Bäuerliches Brauchtum im alten Wädenswil

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1981 von Albert Hauser
Über die bäuerlichen Bräuche des 18. und 19. Jahrhunderts wissen wir im Allgemeinen recht wenig. Die Bauern selber konnten nicht schreiben, und jene wenigen, die dieses Metier beherrschten, griffen sicher nicht zur Feder, um über den bäuerlichen Alltag zu berichten. Und doch sind wir dank eines überaus glücklichen Zufalls in der Lage, ein Bild des bäuerlichen Brauchtums zu zeichnen. Ein deutscher Gelehrter, Wilhelm Mannhardt − er lebte von 1831 bis 1880 − hat um 1865 einen Fragebogen mit 25 bis 35 Punkten verschickt; Adressaten waren Lehrer, Seminaristen, Pfarrer und landwirtschaftliche Schulen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Sein Unternehmen glückte, er erhielt insgesamt 2500 Antworten und konnte deshalb ein genaues Bild, namentlich der Sä- und Erntebräuche im mitteleuropäischen Raum zeichnen. Er selber hat, gestützt auf diese Umfrage, zahlreiche Werke verfasst. Sein wohl berühmtestes Buch «Wald- und Feld-Kulte» (1875/77) übt bis heute eine grosse Faszination aus, wenn gleich seine magischen Anschauungen in sehr vielen Punkten revidiert werden mussten. Aus der Schweiz erhielt Prof. Mannhardt zahlreiche ausgefüllte Fragebogen samt Kommentar von Prof. Pictet aus Genf, F. L. Troyon aus Lausanne sowie F. G. Otto Sutermeister, damals Seminarlehrer in Küsnacht/Zürich. Uns interessieren vor allem die Fragebogen dieses bekannten schweizerischen Germanisten. Seine Schüler, welche er mit dem Fragebogen ausschickte, stammen aus 30 Ortschaften des Kantons Zürich. Dass die beiden Seeufer und insbesondere auch Wädenswil so zahlreich vertreten sind, lässt darauf schliessen, dass er hier einen besonders fleissigen und zuverlässigen Seminaristen hatte. Die Fragebogen selber sind geprägt von Mannhardts vegetations-kultischem Sinngehalt. Sie lassen aber gleichzeitig erkennen, dass dieser Pionier der Volkskunde einen ganz hervorragenden Überblick über die agrarischen Bräuche seiner Zeit hatte. Die Antworten der Bauern, die von den Seminaristen so gewissenhaft notiert worden sind, zeigen einen geradezu überwältigenden Reichtum an Anschauungen Lebens- und Arbeitsregeln, die damals in Geltung waren. Wir stehen im gesamten gesehen vor einem grossartigen Konglomerat aus Sinn und Unsinn. Längst bevor es wissenschaftliche Untersuchungen und Forschungen gab, hat das Volk versucht, selber Einblick in die Naturvorgänge zu bekommen und daraus Regeln der Landbearbeitung abzuleiten. Es wäre wenig sinnvoll, die recht zahlreichen Äusserungen, die Aberwissen und Aberglauben verraten, zu belächeln oder gar zu verdammen. Wir haben unsere Vorfahren nicht mit heutigen Augen zu betrachten. Man kann ihnen nur gerecht werden, wenn man sie einordnet in die damalige Welt.
Die bäuerlichen Antworten aus Wädenswil liegen mitsamt den andern schweizerischen Unterlagen auf der Deutschen Staatsbibliothek in Berlin, während das Seminar für Volkskunde der Universität Basel Fotokopien aufbewahrt. Sie sind bis heute nicht ausgewertet worden.
In einer Fachzeitschrift (Schweizerisches Archiv für Volkskunde) sind vor rund 10 Jahren diese Aussagen ohne Kommentar publiziert worden. Im Folgenden wollen wir versuchen, sie einmal in einen sinnvollen Zusammenhang zu stellen und vor allem auch zu kommentieren. Im Weitern wollen wir diese Aussagen einordnen in den Ablauf des bäuerlichen Arbeitsjahres. Deshalb beginnen wir mit dem Säen und Pflügen

