Am Bahnhof und in der Eisenbahn

Quelle: Gwerbziitig Wädi, Dienstag, 4. Mai 2021 von Peter Ziegler
Der neue Bahnhof Wädenswil, Aufnahme von 1936.

Vor mir liegt eine Ansichtskarte, gestempelt am 7. März 1936. Sie zeigt in schwarzweiss den neuen, 1932 eingeweihten Bahnhof Wädenswil. So wie hier taucht das zweigeschossige Gebäude auch in meinen Jugenderinnerungen aus den 1940er Jahren auf.

In der Schalterhalle

Vom meist autofreien Bahnhofplatz erreichte man durch eine der beiden Türen in der Mitte der Hauptfassade die geräumige Schalterhalle. Diese machte mir als Viertklässler grossen Eindruck. Darum beschrieb ich sie 1947 in einem Aufsatz wie folgt: «In der Schalterhalle ist es sehr interessant. Die Leute kaufen dort am Billettschalter ihre Fahrkarten. Sie legen ihr Geld in eine runde Drehschale. Der Mann am Schalter legt auf seiner Seite die Fahrkarte und das Herausgeld hinein. Er drückt auf einen Knopf und dreht den Teller. Im Büro stehen mehrere Herren. Sie rechnen und schreiben den ganzen Tag; manchmal müssen sie auch telefonieren. Nebenan ist der Schalter für Handgepäck und Expressgut. Man kann die Koffer, Kinderwagen, Velos, Rucksäcke, Zainen, Bürokisten usw. als Passagiergut aufgeben. Der Gegenstand wird zuerst auf der grossen Waage gewogen. Dann füllt der Beamte einen Schein aus. Auf die Etikette wird eine Nummer geklebt und beides am Gepäckstück befestigt. Man bekommt einen Empfangsschein, womit man es am Ende der Fahrt wieder einlösen kann. Wenn ein Zug ankommt, rennt der Mann mit der blauen Bluse und der Bähnlerkappe über die Geleise und verlädt das Gepäck vom Handwagen in den Gepäckwagen.»

Wartsäle, Kiosk und Aborte

Von der Schalterhalle führte eine Türe auf den Perron 1. Hier standen zwei Signalglocken. Deren unterschiedliches Klingeln zeigte an, ob ein Zug von Richterswil oder von der Au her ankommen wird und ob es sich um einen Schnellzug oder einen Bummelzug handle. Im nördlichen Teil des Gebäudes lagen die im Winter geheizten Wartsäle zweiter und dritter Klasse, in denen noch geraucht werden durfte. Ein Flachdach verband den Bahnhof mit dem niedrigeren Nebengebäude mit Kiosk und Aborten. An dessen zum Café Brändli ausgerichteter Längswand konnte man sich auf einem Ortsplan in Vogelschau orientieren, den der Wädenswiler Grafiker Paul Zürrer gestaltete hatte.

Bahnhofvorstand Robert Ritz

Im oberen Stock des Bahnhofgebäudes wohnte die Familie von Bahnhofvorstand Robert Ritz, der sein Amt 1946 angetreten hatte. Ich sehe ihn vor mir, in Uniform mit goldverzierter Mütze wie bei höheren Offizieren, den Zug mit dem Befehlsstab, der Kelle, abwinkend oder den Lokomotivführer eines vorbeifahrenden Schnellzugs grüssend. Die Kelle bestand aus einem Holzstab mit Blechscheibe. Diese war auf der einen Seite grün gestrichen und mit weissem Querbalken versehen, auf der anderen Seite weiss mit grünem Querbalken. Reiterstellwerk und Barrieren Besonders beeindruckt hat mich das zwischen Bahnhof und Güterschuppen, gegenüber dem Hotel Du Lac gelegene, die Geleise überspannende Reiterstellwerk, zu dem eine Wendeltreppe hinaufführte. Von hier aus wurden die Weichen gestellt und jene Barrieren bedient, bei denen keine Wärterin und kein Wärter im Häuschen vor Ort war.

