Zürich Abschlussprüfung an der Musikschule Zürich 
1894/95 Weiterbildung an der Königlichen Hochschule für Musik in Berlin
1895 Klavier- und Theorielehrer, Pianist und Leiter des Akademischen Orchesters Zürich
1896 Stüssi übernimmt als Dirigent den Damenchor Selnau, den Evangelischen Kirchenchor Rapperswil-Jona und den Sängerverein Harmonie Zürich
1897 Leitung des Männerchors Pfäffikon ZH
1898 Heirat mit Hanna Pfenninger und Umzug nach Wädenswil. Er und seine Frau werden in den folgenden Jahren Eltern von drei Söhnen und zwei Töchtern
  Leiter des Männerchors Eintracht
1899 Dirigent des Kirchengesangvereins Wädenswil
  Grosse Erfolge mit dem Männerchor Eintracht an den Eidgenössischen Sängerfesten in Bern (1899) und Zürich (1905)
19001902 Leiter des Musikvereins Harmonie Wädenswil
1902 Organist in der Reformierten Kirche Wädenswil
1908 Leiter Liederkranz Uster
1910 Leiter Sängerverein Richterswil
1918 Verbandsdirektor des Sängervereins am Zürichsee
1920 Leiter Sängerverein Lachen und Männerchor Männedorf
1922 Misserfolg des Männerchors Eintracht am Sängerfest in Luzern
1923 14.03.
Fritz Stüssi stirbt unerwartet mit 49 Jahren
 
Der Musikdirektor
Der musikalisch begabte Fritz Stüssi erhielt schon früh in seinem Elternhaus in Huggenberg bei Elgg Klavierunterricht. Damit er auch das Orgelspiel erlernen konnte, kam er als Jugendlicherer nach Käpfnach in die Obhut zweier Tanten. Mit 24 Jahren heiratete er die 21-jährige Hanna Pfenninger und zog nach Wädenswil. Nach nur vier Jahren war mit der Leitung des Männerchors Eintracht, dem Kirchengesangverein, dem Musikverein Harmonie und dem Posten als Organist fast das gesamte Wädenswiler Musikleben in seiner Hand. Stüssi war aber nicht nur Dirigent und Organist, er komponierte auch selber. Zu Hause war er nur selten. Fast jeden Abend dirigierte der erfolgreiche Musikdirektor nicht nur in Wädenswil, sondern an zahlreichen Orten am oberen Zürichsee. Für die Reisen benutzte er die Eisenbahn, wo er für seine Kompositionsnotizen immer sein kleines schwarzes Skizzenbüchlein dabei hatte. Die immense Arbeitslast und ein schwerer Diabetes begannen schliesslich an seinen Kräften zu zehren.

Fritz Stüssi (1874–1923).

Anfang März 1923 reiste er nach Degersheim SG zur Kur, wo er am 14. März völlig unerwartet mit 49 Jahren starb.

Dirigent des Männerchors Eintracht
1898 übernahm Fritz Stüssi die Leitung des Männerchors Eintracht, der zu diesem Zeitpunkt 276 Aktiv- und Passivmitglieder zählte. Der 1851 gegründete Verein wagte sich unter Stüssis Leitung an immer anspruchsvollere Werke – 1905 sangen die Männer zusammen mit den Damen des Kirchengesangvereins erstmals ein Wagner-Konzert. Zwischen 1907 und 1922 bildeten Balladen den Mittelpunkt der Aufführungen. Natürlich gehörten auch Stüssis Eigenkompositionen ins Repertoire der «Eintracht» und noch heute werden einzelne Werke vom Verein regelmässig gesungen, so der 1901 komponierte «Normannenzug». Der Erste Weltkrieg schränkte die Aktivitäten des Chores ein, weil viele Männer als Soldaten Dienst leisten mussten. Um dennoch Konzerte zu ermöglichen, fusionierte Stüssi im Jahr 1916 den Männerchor temporär mit dem Orchesterverein und dem Kirchengesangsverein. Auf diese Weise wurde Haydns «Schöpfung» aufgeführt und im Herbst «In den Alpen» zusammen mit dem Zürcher Hegar-Chor.
 
«Die Sachlage ist klar: Herr Stüssi hat sich schon vielfach als tüchtigen Organisten erwiesen und zur Hebung des musikalischen Lebens der Gemeinde beigetragen, es wird daher von einer Ausschreibung Umgang genommen und Herr Stüssi mit Einmut als Organist gewählt.»

Protokoll Kirchenpflege, 14.07.1902

Der von Fritz Stüssi dirigierte Männerchor Eintracht im Jahre 1901.