Die Saatzeit

Eine Regel, die im ganzen Kanton, insbesondere aber auch in Wädenswil beachtet worden ist, sagt, dass sich der Gründonnerstag zum Säen als besonders günstig erweise. Allgemeine Säetage seien ferner Montag, Mittwoch und Freitag. Während der erste Teil dieser Regel sicherlich irgendwie mit dem Auferstehungsglauben in Zusammenhang steht, gehen die Wochentagregeln auf die sogenannte Tagwählerei zurück. Sie selber entwickelte sich aus dem schon im Altertum bestehenden Glauben, dass es neben Glücks- auch Unglückstage gebe. Schon Moses hat sie vergeblich bekämpft und verurteilt; sie war auch dem Apostel Paulus ein Ärgernis. Im Gebiet der Schweiz nahm die Tagwählerei offensichtlich im 17. Jahrhundert einen grösseren Umfang an. Allen Aufklärern zum Trotz hat sich die Tagwählerei bis ins 19. Jahrhundert hinein erhalten. Noch um 1939/40 war beispielsweise der Freitags-Aberglaube weit verbreitet. So war es verpönt, an diesem Tag auf die Alp zu gehen und das Vieh aufzutreiben. Überhaupt galten die «ungeraden»·Tage (Montag, Mittwoch und Freitag) als unglücklich.
Eine weitere Säregel lautet: «Am siebenten Tag der Woche soll man nicht säen, denn es ist eine ungerade und unheilbringende Zahl.» Hier kommen zur Tagwählerei noch die Zahlenmystik und wohl auch gewisse christliche Anschauungen. Ähnlich verhält es sich mit der folgenden Regel: «Mit Kreuzerhöhung soll die Aussaat begonnen, mit Gallustag beendet sie.» Diese Regel steht auch im Zusammenhang mit den Lostagsregeln, die vom Wetter eines bestimmten Termins auf das Wetter eines ganzen Zeitraums schliessen und die sich auch in protestantischen Gebieten insbesondere auf die Heiligentage bezogen. Die Heiligen und Namenpatrone haben überhaupt bei unsern Vorfahren eine grosse Rolle gespielt. So hiess es etwa: «Kraut säe an Lienhard und Gertrud, Bohnen an Bonifazius, Zwiebeln am Charfreitag, Korn (nur Dinkel) an Fronfasten.»
In ein anderes Gebiet, nämlich in die Mondregeln, führen die folgenden Regeln: «Kürbis säe in der Stunde, da der Mond voll wird», so lautet die eine Anweisung und «Drei Tage vor, drei Tage nach Neumond sät man Weizen und Roggen» eine weitere. Die Mondregeln sind ebenfalls uralt; schon eine Bauernpraktik von 1508 vertritt die Auffassung, der Mondwechsel wie auch die Mondkonstellation übe einen bestimmenden Einfluss nicht nur auf das Wetter, sondern auch auf die Pflanzen- und Tierwelt aus. Nach den neusten Forschungen weiss man, dass es zwar zwischen Mond und Wetter gewisse Zusammenhänge gibt, dass sie aber für die Meteorologen nicht interessant sind. Anders verhält es sich mit dem Einfluss des Mondes auf die Pflanzenwelt. Neuste Untersuchungen haben ergeben, dass die kosmischen Rhythmen tatsächlich einen gewissen, wenn auch nicht dominierenden Einfluss auf die Pflanzen haben. Man kann somit diesen altzürcherischen Regeln eine gewisse Berechtigung nicht absprechen. Anders verhält es sich mit der folgenden Regel, die auf dem Glauben basiert, dass die Kreiszeichen einen Einfluss auf das Wetter hätten. «Sommergewächse sollen im G'schütz gesät werden, damit sie schnell wachsen, Bohnen nicht im Fisch, damit sie nicht fleckig werden, sondern im Wassermann, da lassen sie sich leicht sieden.» Hier wird aus der Ähnlichkeit der astronomischen oder astrologischen Zeichen und Symbole mit irdischen Vorgängen eine Realität abgeleitet. Erstaunlich ist es indessen, dass die alten Zeichen und alten Planetengötter so viele christliche Jahrhunderte überdauerten und dass ihre Symbolik und Allegorie volkstümlich geblieben ist. Das will nicht heissen, dass es nicht auch christliche Symbole und Glaubensinhalte gegeben hätte, die dem Bauern vertraut waren. Ein schönes Beispiel finden wir in der folgenden Regel: «Die drei ersten Körner werden vom Sämann in die Luft geworfen, ebenso die erste Handvoll über den Acker hin. Dann beginne er die Arbeit mit dem Spruch: «Was i schaffe, das thu i mit fliss – mög s Hergotts Gnad si mit üs.» Aus Wädenswil stammt auch die Regel, wonach die Saat im Namen der Heiligen Dreifaltigkeit ausgestreut wird. Am Ende dieser Arbeit ruft der Sämann: «Es walte Gott.» Der Verfasser dieses Artikels hat in seiner Bubenzeit im Wädenswiler Berg übrigens noch einzelne Bauern getroffen, die diese schöne Regel befolgten.

