Aus der Geschichte des Hotels Engel

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 2004 von Peter Ziegler
 

ENGEL-WIRTE ESCHMANN (1655-1833)

Im 16. Jahrhundert gab es in Wädenswil zwei Gasthöfe: das um 1500 erbaute Gesellenhaus bei der Kirche, Vorläufer des 1821/22 erbauten Hauses Sonne, und den 1555 erstmals urkundlich erwähnten Gasthof zur Krone.1 In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts kam als drittes Wirtshaus der «Engel» hinzu. Wann genau er eröffnet wurde, ist nicht auszumachen. 1647 wird geschrieben, dass der Engel, dessen Tavernenrecht damals umstritten war, erst seit wenigen Jahren bestehe.2 Ein Eintrag im Gerichtsprotokoll von 1632, welcher das «Wirtshus alhir zum Enggel» erwähnt, wird folglich nahe an die Zeit der Eröffnung heranreichen.3 Im Weinmonat 1632 beklagte sich Kaspar Oberlin aus Zürich beim Landvogt Hans Heinrich Holzhalb über das Benehmen einiger Wädenswiler. Oberlin war mit Konrad Keller und einem fremden Pilger im Wirtshaus Engel eingekehrt. Während die drei Gäste bei ihrem Trunk sassen, hob im Lokal eine Schlägerei an. Konrad Hauser, Hans und Hansjoggeli Rusterholz sowie Peter und Hans Staub verprügelten sich und stiessen dabei Gotteslästerungen und schändliche Schwüre aus. Die Wirtin flüchtete entsetzt und schloss die Türe hinter sich ab. Als die wutentbrannten Gesellen bereits mit abgebrochenen Stuhlbeinen drauflos hieben, erschien sie wieder und wollte Ruhe gebieten. Umsonst! Der Landvogt, welcher von der Schlägerei in Kenntnis gesetzt wurde, fällte harte Strafen: Konrad Hauser wurde ins Gefängnis gesteckt, nachdem er Gott um Verzeihung gebeten hatte. Rusterholz wurde in der Wädenswiler Kirche unter die Kanzel gestellt. Hier musste er seine Missetaten vor versammelter Gemeinde bereuen, dann wurde auch er eingesperrt.
Die Engel-Wirtin wird im Zeugenverhör von 1632 nicht mit Namen genannt. 1642 erwähnt die Landvogteirechnung eine Frau «Zeenderi».4 Das Grundprotokoll von 1655, welches eine erste Handänderung der Liegenschaft registriert, nennt Frau Barbel Bräm als frühere und Regula Eschmann als neue Eigentümerin des Wirtshauses «zuo dem Aengel».5
Das im Dorf Wädenswil am See gelegene Wirtshaus zum Engel erhob sich nicht an der selben Stelle wie der heutige Gasthof, sondern weiter zürichwärts. Jenes Haus am Reblaubenweg 1 heisst noch heute «Alter Engel».
Mit Regula Eschmann, welche den Gasthof 1655 von der Wirtin Bräm übernommen hatte, hielt eine Familie auf dem «Engel» Einzug, welche dessen Geschicke während rund zweihundert Jahren bestimmte. Wie in der «Krone», auf der Eichmühle oder der Mühle im Giessen erwies sich auch hier Familientradition als Kraft, die das Unternehmen zur Blüte brachte. Die Tauf-, Ehe- und Totenregister, welche von den Wädenswiler Pfarrern seit der Mitte des 16. Jahrhunderts geführt wurden, nennen einzelne Engel-Wirte:6 Hauptmann Hans Jakob Eschmann-Ernst (1661–1685 erwähnt), Caspar Eschmann-Eschmann (1661–1702), Wachtmeister Hans Jakob Eschmann-Diezinger (1683–1722), Heinrich Eschmann­Kölla (1717–1792). Gemeinderat Caspar Eschmann, der in einem Verzeichnis der Tavernen und Wirtschaften vom Jahre 1805 als Engel-Wirt aufgeführt wird, scheint der letzte Vertreter des Geschlechts gewesen zu sein, der sich in Wädenswil dem Wirteberuf zugewendet hatte.7 Im Juli 1833 erneuerte der Regierungsrat den Eschmann'schen Erben das Tavernenrecht für den «Engel» nochmals.8 Sie dachten aber selbst nicht mehr ans Wirten. Sie wollten das Recht lediglich fixieren, damit sie es veräussern konnten. Und es fand sich ein Käufer, der die Wirtetradition der Eschmann weiterführen wollte: Kaspar Hauser (1783–1856), der Sohn des Batzenvogtes Ulrich Hauser­Blattmann.
 