Jakob Treichler

1864 Jakob Treichler wird geboren
  Besuch des Technikums Winterthur, anschliessend Praktikum in einem Fabrikationsbetrieb in Aachen
1889 Besuch Weltausstellung in Paris mit seinem Bruder Walter
1891 Mitbegründer SAC-Sektion «Hoher Rohn»
1893 Mit-Initiant und Gründer «Aktiengesellschaft Elektricitätswerk an der Sihl»
1894 Bruder Walter stirbt 33-jährig beim Abstieg vom Kleinen Mythen an einem Schlaganfall
1894 11.10. Vater Johann Jakob Treichler stirbt im selben Jahr und Jakob Treichler wird alleiniger Besitzer der Wolltuchfabrik am Sagenbach
1895 Übernahme des Wohnhauses «Neuhof»
1895 6.12. Ein Brand, ausgebrochen im Hochkamin, legt die Tuchfabrik in Schutt und Asche
1897 Heirat mit Katharina Gredig in Davos, die beiden haben drei Kinder
1899 Jakob Treichler verkauft sein altes Fabrikareal
1900 1.10. Kauf der in finanzielle Schwierigkeiten geratenen Tuchfabrik Fleckenstein-Schulthess am Reidbach. Neu gegründete «Aktiengesellschaft Tuchfabrik Wädenswil»
18981904 Mitglied des Gemeinderats
1902 Direktionsmitglied und Vizepräsident der Bank Wädenswil, mindestens bis 1913
19041916 Mitglied der Schulpflege und der Steuerkommission, Verwaltungsrat der EKZ und der NOK, sowie der Ziegelei Paradies-Schlatt und der AG Dachziegeleiwerk Frick
1922 1.3. Jakob Treichler stirbt bei einem Autounfall in Turgi AG
 
Der Textilfabrikant
Die Brüder Walter und Jakob Treichler besuchten 1889 die Weltausstellung in Paris und erkannten dort das Potenzial der elektrischen Kraftübertragung für ihre Industrie. Unter der Regie von Walter Treichler, der weitere Wädenswiler Industrielle sowie als Spezialisten für Elektrizität den ETH-Professor Walter Wyssling mit ins Boot holte, entstand an der Sihl das öffentliche Kraftwerk «Waldhalde», das erste im Kanton Zürich. Walter Treichler erlebte die Inbetriebnahme nicht mehr, er starb mit nur 33 Jahren. Für Jakob Treichler war 1894 ein schwieriges Jahr, denn kurz nach dem Bruder starb auch der Vater. In der Folge verschlimmerte sich seine eigene Lungenkrankheit und er reiste für längere Zeit nach Davos zur Kur, wo er sich vollständig erholen konnte und zudem seine Frau kennenlernte.

   Jakob Treichler (1864–1922).

Ein Rückschlag war der Brand seiner Fabrik im folgenden Jahr. Entgegen einer ersten Ankündigung baute er die Fabrik im Frühjahr nicht gleich wieder auf. Erst fünf Jahre später, als die Textilfabrik Fleckenstein-Schultheiss am Reidbach in finanziellen Schwierigkeiten steckte, sah er seine Chance gekommen und er schlug zu. 1900 gründete er die Tuchfabrik Wädenswil (Tuwag). Das Unternehmen wuchs kontinuierlich. Die Jahre des Ersten Weltkrieges waren für das Unternehmen zwar nicht einfach, weil die Beschaffung von Rohmaterialien sehr schwierig war und die Preise für Wolle und Chemikalien stark anstiegen. Gleichzeitig bestand eine hohe Nachfrage durch Aufträge von Militär und Bahn wie auch von Privaten. Jakob Treichler verunglückte 1922 auf dem Heimweg von einer weiteren Fabrik, die er bei Waldshut besass. Als Beifahrer befand er sich in einem Auto, das in Turgi AG auf einem Bahnübergang mit einer Lokomotive kollidierte.

Wädenswil als Standort der Textilindustrie
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich Wädenswil zu einem wichtigen Standort der Textilindustrie. Am Anfang stand der Niedergang der bereits bestehenden Baumwollindustrie, die den Schritt von der Verlagsarbeit zur Mechanisierung zu spät oder gar nicht machte. Die Wolltuchproduzenten Heinrich Hauser und Johannes Fleckenstein, welche 1821 die spätere Tuchfabrik Wädenswil am Reidbach gründeten, mechanisierten ihren Betrieb früh – genau wie die Gründer der Tuchfabrik Rensch & Hauser auf dem Giessenareal, die 1833 entstand. Im selben Jahr wurde das Seidenunternehmen Blattmann & Kunz gegründet, das 1849 ganz vom Teilhaber August Gessner übernommen wurde und zur Gessner & Co. wurde. Das Konkurrenzunternehmen der Gebrüder Zinggeler produzierte im Giessenareal. Am Übergang zum 20. Jahrhundert hatte sich die Wädenswiler Textilindustrie längst internationalisiert. Man produzierte in Ablegern in Deutschland, Frankreich, Italien und Schottland und exportierte nach Singapur, Indonesien und Indien.

