Bericht des Architekten

Quelle: Reformierte Kirche Wädenswil Innenrenovation 1998/99 von Peter Fässler und Christian Schneider

Freude und Festlichkeit

Die Kirche Wädenswil ist eine mächtig eingewölbte Hallenkirche des grossen Baumeisters Johann Ulrich Grubenmann. Die feinen und feinsten Stukkaturen des Vorarlberger Stukkateurs Peter Anton Moosbrugger machen die Halle zum Festsaal. Unzählige Blumen, Gebinde, Rocaillen und Friese schmücken Decken und Wände und geben dem Predigtraum ein Gepräge der Freude und der Festlichkeit.
Es wäre wohl unverständlich, hätten die barocke Festlichkeit und Fröhlichkeit nicht auf die intensive Arbeit von Handwerkern, Baukommission und Architekt «abgefärbt»: Beinahe zwei Jahre dauerten die Vorarbeiten für Bestandesaufnahmen, Abklärungen mit der Denkmalpflege, Erfassung der Sanierungs- und Restaurierungskosten und nicht zuletzt die zwei denkwürdigen Abstimmungen in der Kirchgemeinde, welche mit grossem Mehr den Weg ebneten für die Erneuerung des Innenraums.
Im Vergleich zur Planungsphase war die Zeit der eigentlichen Bauarbeiten kurz. Sie dauerten nur knapp ein Jahr.
Im Anschluss an den Baugottesdienst vom 22. November 1998 erklärten Fachleute die Restaurierungsarbeiten an der Kirchendecke.

Stukkaturen

Kleinere Ablösungen von Stuckteilen führten schon 1993 zu Sondierungen durch einen Fachmann. Die Untersuchungen zeigten, dass die Restaurierung der Stuckdecke ein wesentlicher Bestandteil der Innensanierung sein wird. Nur schon das mächtige Deckengerüst, als Arbeitsbühne für Stukkateure und Maler, war imposant. Während des Baugottesdienstes vom 22. November 1998 konnten das Gerüstwerk, und bei den nachfolgenden Führungen auf dem Deckengerüst auch die Stukkaturen, aus der Nähe bewundert werden. Über die Stukkaturen konnten folgende Daten ermittelt werden:
 
1765
Der Baumeister Johann Ulrich hat die Kirche im Rohbau fertig gestellt.
 
1766
Der Voralberger Peter Anton Moosbrugger führt die Stukkaturarbeiten aus, mit monochromer (weisser) Kalkung der Decken- und Wandfelder und des Stucks.
 
1809
Erste Reparaturen am Stuck, mit weiterer monochromer Kalkung von Decken und Wänden.
 
1861
Erste Innenrenovation im Hinblick auf die Jahrhundertfeier der Kirche: bläulich-hellgrauer Ölfarb-Anstrich auf den Wänden, heller gelblicher Ölfarb-Anstrich des Wandstuckes, bläulicher und gelblicher Leimfarbanstrich an Decke und Decken-Stuck.
 
1904
Zweite Innenrenovation in Zusammenhang mit dem Einbau der elektrischen Beleuchtung durch das Elektrizitätswerk an der Sihl. Abstossen des Feinputzes an den Deckenflächen und Aufziehen einer Gipsglätte – Farbspuren dieser Fassung konnten an der Decke nicht nachgewiesen werden -, heller gelblicher Ölfarb-Anstrich des Wandstuckes.

1950
Dritte Innenrenovation: Restaurierung der Decke mit Schliessen von Rissen, Wiederbefestigung von Stuckteilen mit Schrauben; Streichen von Rissstellen und Schraubenköpfen mit Schellack. Monochromer Leimfarb-Anstrich an den Decken; Neuverputzen der Wände (führte eventuell durch die früheren Ölfarb-Anstriche zu Abplatzungen) und monochromer Emulsions-Anstrich.

1998
Vierte, heutige Innenrenovation: Abwaschen der früheren Leimfarb-Anstriche an Decken, Freilegen der Stukkaturen von früheren Anstrichen. Ablaugen der Ölfarb-Anstriche auf den Wandstukkaturen. Restauratorische Ergänzungen von Fehlstellen und Fixieren von losen Teilen durch Stukkateure. Neuanstrich mit Kalkfarbe am Stuck und mit Leimfarbe an den Flächen (Kalk- und Gipsgrund). Polychrome (mehrfarbige) Restaurierung der Kartusche mit dem Grubenmann-Wappen an der Turmseite (hinter der Orgel). Von August 1998 bis Mai 1999 wurden für die Restaurierung des Stucks zirka 7600 Stukkateur-Stunden, für das Abwaschen der früheren Farbschichten und den neuen Anstrich 4000 Maler-Stunden geleistet. Mitte April 1999 wurde das Deckengerüst entfernt. Die prachtvolle Decke mit Stuck in frischer Präzision konnte vom Kirchenboden aus erstmals wieder in neuem Glanz bestaunt werden.