Die Technik des Säens

Verschiedene Regeln befassten sich mit dem Boden, der Bodenbearbeitung, dem Pflügen und vor allem auch dem Säen. «Gut Land braucht halben Samen», heisst es da etwa, oder «Säe guten Roggen, so erntest du guten Roggen.» Weitere Regeln befassen sich mit dem Hacken. So wird etwa gesagt, dass man in kleinen Äckern «ein bäckt», das will so viel heissen, dass man den Samen an statt mit der Egge, mit der Hacke in den Boden bringt. Als Sätuch wurde damals noch häufig ein leinenes Bett- oder Tischtuch verwendet. Es wird auch erklärt, dass man das Korn «iischwemme», den Roggen aber «iibrenne» soll, das heisst, der Roggen ist bei trockenem Wetter, der Weizen aber, insbesondere auch der Hafer, soll in feuchten Boden gesät werden. Etwas unklar ist die Anweisung, dass bei der Aussaat zu dem Korn Kalk, zu dem Weizen Vitriolwasser gebracht werden solle; bisweilen menge man auch, so heisst es weiterhin, Pulver von «Käfferwin» unter das Saatgut. Bis jetzt konnten wir nicht eruieren, was mit diesem «Käfferwin» gemeint war.
Eindeutig ist hingegen die folgende Regel: «Um das Wachsen des Flachses zu befördern, wird bisweilen ein Stück von einer Windel, in der ein Neugeborenes lag, in den Boden gelegt.» Diese Regel stammt sicher aus einem alten Fruchtbarkeitszauber. Sie ist lediglich aus Wädenswil überliefert.

Pflügen

In der Mitte des 19. Jahrhunderts waren die Pflüge verhältnismässig selten. Die Gemeinde Männedorf beispielsweise besass damals einen einzigen Pflug, und auch in Wädenswil wurde immer noch viel mit der Hacke gearbeitet. Dennoch gibt es einige Regeln über das Pflügen. So heisst es unter anderem: «Man nennt das Pflügen brahe, wenn es identisch ist mit dem brachpflügen im Frühling, das heisst, wenn‘s der Boden über den Sommer brachliegen soll.» Man sollte diese Regel nicht mit der Dreifelderwirtschaft in Zusammenhang bringen, und zwar deshalb nicht, weil wir in Wädenswil diese Wirtschaftsform nicht kannten. Bei uns herrschte die Egerten-Wirtschaft, das heisst man hat einen Acker angelegt dort, wo es sinnvoll schien. Ähnlich verhielt es sich mit der Brache. Dort, wo man ein Getreidefeld hatte, liess man im folgenden Sommer das Feld brachliegen, damit es sich erholen konnte. Erst in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts ist die Brache allmählich aufgegeben worden und zwar, indem man Hackfrüchte wie Kartoffeln einbrachte.
Eine zweite Art des Pflügens nannte man das «Felgen». Das Felgen-Pflügen war ein oberflächliches Pflügen im Sommer mit gleichzeitiger Düngung des Bodens. Weiter gab es das «Saetere», welches dem Frühherbstpflügen vor der Wintersaat gleichkommt. Viertens gab es das «Struchen» oder die «Struche», was so viel hiess wie Unterpflügen der Stoppeln im Sommer nach beendigter Ernte.
«Felgen» (oberflächliches Pflügen im Sommer) mit altem Holzpflug aus dem 18. Jahrhundert. Er wurde nach 1800 durch eiserne Modelle abgelöst.
 

