Als Lehrer an der Sekundarschule Wädenswil, 1922-1942

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 1986 von Fritz Schwarzenbach

Unerwartet wurde ich im Januar 1922 an die Sekundarschule gewählt. Am Fasnachtsmontag lernte ich meine zukünftigen Kollegen kennen, denn an diesem Nachmittag entstand unter der Leitung von Johannes Schläpfer in gemeinsamer Arbeit der neue Stundenplan. Damals erteilte jeder Lehrer in der ihm zugeteilten Klasse den Unterricht in den Fächern Deutsch und Französisch. Als Biologe wurde mir die Naturkunde in fünf Klassen zugeteilt, was mir natürlich gut passte. Von den acht Lehrern waren drei Appenzeller, ein Thurgauer neben uns vier Zürchern. Während der zwanzig Jahre gab es einen einzigen Wechsel: Als Paul Waldburger 1931 starb, trat Walter Bleuler an seine Stelle.
Wir waren ganz verschiedene Naturen, aber wir achteten gegenseitig die Persönlichkeit des andern, und so gab es nur ganz selten Schwierigkeiten. Johannes Schläpfer leitete als Aktuar der Schulpflege unsere Besprechungen, wenn bestimmte Fragen zu erledigen waren. Er war ein ausgezeichneter Mathematiklehrer. Wenn ich an einem Examen einer seiner Rechenstunden beiwohnte, hatte ich Mühe, bei den Kopfrechnungen so rasch fertig zu werden wie die Schüler. Jakob Eugster führte neben der Schule gewissenhaft die Gemeindechronik der Lesegesellschaft. Eugen Meier erteilte vor allem den Zeichenunterricht und war handwerklich sehr geschickt. So baute er im Keller des Schulhauses während vieler Monate in der Freizeit ein Einerruderboot, wie er es vom Seeclub her kannte, das sich dank der genauen Arbeit später gut bewährte. Paul Waldburger unterrichtete vor allem Englisch in den beiden dritten Klassen und war zugleich Schulgutsverwalter, ein Amt, das nach seinem Tode Emil Rellstab übernahm. Emil Stäuber war bei den Schülern beliebt wegen seiner Sprüche über Schüler und Ereignisse in der Schule. Max Greutert, musikalisch begabt, leitete den Chorgesang, ein disziplinarisch nicht immer leichtes Fach. Emil Rellstab teilte mit mir in sehr guter Zusammenarbeit den Naturunterricht und das Knabenturnen.
1925 wollte der Präsident der Sekundarschulpflege, Herr Carl Büchi-Keller, der Schule einen Fotoapparat schenken. Da die meisten Lehrer eigene Fotoapparate besassen, der Schule aber ein Mikroskop fehlte, teilten wir ihm diesen Wunsch mit. Er war sofort einverstanden: «Aber es muss etwas Rechtes sein!» So konnten wir ein erstklassiges Zeiss-Mikroskop kaufen, mit allerlei Zubehör. Mit Hilfe einer Bogenlampe und eines Winkelspiegels liess es sich zur Mikroprojektion verwenden. Blütenstaub aus Frischpräparaten oder lebende Kleintiere aus einem Tümpel erschienen so direkt auf dem Projketionsschirm. Bei der Beobachtung nur im Mikroskop waren wir nie sicher, ob der einzelne Schüler wirklich das Wesentliche sah.
Zu Ehren von Heinrich Pestalozzi wurde im Anschluss an die Feiern zum 100. Todestag beschlossen, im Sommer 1927 in Zürich eine kantonale Schulausstellung zu veranstalten. Die Sekundarlehrerkonferenz des Kantons Zürich legte im September 1926 ein ausführliches Programm vor, was gezeigt werden könnte, und lud die Lehrer zur Mitarbeit ein. Anscheinend gingen nicht viele Anmeldungen ein, denn im November kam eine persönliche Einladung, sich mit einem Thema aus dem Gebiet der Naturkunde zu beteiligen. Emil Rellstab war bereit, mit mir die Verwendung von Mikroprojektion und Kinofilmen im Unterricht darzustellen. Was sollten wir aber darüber für die Schulausstellung auswählen? Wir einigten uns auf Versuche: die eine Klasse mit Einzelbeobachtung unter dem Mikroskop, die Parallelklasse mit Mikroprojektion. Zeichnungen der Schüler unmittelbar nachher sollten zeigen, was sie beobachtet hatten. Die Beurteilung dieser Zeichnungen ergab rasch die Überlegenheit der Mikroprojektion. In ähnlicher Art verwendeten wir Lehrfilme und stellten fest: Handelte es sich um bewegte Vorgänge, wie die Entstehung einer Eisenbahnschiene in einem Walzwerk, blieben die Eindrücke bedeutend länger und intensiver haften als wenn das Verfahren mit Lichtbildern gezeigt und mit Worten und Zeichnungen begleitet wurde. Handelte es sich aber um Landschaften und Städtebilder, war das Lichtbild überlegen; man hatte Zeit, auf Einzelheiten hinzuweisen. An der Schulausstellung fanden die vergrösserten Wiedergaben der besten und schwächsten Darstellungen, ebenso die Hefte mit den Originalzeichnungen grosse Beachtung.
 
