Innenrenovation der reformierten Kirche Wädenswil

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1999 von Peter Ziegler

VOM PROJEKT ZUR AUSFÜHRUNG

Am 22. August 1999, dem Chilbisonntag, konnte die 1764/67 erbaute reformierte Kirche Wädenswil, ein Werk des berühmten Baumeisters Johann Ulrich Grubenmann (1709-1783), nach abgeschlossener Innenrenovation wieder eingeweiht werden. Die Vorarbeiten dauerten beinahe zwei Jahre. Es waren Bestandesaufnahmen sowie Abklärungen mit der kantonalen Denkmalpflege nötig, es galt die Kosten zu erfassen und in zwei Kirchgemeindeabstimmungen den Projektierungskredit von 175 000 Franken und den Ausführungskredit im Betrag von 2 706 000 Franken bewilligen zu lassen.
Im Vergleich zur Planungsphase war die Ausführungzeit kurz. Das auf Kirchensanierungen spezialisierte Architekturbüro Peter Fässler aus Zürich (Bauleiter Christian Schneider) benötigte rund elf Monate. Am 13. Juli 1998 wurde mit der Demontage der Orgel begonnen, am 20. Juli mit dem Stellen des Innengerüsts und am 10. August mit den Stukkaturarbeiten an der Decke, die am 5. Mai 1999 beendet waren. Am 20. Mai begann man mit der Demontage der letzten Gerüste, und Ende Juni 1999 konnten die Arbeiten termingerecht abgeschlossen werden.
Für die Innenrenovation war alte Handwerkererfahrung wieder gefragt: Stukkateure, spezialisierte Maler und Zimmerei-Fachleute taten ihr Bestes. Aber auch «moderne» Berufsgattungen wie Heizungs-, Licht- und Akustik-Spezialisten waren in der mächtigen Hallenkirche gefordert.

STUKKATUREN VON PETER ANTON MOOSBRUGGER

Kleinere Ablösungen von Stuckteilen führten bereits 1993 zu Sondierungen durch einen Fachmann. Die Untersuchungen zeigten, dass die Restaurierung der Stuckdecke ein wichtiger Teil der Innenrenovation werde. Schon das mächtige Deckengerüst, als Arbeitsbühne für Stukkateure und Maler, war imposant. Während des Baugottesdienstes vom 22. November 1998 konnten das Gerüst-Werk, und bei den nachfolgenden Führungen auf dem Deckengerüst auch die Stukkaturen, aus der Nähe bewundert werden.
 
Die 1766 vom Vorarlberger Peter Anton Moosbrugger (1732-1806) ausgeführten Stukkaturen waren von Beginn an weiss gekalkt. Die von Hans Jakob Messmer (1730-1801) geschaffene hölzerne Kanzel erhielt eine schwarze Marmorierung, ebenfalls als Stuckarbeit. Die Decke musste 1809 erstmals repariert und in den Jahren 1862-1866, 1904 und letztmals bei der grossen Innenrenovation von 1950/51 saniert werden. In den 1860er Jahren wurden Decke und Stuck, gemäss damaligem Stilempfinden, in Gelb-/Blaufassung gestrichen. Diese Farbgebung verschwand 1904 wieder.
Bei der jüngsten Renovation wurde der Decken- und Wandstuck abgewaschen. Man legte die Stukkaturen von früheren Anstrichen frei, ergänzte die unzähligen Stuck-Fehlstellen restauratorisch und fixierte lose Teile. Die Stuckpartien wurden nach zahlreichen Probeanstrichen mit Kalkfarbe, die Flächen mit Leimfarbe weiss gestrichen. Das einzige farbige Stuck-Element - abgesehen von der schwarz marmorierten Kanzel - ist das als Baumeistersignatur angebrachte Familienwappen Grubenmanns an der Wand der turmseitigen Empore. Leider wird diese schmucke Kartusche nach dem Einbau der neuen Orgel kaum mehr sichtbar sein.
Von August 1998 bis Mai 1999 wurden für die Restaurierung des Stucks rund 7600 Stukkateurstunden geleistet, für das Abwaschen der früheren Farbschichten und die neuen Anstriche 4000 Maler-Stunden.

Hans Jakob Messmer zimmerte das hölzerne Kerngerüst der Kanzel.

