Von der Schmiede zur Kulturgarage

Quelle: Jahrbuch der Stadt Wädenswil 2013 von Maja Burlet

Fast inmitten von Wädenswil, im Rank an der Florhofstrasse, steht ein altes, unscheinbares, etwas vernachlässigtes Wohnhaus, umgeben mit Anbauten, die einst von einem Garagenbetrieb genutzt wurden. Diese Liegenschaft wird demnächst aus ihrem Dornröschenschlaf erweckt. Im Wohnhaus sollen Wohnungen für Studenten entstehen und der einstöckige einstige Garagenanbau wird für kulturelle Zwecke hergerichtet.
Im Türsturz des Wohnhauses eingemeisselt steht die Jahreszahl 1831. Man fragt sich: Wer war der Erbauer dieses Hauses und wie sah es damals in Wädenswil aus? Wir drehen die Zeit um 185 Jahre zurück und machen eine Zeitreise.
Der prächtige, handkolorierte Zehntenplan von Geometer Rudolf Diezinger aus den Jahren 1828/29 zeigt Wädenswil noch als Dorf. Die Landwirtschaft bildet das Haupteinkommen der meisten damaligen Einwohner. Auf dem Plan sind bereits Gebäude und Strassenführungen erkennbar, die heute noch Bestand haben. So entspricht unter anderem die heutige Florhofstrasse von der Zugerstrasse bis zur Einmündung in die Seestrasse praktisch unverändert der damaligen Alten Landstrasse, die dann weiter über den Galgenrain (heute Bürglistrasse) Richtung Zürich führte. Auch der jetzt noch bestehende markante Rank kurz vor der Einmündung in die Seestrasse, ist auf dem Diezinger-Plan deutlich erkennbar. Weiter schlängelte sich damals der Sagenbach (Kräbach) noch offen durch die Wiese, unterquerte die Alte Landstrasse bevor er dann an der Sägerei vorbei in den See mündete. Zwischen dem Sagenbach und dem Fuss des Galgenhügels lag der Stegweiher, das Wasserreservoir für die sich weiter unten befindende Sägerei.

Zehntenplan Wädenswil von Rudolf Diezinger, 1828/29.

Planausschnit Diezinger Plan - Bereich Florhofstrasse/Neuwiesenquartier, 1828/29.

Im Juli 1831 wurde erstmals verbrieft, dass Jakob Treichler bei der Hinteren Schifflände dem Schmied Caspar Brupbacher ob dem Hirschen «ungefähr ½ Vierling Matten oberhalb der Säge im Dorf Wädenschweil» verkaufte. Aus dem Beschrieb der Grundstücksgrenzen geht hervor, dass sich die Parzelle direkt an der Landstrasse im Bereich Sagenbach/Stegweiher befunden haben muss. Um den Landkauf und den Hausbau zu finanzieren, war Caspar Brupbacher gezwungen, bei verschiedenen Leuten Geld aufzunehmen. Als Pfand/Sicherheit hierfür setzte Caspar Brupbacher sein neu erbautes Haus samt Schmiede, einem Holz- und Kohlenschopf sowie einem Garten ein.
43 Jahre lang, bis ins Jahr 1874, betrieb Caspar Brupbacher die Schmiede. Dann übergab er den Betrieb an seinen Sohn Johannes Brubpacher. Wie aus Unterlagen aus dem Staatsarchiv Zürich zu entnehmen ist, starb im Juni 1878 Caspar Brupbacher und kurz darauf auch sein Sohn Johannes. Die Witwe Bertha Brupbacher und ihre Schwiegermutter Elisabetha Brupbacher waren vermutlich infolge der Verschuldung nicht in der Lage, die Liegenschaft zu behalten. Auf Neujahr 1879 wurden Wohnhaus und Schmiede, Schopf, Werkstätte, Remiseanbau und Garten für 46‘000 Franken an den Schmiedemeister Johannes Meyer, wohnhaft im Hardgut zu Altstetten, verkauft.
Eine Fotografie zeigt das Gebiet am Fuss des Galgenrains nach 1886. Zentral im Bild steht das Brupbachersche Wohnhaus mit Schmiede – umgeben von grüner Wiese – damals bereits im Besitz von Johannes Meyer. Gut erkennbar sind die Anbauten, die das Wohnhaus bis zum ersten Stock umgaben. Es ist anzunehmen, dass der Sagenbach im Bereich des Hauses damals schon unterirdisch geführt wurde. Links im Bild sind der Stegweiher und auf dem Hügel die Sommerresidenz des Seidenindustriellen August Gessner zu erkennen.