Sekundarschulhaus Wädenswil, 1868-1954. Aufnahme von 1936.

Ende der zwanziger Jahre gaben die Obstsammlungen von Pro Juventute für Bergschulen in den Herbstferien Arbeit für Knaben und Mädchen beim Verpacken, Zunageln der Kisten und der Verteilung auf die verschiedenen Orte; in jeder Kiste steckte ein Brieflein eines Schülers oder einer Schülerin. Empfänger waren Orte im Urnerland und in Graubünden. In einem besonders obstreichen Jahr fuhr ein Lastwagen der Firma Hürlimann in die Gegend um Davos, ein Kleinwagen von Kohlen-Treichler ins Safiental.
Da der Kanton damals noch für Automobile gesperrt war, musste eine Sonderbewilligung eingeholt werden. An die Dankesbriefe schloss sich manchmal ein längerer Briefwechsel an, so entstand zum Beispiel eine erste Verbindung mit Lü im Münstertal.
Schon früher waren Ferienwanderung durchgeführt worden. So zogen abwechslungsweise Buben oder Mädchen immer wieder in den Sommerferien ins Glarner- oder Bündnerland oder in das Tessin. Hatten die Schulreisen früher meist für alle Klassen gemeinsam zu einem bestimmten Ziel geführt, reiste nun jede Klasse mit ihrem Lehrer auf eigenen Wegen an einen schönen oder interessanten Ort.
Im April 1929 waren die Schüler und Lehrer der fünf Schulen im Safiental Gäste von Wädenswil. 65 Schüler und die Lehrer lebten für eine Woche in Familien unserer Gemeinde. Eine gemeinsame Schiffahrt führte zur Ufenau und ein Besuch der Schüler der obersten Klassen in die obere Tuchfabrik. Sonst verbrachten die Safier die Zeit mit Kameraden aus dem Dorf und machten mit ihnen und Erwachsenen kleinere oder grössere Ausflüge. Zwei Schüler, die allein im Dorf herumspazierten, fanden den Heimweg nicht mehr, kannten auch den Namen der Gastgeber nicht. «Über de Huustüür häts es Tächli», war die einzige Auskunft, die sie geben konnten. Aufgrund der Quartierliste konnten sie heimgebracht werden. Die Gastgeberin erzählte, sie habe den beiden einmal etwas vorgespielt auf dem Klavier. Darauf habe der eine auf das Instrument gezeigt und gefragt: «Was choscht die Musig?» Als sie den Preis nannte, meinte er: «Wol, wol, das gäb e schöni Chue.» Im Sommer folgten wir mit einer Knabengruppe der Einladung ins Safiental. Die Schüler waren bei den Bauernfamilien einquartiert. Und da im Heuet alle Familien tagsüber beschäftigt waren, führten wir Lehrer, zum Teil von Safier Lehrern begleitet, Ausflüge im Tal oder Bergtouren durch. An einigen Tagen halfen die Schüler beim Heuet. Längere Zeit nachher fand per Post ein Austausch von Obst und Alpenrosen zwischen unseren und den Safier Schülern statt.
Neben dem Schwimmunterricht in Turnstunden benützten die Schönenbergler gerne die Stunde nach Schulschluss am Vormittag um 11 Uhr zum Baden. Als einmal eine Erhebung stattfand, ob nicht auch im Sommer der Unterricht erst um 8 statt um 7 Uhr beginnen solle, entschieden sich auch die Familien in Schönenberg für den Siebenuhrbeginn, obschon damals das Postauto nicht zur Verfügung stand und besonders die Schüler aus den sihlwärts gelegenen Gehöften schon vor 6 Uhr das Haus verlassen mussten.

