Vom «Raspermund» zum «Sunneblick»

Quelle: «Allgemeiner Anzeiger vom Zürichsee», 31. Oktober 1991 von Peter Ziegler, überarbeitet

Die Geschichte des Hauses Sunneblick lässt sich bis in die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts zurückverfolgen und steht in engem Zusammenhang mit der Nachbarliegenschaft «Heimgarten». So hiess ursprünglich die Besitzung unterhalb des Gemeindeplatzes und des Gesellenhauses auf der andern Seite der in den Berg führenden Landstrasse im Bereich der heutigen Überbauung «Hirschen».
Links die Scheune am Standort des späteren Hauses «Sunneblick».

«Heimgarten»

Das Areal, auf dem in den 1760er Jahren der Gasthof «Hirschen» gebaut wurde, trug ursprünglich den Namen «Heimgarten» und grenzte oben an den Gemeindeplatz. Unter dem Begriff Heimgarten verstand man einen öffentlichen Platz unter Bäumen, wo man sich zu geselliger Unterhaltung traf.
1720 wird ein Haus Heimgarten im Grundprotokoll als Besitz des Färbers Ulrich und seines Bruders, Hauptmann Hans Eschmann, ausgewiesen. Zum Besitz gehörte auch das Gebäude «Raspermund», mit Färberei und Trotte, das später zum Wohnhaus Schönenbergstrasse 1, dem «Sunneblick» umgestaltet wurde.
Im Jahre 1807 war der Schuhmacher Jakob Eschmann Eigentümer der Liegenschaft «Heimgarten», die jetzt unten an den Gasthof Hirschen grenzte. Ab 1845 gehörte der «Heimgarten» der Uhrmacherfamilie Huber. Das Gebäude wurde für die neue Überbauung Hirschen im Winter 1975/76 abgebrochen.
Haus Heimgarten zwischen Gasthof Hirschen und Sekundarschulhaus.
 

Haus Gerbestrasse 9

Unterhalb des für die Färberei genutzten Gebäudes «Raspermund» und mit diesem zusammengebaut, liess der Krämer Hans Heinrich Brupbacher (1711−1793), vorher wohnhaft auf dem Buck, ein grosses Wohnhaus errichten (heute Gerbestrasse 9). Heinrich Brupbacher (1758−1835), der jüngere Sohn, wurde 1791 Eigentümer dieser Liegenschaft. Er betätigte sich hier als Zeichner, Schrift- und Kupferstecher und unterhielt einen kleinen Kunsthandel mit Verlag. Er gab Schreibvorlagen, Umrisszeichnungen und Formulare aller Art heraus, so Taufscheine, Lehrlingsatteste und Zeugnisse. Sein bekanntestes Werk war die aus 27 Blättern bestehende Serie von Zürichsee-Stichen, die Brupbacher im Auftrag des Zürcher Verlegers Johannes Hofmeister (1721−1800) schuf. Hans Jakob Brupbacher (1792−1831), der älteste Sohn des Kupferstechers Heinrich Brupbacher, eröffnete 1817 in seinem Haus unterhalb des Gasthofs Hirschen eine Steindruckerei: die erste lithographische Anstalt auf der Zürcher Landschaft, Unter anderem druckte er ein Erinnerungsblatt an die grosse Teuerung und Hungersnot 1816/17 und 1826 das Festgedicht für den Sängerverein am Zürichsee. Seit 1832 gehörte die Liegenschaft unterhalb des «Hirschen» dem Lithographen Johannes Brupbacher-Isler, dann dessen Erben, von 1888 bis 1890 dem Schuhmacher Tobias Schmidheini und von 1890 bis 1894 dem Coiffeur Johannes Steffen. Dieser verkaufte das Haus am 1. Oktober 1894 dem Sattler August Hauser.
Rechts die Häuser Gerbstrasse 9 und Schönenbergstrasse 1. Im Vordergrund die Baugrube für die neue Überbauung Hirschen.
 

Haus Raspermund, nachmals «Sunneblick»