Neuwiesenquartier, Fotographie vor 1882. Das Fabrikgebäude von Gessner steht noch nicht.

Der Holzschnitt aus dem Jahre 1883 zeigt im Vordergrund den Stegweiher, rechts im Bild das Wohnhaus mit Schmiede von Johannes Meyer.

Stegweiher, Holzschnitt von 1883.

Neuwiesenquartier, Fotografie vor 1882. Das Fabrikgebäude der Firma Gessner steht noch nicht.

Auf der Fotografie des Neuwiesenquartiers aus dem Zeitraum 1885/87 mit Blick Richtung Galgen-/Bürglihügel ist am rechten Bildrand teilweise noch die Schmiede zu erkennen und links davon sehr dominant der älteste Fabriktrakt der mechanischen Seidenstoffweberei Gessner & Co., erstellt 1882.

Firma Gessner & Co., um 1896.

Mit dieser zeichnerischen Darstellung präsentierte sich die Firma Gessner & Co. um 1896. Zentral im Bild steht der Fabriktrakt, erbaut in Etappen zwischen 1882 und 1895. Die Parkanlage im Vordergrund musste 1898 dem zweigeschossigen Webereitrakt (heutiges Einkaufszentrum «Alti Fabrik») weichen. Weiter zu erkennen sind links und rechts im Bild die an der Florhof- und Glärnischstrasse gelegenen Wohnhäuser für Arbeiter und Angestellte der Seidenstoffweberei und im Hintergrund die «Villa zum Bürgli», der Sommersitz von August Gessner – erbaut zwischen 1864 und 1885, hier bereits mit Schrägdächern und Turmspitzen. Auf der Darstellung bewusst nicht festgehalten, da nicht im Besitz der Firma Gessner, ist das Wohnhaus mit Schmiede von Johannes Meyer an der Florhofstrasse.
Ziemlich genau nach 20 Jahren, im November 1898, verkaufte der Schmiedemeister Johannes Meyer sein Wohnhaus mit Schmiedewerkstätte, zwei Zinnenanbauten, einem Magazin und Waschhaus und zugehörigem Hofraum und Garten an die Firma Gessner & Co. Für die Seidenstoffweberei war dies die Gelegenheit, Landreserven für eventuelle weitere Bauten zu sichern. Die Schmiede wurde bis 1912 weiterbetrieben. Dann dienten die Räume der Firma Gessner als Schlosserei und Schreinerei.

Eine Winteraufnahme von 1905 zeigt das Quartier Florhofstrasse bei der Einmündung in die Seestrasse. Die Häuserzeile im Hintergrund besteht heute noch praktisch unverändert. Die Sägerei links im Hintergrund war damals vermutlich nicht mehr in Betrieb, da der Stegweiher kurz darauf zugeschüttet wurde.



Quartier Florhofstrasse bei der Einmündung in die Seestrasse, Winter 1905.

Firma Gessner AG nach 1912. Aufnahme von Eduard Spelterini.