1834/35: NEUBAU DES GASTHOFS ENGEL

Die Familie Hauser war schon seit 1725 südöstlicher Nachbar der Engel-Wirte Eschmann.9 Sie besass eine an den Zürichsee grenzende Liegenschaft mit Doppelwohnhaus, Schopf, Schweinestall, Waschhaus, Garten, Stickelreben und einer Scheune oberhalb dem Haus. Seit 1790 war Batzenvogt Ulrich Hauser-Blattmann Inhaber dieses Besitzes.10 Durch Erbteilung von 1813 wurde Kaspar Hauser-Höhn (1783–1856), bisher Metzger und Wirt auf dem Gemeindewirtshaus Wädenswil, neuer Eigentümer.11 1833 liess er das alte Doppelwohnhaus samt Scheune abbrechen und auf dem Areal einen modernen Gasthof erstellen: einen direkt am See gelegenen, viergeschossigen Massivbau mit geknicktem Walmdach. Am 3. April 1834 kaufte Kaspar Hauser den Nachbarn Eschmann mit Bewilligung des Regierungsrates das Tavernenrecht auf ihrem «alten Engel» ab und verlegte es auf sein neues Haus, das 1835 eröffnet wurde.12 Zur Liegenschaft gehörten auch eine Scheune, ein Schopf, ein Waschhaus, eine Remise sowie ein Badehaus und ein Anteil an der Seehabe. Spätestens 1844 stand den Gästen ausserdem ein «Lust- und Genussgarten» unterhalb und hinter dem Neubau zur Verfügung.13
Hotel Engel, erbaut 1834/35. Im Garten rechts das Baugespann für das Saalgebäude. Aufnahme 1876.

DER «ENGEL» – URSPRUNG DER HOTELIER-FAMILIE HAUSER

Im Jahre 1844 pachtete Kaspar Hauser-Höhn das Badhotel in Ragaz und überliess die Leitung des «Engels» in Wädenswil seinen beiden Söhnen: dem Kaufmann Johann Albert Hauser-Treichler und dem Metzger Kaspar Eduard Hauser. An Martini 1853 verkaufte Vater Hauser in Anbetracht seines vorgerückten Alters und um sich und seiner Gattin ruhigere Tage zu verschaffen, die Engel-Liegenschaft dem Sohn Jakob Hauser (1828–1891), der sich mit Anna Ühli zu verheiraten gedachte. Anlässlich der Handänderung werden nebst dem Gasthof ein Zinnenvorbau auf der Seeseite, eine Metzgerei und ein Sodbrunnen erwähnt.14
Auf Neujahr 1863 verkaufte Jakob Hauser, der zwei Jahre zuvor das Gurnigel­Bad erworben hatte, den Gasthof Engel dem Rudolf Meyer von Männedorf, sesshaft «zum Sternen» in Zürich. Erstmals werden bei diesem Besitzerwechsel im Grundbuch nebst den bekannten Gebäuden auch im Garten gelegene Schweineställe aufgeführt.15 Jakob Hauser baute die Kuranstalt Gurnigel zum international bekannten Badehotel aus. Unter seiner Leitung umfasste das Familienunternehmen schliesslich das Bad Weissenburg, die Schweizerhof-Hotels in Bern und Luzern, das Giessbach-Hotel, das Hotel Rigi-Scheidegg sowie Häuser in Italien, Frankreich und Deutschland.16
An der Engelhaabe um 1880. Rechts das 1878 eingeweihte, vom Historismus geprägte Saalgebäude.
 