Das einst zur Färberei Eschmann gehörende Haus Raspermund kam 1755, nach dem Konkurs des Färbers Jakob Eschmann, zusammen mit dem «Heimgarten», als «Mangi» ins Eigentum des Leutnants Heinrich Schneider und mit unbekanntem Datum in den Besitz der Familie Brupbacher, die das 1759 erstellte angrenzende Haus (heute Gerbestrasse 9) ihr eigen nannte.
Diese Besitzverhältnisse mussten 1864 klargestellt werden. Ein Eintrag im Grundprotokoll vom 9. Mai dieses Jahres besagt, das Haus Raspermund sei 1751 auf die Namen von Jakob und Hans Eschmann eingetragen worden. Am 11. April 1864 habe das Bezirksgericht Horgen die Liegenschaft «notarisch» ins Eigentum der Nachkommen der Gebrüder Johannes und Heinrich Brupbacher sel., beim «Hirschen», übertragen, und zwar «nach den gesetzlichen Bestimmungen der Ersitzung».
Es handelte sich dabei um «ein Wohnhaus mit Schopf daran», für 1300 Franken unter der Nummer 194 assekuriert, «genannt zum Raspermund beim Hirschen in Wädensweil». Im Brandkataster von 1826 wird dieses «Wohnhaus mit Schopf» als Eigentum des Heinrich Brupbacher registriert, der auch das Nachbarhaus besass. Der «Raspermund» wurde für die Brandversicherung beschrieben als ein Gebäude mit Ziegeldach, ein Viertel gemauert und zu drei Vierteln in Riegelkonstruktion. Eines wird aus dieser Beschreibung deutlich: Die Brupbacher haben das ehemalige Mangegebäude vor 1826 teilweise zum Wohnhaus umgebaut.
Bis 1888 wird die Liegenschaft, zu der auch ein Stücklein Land ob dem Haus gehörte, mit gleichem Wortlaut charakterisiert als «ein Wohnhaus mit Schopf daran». Im genannten Jahr veräusserte dann Fritz Brupbacher, Buchdrucker in Zofingen, das nun unter der neuen Nummer 470 für 3500 Franken brandversicherte Gebäude dem Schuster Tobias Schmidheini. Gleichzeitig erwarb Schmidheini von Fritz Brupbacher die angebaute Nachbarliegenschaft (neue Ass-Nr. 469). Diese verkaufte er jedoch am 22. November 1890 an Coiffeur Johannes Steffen weiter.
Die beiden zusammengebauten Häuser gehörten seit 1890 zwei verschiedenen Besitzern. Das hatte zur Folge, dass Servituten abgesprochen und ins Grundbuch eingetragen wurden. Tobias Schmidheini und August Hauser vereinbarten Ende Oktober 1895, die Fenster und Türöffnungen in der dem Wohnhaus Schmidheini zugekehrten Fassade des Hauserschen Hauses seien innert Jahresfrist zuzumauern. Einzig das Gangfenster durfte, «der Helle wegen, bis zum Zeitpunkt des Höherbauens fortbestehen». Hauser räumte Schmidheini das Recht ein, die Fensterläden soweit nötig an die Mauer seines Wohnhauses zurückzuklappen. Der Abtritt-Trog unter dem südwestlichen Teil des Gebäudes von Schuhmacher Schmidheini, so war weiter abgemacht, sollte August Hauser gehören, durfte aber vom Nachbarn mitbenützt werden.
Die Auflage betreffend das Verschliessen der Fenster- und Türöffnungen in der gemeinsamen Brandmauer wurde offensichtlich erfüllt: Anlässlich des Innenumbaus des «Sunneblicks» konnten die zugemauerten Partien im März 1991 freigelegt und fotografisch dokumentiert werden. An den Innenwänden Richtung Schönenbergstrasse und Sunnerain liessen sich im ersten Obergeschoss zudem die Ansätze eines gegen die Bergseite hin ansteigenden Satteldaches erkennen. Dies ein Hinweis darauf, dass das Gebäude einst niedriger war und dann aufgestockt wurde. Dies bestätigen auch die vom Wädenswiler Architekten Karl Schweizer für den Wohnhausbau des Schuhmachers Th. Schmidheini gezeichneten Fassaden- und Grundrisspläne der Liegenschaft. Leider sind sie nicht datiert. Sie zeigen aber, dass der Dachfirst ursprünglich nur bis auf die Höhe der Fensterstürze im heutigen zweiten Obergeschoss reichte, Das Satteldach sass asymmetrisch auf dem Gebäude, mit lang geschlepptem Teil Richtung Liegenschaft Hauser und kürzerer, bergseits abfallender Partie.
Wann der Aufbau für fünf Zimmer und eine Plunderkammer über dem Parterre erfolgte, das heisst der First 4½ Meter höher gesetzt wurde, ist nicht genau auszumachen. Sicher liegt die Bauzeit zwischen den Jahren 1896 und 1902. Denn 1895 wird das damals für 9000 Franken brandversicherte Haus noch als unvollendet bezeichnet, bis Ende Oktober 1896 mussten die Fenster- und Türöffnungen in der Brandmauer verschlossen werden, und die Umbaupläne tragen die Bezeichnung «Wädensweil», die 1903 allgemein durch «Wädenswil abgelöst wurde. Manches spricht für den Wohnhausumbau im Jahre 1896 oder kurz danach. So auch die 1991 restaurierten Lukarnenverzierungen in Laubsägetechnik. Solche Zierelemente waren um jene Zeit grosse Mode.
«Sunneblick» noch ohne Balkon.