Tuchfabrik Pfenninger und Tuchfabrik Wädenswil AG um 1920.

Fritz Weber-Lehnert

1870 21.2. Fritz Weber wird geboren
1885 Tod des Vaters Michael Weber-Hauser. Die Mutter Elisabeth Weber-Hauser führt die Geschäfte der Brauerei weiter. Lehre in der väterlichen Brauerei
1889 Die Brüder Fritz und Franz Weber übernehmen die Geschäftsführung der Brauerei
18891890 Brauereischule Weihenstephan (D) und Tätigkeiten in verschiedenen deutschen Brauereien
1890 Rückkehr nach Wädenswil
1891 Hochzeit mit Maria Lehnert, die Ehe bringt vier Töchter und einen Sohn hervor
1893 Mitbegründer der «Dampfbootgesellschaft Wädenswil». 1900 Fusion mit der «Zürcher Dampfbootgesellschaft»
18951898 Gemeinderat
1899 Rettung der Burgruine Wädenswil mit der «Altschloss-Stiftung»
19041910 Gemeindepräsident
19091918 Präsident des Schweizerischen Bierbrauer-Vereins
19111955 Gründer und erster Präsident des Au-Konsortiums
19191947 Präsident der Zürcher Dampfbootgesellschaft
1923 Tod des Bruders Franz Weber, dessen Sohn Walter Weber tritt an seine Stelle
22.12.1955 Fritz Weber stirbt 85-jährig
 
Der Brauereibesitzer
Fritz Weber war 15-jährig, als sein Vater Michael Weber-Hauser starb. Schon früh brachte er sich deshalb in die Geschäfte der Brauerei ein. Nach der Lehre in der väterlichen Brauerei, der Brauereischule Weihenstephan (D) und weiteren Erfahrungen in Deutschland kehrte er 1890 nach Wädenswil zurück und leitete fortan mit seinem älteren Bruder Franz die Brauerei. Gemeinsam trieben sie die technologische Entwicklung und den steten Ausbau voran. Neben den geschäftlichen Tätigkeiten prägte Fritz Weber auch die Entwicklung Wädenswils. Mit 25 Jahren als Gemeinderat und mit 34 als Gemeindepräsident bestimmte er die Geschicke des Dorfs. Ausserdem half er 1899 mit, die Überreste der Burg Alt Wädenswil zu retten und zu schützen. 1911 kaufte er mit Kollegen aus dem Verwaltungsrat der Dampfbootgesellschaft die Halbinsel Au, gründete mit Wädenswiler Bürgern (u.a. Nationalrat Emil Rellstab und Fanny Moser-Sulzer) ein Konsortium, das bestimmte, die Halbinsel «als einen dem Publikum zugänglichen Ausflugsort zu erhalten». Während der Kriegsjahre zeigte sich der sonst so energische und strenge Geschäftsmann von seiner sozialen Seite: Ohne genannt werden zu wollen, spendete er dem Fürsorgeverein 10 000 Franken.
 

Fritz Weber-Lehnert
(1870–1955)

Bier aus Wädenswil
Die Gebrüder Weber waren gegenüber den grossen technologischen Entwicklungen, die das Brauereigewerbe Ende des 20. Jahrhunderts erfuhr, sehr aufgeschlossen. Die künstliche Kälte-Erzeugung beispielsweise, mit der man den Kunden mit dem Bier auch Eis mitliefern konnte, brachte einen Marktvorteil. 1892 begann man mit dem Verkauf von Flaschenbier, was in der Herstellung zwar äusserst aufwändig war, die Verbreitung auf dem Land, in Konsumläden und auf Baustellen jedoch stark vorantrieb. 1895 wurde die Brauerei ans Stromnetz angeschlossen, eine erste Schreibmaschine und das Telefon wurden in Betrieb genommen. Diese Innovationen waren nötig, denn der Konkurrenzkampf verschärfte sich in den folgenden Jahren zunehmend. Während zwischen 1884 und 1913 285 Brauereien ihre Tore schliessen mussten, konnte sich die Brauerei Wädenswil behaupten und überschritt 1911 die Marke von 100 000 Hektolitern. Dem Krieg fielen weitere Brauereien zum Opfer, sodass 1920 nur noch 89 Betriebe existierten. Das grösste Problem war nun der Mangel an Rohstoffen, die weitgehend im Ausland hergestellt wurden. Das «Kriegsbier», dessen Stammwürze von den vorgeschriebenen 12 Prozent bis zum Kriegsende auf bis zu 5½ Prozent sank, fand wenig Anklang. Gleichzeitig mussten die Preise wegen der verteuerten Rohstoffe erhöht werden.

Brauerei Wädenswil um 1900.

Belegschaft der Brauerei vor dem Felsenkeller im Giessen um 1890.




Mariska Beirne




Christian Winkler