WIRTEWECHSEL

Rudolf Meyer, seit 1863 Inhaber des «Engels», rühmte in Inseraten im «Allgemeinen Anzeiger vom Zürichsee» die prachtvolle Lage seines Gasthofs am See, unmittelbar beim Landeplatz der Dampfschiffe. Doch bald kam es zu einschneidenden Veränderungen. Zwischen Gasthof und Seeufer wurden die Geleise der Nordostbahnlinie Zürich-Ziegelbrücke verlegt. Die Engel-Liegenschaft verlor den Seeanstoss; ein Teil der Engelhaabe wurde eingedeckt. Im Allgemeinen begrüssten aufgeschlossene Zeitgenossen die am 18. September 1875 eingeweihte linksufrige Eisenbahn. Ob auch Rudolf Meyer zu ihnen zählte?
Wohl kaum. Denn im September 1875 veräusserte er den «Engel» dem Wirt Johannes Wiesendanger, und dieser wiederum fand im Juni 1876 in Friedensrichter Rudolf Schoch-Bregenzer und dessen Sohn Gottfried – vorher Wirte auf dem «Frohsinn» in Wädenswil – neue Interessenten für das «Hotel de l'Ange».17

BAU DES TANZSAALES

Vater und Sohn Schoch waren innovativ. Bald nach der Übernahme des Gasthofs entschlossen sie sich, den Betrieb um einen geräumigen Tanz- und Speisesaal zu erweitern. Mit der Planung des Saalbaus beauftragten sie den Wädenswiler Architekten Karl Schweizer (1843–1912), der kurz zuvor den Bau des Wädenswiler Bahnhofs geleitet hatte. Der dreigeschossige Saaltrakt mit geknicktem Walmdach wurde im ehemaligen Garten auf der Nordwestseite des Gasthofs von 1835 erstellt und erhielt gegen den See hin eine symmetrische Fassadengliederung durch fünf Achsen mit hohen Fenstern. Zwischen dem Hautbau und dem Saaltrakt mit gleichwertigem Volumen entstand eine eigenartige Spannung. Die nördliche Längsseite wies sieben Achsen mit sehr hohen, in Rundbogen geschlossenen Fenstern auf. Im Saalinnern gab es eine Bühne vor der seeseitigen Stirnwand und eine U-förmige Galerie mit reich verziertem Geländer auf der gegenüber liegenden Bergseite.
Für die Feier beim Einsatz von Pfarrer Jakob Pfister (1849–1935) wurde der neue Engel-Saal am 18. November 1877 erstmals benützt. Am Vortag erschien im «Allgemeinen Anzeiger vom Zürichsee» folgendes Inserat:18 «Engel-Wädensweil. Anlässlich des morgen im neuen Saal stattfindenden Festessens erlauben uns hiemit anzuzeigen, dass nach Schluss desselben (gegen 5 Uhr Abends) die Galerien dem Publikum zur gefl. Benutzung geöffnet sind. Indem wir noch für das uns bis dahin geschenkte Zutrauen bestens danken, werden wir uns bestreben, dasselbe fernerhin durch eine ausgezeichnete Küche und reale Weine zu erwerben. Achtungsvoll empfehlen sich R. & G. Schach.»
Der erste Eindruck vom neuen Saal war äusserst positiv. Im Zeitungsbericht über den Pfarreinsatz war unter anderem das Folgende zu lesen:19 «Wenn es bisher als Übelstand lebhaft gefühlt wurde, dass unserer ausgedehnten Gemeinde namentlich auch bei dem gesteigerten Verkehr der Gegenwart ein allen Anforderungen entsprechendes Versammlungslokal fehlte, so ist nun, wie sich jeder Teilnehmer persönlich überzeugen konnte, diesem Mangel aufs Glänzendste abgeholfen und darf sich in Zukunft Wädensweil mit seinem grossen, aufs Geschmackvollste eingerichteten neuen Engelsaal überall sehen lassen. Gegen 250 männliche Personen vereinigten sich am genannten Tage zum Mittagessen im freundlich dekorierten neuen Lokal.»
 