Links: Restaurierungsarbeiten an der Kirchendecke.
Rechts: Risse im Wand- und Deckenstuck lösen Innenrenovation von 1998/99 aus.

Dachkonstruktion

Die Dachkonstruktion der reformierten Kirche Wädenswil wurde vom berühmten Baumeister und Zimmermann Johann Ulrich Grubenmann aus Teufen erstellt. Dieser wurde nicht zuletzt wegen seinen erstaunlichen Holzkonstruktionen, ob bei Brücken oder weit gespannten Kirchendächern, berühmt und legendär. Die Dachkonstruktion der Kirche Wädenswil gab immer wieder zu grossen Diskussionen, zu statischen Studien und zu «Verbesserungen» Anlass:
Der hölzerne Dachstuhl: Ein Meisterwerk alter Zimmermannskunst.


1806
Einbau von vier Eck- und zwei Hilfsbindern im Feld zwischen Längsbinder und Turm, unter Architekt Hans Conrad Stadler.
 
1809
Reparaturen am Dachstuhl.
 
1836
Verstärkung der Längs- und Querbinder sowie Einzug eines Bretterbodens im Dachstuhl, unter Architekt Stadler.
 
1914
Verstärkung der Hauptträger im Dachstuhl durch Zimmermeister Fritz Christener, Wädenswil.
 
1920
Ein Gutachten von Prof. Schüle in Zürich schlägt weniger weitreichende Verstärkungen vor; diese werden aber nicht ausgeführt.
 
1921
Zimmermeister Isler erwähnt in einem Gutachten, dass die Sprengwerkkonstruktion von Anfang an viel zu schwach angeordnet ist. Eine Verstärkung wird indessen nicht ausgeführt.
 
1922
Ein weiteres Gutachten von Zimmermeister W. Stäubli schlägt Verstärkungen vor, die aber nicht ausgeführt werden.
 
1935
Weitere Gutachten von Zimmermeister Isler und Dipl. Ing. A. Meier, Wädenswil, zur Verstärkung und Holzbehandlung des Dachstuhls, 1948 teilweise ausgeführt.
 
1948
Konservierungsarbeiten am Dachstuhl, zum Teil Balken ersetzt.
 
1978
Gutachten des Ingenieurbüros Dr. J. Killer + A. Furter in Baden zur Dachkonstruktion mit der Schlussfolgerung, dass zwei neue Längsbinder eingezogen werden sollen. Die Innensanierung wurde 1981 von den Stimmbürgern abgelehnt, die Sanierung folglich nicht ausgeführt.
Die früheren Gutachten konnten von mir, als verantwortlichen Architekten, nicht ignoriert werden. Trotzdem hatte ich ein gutes Gefühl und traute dem grossen Baumeister Grubenmann zu, für die Kirche Wädenswil eine richtig bemessene Dachkonstruktion gewählt zu haben. Auch schienen mir die Deckenrisse zu gering, als dass sie statischen Ursprungs hätte sein können. Eine genaue Untersuchung zusammen mit dem Denkmalpfleger, und das neue umfangreiche Gutachten des erfahrenen Ingenieurs Norbert Ruoss aus Zürich zeigte, dass Grubenmanns Konstruktion tadellos intakt war. Zusätzliche Um- und Einbauten wären ein Frevel an der schützenswerten und einmaligen Dachkonstruktion. Es zeigte sich hier wieder, dass Sanierungen von Altbauten nicht berechnet, sondern mit Erfahrung und Gefühl projektiert und ausgeführt werden müssen.

Kanzelbereich

Grosses Anliegen der Kirchenbesucher war es, den Gangbereich unter der Kanzel vielfältiger nutzen zu können. Typisch für das Querkirchenkonzept ist es, dass der Taufstein als sakraler Mittelpunkt im Zentrum der Kirche steht und die Wege zwischen den Bankreihen in Kreuzform zum Taufstein führen. Dies in der Kirche Wädenswil noch gesamthaft erhaltene Grundrisskonzept durfte aus denkmalpflegerischen Erwägungen nicht gestört werden. In zahlreichen Sitzungen und Studien wurden mögliche – und unmögliche – Wege zur Öffnung der bankfreien Zone unter der Kanzel studiert, diskutiert, verworfen und neu konzipiert, bis für alle Beteiligten einfache, aber akzeptierte Lösungen gefunden werden konnte:
Die vier hintersten Bankreihen bei den Seitenausgängen werden ersatzlos entfernt, wodurch dort grösser «Stauraum» entsteht. Die zwei Mal zwei Bankreihen unter der Kanzel werden neu demontierbar befestigt, damit sie bei besonderen Anlässen an die Seitenausgänge geschoben werden können. Damit lässt sich der Mittelgang unter der Kanzel von 2.80 m auf 6.50 m erweitern. Diese zwar nicht elegante, aber denkmalpflegerisch akzeptable Lösung soll helfen, den Gottesdienstraum von Wädenswil vielfältiger nutzen zu können.