Ernteregeln

Bevor wir uns dem Kapitel der Ernteregeln zuwenden, sei einiges über die Geräte gesagt. Die Winterfrucht Roggen und Korn sowie Weizen wurde meistens mit der Sichel, die Sommerfrucht Gerste und Hafer mit der Sense geschnitten. Die Sichel war damals glatt und ungezähnt (ältere Sicheln waren gezähnt), und sie wurde verwendet, weil sie eine saubere Arbeit und sparsame Ausnützung auch geringer Erntemengen ermöglichte. Auch konnte sie von den Frauen gehandhabt werden. Als Nachteil erwies sich dabei, dass ein zweiter Arbeitsgang notwendig war, um das Stroh zu ernten. Die Sense hat deshalb ihren Siegeszug auch in unserer Gegend fortgesetzt. Damals gab es verschiedene Sensen. Die Getreidesense war mit einem Reff oder einem Korb versehen. Das Schneideblatt der Grassense war manchmal etwas kürzer. Dort, wo die Sense gebräuchliches Erntegerät war, schnitten die Männer, und die Frauen banden. Wo die Sichel vorherrschte, war die Arbeitsteilung umgekehrt, die Frauen schnitten, und die Männer banden die Garben.
Beim Sicheln gab es zwei Methoden. Mit der Sichel konnte man die freistehenden Halme so abhauen, dass sie in den vorgehaltenen Arm fielen. Man nannte dieses System das «Grasen». Die andere Möglichkeit war, dass man mit der einen Hand einen Büschel fasste und ihn mit der andern absichelte.
Kleinbetriebe verwendeten indessen die Sichel weiter, und man kann auch feststellen, dass diese eher rückschrittliche Arbeitstechnik den Anschluss an die ökonomischen Erfordernisse der Zeit verbaute. Die häufigen Konkurse in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sind nicht allein auf steigende Kosten und sinkende Agrarpreise zurückzuführen!
Die Fragebogen-Antworten geben indessen nicht nur Auskunft über die Geräte, sondern auch über die Ernteorganisation selber. «Ein „Geschnitt“ besteht gewöhnlich aus einem Mann und drei bis vier Frauen, die sich in das Geschäft des Schneidens − mit Sichel und Sense −, des Antragens (Sammelns) und Bindens theilen. Geschnitt heisst indessen auch die Gesamtheit der Schnitter auf einem grossen Hofe. Noch 1865 wiederholte sich, wenn auch spärlich, (zum Beispiel in Oetwil) die alte Sitte: Das Geschnitt zieht mit einem Geiger an der Spitze auf das Feld. Hier wird nach dem Takt der Musik gearbeitet; wer nicht nach dem Takt schneiden, nicht Schritt halten kann, dem wird ein Fulacker (Faulacker) bereitet: Die Voranschreitenden trennen ihn von ihrer Gemeinschaft ab, indem sie ihn auf einem isolierten Stuck, einer kleinen Getreideinsel zurücklassen (dies heisst das Äckerli- oder Zipfel-Schneiden und geschieht auch anderwärts, zum Beispiel in Schaffhausen, ohne Musik). Nun rückt der Geiger vor und singt zu seinem Spiel in altmodischer Weise:
s Zipfeli wott nit schwine
s Zipfeli wott nit ab:
Jetzt Zipfeli wenn d nit schwine witt
So, Zipfeli, rätsch di ab.
 
Dabei schallendes Gejauchze der Übrigen und Zuruf: Fulacker!
 
Ab, Ächerli, ab
So chunnt de ful Schnitter drab!
 
Bisweilen schneidet aber auch umgekehrt ein Einzelner allen Übrigen ein Äckerlein ab, indem er vorauseilend von einem Flügel zum andern einen Bogen beschreibt. − Kein Schnitter soll den andern lästig fallen durch Beklagen oder Arbeitsmusse − etwa mit der beliebten Formel: Die Katze will mir auf den Buckel (Rücken) springen. Wer sich über Rückenschmerzen beschwert, den nötigt man ohne Nachsicht, sich auf den Bauch zu legen und von einem aus dem Geschnitte sich nach der Musik des Geigers auf dem Rücken herumtanzen zu lassen.»
Sense mi Korb für Getreideschnitt (Mitte 19. Jahrhundert).