Mitte April 1999 konnte das Deckengerüst wieder entfernt werden. Die prachtvolle Decke mit filigranem Rokoko-Stuck in frischer Präszision war vom Kirchenboden aus erstmals wieder in neuem Glanz zu bestaunen.

Mittlerer Deckenspiegel mit freihängenden Stuckpartien.

Engel an der Decke über der Orgel-Empore.

Kartusche mit Blütenzweig.

Deckenspiegel im Turmeingang.

Kartusche mit Treillagegitter-Motiv.

Eck-Kartusche mit Vase und Blütenzweig.

DACHKONSTRUKTION

Grubenmann konzipierte die reformierte Kirche Wädenswil als stützenfreie Hallenkirche. Die mächtige Decke hängte der Teufener Baumeister am Dachstuhl auf, dessen Konstruktion der einer Brücke sehr ähnlich ist. Auf diese Weise konnte er im Kirchenraum auf Stützen verzichten. Doch das Vertrauen in die Holzkonstruktion währte nicht lange. Bereits 1806 wurden unter Architekt Hans Conrad Stadler im Feld zwischen Längsbinder und Turm vier Eck- und zwei Hilfsquerbinder eingebaut. 1836, 1914 und 1948 erfuhr der Dachstuhl weitere Verstärkungen. Ein Gutachten von 1978 verlangte den Einbau von zwei neuen Längsbindern. 1981 lehnten die Stimmberechtigten indessen den Kredit für eine Innenrenovation mit Veränderungen im Dachstuhl ab. Dadurch blieb Grubenmanns prachtvolle und einzigartige Dachkonstruktion ungeschmälert erhalten.
Architekt Peter Fässler wollte die früheren Expertisen von Fachleuten nicht ignorieren. Intensive Studien mit Holzfachmann Norbert Ruoss in Zürich und dem denkmalpflegerischen Berater Peter Baumgartner zeigten jedoch, dass die Konstruktion des grossen Baumeisters Grubenmann für die reformierte Kirche Wädenswil immer noch richtig bemessen und intakt ist. Zusätzliche Um- oder Einbauten wären ein Frevel an der schützenswerten und einmaligen Dachkonstruktion. Einmal mehr erwies sich hier, dass Sanierungen von Altbauten nicht nur berechnet, sondern mit Erfahrung und Gefühl projektiert und ausgeführt werden müssen.

Freilegen der ältesten Stuckfassung.

Ergänzen schadhafter Stukkaturen.

KANZELBEREICH

Grosses Anliegen war es, den Gangbereich unter der Kanzel vielfältiger nutzen zu können. Typisch für das Querkirchenkonzept ist, dass der Taufstein als sakraler Mittelpunkt im Zentrum der Kirche steht und die Gänge zwischen den Bankreihen in Kreuzform zum Taufstein führen. Dieses in der Kirche Wädenswil noch gesamthaft erhaltene Grundrisskonzept durfte aus denkmalpflegerischen Erwägungen nicht gestört werden. In zahlreichen Sitzungen und Studien wurden mögliche - und unmögliche - Wege zur Öffnung der bankfreien Zone unter der Kanzel studiert, diskutiert, verworfen und neu konzipiert, bis eine für alle Beteiligten einfache, aber akzeptierbare Lösung gefunden werden konnte:
Die vier hintersten Bankreihen bei den Seitenausgängen wurden ersatzlos entfernt, wodurch dort grösserer Freiraum entstand. Die zwei Mal zwei Bankreihen unter der Kanzel wurden neu demontierbar befestigt, damit sie bei besonderen Anlässen an die Seitenausgänge verschoben werden können. Damit lässt sich der Mittelgang unter der Kanzel von 2.80 m auf 6.50 m erweitern.
 

BELEUCHTUNG

Bei der Renovation von 1950/51 baute man eine neue Beleuchtung ein, mit Leuchten in den Okuli-Fensterbrüstungen und einfachen Kugellampen unter den Emporen. Das damalige Konzept liess die wunderbare Stuckdecke frei von Beleuchtungskörpern und gab trotzdem eine gute Ausleuchtung des Raumes. Diese Lösung erachtete man auch heute noch für richtig. Die Beleuchtung von 1951 wurde deshalb nur leicht abgeändert, indem man zeitgemässe, technisch verbesserte Lampen anbrachte. Da aus denkmalpflegerischen Gründen die Stuckdecke nicht für Einbauleuchten perforiert werden durfte, behielt man das System flexibel montierbarer Hängeleuchten im Bereich der Bühne und der Orgelempore bei. Einfachere Elektro-Seilwinden und Kupplungen lassen hoffen, dass diese Leuchten nur in speziellen Fällen, bei Gebrauch der Bühne respektive der Orgelempore mit Chor, montiert werden.