EIN STARK BENÜTZTER SAAL

Die offizielle Einweihung des Saales fand am Neujahrstag 1878 mit einem Konzert der Kapelle Muth & Baer aus Zürich statt. Der erste Platz im Saal kostete 80 Rappen, ein Platz auf der Galerie 50 Rappen. Im Inserat, das auf die Saaleröffnung aufmerksam machte, wiesen die Gastwirte Schach darauf hin, zu den ersten Plätzen gelange man durch das Hauptgebäude, zur Galerie durch den Eingang im Neubau.20 Im Anschluss an das Konzert war Tanzunterhaltung angesagt.
Die Wädenswiler Bevölkerung bekam bereits im Einweihungsjahr vielfach Gelegenheit, den neuen Saal zu betreten. Am Berchtoldstag spielte ein Orchester zum Tanz auf, und am Dreikönigstag gab das Stadtorchester Winterthur unter der Leitung von Direktor Rauchenecker ein Konzert.21 Am 20. Januar führte der Männerchor Eintracht im Engel-Saal seine Liedertafel durch, der Turnverein Wädenswil gab am 27. Januar eine «Gymnastische Aufführung», und am 3. Februar konzertierte hier die Kapelle Feusi.22 Mit dem Lustspiel «Endlich hat er es doch gut gemacht» eröffnete die Monatsgesellschaft Wädensweil ihre Theatersaison.23 Während des ganzen Jahres fanden immer wieder Theateraufführungen statt. Am 24. Februar gaben der Männerchor Eintracht, der Frauenchor und der Töchterchor ein gemeinsames Benefizkonzert unter der Leitung von Lehrer Johann Caspar Willi.24 Am 12. März fand der Maskenball der X-Gesellschaft statt, am 24. März führte der Allgemeine Krankenverein Wädensweil und am 25. März die Leihkasse Wädensweil die Generalversammlung durch.25 Am 7. April sorgte die Knabenmusik Zürich für musikalische Unterhaltung, und tags darauf versammelten sich hier die Aktionäre der Wädenswil-Einsiedeln­Bahn.26 Am 2. Juni hielt der Einwohnerverein Wädensweil im Engel-Saal die Generalversammlung ab.27 Und immer wieder luden die Engel-Wirte die Bevölkerung zum Tanz ein: an Auffahrt, am Erntesonntag, am Chilbi-Sonntag und -Montag sowie am Sausersonntag.28 Am 4. August gab die Musikgesellschaft Concordia Einsiedeln ein Konzert, am 6. September traten zwei Opernsänger aus Wien auf, die Kapelle Muth & Baer bot im November zwei Abonnementskonzerte, und am 15. Dezember 1878 unterhielt wieder der Männerchor Eintracht mit seinen Liedern.29
Der neue Engel-Saal war bald über Wädenswil hinaus bekannt und beliebt. So hiess es etwa in der Berichterstattung über das Neujahrskonzert 1878: «Von Einsiedeln, Lachen, Horgen und vom rechten Seeufer waren Freunde der Musik herbeigeströmt, um sich zu ergötzen.» Und über das Konzert des Stadtorchesters Winterthur stand zu lesen: «In dem nach sachverständigem Urteil auch für musikalische Produktionen sehr geeigneten, geschmackvollen, höchst geräumigen, neuen Saale zum ‹Engel› strömte gegen 6 Uhr eine ungewöhnlich zahlreiche Menge zusammen ...»30
Während vielen Jahrzehnten fanden alle wichtigen Anlässe in Wädenswils grösstem Saal statt: Generalversammlungen, Unterhaltungsabende der Dorfvereine, Bankette bei besonderen Anlässen, Konzerte und Theateraufführungen. Legendär waren auch die Kadettenabende mit gewagten Sprüngen von der Galerie hinunter in den Saal.
Der Engel-Saal vor 1945, mit Aufgängen zur u-förmigen Galerie.

BÄDER UND LADENLOKALE IM «ENGEL»

Im September 1878 konnten die Engel­Wirte Schach der Wädenswiler Bevölkerung eine weitere Neuerung anzeigen: die Einrichtung von Kachelbädern. Zu einer Zeit, da die Wohnhäuser noch kaum über fliessendes Wasser verfügten, geschweige denn über ein Badezimmer, machte das Angebot von auswärtigen Badegelegenheiten Sinn. Im «Engel» erhielt man kalte und warme Bäder, und es stand auch eine Dusche zur Verfügung.31
Bereits im Jahre 1878 vermieteten Vater und Sohn Schach einen Teil der Räumlichkeiten unter der seeseitigen Terrasse als Ladenlokale. Ende August gab Frau Gallmann dem Publikum mit einem Inserat bekannt, sie habe den Laden im Gasthof Engel bezogen. Man finde hier «eine schöne Auswahl in Frauenzimmerkleiderstoffen, Regenmänteln, Mänteln, Jacken, Unterröcken, Schals, Morgenröcken, Schürzen und Halstüchern».32 Mit der Zeit kamen weitere Läden hinzu, so das Lithographische Atelier von Gottlieb Müller, und 1916 verlegte Natale Bianchi seinen Laden für Gemüse und Früchte vom «Pilgerhof» am Plätzli unter die Engel-Terrasse. 1922 wurden alle Läden aufgehoben, weil der Engel-Wirt auch im Erdgeschoss Restaurationsräume schuf. Einen Laden gab es später im bergseitigen Erdgeschossteil des Hotels, anstelle des heutigen «Höllestüblis». Fräulein Christener führte hier bis 1942 ein Wullestübli.33 Dann richtete sich in diesem Lokal das Schreibmaschinengeschäft Kubli ein; 1952 wurde es von Emil Raschle's Spezialgeschäft für Büromaschinen abgelöst.