Schneiden mit der Sichel oder mit der Getreide-Sense, um 1850 gebräuchlich.
Diese Organisation war indessen doch wohl eher nur in Grossbetrieben anzutreffen, und Grossbetriebe waren in unserm Dorf sehr selten. Dennoch ist diese Aussage recht aufschIussreich, zeigt sie doch, wie wichtig im Zeitalter der Handarbeit die Gemeinschaft war.
Von völlig anderer Art sind die Aussagen, die sich mit der letzten Garbe befassten: «Wenn ein Häufchen Getreide auf dem Feld liegen bleibt, so sagt man, eine von den Personen, die gehäufelt haben, müsse Windeln bereit machen. Das Häufchen heisst an einigen Orten (zum Beispiel Bülach) Wiege; an andern dagegen heisst so die letzte Garbe; wenn nämlich statt der vier Häufchen, aus welchen jede Garbe gebunden wurde, schliesslich nur noch zwei bis drei übrig bleiben, so wird diese kleinere Garbe unter Zujauchzen sämtlicher Schnitter als Wiege begrüsst, wobei es nicht an Neckereien und Beglückwünschungen zwischen Schnittern und Schnitterinnen fehlt. Andere Namen der letzten Garbe sind Haas.»
Hier schimmert wohl noch einmal alter Fruchtbarkeitszauber durch. Viel eher aber handelt es sich um erotische Anspielungen, die ja dort, wo man paarweise arbeitete, nie ausblieben. Von anderer Art sind die bei den nächsten Regeln:
«Es wird immer noch ein Häuflein Heu oder Getreide auf dem Feld zurückgelassen, damit der Segen des folgenden Jahres nicht ausbleibt.»
«Der die Garben bindet, drückt noch mit dem Bein insbesondere auf ein Ende, damit für die Ährenleser mehr Ähren abfallen.»
Zweifellos hat da ein gewisses Wunschdenken mitgespielt, denn die kommende Fruchtbarkeit war ja von ausschlaggebender Bedeutung. Bei der zweiten Regel dieser Gruppe handelt es sich sicher um eine soziale Regel. Wir haben uns zu vergegenwärtigen, dass in dieser Zeit die Produktivität äusserst gering war, dass es zahllose Arme gab, welche auf das Ährenlesen angewiesen waren.
Garbenbinden.

Verwandt mit der Auffassung von der letzten Garbe sind die folgenden Regeln: «Das Vieh wird fett und milchreich, wenn man es am Weihnachtmorgen während des Einläutens mit den Ähren der letzten Garbe füttert.» Hier haben die alten Fruchtbarkeitsregeln eine seltsame Ehe mit christlichem Glaubenskult vollzogen. Wohl ähnlich kann die folgende Regel gedeutet werden: «Viele glauben, dass sich während des Weihnachtmorgen-Geläutes (4 Uhr) ein „heiliger Rahm“ auf dem Wasser befinde; sie tränken deshalb ihr Vieh um diese Zeit.»
Zu welch seltsamen Kombinationen zwischen Aberglauben und christlichem Glauben es kommen konnte, offenbart eine Regel, die ebenfalls aus dem alten Wädenswil bezeugt ist: «Um das Ungeziefer für sieben Jahre von dem aufbewahrten Getreide fern zu halten, wird der Bindknebel von einer Stechpalme genommen, welche am Charfreitag nachts 12 Uhr abgeschnitten worden ist. Derjenige, welcher die Palme schneidet, darf auf dem Gang zu derselben nie zurücksehen und keinen Begegnenden grüssen. Das Holz muss mit einem Streich gehauen werden, und zwar in den drei höchsten Namen, und während des Abschneidens muss man ein in einem Jahr gewachsenes Doppelschoss von einer Haselstaude im Mund halten.»

