Wie die Hintere Rüti zum Industriegebiet wurde

Quelle: Gewerbezeitung Donnerstag, 30. Oktober 2017 von Peter Ziegler

Abbruch des Rütihofs, 2007.
 

Rüti – ein Rodungsname

Ein Blick auf die Zürcher Kantonskarte, die Hans Conrad Gyger im Jahre 1667 fertiggestellt hat, lässt erahnen, dass die Wälder Gulmen, Winterbergholz und Grossholz einmal einen zusammenhängenden Forst gebildet haben. Im Hoch- und Spätmittelalter wurde dann im Kerngebiet gerodet, woran der Flurname Rüti erinnert. In der Folge entstanden verschiedene Bauernhöfe, die sich seit der Mitte des 16. Jahrhunderts urkundlich nachweisen lassen. In der unteren oder vorderen Rüti lebte 1555 die Familie des Hans Pfister, dessen ausgedehnter Grundbesitz einerseits an den Winterberg grenzte, zweitens an die Weide im Hangenmoos, drittens an die Langwies und viertens an die Obere Rüti. Als deren Grenzanstösser werden Chalchtaren, Luggenbüel und die Untere Rüti bezeichnet. Bezeugt sind 1555 auch die Mittlere Rüti, ferner ein abgegangener, nicht mehr lokalisierbarer Hof Alte Rüti. Ewas später ist auch die Hintere Rüti belegt, folgerichtig so benannt, weil sie westwärts liegt, im Gegensatz zur Vorderen Rüti im Osten. Mit Baujahr 1654 ist das Fachwerkhaus Vordere Rüti das älteste Gebäude in diesem Gebiet.
Rüti; Ausschnitt aus Kantonskarte von Hans Conrad Gyger, 1667.

Bauernhof Mittlere Rüti.

Fachwerkhaus «Vordere Rüti» von 1654.

Zugerstrasse und Autobahn

1837 legte Ingenieur Alois Negrelli (1799–1858) die Pläne für einen Strassenzug vom Dorf Wädenswil nach Sihlbrugg vor. 1841 konnte diese sechs Meter breite Strasse erster Klasse – die Zugerstrasse – eingeweiht werden. Ab 1853 verkehrte darauf ein Postkutschenkurs nach Zug. Zwischen den heutigen Kreiseln Hintere Rüti und Neubüel verlief die Strasse weiter südöstlich als heute. Der Name «Alte Zugerstrasse» erinnert daran. Noch vor wenigen Jahren war das Kopfsteinpflaster sichtbar, das auf den modernen Strassenbau der Mitte des 19. Jahrhunderts hinwies. Nun ist es mit einem Teerbelag überdeckt. Zur Erschliessung der 1966 eingeweihten Autobahn N3, später in A3 umbenannt, wurde die Strasse nach Nordwesten verlegt und gleichzeitig breiter gebaut.

Vordere Rüti mit «Rütihof» an der Abzweigung Zugerstrasse-Steinacherstrasse, 1970.

Wirtschaft Neubüel

Eine an der Zugerstrasse gelegene Weinschenke im Neubüel wird erstmals im Wirtschaftsverzeichnis von 1860 aufgeführt. Im Verzeichnis des Jahres 1878 erscheint der Name «Wirtschaft». Ab 1920 wirtete hier die Familie Stocker, welche die ursprüngliche Scheune durch einen Saalanbau ersetzen liess. 2007 wurde das Neubüel – die Wirtschaft mit eigenem Autobahnanschluss – Eigentum der Molkereigenossenschaft Wädenswil-Horgen, der Landi 8820 Wädenswil.
Wirtschaft Neubüel mit angebauter Scheune.