Beleuchtung und Akustikanlage

Bei der Renovation 1950/51 wurde eine neue Beleuchtung eingebaut, mit Einbauleuchten in den Okuli-Fensterbrüstungen und einfachen Kugelleuchten unter den Emporen. Das damalige Beleuchtungskonzept wurde auch in heutiger Zeit noch als richtig empfunden. Es lässt die wunderbare Stuckdecke frei von Beleuchtungskörpern und gibt trotzdem eine gute Ausleuchtung des Raumes.
Das Beleuchtungskonzept von 1951 wurde nur leicht abgeändert und mit heutigen, technisch verbesserten Leuchten bestückt: Einbau von Hochdruck-Metallhalogenlampen (CDM-TD150) mit speziellen Reflektoren und ½ bis 1/1 Schaltung in den Okuli-Brüstungen anstelle der Glühfadenlampen. Montage von neuen dimmbaren Halogen-Wandleuchten zur indirekten Beleuchtung der Emporenuntersichten anstelle der früheren Pendelleuchten.
Da aus denkmalpflegerischen Gründen die Stuckdecke nicht für Einbauleuchten perforiert werden durfte, wurde das System der Hängeleuchten im Bereich der Bühne und der Orgelempore beibehalten. Einfachere Elektro-Seilwinden und Kupplungen lassen hoffen, dass diese Leuchten nur in speziellen Fällen, bei Gebrauch der Bühne, respektive der Orgelempore mit Chor, montiert werden.
Grosses Anliegen der Kirchenbenutzer war es, mit einer neuen Akustik-Anlage die Verständlichkeit in der Kirche wesentlich zu verbessern. Die «harten» Oberflächen der Wände und Decken führen zu einer hohen Nachhallzeit und damit zu einer geringen Sprachverständlichkeit. Die filigrane Ausstattung und das klare Grundrisskonzept der Kirche lassen für eine Dimensionierung der Lautsprechern nur wenig Spielraum. In einer denkwürdigen «Hörprobe» im Mai 1999 wurden drei grundsätzlich verschiedene Lautsprechersysteme mit verschiedenen «Sprechern» und einer grossen Anzahl von «Zuhörenden» getestet. Das gewählte System stellt ein Optimum an Sprachverständlichkeit und akzeptablem Aussehen dar.
Architekt Peter Fässler (vorne) und Bauleiter Christian Schneider.

In der zweiten Hälfte Juli 1998 wird das Innengerüst aufgestellt.
Neben den vier obigen Hauptbereichen hat man noch unzählige kleinere Teile und Bereiche der Kirche saniert, renoviert oder restauriert. So wurden eine speicherprogrammierbare Heizungsregelung eingebaut, die Elektroinstallationen gesamtheitlich erneuert, die Orgelempore für Sängerinnen, Sänger und Orchester neu konzipiert und für den Einbau der neuen Orgel vorbereitet. Die dreijährige Planungs- und Bauzeit war begleitet von intensiver, zum Teil geradezu spannender, aber auch herzlicher Zusammenarbeit zwischen Baukommission, Denkmalpfleger, Unternehmer und uns als Architekten. Die Höhepunkte mit Kirchgemeindeversammlung, Baugottesdienst, Gerüst-Apéro mit den Handwerkern sowie die Hörproben der Lautsprechersysteme werden uns unvergesslich bleiben – herzlichen Dank.




Peter Fässler, dipl. Architekt ETH/SIA

Christian Schneider, Bauleiter


Planungs- und Baudaten

1996, 23. September
Bewerbung des Architekten bei der Kirchgemeinde Wädenswil nach öffentlicher Ausschreibung.
 
1996, 5. Dezember
Wahl des Architekten Peter Fässler nach Evaluation von zirka 60 Bewerbern.
 
1997, 1. April
Abgabe der Bestandesaufnahme mit CAD-Plänen, Fotodokumentation und Bestandesbeschrieb.
 