Diese spektakuläre Aufnahme wurde aus einem Ballon gemacht, und zwar von Eduard Spelterini (eigentlich Eduard Schweizer, 1852–1931). Eduard Spelterini war damals sehr berühmt, vor allem für den ersten Alpenüberflug im Ballon. Dieses Bild stammt aus der Zeit um 1912. Zentral im Fokus stehen die Firma Gessner und am rechten Bildrand das Wohnhaus mit Schmiede an der Florhofstrasse. Auf dem Dach des Wohnhauses sind jetzt neu zwei Schleppgauben zu erkennen, denn 1912 wurde im Dachstock eine Wohnung eingebaut. Eindrücklich sind die vielen Gemüsegärten.
1932 kam es wieder zu einer Handänderung der Liegenschaft an der Florhofstrasse. Die Firma Gessner & Co. verkaufte nach 33 Jahren das Haus mit Schmiede an Paul Blattmann (1869-1947). Alteingesessenen Wädenswilern ist Paul Blattmann noch bestens bekannt unter dem Namen «Bläch-Pauli» oder «Föiferli-Blattme». Noch im selben Jahr reichte er ein Baugesuch ein für den «Einbau einer Autoreparaturwerkstätte mit Benzintanks». Dies ist das erste Mal, dass in Verbindung mit der Liegenschaft das Wort «Auto» Erwähnung findet. Man kann sagen, dass 1932 der Wechsel zur Garage erfolgte. Von 1932 bis 1955 wurde in der Liegenschaft von der Firma Ehrismann eine Werkstätte für «Landmaschinen, Schiffe und Autos» betrieben. Die damalige Mechanisierung der Landwirtschaft, die Seenähe mit Schiffen und die neu aufstrebende Technologie mit Autos versprachen lukrative Geschäfte.
Nachträglich stellt sich die Frage, warum die Firma Gessner & Co. das an ihre Fabrik angrenzende Grundstück wieder verkaufte. Um 1900 befand sich die Seidenweberei auf Expansionskurs. Sie besass nebst der Fabrik in Wädenswil auch Produktionsstandorte in Richterswil und in Waldshut. Im Jahr 1914 brach der erste Weltkrieg aus. Die damals bereits international tätige Firma Gessner & Co. erlitt erste Rückschläge, unter anderem durch Zinsverluste, Kursrückgänge, Rohstoffmangel und Exporteinbrüche. Weiteres Leid brachte die damals in der Schweiz grassierende Grippeepidemie von 1918. Viele Arbeiter wurden krank oder starben. Ferner kam es in dieser Zeit allgemein zu Umwälzungen politischer, gesellschaftlicher und technischer Art, welche die Firma Gessner zu bewältigen hatte.
Nach dem ersten Weltkrieg kam es kurz nochmals zu einem wirtschaftlichen Aufschwung bis 1929 der «Schwarze Freitag» an der New Yorker Börse die nächste Weltwirtschaftskrise einleitete. Auch die Firma Gessner musste wiederum starke Abstriche machen, bis schliesslich 1932 die finanzielle Notlage so drückend wurde, dass Liegenschaften des Unternehmens veräussert werden mussten. So kam es nebst anderen Liegenschaften auch zum Verkauf des Wohnhauses an der Florhofstrasse.

Wädenswil im Jahre 1947. Fotografie von A. Jansen, Zürich.

Die Luftaufnahme von 1947 zeigt, wie sich Wädenswil verglichen mit dem Diezinger-Plan innerhalb von 100 Jahren vom Dorf zu einer Industriestadt entwickelt hat. Wo einst noch Landwirtschaft betrieben wurde, stehen neu Fabrikbauten und Arbeitersiedlungen. Die grünen Wiesen rund um die Liegenschaft an der Florhofstrasse sind alle überbaut. Der Krähbach ist auf der ganzen Länge unterirdisch geführt.

Pläne und Briefausschnitt für den Garagenanbau von Architekt Hans Fischli, 1953/54.

1953/54 kam es nochmals zu einer massgebenden Veränderung der Liegenschaft Florhofstrasse. Auf der bis anhin als Garten genutzten Restfläche der Liegenschaft erfolgte ein Anbau für ein Feuerwehrmagazin und einer Garage. Entworfen und geplant wurde der Garagenanbau vom bekannten Zürcher Architekten Hans Fischli (1909–1989), der 1929 am Bauhaus in Dessau Architektur studierte. Die abgebildeten Schnitt/Ansichten des Anbaus wiederspiegeln den Bauhausstil. Auch das in Beton gegossene Garagenvordach/Pilzdach wirkte in der damaligen Zeit sehr futuristisch. Eine Briefpassage aus einem Bauänderungsgesuches vom November 1953 belegt seine Ideen und Vorstellungen:
Der Vergleich des damaligen Projektes mit der heutigen Situation zeigt, dass die Liegenschaft seit 1953 kaum mehr Änderungen erfahren hat. Aus dieser Zeit stammen teilweise noch Fenster mit den quadratischen Sprosseneinteilungen sowie das Beton-Vordach.
Ab 1955 bis 1973 wurde die Garage durch die Firma Krebs & Co. betrieben. Anschliessend übernahm Anton Flury, ein langjähriger Mitarbeiter, den Garagenbetrieb und gründete die Delta Garage AG. Von 1967 bis 1977 wurde in der Garage auch eine Tankstellenanlage betrieben, beliefert durch The British Petroleum Company Ltd. (BP).