VERÄNDERUNGEN

Im Jahre 1873 veräusserten die Haabgenossen die Engelhaabe mit dem angrenzenden Platz an die Gemeinde Wädenswil.34 Dieses Areal beim Dampfschiffsteg wurde Kern des künftigen Seeplatzes. Der Ausbau der SBB auf Doppelspur hatte 1924/25 die Eindeckung eines weiteren Teils der Engelhaabe zur Folge: die Fläche wurde um einen Viertel reduziert. Da der Hafen 1931/32 abermals verschmälert werden musste, verpflichteten sich die Bundesbahnen beim Bahnhofneubau zur Schaffung eines neuen Hafens am Südostende des Seeplatzes.35
Im Jahre 1883 starb Gastwirt Rudolf Schoch-Bregenzer, und der «Engel» kam durch Erbgang in den Besitz von Julius Meyer. Zur Liegenschaft gehörten damals das Wohn- und Gasthaus mit Dampfheizung, ein Zinnenanbau mit Verkaufsladen, das Saalgebäude sowie eine Scheune und Remise.36 Nach Wirt Meyers Tod im Jahre 1895 vererbte sich der Gasthof auf die Witwe Pauline Meyer-Schach und deren Sohn aus erster Ehe, Eduard Schoch.37 Sie liessen 1895 die elektrische Beleuchtung einrichten und 1898 einen Küchenanbau mit Zimmern erstellen.38 1918 übertrugen Witwe Meyer und Sohn die Liegenschaft Engel der Bank Wädenswil zu Eigentum.39 Diese behielt den Gasthof bis 1928. Dann kam er wieder in Privatbesitz: zuerst an Karl Zimmermann­Bucher, 1931 an Hugo Schaler und 1936 an Fritz und Julia Huber-Cajochen.40

NEUBAU ODER SANIERUNG DES SAALES?

In den 1930er-Jahren wurde deutlich, dass der Engel-Saal in wirtschafts- und gesundheitspolizeilicher Hinsicht den neuzeitlichen Anforderungen nicht mehr genügte. 1943 schrieb der Gemeinderat daher im Zusammenhang mit der Korrektion der Seestrasse einen Ideenwettbewerb zur Neugestaltung des Engel-Quartiers aus. Sieben Architekten entwarfen Pläne für eine Sanierung des Saales. Alle Projekte scheiterten indessen an nachbarrechtlichen Verhältnissen oder wegen der Unmöglichkeit der Finanzierung.41 1944 unterbreitete Installateur Emil Kägi, als Nachbar des «Engels», dem Gemeinderat ein Um- und Anbauprojekt, das bei den politischen Parteien Anklang fand. In der Folge entschloss sich der Gemeinderat, den Stimmberechtigten die Sanierung der Saalverhältnisse im «Engel» gemäss diesem Projekt vorzuschlagen. Dabei wurde zur Bedingung gemacht, dass die Engel-Liegenschaft an eine neu zu gründende Genossenschaft übergehe, in der auch die Gemeinde Wädenswil angemessen vertreten sei. Nach heftigem Abstimmungskampf hiessen die Stimmberechtigten die Sanierung des Engel-Saales in der Urnenabstimmung vom 21. Januar 1945 mit 1095 Ja- gegen 958 Neinstimmen gut.