Sekundarklasse 2a, 1926/27, von Dr. Fritz Schwarzenbach vor dem Sekundarschulhaus Wädenswil.

Am 6. September 1936 wurde das hundertjährige Bestehen der Sekundarschule gefeiert. Jakob Eugster hatte eine Festschrift zusammengestellt, die über die Geschichte der Schule Auskunft gab. Johannes Schläpfer steuerte eine Zusammenstellung der Schüler von 1887 an bei. Er hielt auch die Festansprache bei den Eidmattschulhäusern – freilich unter dem Regenschirm – auf der Rednerkanzel. Doch vermochte er mit seinen interessanten, mit feinem Appenzellerhumor gewürzten Ausführungen die Zuhörer zu fesseln.
Die Grösse der Klassen schwankte in den verschiedenen Jahren. In der ersten Klasse waren es nach der Probezeit im Durchschnitt der zwanziger Jahre 32 Schüler, mit einem Maximum von 40 und einer Mindestzahl von 27 in einer einzelnen Klasse. Die zwei dritten Klassen zählten weniger Schüler, 22 im Durchschnitt. Es war eine schöne Arbeit in der dritten Klasse, nicht nur wegen der kleineren Schülerzahl. Die Schüler waren schon etwas reifer, die Stürme der Entwicklungszeit zum grossen Teil vorbei.
Die meisten Lehrer erteilten noch Unterricht an der Handelsschule des Kaufmännischen Vereins, der Gewerbeschule oder der Landwirtschaftlichen Winterschule, neben der interessanten Arbeit ein willkommener oder sogar notwendiger Zustupf zur Besoldung, die jährlich während der ganzen Zeit zwischen F. 8000.- und Fr. 8700.- betrug. Während der dreissiger Jahre erfolgte eine Reduktion wegen Krisenzeit, wen ich mich recht erinnere, waren es 5 Prozent. Mit mehreren Kindern reichte dieser Lohn nicht zur Befriedigung aller Bedürfnisse.
Hie und da werde ich gefragt: «Wie war es in jenen Jahren mit den Schülern?» Auch da gab es Unterschiede, Klassen, die grössere Schwierigkeiten boten als andere. Aber im ganzen war es nicht so schwierig, den Weg mit ihnen zu finden. Selbstverständlich gehörte hie und da ein besonderer Streich dazu. So verpestete einmal eine Stinkbombe das Zimmer. Es war eine Klasse, mit der ich sehr gut auskam, aber ich wusste auch, dass sie bei solchen Streichen sehr dicht hielt, wenn ich nach dem Täter fragte. Die folgende Stunde waren wir im Naturkundezimmer. Als die Schüler hereinkamen, erzeugte ich das Gas der Stinkbombe, Schwefelwasserstoff, in einer offenen Schale. Bald breitete sich der Geruch im Zimmer aus. Die Blicke einiger Schüler wandten sich einem Kameraden zu. Ich brauchte nur zu sagen: «Gib mir die Schachtel», und ich hatte den Sünder. Die Fenster liess ich geschlossen: «Etwas müsst ihr auch haben.»
Ein andermal ging von Zeit zu Zeit ein Lachen durch die Klasse. Ich griff nach der Krawatte, sie war in Ordnung, die Kleider auch . . . Da bemerkte ich, dass die Blicke über mich hinweggingen und wandte mich um . . . Eben verschwand ein Hampelmann aus Karton hinter der Wandtafel . . . Da muss doch irgendwo auch ein Faden sein? Richtig, er zog sich der Fensterreihe nach bis zur hintersten Bank, wo der «Mechaniker» sass.
Manchmal geriet es nicht, den Täter zu finden. Wenn der Streich wirklich ein Spass war, liess ich der Klasse gerne die Freunde und bemerkte nur: «Es war gut, aber jetzt ist’s genug.»
Es fiel mir 1942 nicht leicht, die Schule Wädenswil zu verlassen. Wir hatten uns gut eingelebt. Doch die grössere Aufgabe lockte.




Dr. Fritz Schwarzenbach