Industriezone Hintere Rüti

Die nahe gelegene Autobahn wertete das Land in der Hinteren Rüti auf: Es eignete sich für eine neue Gewerbe- und Industriezone. Ende der 1960er Jahre errichteten hier vier Wädenswiler Unternehmen neue Fabrikgebäude: die 1933 gegründete Galvanische Anstalt Feusi & Federer; die 1947 gegründete Firma Störi & Co., welche Schaltanlagen sowie elektrische und elektrothermische Apparate baute; die 1951 gegründete Metallbaufirma Ernst Weiss, die Stahlrohrmöbel herstellte (heute Wablag AG), und das Horgner Unternehmen Baumann + Co., das 1970 seine modernen Fabrikanlagen für Rollladen und Lamellenstoren in Betrieb nahm. Später kamen weitere Betriebe hinzu, die hier nicht vollständig aufgelistet werden können. Erwähnt seien lediglich das 1979 von Horgen an die Industriestrasse verlegte Carosserie & Spritzwerk Lugi Taveri AG, die Emil Flachsmann AG, seit 2003 Frutarom, und der Laden der Genossenschaft Landi Zimmerberg.
Firma Störi, 2005.

Abbruch der Gebäude der Firma Störi, 2008.

Die Störi Mantel Wärmetechnik AG, seit 1963 in der Hinteren Rüti ansässig, liess 2004/05 ein zweigeschossiges multifunktionales Gewerbehaus erbauen, in dessen Erdgeschoss sich das regionale Verteilzentrum der Schweizerischen Post einmiete. Nachdem die Firma Störi Mantel die Produktion am bisherigen Standort aufgegeben hatte, wurden die Fabrikgebäude im Jahre 2008 abgebrochen. An ihrer Stelle entstand das Zürichsee Center, eröffnet am 27. Oktober 2011.
Bisher erschlossen die Rütistrasse und verschiedene Wege die alten Bauernhöfe. Die rege Bautätigkeit im Industriegebiet Hintere Rüti führte zum Bau neuer Strassen: der Industriestrasse und der Rütiwisstrasse, an welcher 2010/2011 das Logistikzentrum für Brief- und Paketpost der Schweizerischen Post erstellt worden ist.
 

Zurich International School

Mit dem Bau des Gewerbehauses Steinacherstrasse 150 setzte auch die Besiedlung entlang dieser Strasse sein. 2002 folgte hier die Zurich International School, an welcher über 400 Kinder zwischen dem vierten und elften Altersjahr aus mehr als 40 verschiedenen Ländern unterrichtet werden. Erstrangiges Ziel der Tagesschule ist es, den Bedürfnissen von Kindern von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern internationaler Unternehmen im Wirtschaftsraum Zürich nachzukommen.
 

Areal Rütihof und «Werkstatt Zürisee»

Es war absehbar, dass die zwischen Steinacher- und Zugerstrasse gelegene Parzelle, die zum aus dem 19. Jahrhundert stammenden Bauernbetrieb Rütihof gehörte, einmal zur Erweiterung der Industriezone Hintere Rüti dienen werde. 2007 wurden Wohnhaus und Ökonomiegebäude abgebrochen und als erster Neubau entstand hier ein Lebensmittelgeschäft von Lidl Schweiz GmbH. In der Urnenabstimmung vom 30. November 2014 genehmigten die Stimmberechtigten einen Kredit von 22 850 000.- Franken und ermächtigten den Stadtrat Wädenswil, das 40 000 Quadratmeter grosse, in der Industriezone gelegene Wiesland Rütihof zu erwerben, um ein Gewerbezentrum, die «Werkstatt Zürisee», zu schaffen. Der Kauf erfolgte Anfang November 2016 zum Preis von 21,5 Millionen Franken. Am 9. Juli 2017 bewilligten die Stimmberechtigten einen Zusatzkredit von 8 Millionen Franken für die Erschliessung des Areals. Mit dem Spatenstich vom 15. September 2017 ging das den Wirtschaftsstandort Wädenswil stärkende Projekt «Werkstatt Zürisee» in die Realisierung.

Rütihof vor dem Spatenstich im September 2017.




Peter Ziegler