1997, 9. Mai
Abgabe der Sanierungsstudie mit Kostenschätzung von 4 775 000 Franken.
 
1997, 15. Mai
Abgabe der reduzierten Sanierungsstudie mit Kostenschätzung von 2 775 000 Franken.
 
1997, 26. August
Presseorientierung zum Projektierungskredit.
 
1997, 9. September
An der Kirchgemeindeversammlung wird der Projektierungskredit von 175 000 Franken ohne Gegenstimme bewilligt.
 
1997, 30. Dezember
Das Bundesamt für Konjunkturfragen sichert einen Beitrag von 281 229 Franken (max. 384 150 Franken) zu.
 
1998, 20. Februar
Abgabe des detaillierten Kostenvoranschlags mit Kosten von 2 881 000 Franken (inklusive Projektierungskredit).
 
1998, 31. März
Der Stadtrat bewilligt einen Beitrag von 113 000 Franken für neue Bühnenelemente.
 
1998, 8. April
Die Rechnungsprüfungskommission der Evangelisch-reformierten Kirchgemeinde Wädenswil empfiehlt die Ausführungsvorlage zur Annahme.
 
1998, 14. April
Der Kirchenrat des Kantons Zürich bewilligt einen Staatsbeitrag von 496 000 Franken.
 
1998, 17. April
Ausschreibung der Arbeiten in der «Zürichsee-Zeitung» und im «Baublatt».
 
1998, 11. Mai
Presseorientierung zum Ausführungskredit.
 
1998, 13. Mai
Orientierungsversammlung in der Kirche zum Ausführungskredit.
 
1998, 7. Juni
In der Urnenabstimmung wird der Ausführungskredit im Betrag von 2 706 000 Franken mit grosser Mehrheit angenommen.
 
1998, 18. Juni
Erste Arbeitsvergebungen.
 
1998, 9. Juli
Orgel Nacht: Ausspielen der alten Orgel.
 
1998, 13. Juli
Beginn der Demontage der Orgel.
 
1998, 15. Juli
Baubeginn mit Abdeckungsarbeiten.
 
1998, 20. Juli
Beginn der Montage des Innengerüsts.
 
1998, 31. Juli
Das Innengerüst mit Arbeitsboden unter der Decke ist fertig erstellt.
 
1998, 3. August
Beginn mit Abwaschen des Leimanstrichs an der Decke. Sondierungen an Wänden und Decken betreffende Farb- und Materialaufbau.
Schliessen von Rissen und Kabelgräben.

Waschen des Deckenstucks.
Freilegen der ältesten Stuckfassung.
Vorbereitungen des Stukkateurs.

Formen für das Giessen von Stuck-Blumen.
1998, 10. August
Beginn der Stukkaturarbeiten an der Decke. Versuche mit Kalkanstrichen auf Gipsflächen.
 
1998, 29. September
Versuchsanordnung mit neuen Leuchten unter den Emporen und neuen Leuchtmitteln in den Okuli Brüstungen. Bemusterung und Auswahl der neuen mobilen Bühne.
 
1998, 22. November
Baugottesdienst mit Besichtigung der Stuckdecke ab Baugerüst.
 
1999, 11. Januar
Erstellen des Gerüstes unter den Emporen.
 
1999, Mitte Januar
Beginn Kalkanstrich an den Deckenstuck und Abwaschen des Leimfarbanstrichs an den Emporenuntersichten.
 
1999, 8. April
«Gerüst-Austrinkete»: Apéro für Handwerker und Baukommission auf dem Deckengerüst.
 
1999, 12. April
Demontage des Decken- und Wandgerüstes.
 
1999, 5. Mai
Ende der Stukkaturarbeiten an den Emporenuntersichten.
 
1999, 10. Mai
Beginn der Umbauarbeiten der Orgelempore.
 
1999, 18. Mai
Versuchsordnung mit «Probehören» von verschiedenen Lautsprechersystemen.
Ergänzen schadhafter Stukkaturen.
Umbauarbeiten auf der Orgelempore.
18. Mai 1999: Verschiedene Lautsprechersysteme im Test.

1999, 19. Mai
Ende der Restaurierungsarbeiten an der Emporenuntersichten. Montage der CDM-Leuchten in die Okuli-Fenster.
 
1999, 20. Mai
Demontage der Gerüste an Kanzelwand und Emporen.
 
1999, 25. Mai
Beginn mit den Sanierungsarbeiten am Parkettboden im Kirchenschiff.
 
1999, Ende Juni
Abschluss der Sanierungsarbeiten.
 
1999, 22. August
Festliche Einweihung der Kirche.
 
 




Peter Fässler

Christian Schneider