18 Mai 1999: Verschiedene Lautsprechersysteme im Test.

AKUSTIKANLAGE

Grosses Anliegen der Kirchenbenützer war es, mit einer neuen Akustikanlage die Verständlichkeit in der Kirche wesentlich zu verbessern. Die «harten» Oberflächen der Wände und Decken führen zu einer hohen Nachhallzeit und damit zu geringer Sprachverständlichkeit. Die filigrane Ausstattung und das klare Grundrisskonzept der Kirche liessen für die Dimensionierung der Lautsprecher nur wenig Spielraum. In einer denkwürdigen «Hörprobe» im Mai 1999 wurden mit verschiedenen «Sprechern» und einer Grosszahl von «Zuhörern» drei grundsätzlich verschiedene Lautsprecheranlagen getestet. Das gewählte System stellt ein Optimum an Spachverständlichkeit und akzeptablem Aussehen dar.
Neben den oben erwähnten vier getroffenen Hauptmassnahmen galt es noch unzählige kleinere Teile und Bereiche der Kirche zu erneuern oder verbessern. So wurden eine speicherprogrammierbare Heizungsregelung eingebaut, die Elektroinstallationen gesamtheitlich erneuert, die Orgelempore für Sänger und Orchester neu konzipiert und für den Einbau der neuen Orgel vorbereitet. Unter den Emporentreppen baute man zudem vier grosse Schränke ein, die sich durch Form und Materialwahl zurückhaltend vom barocken Stil der Kirche abheben. Hier können die Elemente der neu angeschafften, von der Stadt Wädenswil finanzierten Bühne gelagert werden.
 

Kircheninneres nach der Renovation 1950/51, mit eingeweihter vierter Orgel.

Das Innere nach abgeschlossener Renovation 1998/99.

FESTLICHE EINWEIHUNG

Am Chilbisonntagonntag, 22. August 1999, wurde die Kirche in einem feierlichen Gottesdienst wieder eingeweiht. Nach der Schlüsselübergabe von Architekt Peter Fässler an den Kirchenpflegepräsidenten Martin Ungerer hielt Pfarrer Felix Mathys die Predigt über 1. Petrusbrief 2,5. Den selben Bibeltext hatte schon Pfarrer Johann Heinrich Hofmeister (1721-1770) am 23. August 1767 seiner Predigt zu Grunde gelegt, als die Gemeinde die neu erbaute Grubenmann-Kirche einweihte. Nach Grussworten von Christian Renfer, Leiter der kantonalen Denkmalpflege, und des Präsidenten des Kirchenrates, Pfarrer Ruedi Reich, sorgten der Kirchen- und Oratorienchor sowie das Kammerorchester Wädenswil unter der Leitung von Felix Schudel und die Organistin Ursula Hauser für musikalische Höhepunkte auf der neuen Bühne. Zu hören waren Werke aus der Zeit um 1767, als der Kirchenbau vollendet war: das Allegro aus dem Orgelkonzert in G-Moll von Georg Friedrich Händel; das Kyrie und das Gloria aus der Messe in G-Dur von Wolfgang Amadeus Mozart und das Paradisi Gloria aus Stabat Mater von Joseph Haydn. Anschliessend an den Gottesdienst wurde vor der Kirche ein Apero serviert. Dazu erklang eine Chilbiorgel, und vom Kirchturm aus spielten Turmbläser. Zum denkwürdigen Tag gab die Kirchenpflege eine reich bebilderte Festschrift heraus, welche gratis bezogen werden konnte. Der darin abgedruckte Bericht des Architekten Peter Fässler und des Bauleiters Christian Schneider bildete die Grundlage für diese Würdigung der Innenrenovation von 1998/99.

Wappen Hans Ulrich Grubenmanns an der Wand der turmseitigen Empore.




Peter Ziegler