Dreschen

Im vormechanisierten Zeitalter war Dreschen eine wichtige Arbeit. Sie ist zumeist gemeinschaftlich vollzogen worden. Wie dies im Einzelnen geschah, wird ebenfalls aus der Mannhardt-Umfrage ersichtlich. Es gab verschiedene Dresch-Takte, so beispielsweise den Achtdreschertakt. Er lautet: «Räbe (= Räbi) = Pappe, Räbepappe. Dann gab es den Sechsdreschertakt, Sechzer genannt: «Die Stadtknecht die Hundsfott»; oder: «Die Hundsfott die Stadtplätz.» Hier wird nicht nur der Rhythmus genau beschrieben, es kommt auch etwas Politisches zum Ausdruck: Noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts war offenbar in Wädenswil die Erinnerung an die Stadtherrschaft lebendig. Wie hätte man sonst die Stadtknechte als Hundsfott bezeichnen können ...
Dort, wo gemeinschaftlich gearbeitet wurde, ist auch gemeinsam gegessen worden: «Nach dem letzten Drusch schlagen alle zumal auf die Tenne. Oder sie schaffen den Bindbaum in den Hof auf untergelegte Balken und dreschen nun auf diesen so lange ohrenzerreissend los, bis der Bauer in Sorge um Flegel und Bindbaum mit dem also herausgeforderten Schlaftrunk erscheint.» Hier handelt es sich zweifellos um einen alten Heischebrauch, der deutlich zeigt, wie energisch dieses Wünschen oder Heischen (Heuschen) einmal gewesen ist.
Getreide-Gabeln und Rechen aus Holz (um 1850 angewendet).

Schlussbetrachtung

Die Mannhardt-Umfrage, die sich glücklicherweise auch auf die Wädenswiler Bauern erstreckte, ergibt ein überraschendes Bild. Zunächst wird ersichtlich, dass auch bei uns das Arbeitsgerät die Arbeit, ja selbst die Lebensform auf dem Acker und später auf dem Erntefeld bestimmte. Je geregelter die Arbeit geordnet war, je straffer die Technik der einzelnen Arbeitsvorgänge durchexerziert wurde, umso mehr kam es auf das Können, auf das Wissen an. Eine gewisse Arbeitsehre entfaltete sich, und sie ist zweifellos durch die erotischen Spannungen des paarigen Wettbewerbs gesteigert worden. Das darf indessen doch nicht dazu verleiten, alle magischen oder früheren brauchmässigen Elemente zu leugnen, wie dies beispielsweise ein Kritiker von Mannhardt, der Schwede Eskeröd getan hat. Er hat dieses Brauchtum jeder Mythologie entkleidet und allein auf jugendlich-bäuerliche Arbeitsgemeinschaft zurückgeführt. Das Material aus Wädenswil lässt auch ältere Brauchschichten erkennen. In der Tat war ja auch die Erhaltung der Wachstumskraft für das Feld und den Acker, das Herbeiwünschen guter Bedingungen für den Bauern gleichbedeutend mit seiner eigenen Existenz.
Dreschflegel. Gedroschen wurde im Tenn, oft wurden dabei Lieder gesungen, welche den Rhythmus der Arbeit erleichterten.

Die Befragung selber erfolgte in einem ganz entscheidenden Zeitpunkt, nämlich in der letzten Phase der bäuerlich-ländlichen Handarbeit, ehe die ersten Maschinen auf den Wiesen und Feldern erschienen. Noch war die tüchtige Handarbeit − auf grösseren Höfen auch in der Gruppe − entscheidend, noch machte sich die Natur unmittelbar geltend. Noch war der Kreislauf geschlossen. Noch war die Aufklärung nicht sehr weit vorangeschritten. Der Mensch lebte im Einklang mit der Natur. Für ihn war die Natur noch nicht entschleiert, enträtselt und manipulierbar. Es galten die alten Traditionen und Normen der Vorfahren, und das ganze Leben war deshalb eingebettet und verwurzelt, wenigstens, was die geistigen und seelischen Zusammenhänge anbetrifft. Dafür aber lebte der damalige Mensch unter ständiger Bedrohung, in einer fast unglaublichen Abhängigkeit physischer Art. Krankheit und Seuchen bedrohten Mensch und Vieh unablässig, und das tägliche Brot musste buchstäblich herbeigebetet werden. Man könnte deshalb etwas vereinfachend sagen, dass das unsichere Leben korreliert und verbunden war mit einem geistig-seelischen Untergrund, mit einer Basis, die trug und hielt. Wie froh wären wir, wenn diese Eigenschaften, die der Verwurzelung des Menschen, der Nachbarschaft, der Heimat entstammen, auch heute noch da wären, denn gerade auf diese Reserven an vortechnischen Eigenschaften sind wir angewiesen, wenn wir den modernen «Betrieb» unbeschadet überstehen sollen.




Prof. Dr. Albert Hauser