Oben: Reiterstellwerk aus dem Jahre 1932. Unten: Ausblick vom Stellwerk auf Bahnhof und Kronenblock.

Auf dem Streckenabschnitt zwischen Giessen und Naglikon gab es in den 1940er Jahren und noch viel später drei private Bahnübergänge mit Schiebetoren sowie acht öffentliche Barrieren: im Giessen, Rothuus, bei der Badanstalt, bei der «Seerose», am Sagenrain, in der Rietliau, beim Restaurant Ausee und in Naglikon. Mit dem Abbruch des Reiterstellwerks 1978 wurde die Zahl der Barrieren reduziert. Es blieben nur noch die Übergänge Giessen, Sagenrain und Naglikon. Überführungen ersetzten jene im Rothuus und in der Rietliau beim Strandbad. Im Haus «Schwanau», wo ich seit 1953 wohnte, gab es einen Privatübergang. Den benutzte ich auch etwa dann, wenn sich die Barriere bei der «Seerose» schon gesenkt hatte. Mehr als einmal tadelte mich ein Lokomotivführer mit einem langen Pfiff!

Barriere beim «Rothuus».

In der Eisenbahn

Eine Bahnfahrt in den 1940er Jahren war für mich ein besonderes Erlebnis. Wir benützten den Zug in der Regel nur ein paar Mal im Jahr, dann etwa, wenn man – sonntäglich gekleidet – zum Besuch der Grosseltern nach Zürich oder zu den Verwandten nach Winterthur fuhr. Jeder Bummelzug führte Wagen erster, zweiter und dritter Klasse sowie einen Gepäckwagen, Schnellzüge statt des Gepäckwagens einen kombinierten Post- und Gepäckwagen, in den auch Briefe eingeworfen werden konnten. Zudem enthielt er eine Zelle für den Transport von Delinquenten ins Gefängnis. In den Wagen erster Klasse waren die Sitze gepolstert, die Wagen zweiter Klasse immer noch luxuriös eingerichtet. Wie der Grossteil der Leute fuhr ich nur in Wagen dritter Klasse mit harten Holzbänken. Jeder Personenwagen verfügte über ein Raucher- und ein Nichtraucherabteil. Die älteren Wagen bestieg man hinten oder vorn über eine Treppe, die auf eine Plattform führte. Durch die Türe in der Stirnwand gelangte man ins Innere. Bei schönem Wetter waren die Fenster geöffnet. Mit Hilfe eines Lederriemens konnte man sie wieder schliessen. Eine Emailtafel auf dem Fensterbrett warnte in drei Landessprachen: «Nicht hinauslehnen! Keine festen Gegenstände aus dem Wagen werfen! Nicht auf den Boden spucken!».

Der Kondukteur

Nach jedem Halt erschien der in Uniform und Mütze mit Flügelrad gekleidete Kondukteur. Über seiner Schulter hing an langem Riemen eine rote Tasche, die unter anderem das «Amtliche Kursbuch» – den Fahrplan – enthielt. Mit dem Ruf «Alle Billette vorweisen, bitte!» schritt er zu den neu eingestiegenen Passagieren und entwertete mit einer Lochzange das auf Karton gedruckte Billett, das entweder für einen Tag (einfach) oder für zehn Tage (retour) gültig war.
 

In der Südostbahn

Am 15. Mai 1939 hatte die Südostbahn von Dampfbetrieb auf elektrische Traktion umgestellt. Ein besonderes Vergnügen bereitete eine Fahrt im neuen, grünen Triebwagen der SOB. Wenn man Glück hatte, war der Sitz im Führerstand noch frei. Dann konnte man sich neben den Lokomotivführer setzen, ihn beim Schalten beobachten, einen Blick auf das Geleise oder die Signaltafeln werfen, die vor unbewachten Bahnübergängen einen Pfiff vorschrieben. Höhepunkte waren die Fahrt durch einen Tunnel und die Einfahrt in den Bahnhof Einsiedeln mit seinen verschiedenen Geleisen.

Elektrischer Triebwagen ABe 4/4 der SOB.