SAALUMBAU DURCH DIE GENOSSENSCHAFT HOTEL ENGEL

Am 29. Januar 1945 wurde unter dem Präsidium von Hutfabrikant Ernst Felber (1889-1954) die «Genossenschaft Hotel Engel Wädenswil» gegründet. Gründungsmitglieder waren die Firmen Brauerei Weber, Stärkefabrik Blattmann, Obst- und Weinbaugenossenschaft, Tuchfabrik Wädenswil AG, Pfenninger & Cie., Emil Kägi, Gessner & Cie., Sparkasse Wädenswil, E. + E. Hauser Öle, Seifenfabrik Sträuli, Ferrari & Co., P. + W. Blattmann. Durch Vertrag vom 29. Januar 1945 übertrug die Gemeinde Wädenswil die mittlerweile ihr gehörende Engel-Liegenschaft für 230 000 Franken der Genossenschaft Hotel Engel und kam zudem mit einem A-fonds-perdu-Betrag von 210 000 Franken für rund die Hälfte der Umbau- und Renovationskosten auf. Sofort begann der Umbau. Richtung Engel-Scheune und Seestrasse erstellte man einen Bühnenanbau mit Nebenräumen. Die alte Bühne und die Galerie wurden abgebrochen. Auf der Seeseite des Saales entstand ein Balkon. Die Küche verlegte man gegen die Terrassenseite und gewann so Raum für ein Foyer mit Garderobe und Toiletten. Am 7. Juli 1945 konnte der neue Saal eingeweiht werden. Männiglich war überzeugt: «En schöönere Saal chasch niene gsee, als z Wättischwil am Zürisee».
Der für eine 1 .-August-Feier geschmückte Saal nach dem Umbau von 1945. Blick Richtung Bühne.

NEUE UND ALTE AKTIVITÄTEN

Am 15. Juli 1945 fand zum Einsatz von Pfarrer Walter Angst im Engel-Saal ein Kirchgemeindenachmittag statt, und im Januar 1946 führten die Freunde des Volkstheaters Wädenswil, die am 1. September 1945 gegründete Laienspielgruppe, auf der Engel-Bühne ihr erstes Stück auf: «Die Räuber» in der Originalfassung von Friedrich Schiller. Fortan war der Engel-Saal ihr Theaterraum. Aber auch die Kinderfasnacht hatte hier Gastrecht, hier fanden Maskenbälle statt, Vereinsjubiläen, Kadettenabende, Turnaufführungen, Musik- und Gesangsvorträge und seit 1976 die Schnitzelbankfeste der 1972 gegründeten Neuen Fasnachtsgesellschaft. Am 2. Mai 1946 übertrug die Gemeinde Wädenswil den umgebauten und renovierten Saal ins Eigentum der Genossenschaft Hotel Engel.

RENOVATION ODER NEUBAU DES ENGEL-SAALS?

Im Jahre 1966 liess die Genossenschaft Hotel Engel den Saal durch Architekt Hans Helbling erneut renovieren. 46 private Genossenschafter beteiligten sich an den Kosten mit insgesamt 276 000 Franken, die Gemeinde Wädenswil laut Beschluss der Gemeindeversammlung vom 28. April 1966 mit höchstens 290 000 Franken. Durch die Renovation von 1966 verlor der Saaltrakt äusserlich seinen vom Historismus geprägten Charakter. Die Rundbogenfenster in der nordwestlichen Längsfassade wurden zugemauert, die Verzierungen im Giebelbereich und über den Fenstern der Seefassade beseitigt. Der Bau präsentierte sich fortan im nüchternen Stil der Sechzigerjahre.
Hotel Engel mit ungedeckter Terrasse und Saalbau. Ansichtskarte mit Stempel 1955.


Am 2. Dezember 1985 beantragte der Stadtrat dem Gemeinderat einen Projektierungskredit von 143 000 Franken für den Umbau des Hotels Engel mit Verwirklichung eines Saalbewirtschaftungs-Konzeptes. In der Sitzung vom 3. März 1986 wies der Gemeinderat die Vorlage aber an den Stadtrat zurück und beauftragte ihn, den Neubau eines Gemeindesaals zu prüfen. Ein Saalprojekt auf dem Areal des Rosenhofs unterhalb der reformierten Kirche scheiterte in der Urnenabstimmung vom 10. Juni 1990 mit 3241 Nein gegen 1765 Ja deutlich. In der Folge wurden zwei Initiativen für einen neuen, modernen Gemeindesaal eingereicht: eine Volksinitiative für den Bau des Gulmensaales und anderseits eine Einzelinitiative von Heinrich Th. Uster für den Centralsaal. Gleichzeitig mit diesen beiden Initiativen hatte der Gemeinderat eine stadträtliche Weisung zu behandeln, welche die Renovation und den Umbau des Engel-Saalgebäudes, der Säle und des Restaurants vorsah. Der Stadtrat und anschliessend der Gemeinderat vertraten die Ansicht, der Engel-Saal habe sich als Gemeindesaal bewährt, darum sei dessen Modernisierung jeder anderen Saallösung vorzuziehen.