Garagenbetrieb an der Florhofstrasse - Winter 1973.

Die Fotografie zeigt das Wohnhaus mit Garagenanbau im Winter 1973. Unter dem Vordach sind die Zapfsäulen für Normal- und Superbenzin erkennbar. 1958/1960 erfolgte der Bau der im Hintergrund stehenden Wohnblöcke mit Arbeiterwohnungen der Firma Gessner. Architekt war ebenfalls Hans Fischli. Ab diesem Zeitpunkt war die Garagenliegenschaft komplett umbaut.
Da der räumlich enge Garagenanbau wie auch der mangelnde Umschwung der Liegenschaft für einen modernen Betrieb nicht mehr genügten, beschlossen die jetzigen Inhaber der Delta Garage AG vor wenigen Jahren, neue Räumlichkeiten zu suchen. Unweit des alten Standortes wurden sie fündig. So zügelte die Familie Zanetti den Garagenbetrieb in die Liegenschaft an der Seestrasse 158, wo sich auch das neue Feuerwehrdepot befindet.
Während 100 Jahren beherbergte die Liegenschaft eine Schmiede und anschliessend während 80 Jahren einen Garagenbetrieb. Was wird die Zukunft bringen? Ab Herbst 2013 bis Spätsommer 2014 wird die Liegenschaft im Besitz der Blattmann Immobilien AG, Wädenswil total saniert und umgebaut. Wie einleitend erwähnt, soll das Wohnhaus künftig Studenten beherbergen und im einstigen Garagenanbau sollen Räume für kulturelle Zwecke entstehen – die sogenannte Kulturgarage.
Initianten dieser Kulturgarage sind die Historische Gesellschaft Wädenswil und das Volkstheater Wädenswil. Beide Vereine waren seit langer Zeit auf der Suche nach einer zentral gelegenen, grösseren Räumlichkeit, die jährlich über mehrere Wochen oder Monate genutzt werden kann. Die Verwirklichung der Idee Kulturgarage wurde nur möglich dank dem finanziellen Entgegenkommen des Besitzers, der Blattmann Immobilien AG, und der wiederkehrenden finanziellen Unterstützung der Stadt Wädenswil. Ein Trägerverein wird die Kulturgarage langfristig mieten und verwalten. Die Mietkosten werden durch die städtische finanzielle Unterstützung wie auch durch Beiträge der künftigen Nutzer sichergestellt.
So wird die Historische Gesellschaft die Kulturgarage während vier Monaten jährlich mieten, um eine Wechselausstellung zu präsentieren. Das Volkstheater wird die Räumlichkeit künftig wiederkehrend während der Sommermonate für Proben und Kulissenbau nutzen. Die Kulturgarage steht aber auch interessierten Privatpersonen oder Vereinen zur Verfügung, zum Beispiel für Ausstellungen und Präsentationen kultureller Art.



Maja Burlet


Quellennachweis:

StAZH, B XI Wädenswil 21, S. 65 (Grundprotokoll Wädenswil)
StAZH, B XI Wädenswil 21, S. 115
StAZH, B XI Wädenswil 315, S. 424–426
StAZH, B XI Wädenswil 317, S. 440
StAZH, B XI Wädenswil 317, S. 736
StAZH, B XI Wädenswil 318, S. 272–274
StAZH, B XI Wädenswil 327, S. 378
StAZH, RR I 260d, S. 1184 (Lagerbuch Brandassekuranz)
StAZH, RR I 260g, S. 735 (Sagenrain Nr. 672, alt Nr. 599).