Haus Sunneblick mit Balkon.
 
Zudem wurde die Versicherungssumme, die 1894 − nach dem Werkstatt- und Ladeneinbau − erst 7200 Franken betragen hatte, 1896 wegen Bauten auf 13‘500 Franken erhöht. Der Innenausbau mag sich über die Jahre 1901 bis 1904 hingezogen haben. Beim Lösen der Wandverkleidungen kamen nämlich haufenweise als Isolationsmaterial verwendete Zeitungen zum Vorschein: Nummern des «Allgemeinen Anzeigers vom Zürichsee» mit den Daten zwischen dem 30. April 1901 und dem 24. März 1904. Das Brandassekuranzprotokoll vermerkt für 1904 wiederum Bauten. Gleiche Einträge finden sich für 1906/07 und 1912/13.
Schuhmacher Tobias Schmidheini-Zellweger starb am 14. April 1907, und die Liegenschaft Schönenbergstrasse 1 vererbte sich auf den 21-jährigen Sohn Ernst Schmidheini, Coiffeur in Lausanne. Dieser machte Konkurs und starb 1922. Das Konkursamt Wädenswil brachte die Liegenschaft, bestehend in einem für 25‘000 Franken assekurierten Wohnhaus mit Garten an der Schönenbergstrasse, am 24. Juli 1922 auf die Gant. Und hier wurde sie der 21-jährigen Fanny Rusterholz, Klavierlehrerin, zur Seeau in Wädenswil, zugeschlagen.
Die neue Eigentümerin taufte das Haus auf den Namen «Sunneblick», da man von hier aus auf den Gasthof Sonne blicken konnte. Das von Efeu und Glyzinien umrankte Gebäude erhielt 1923 einen Balkon ob dem Eingang in der Südfassade; im Übrigen aber blieb das Erscheinungsbild durch all die Jahre erhalten.
Fanny Rusterholz (1901−1988).
Gemäss letztwilliger Verfügung der am 14. März 1988 verstorbenen Eigentümerin, die im «Sunneblick» während mehr als 60 Jahren Hunderte von Wädenswiler Buben und Mädchen das Klavierspielen gelehrt hatte, ging der Wohnbereich der Liegenschaft in den Besitz der Evangelisch-reformierten Kirchgemeinde über, der Laden im Erdgeschoss, heute «Kafisatz», an die hier seit vielen Jahren eingemietete christliche Vereinsbuchhandlung. Aussen wurde das Haus 1991 nach den Empfehlungen der Natur- und Heimatschutzkommission Wädenswil restauriert. Das Innere dagegen wurde völlig neu gestaltet: Es enthält nun zur Hauptsache Büroräume für Angestellte der Kirchgemeinde.
 

Wasserrechte am Hirschenbrunnen

Wie erwähnt gehörte das ursprünglich «Raspermund» geheissene und seit den 1920er Jahren «Sunneblick» genannte Haus zur Liegenschaft des Gasthofs Hirschen. Diese im 18. Jahrhundert begründeten Rechtsverhältnisse wirkten sich bis ins 19. und 20 Jahrhundert aus. So hatte noch 1895 der «Hirschen»-Wirt Johannes Hürlimann das Recht, die Hauptwäsche, das heisst die grössere Wäsche, im Waschhaus des Hauses von Tobias Schmidheini zu waschen, ein Tatbestand, der schon 1766 im Grundbuch festgehalten worden ist. Und auch Wasserrechte fussten auf alter Tradition. Der jeweilige Eigentümer des Hauses Raspermund durfte am seit 1766 bezeugten Hirschenbrunnen, der mit einem Viertel des Sonnenbrunnen-Wassers gespeist wurde, Trink- und Brauchwasser holen. 1888 stand dem Haus die Hälfte des Wassernutzens am Brunnen ob dem «Hirschen» zu, 1895 nur noch ein Viertel. Als Fanny Rusterholz 1922 die Liegenschaft erwarb, war das Wasserrecht folgendermassen aufgeteilt: Fanny Rusterholz 2/8, Karl Kessler 3/8, Walter Huber 1/8 und August Hauser 2/8. Mit dem Verschwinden des Hirschenbrunnens im Zusammenhang mit der Neuüberbauung des Hirschen-Areals beseitigte man 1976 den alten Hirschenbrunnen, nachdem dessen Wasserrechte gelöscht worden waren.
 




Peter Ziegler