Der Saaltrakt nach dem purifizierenden Umbau von 1966.

In der Gemeindeabstimmung vom 13. Juni 1999 wurde jedoch der Kredit von 5,8 Millionen für die Renovation und den Umbau des Engel-Saalgebäudes mit 3296 Nein gegen 2481 Ja klar verworfen. Damit hatte der «Engel» als Gemeindesaal offensichtlich ausgedient. In der Urnenabstimmung vom 21. Mai 2000 bestätigten die Stimmberechtigten diese Ansicht. Mit 4792 Ja gegen 791 Nein entliessen sie die Genossenschaft Hotel Engel aus der 1945 eingegangenen Verpflichtung, einen Saal zu betreiben, und ermächtigten die Genossenschafter, die Liegenschaft Engel zu verkaufen.

LIQUIDATION DER GENOSSENSCHAFT

Am 24. März 2000 beschlossen die Genossenschafter, die Genossenschaft Hotel Engel aufzulösen, und beauftragten den Vorstand, die Liquidation vorzubereiten und durchzuführen. Auf Antrag des Liquidationsausschusses entschied der Vorstand am 18. Dezember 2001, die Liegenschaft Engel zum Preis von insgesamt 1,5 Millionen an zwei verschiedene Wädenswiler Interessengruppen zu verkaufen. Die Brüder Adrian und Hans Kägi erwarben den hinteren Teil mit dem Engel-Saal mit dem Ziel, das Saalgebäude abzubrechen und auf dem Grundstück ein Wohnhaus zu erstellen. Mit dem Abbruch, der im Herbst 2003 begann, verschwand ein Stück Alt-Wädenswil. Doch auch der Satz aus Schillers Tell bewahrheitete sich: «Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit, und neues Leben blüht aus den Ruinen!»
Das Hotel Engel, der Altbau von 1835, wurde im November 2002 von einer Käufergruppe um Rechtsanwalt Peter Kleb erworben. Damit konnte der von Stadtrat Bruno Ern präsidierte Liquidationsausschuss seine Arbeit nach 14 Sitzungen beenden. An der Generalversammlung vom 5. Dezember 2002 löste sich die Genossenschaft Hotel Engel auf.

Briefköpfe des Hotels Engel aus den Jahren 1891, 1947 und 2004.

DAS HOTEL BESTEHT FORT

Während lange Zeit unklar war, was mit dem Saal geschehen sollte, wurde ins Hotelgebäude weiterhin investiert. Nach 1966 kam das Terrassenrestaurant hinzu, und man passte die Hotelzimmer dem damaligen Standard an. Innenumbauten schufen 1975 aus dem Engel-Restaurant die Engel-Stube; das Seesäli wurde zum Boccalino. 1988/89 erfolgte, unterstützt durch die Denkmalpflege, die Aussenrestraurierung des Hauptbaus, und Architekt Harry Hotz gestaltete in leichter Metall-/Glaskonstruktion ein neues Terrassenrestaurant. 1992 wurden alle Hotelzimmer renoviert.
Die heutigen Eigentümer liessen Hotel und Restaurant im Jahre 2003 ein weiteres Mal umgestalten. Ein helles Treppenhaus erschliesst nun von der Engelstrasse her das Terrassenrestaurant im ersten Stock. Anstelle der einstigen Garderobe wurde ein Empfangsraum eingerichtet, daneben befinden sich moderne Toilettenanlagen. Anstelle des früheren Ladenlokals im bergseitigen Erdgeschoss schuf man ein zusätzliches Sitzungszimmer. Auf der Seeseite erfuhr die Bar eine Erweiterung. Am 16. August 2003 öffnete der erneuerte Gasthof Engel seine Türen. Seither ist er wieder – wie in alten Zeiten – zum beliebten Wädenswiler Treffpunkt geworden.




Peter Ziegler



Präsidenten der Genossenschaft Hotel Engel
1945–1947 Ernst Felber
1947–1961 Fritz Zurschmiede
1961–1980 Hans Jakob Furrer
1980–1988 Norbert Kuster
1988–1994 Rolf Kellersberger
1994–2002 Adrian Kägi

ANMERKUNGEN

1 Peter Ziegler, Das Haus «Zur Sonne» in Wädenswil, Wädenswil 1988. -StAZ, CI 2836. - StAZ, F He 86, S. 7.
2 StAZ, C V 3, 6d, dat. 4.10.1647. -StAZ, C II 14, Nr. 235.
3 StAZ, A 150.4, dat. 1632.
4 StAZ, F III 38, 1642.
5 StAZ, B XI Wädenswil !, S. 84. -StAZ, E III 132.2, S. 259,266.
6 StAZ, E III 132.
7 StAZ, RR I 56/1.
8 StAZ, MM 2.12, S. 182.
9 StAZ, B XI Wädenswil 5, S. 169.
10 StAZ, B XI Wädenswil 21, S. 260.
11 StAZ, B XI Wädenswil 301, S. 196.
12 StAZ, Df 461: Edwin Hauser, Die zürcherischen Tavemenrechte, Zürich 1935.
13 StAZ, B XI Wädenswil 302, S. 341.
14 StAZ, B XI Wädenswil 304, S. 339.
15 StAZ, B XI Wädenswil 307, S. 28.
16 Historisches Lexikon der Schweiz, Internetversion vom 7.4.2004 .
17 StAZ, B XI Wädenswil 316, S. 138,374, 379,530.
18 Allgemeiner Anzeiger vom Zürichsee, Nr. 136 vom 17. November 1877.
19 Allgemeiner Anzeiger vom Zürichsee, Nr. 138 vom 22. November 1877.
20 Allgemeiner Anzeiger vom Zürichsee, Nr. 154 vom 31. Dezember 1877.
21 Allgemeiner Anzeiger vom Zürichsee, Nr. 2 vom 5. Januar 1878.
22 Allgemeiner Anzeiger vom Zürichsee, Nm. 8 (19.1.), II (26.1.), 14 (2.2.1878).
23 Allgemeiner Anzeiger vom Zürichsee, Nr. 17 vom 9. Februar 1878.
24 Allgemeiner Anzeiger vom Zürichsee,Nr. 23 vom 23. Februar 1878.
25 Allgemeiner Anzeiger vom Zürichsee, Nrn. 25 (28.2.), 32 (16.3.), 25 (28.2.1878).
26 Allgemeiner Anzeiger vom Zürichsee, Nrn. 41 (6.4.), 36 (26.3.1878).
27 Allgemeiner Anzeiger vom Zürichsee, Nr. 58 vom 18. Mai 1878.
28 Allgemeiner Anzeiger vom Zürichsee, Nrn. 62 (30.5.), 86 (25.7.), 99 (24.8.), 119 (10.10.1878).
29 Allgemeiner Anzeiger vom Zürichsee, Nrn. 90 (3.8.), 104 (5.9.), 135 (16.11.), 147 (14.12.1878).
30 Allgemeiner Anzeiger vom Zürichsee, Nr. 3 vom 8. Januar 1878.
31 Allgemeiner Anzeiger vom Zürichsee, Nrn. 109 (17.9.), 115 (1.10.1878)
32 Allgemeiner Anzeiger vom Zürichsee, Nr. 102 vom 31. August 1878.
33 Peter Weiss, Wädenswiler Mode und Mannequins. Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1998,S. 27-29.
34 StAZ, B XI Wädenswil 315, S. 119.
35 Peter Ziegler, Der Wädenswiler Seeplatz. Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1991, S. 109ff.
36 StAZ, B XI Wädenswil 321, S. 335.
37 StAZ, B XI Wädenswil 325, S. 558-560.
38 Stadtarchiv Wädenswil, IV B 59.10, Lagerbuch der Brandassekuranz.
39 StAZ, B XI Wädenswil 337, S. 451-453.
40 Stadtarchiv Wädenswil, IV B 59.1
41 Adrian Kägi, Jahresbericht 2001/2002 der Genossenschaft Hotel Engel in Liquidation. Bruno Ern, Schlussbericht des Liquidationsausschusses zuhanden der GV vom 5. Dezember 2002. Auf beide Berichte stützen sich auch die nachstehenden Ausführungen.